Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Aussetzung der Wehrpflicht als Krücke beim Canossagang

Vor der Kabinettsklausur: Bundeswehr grübelt über Sparvorschläge, die betreffen jedoch nicht Einsätze im Ausland

Von René Heilig *

Im Verteidigungsministerium gibt es Überlegungen, die Wehrpflicht auszusetzen und die Zahl der Soldaten von derzeit 254 000 auf rund 150 000 zu verringern. Handeln tut not, denn aus Haushaltssicht steht dem Bund das Wasser bis zur Unterlippe.

Er wolle sich in seiner Amtsführung von »Klarheit und Wahrheit« leiten lassen, behauptete Minister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) unlängst vor goldbetressten Militärs. In aller Klarheit hat er ihnen gesagt, dass vor dem Hintergrund des »finanzpolitischen Canossaganges der Bundesregierung« nicht nur Rüstungsprojekte auf den Prüfstand kommen. Auch von einer Verringerung der »Umfangszahlen« war die Rede.

Nun also soll die Wehrpflicht weichen – kaum dass man ein Gesetz gemacht hat, das deren Dauer auf sechs Monate senkt. Die Aussetzung des gesetzlichen Rekrutenzulaufs bringt pro Jahr rund 400 Millionen Euro. Die Wahrheit aber ist, dass Guttenbergs Ressort aus dem Einzelplan 14 jährlich »weit über eine Milliarde Euro« zur angestrebten Sanierung des Bundeshaushaltes hergeben soll. Doch allein in diesem Jahr führen die »internationalen Belastungen« dazu, dass gegenüber den genehmigten Haushaltsmitteln ein Mehrbedarf von 840 Millionen Euro angemeldet werden muss. Damit können nur die offensichtlichen Löcher gestopft werden. Denn auch ohne Finanzkrise ist klar, dass sich die Strategen übernommen haben. »Mit den bisherigen Strukturen und einigen Verfahren werden wir die Leistungsfähigkeit unserer Bundeswehr auf Dauer schwerlich sicherstellen können«, bekennt der Minister und sieht ganz klar, dass die »derzeitige nationale Zielvorgabe« für das weltweite Engagement »weder personell noch materiell« erreicht werden kann. 8000 Soldaten im Einsatz und 35 000 im sogenannten Eingreifkräftedispositiv führen schon jetzt an die Grenze der Durchhaltefähigkeit.

Wie das mit weniger Soldaten funktioniert, ist ein Rätsel für Guttenbergs Militärs. Daher hat er Externe mit der »Unternehmensplanung« beauftragt. Doch das dauert zu lange, daher sitzen Staatssekretäre bereits jetzt an einer Streichliste. Dabei hält die Regierung fest an Auslandseinsätzen. Konsequenz: Die Bundeswehr wird zu einer hochprofessionellen Armee im Einsatz geschrumpft, deren Attraktivität für geeignete Bewerber noch gesteigert werden soll.

Um weiter in der geopolitischen Logik der Bundesregierung zu bleiben: Unklar ist, wie die kleinere Bundeswehr eingegangene Verpflichtungen innerhalb der NATO, aber auch bei der Auffüllung der EU-Battlegroups erfüllen wird, die Grundlage der gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik werden sollten.

Die Schließung von Standorten ist ein Ärgernis für finanzschwache Kommunen. Doch Guttenberg wird auf regionalpolitische Gesichtspunkte keine Rücksicht nehmen. Und wie ist das bei der Rüstung? Der Chef des Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS, Louis Gallois, warnt die europäischen Regierungen vor einem Kahlschlag in den Rüstungsetats. Im Guttenberg-Ministerium sind intern Projekte mit einem Fragezeichen versehen: das MEADS-Abwehrsystem, die dritte Tranche Eurofighter, Fregatten ... Man könnte mit weniger NH-90- und Tiger-Helikoptern auskommen und auch der Militärtransporter A400M birgt Einsparpotenzial.

Ob der Sparwille der Regierung so weit geht, den Rüstungskonzernen abzusagen, kann Kanzlerin Angela Merkel beim Rundgang auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtmesse erklären. Der ist am Dienstag. Am Wochenende zuvor trifft sich das Kabinett in Meseberg. Auch, um die Marschrichtung nach Canossa zu besprechen.

* Aus: Neues Deutschland, 3. Juni 2010


Druck im Kessel

Von Jürgen Reents **

Runter mit der Rüstung, rauf mit der Bildung – diese Forderung wird seit Jahrzehnten von links erhoben. Unter dem Druck der Finanzkrise und der wachsenden Staatsverschuldung scheinen sich auch konservative Kreise dem nicht mehr ganz zu verschließen. Was gesellschaftspolitisch längst geboten war, soll nun – teilweise – geschehen. Die Bundeswehr könnte auf 150 000 Stellen verkleinert werden, heißt es aus dem Hause Guttenberg. Auch andere Überraschungen hat die schwarz-gelbe Koalition parat: Sie überlegt eine Transaktionssteuer für die Finanzmärkte, will den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses zumindest verschieben, hat riskante Börsenwetten mit ungedeckten Leerverkäufen ohne EU-Vereinbarung verboten. Das Gegenteil all dessen galt den Konservativen bislang als unantastbar, sie verteufelten jede solcher Forderungen als populistisch. Die späte Einsicht folgt nun der Not – doch was nur der Not folgt, bleibt meist Beiwerk. Mit ihren genannten Vorgriffen vor der am Wochenende geplanten Kabinettsklausur hat sich die schwarz-gelbe Koalition lediglich ein paar Argumente geschaffen, die Kosten der Krise im Übrigen weiter nach unten zu verteilen. Freiwillig will sie ihr Politikkonzept nicht einer gründlichen Inventur unterziehen. Lieber handelt die Bundeskanzlerin weiter nach ihrer am Montag im ARD/ZDF-Interview bekundeten Maxime: Was weiß ich denn, was in drei Monaten kommt? Vielleicht dies: noch mehr Druck im schwarz-gelben Kessel.

** Aus: Neues Deutschland, 3. Juni 2010 (Kommentar)


Zurück zur Bundeswehr-Seite

Zur Seite "Wehrpflicht, Zivildienst, Kriegsdienstverweigerung"

Zurück zur Homepage