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Programmiert für neue Kolonialkriege

Zur Weiterentwicklung der Bundeswehr

Von Ernst Woit*

Vor einem Jahr erlebten wir, wie die deutsche Regierung zusammen mit der Frankreichs und Rußlands die Legalisierung des Angriffskrieges der USA und Großbritanniens auf den Irak im UN-Sicherheitsrat verhinderten. Das war eine historisch durchaus bedeutsame Entscheidung. Und zwar nicht nur, weil sie Gerhard Schröder die Wiederwahl zum Bundeskanzler brachte. Diese Entscheidung war ohne Zweifel Ausdruck eines tiefen Interessenunterschiedes zwischen den USA und Großbritannien einerseits und Deutschland, Frankreich sowie Rußland andererseits in Bezug auf die Mittel und Wege zur Entwaffnung und neokolonialen Beherrschung des Irak. Denn hinsichtlich dieses Zieles gab es auch zwischen der deutschen Bundesregierung und der USA-Regierung keinen Dissens, wie Bundeskanzler Schröder vor dem Bundestag ausdrücklich betont hat.(1) Mehr noch: im Unterschied z.B. zur Türkei, die einen Angriff von US-Truppen auf den Irak von ihrem Territorium aus nicht zuließ, gestattete die deutsche Bundesregierung den USA die uneingeschränkte Nutzung des Luftraumes und des Territoriums der BRD zur logistischen Sicherstellung ihres Angriffskrieges. Das spricht zumindest dagegen, die Ablehnung des Irakkrieges im UN-Sicherheitsrat durch die BRD-Regierung so zu werten, als sei sie prinzipiell gegen derartige Angriffskriege zur imperialistischen Neuordnung der Welt und eine Teilnahme Deutschlands an ihnen.

Vor genau einem Monat, am 13. Februar 2004, hat Bundesverteidigungsminister Struck ein Programm zur "Weiterentwicklung" der Bundeswehr verkündet, das diesbezüglich an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig läßt. In der Wochenzeitung "Das Parlament" wird das als die "größte konzeptionelle Umorientierung der Bundeswehr seit dem NATO-Beitritt" der BRD bezeichnet.(2) Bisher hat die Bundeswehr etwa 8.000 Soldaten im Ausland stationiert und ist damit an der Grenze ihrer Möglichkeiten angelangt. Hauptziel dieser Reform ist es nun, die Bundeswehr so umzustrukturieren, daß sie bei einer Gesamtstärke von nur noch 250.000 Soldaten über mindestens 100.000 Soldaten verfügt, die jederzeit zu weltweiten militärischen Interventionen eingesetzt werden können. Diese sollen künftig unter Führung des Einsatzführungsstabes der Bundeswehr in Potsdam von vornherein für weltweite Militäreinsätze als geschlossene Einheiten und Verbände formiert und ausgebildet werden, so daß sie nicht mehr - wie bisher - erst im Einsatzfall aus verschiedenen Truppenteilen zusammengestellt werden müssen. Damit hören Heer, Luftwaffe und Marine auf, wesentliches Strukturmerkmal der Bundeswehr zu sein.(3) Ziel dieser Reform ist, wie Minister Struck erklärte, daß die Bundeswehr schnell genug verfügbar und stark genug wird, um weltweit Kampfeinsätze zusammen mit den Verbündeten durchführen zu können. Das kommentierte das US-amerikanische Nachrichtenmagazin "Time" in einem geradezu euphorischen Artikel so: "Diese Worte hätten leicht auch vom U.S.-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld stammen können, denn die deutsche Strategie übernimmt damit faktisch die US-Pläne für leichtere und schnellere Streitkräfte."(4)

Damit soll die Bundeswehr fähig werden, die ihr bereits in den ‚Verteidigungspolitischen Richtlinien' vom 21. Mai 2003 offiziell gestellten Aufgaben zu erfüllen. Diese aber entspringen "dem weiten Verständnis von Verteidigung, das sich in den letzten Jahren herausgebildet hat" (Zif.4). "Dementsprechend läßt sich Verteidigung geographisch nicht mehr eingrenzen". (Ziff.5) Daraus folgt: "Künftige Einsätze lassen sich wegen des umfassenden Ansatzes zeitgemäßer Sicherheits- und Verteidigungspolitik und ihrer Erfordernisse weder hinsichtlich ihrer Intensität noch geographisch eingrenzen. Der politische Zweck bestimmt Ziel, Ort, Dauer und Art eines Einsatzes." (Ziff.57)

Also versuchen wir die Frage zu beantworten, welcher politische Zweck weltweite Einsätze der Bundeswehr und ihrer Verbündeten angeblich so notwendig macht. Daß die neuerdings immer wieder beschworenen "asymmetrischen Bedrohungen" oder "der Terrorismus" kaum mehr als Propaganda - Floskeln sind und es in Wirklichkeit um Kriege für eine imperialistische ‚Neuordnung' der Welt und einen dazu gehörenden neuen Kolonialismus (5) geht, wird selbst an den immer offeneren Äußerungen der politischen Machthaber und ihrer Medien deutlich. Hinzu kommt, daß es nach dem Ende der globalen Bipolarität für die bisher siegreiche Supermacht und deren Verbündete objektiv leichter und ungefährlicher geworden ist, Krieg zu führen. Offen und zynisch erklärte der CDU-Politiker Wolfgang Schäuble im Februar 2002: "Die Möglichkeiten, mit militärischen Mitteln politische Ziele zu erreichen, bergen sehr viel begrenztere Risiken als vor zehn Jahren."(6)

Am gleichen Tag, als die USA den völkerrechtswidrigen Krieg gegen den Irak begannen, hieß es in einem redaktionellen Kommentar der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" durchaus zustimmend: "Der Irak soll als Feind verschwinden, indem die Amerikaner ihn mit imperialen Mitteln neu gründen. Die Verwerfungen der postkolonialen Zeit werden durch einen neuen demokratischen Kolonialismus zugeschüttet."(7) Wenige Tage nach dem offiziellen Ende des Irak - Krieges schrieb eine einflußreiche Hamburger Wochenzeitung angesichts der unterschiedlichen Positionen innerhalb der NATO zu diesem Krieg: " Das amerikanisch - europäische Zerwürfnis im Irak - Konflikt hat eines überdeckt: Bei dem neuen globalen Interventionismus geht es um ein gemeinsames westliches Projekt. Auch der Streit um die Legitimierung militärischer Gewalt durch die Vereinten Nationen und das Völkerrecht stellt diese Gemeinsamkeit nicht in Frage. (...) Längst dienen militärische Interventionen der Selbstbehauptung westlicher Demokratien - als Instrument ihrer Weltinnenpolitik. Diese läuft auf einen ‚demokratischen Neokolonialismus' hinaus."(8)

Wenn weltweite militärische Interventionen mit einer Strategie begründet werden, deren politischer Zweck mit Formulierungen wie "Verwerfungen der postkolonialen Zeit", "neuer demokratischer Kolonialismus" und "demokratischer Neokolonialismus" benannt wird, ist es notwendig, sich genau mit diesen Begriffen auseinanderzusetzen. Daraus folgt- zunächst rein logisch - daß die weltweiten Einsätze, für die die Bundeswehr jetzt zielstrebig vorbereitet werden soll, ihrem Wesen nach imperialistische Kolonialkriege sind. Um was es in ihnen letztlich wirklich geht, hat kein geringerer als Kurt Biedenkopf in seinem politischen Tagebuch 1998 -1990 sehr präzise so formuliert: "Zunehmend habe ich den Eindruck, daß unsere Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung im Zenit ihrer Entwicklung angelangt ist. Im Grunde hat sie damit keine Zukunftsperspektive mehr. (-) Die Art, wie wir leben, ist nicht verallgemeinerungsfähig. Wir können unsere Ansprüche an die Erde und ihre Ressourcen nicht auf die große Mehrheit der Menschheit übertragen. China und Indien mit der gleichen PKW - Dichte und dem gleichen Verbrauch von Energie wie in einer hochentwickelten Zivilisation wären undenkbar. Das heißt aber, daß die Fortführung unserer eigenen Lebensweise nur möglich ist, wenn sie auch in Zukunft einer privilegierten Minderheit, den hochentwickelten Industrienationen, vorbehalten bleibt."(9) Mit anderen Worten: Es geht darum, auch für die Zukunft mit allen Mitteln durchzusetzen, daß 20 % der Menschheit 80 % der Ressourcen verbrauchen können und 80 % der Menschheit weiterhin nur den ‚Rest'. Nichts anderes meint auch der EU - Chefdiplomat Javier Solana, wenn er die "globale Verantwortung" der EU so definiert: "Wir sind die größte Handelsmacht der Welt und der größte Geldgeber bei der Entwicklungshilfe. Also sind wir längst eine globale Macht. Bloß waren wir bisher noch kein militärischer Akteur. Der aber müssen wir werden, wenn wir unsere Werte verteidigen wollen."(10)

Ideologisch wird die deutsche Bundeswehr spätestens seit Mitte der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts darauf eingestimmt, Akteur in diesen neuen Kolonialkriegen zu sein. So erklärte der damalige Generalinspekteur Klaus Naumann am 24. 10. 1995 über den Prototyp des neuen Bundeswehrsoldaten: "Es ist ein Soldat, der auch fern der Heimat versucht, Krisen von seinem Land fernzuhalten, das während seines Einsatzes weiter in Frieden lebt. Eine neue Dimension für deutsche Soldaten, die ähnliches in diesem Jahrhundert bislang nur zweimal vor 1945 und nun allerdings schon drei Jahre lang seit 1992 erlebten. Die neue Rolle stellt neue Anforderungen an militärische Führer, aber auch an unsere Gesellschaft."(11) Mit den zwei Beispielen von vor 1945 war die deutsche Beteiligung an der Niederschlagung des Boxeraufstandes in China 1900 und der Ausrottungskrieg gegen die Hereros im ehemaligen Deutsch - Südwestafrika 1904 gemeint. 1996 veröffentlichte die vom Bundesministerium der Verteidigung herausgegebene Zeitschrift "Truppenpraxis" einen längeren Grundsatzartikel über das "Wesen künftiger Konflikte", in dem es mit kaum noch zu übertreffender Deutlichkeit hieß: "Die großen Kriege des 20. Jahrhunderts fanden zwischen wohlhabenden Staaten statt. Im nächsten Jahrhundert werden die jetzt in Frieden miteinander lebenden wohlhabenden Staaten gegen die Völker der armen Staaten und Regionen ihren Wohlstand verteidigen müssen."(12)

Wir haben es also mit einem Konzept der Kriegführung zu tun, das die regierenden Politiker und ihre Militärs schon länger verfolgen und dessen praktische Umsetzung nun forciert wird. Daß es höchste Zeit ist, dagegen alle Friedenskräfte mobil zu machen, wird auch daran deutlich, daß die Protagonisten dieses Kriegskurses inzwischen offen dazu übergehen, Friedensliebe als angeblich weltfremd zu diskreditieren. In Dresden gibt es z. B. eine Wochenzeitung, die kostenlos an alle Dresdner Haushalte verteilt wird. In der publiziert der ehemalige Chefredakteur der "Sächsischen Zeitung", Wolfgang Schütze, regelmäßig eine Kolumne unter dem Titel "Schützes Ostwind". Darin sonderte dieser Journalist am 7. Januar dieses Jahres unter dem Titel "Wunschliste der Ostdeutschen" folgende Auslassungen zur Friedensliebe der Ostdeutschen ab: "Gut erzogen , diese Ostdeutschen. Sich vor allem Frieden zu wünschen, ist schon mal politisch korrekt und entspringt der sozialen Erwartung, der Taktik oder dem Glauben, daß man sich gefälligst was Edles zu wünschen hat, wenn man schon so gefragt wird. Auch so ist erklärbar, daß sich selbst bei repräsentativen Umfragen kaum eine Mehrheit für Krieg ausspricht. So was Böses tut man eben nicht, basta. Der pauschale Friedens - Wunsch korrespondiert in gewisser Weise mit dem großen Reibach im Lotto. Die Chance , in einer von Konflikten und Krisen zerrissenen Welt Frieden zu haben, ist etwa so groß wie die Wahrscheinlichkeit eines Sechsers mit Superzahl."(13)

Verstärken wir unsere Anstrengungen zur Enthüllung dieses Kriegskurses, um ihn zu stoppen, ehe es zu spät ist. Lassen wir uns von den mahnenden Worten Bert Brechts leiten, die er 1952 an den Völkerkongreß für den Frieden richtetet; sie sind aktueller denn je: "Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz. Ihre Vorstellungsgabe für kommende Leiden fast noch geringer. ... Diese Abgestumpftheit ist es, die wir zu bekämpfen haben, ihr äußerster Grad ist der Tod. Allzu viele kommen uns schon heute vor wie Tote, wie Leute, die schon hinter sich haben, was sie vor sich haben, so wenig tun sie dagegen. ... Laßt uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde! Laßt uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind! Denn der Menschheit drohen Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind, und sie werden kommen ohne jeden Zweifel, wenn denen , die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände zerschlagen werden."(14)

Fußnoten
  1. Vgl.: "Wir können den Irak entwaffnen ohne Krieg". Regierungserklärung Bundeskanzler Schröders v. 13.02.2003. In: Das Parlament, Bonn, Nr. 8 v.17.2.2003, S. 17.
  2. R. Clement: Die Landesverteidigung bleibt zwar eine Aufgabe - aber zum möglichen Einsatzgebiet wird die ganze Welt. In: Das Parlament, Bonn, Nr. 5/6 v. 2./9.2.2004, S. 3.
  3. Vgl. ebenda.
  4. Ch.M.Wallace: Leaner,Meaner, Cheaper. In: Time, New York, January 26, 2004, p. 30.
  5. Siehe auch: E.Woit: Kolonialkriege für eine Neue Weltordnung. In: "Pax Americana" oder gerechter Frieden. (DSS-Arbeitspapiere 64), Dresden 2003.
  6. Die Zeit, Hamburg, Nr. 10 v. 28.2.2002, S. 5.
  7. Der Krieg, der bleibt. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurt /M., 20. 3.2003, S.37.
  8. R. Herzinger: Wo Demokraten schießen. In: Die Zeit, Hamburg, Nr.25 v. 12.6.2003, S.8.
  9. K. Biedenkopf: 1998 - 1990. Ein deutsches Tagebuch. Berlin 2000, S. 224.
  10. Die Zeit, Hamburg, Nr. 25 v. 12. 6. 2003, S. 8.
  11. Nach: Utopie kreativ, Berlin, H. 75, Januar 1997, S. 12.
  12. R. Herden: Die neuen Herausforderungen (I). In: Truppenpraxis/Wehrausbildung, Frankfurt /M,, H. 2/1996, S.70.
  13. WochenKurier, Dresden, 7.1.2004, S.2.
  14. B. Brecht: Zum Völkerkongreß für den Frieden. Wien 1952. In: B. Brecht: Schriften zur Politik und Gesellschaft, Bd. II, Berlin u. Weimar 1968, S. 219 f.
* Prof. Dr. Ernst Woit, Dresden. Das Manuskript beruht auf einem Diskussionsbeitrag auf dem 12. Dresdener Friedens-Symposium im Februar 2004. Der Beitrag wird demnächst in der Schriftenreihe der Dresdener Studiengemeinschaft Sicherheitspolitik (DSS) erscheinen.


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