Gefährdung durch Auslandeinsätze, Verstöße gegen das Sexualstrafrecht, Rechtsradikalismus
Im Wortlaut: Jahresbericht 2003 des Wehrbeauftragten (Auszüge)
Im Folgenden dokumentieren wir - unkommentiert - Auszüge aus dem Jahresbericht 2003 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestags, Dr. Willfried Penner, der am 9. März 2004 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Unsere Textauszüge handeln von den Auslandseinsätzen der Bundeswehr und den sich daraus ergebenden besonderen Gefährdungen der Soldaten, von den Frauen in den Streitkräften sowie den Sexualstraftaten und von den Vorfällen mit "rechtsextremistischem" Hintergrund. Der "Fall Günzel" taucht im Übrigen in diesem Teil nicht auf.
Der gesamte Bericht ist als Bundestagsdrucksache erschienen, umfasst 68 Seiten und ist als pdf-Datei auf der Homepage des Bundestags:
http://dip.bundestag.de/btd/15/026/1502600.pdf
und des Verteidigungsministeriums dokumentiert:
http://www.bundeswehr.de/misc/pdf/wir/040308_wehrbeauftragter.pdf
Ein kritisches Positionspapier aus der Friedensforschung zu den Jahresberichten des Wehrbauftragten haben wir hier dokumentiert: "Demokratie hört nicht am Kasernentor auf"
Deutscher Bundestag, 15. Wahlperiode
Drucksache 15/2600
09. 03. 2004
Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten
Jahresbericht 2003 (45. Bericht)
2.2 Bundeswehr und Auslandseinsätze
Durchschnittlich waren monatlich ca. 8 000 Soldatinnen
und Soldaten im Auslandseinsatz. Ende Dezember 2003
waren es noch ca. 6 800 Soldatinnen und Soldaten.
Zu Beginn des Jahres 2003 waren deutsche Soldaten in
Bosnien und Herzegowina (Stabilization Force, SFOR),
Kosovo (Kosovo Force, KFOR), Mazedonien (Operation
Allied Harmony, OAH), Georgien (United Nations Observer
Mission in Georgia, UNOMIG) und in mehreren
Ländern Afrikas und Asiens (International Security Assistance
Force, ISAF und Enduring Freedom, EF) eingesetzt.
Im Laufe des Berichtsjahres waren etwa 1 300 Soldaten
ständig im SFOR-Einsatz. Im KFOR-Einsatz schwankte
die Zahl der eingesetzten Soldaten zwischen ca. 3 800 am
Anfang des Jahres und ca. 3 200 am Jahresende. Die Zahl
der in Mazedonien eingesetzten Soldaten (Operation
Allied Harmony, OAH) reduzierte sich von etwa 200 Soldaten
auf etwa 40 Soldaten (Operation Concordia,
CONCORDIA); zum Jahresende wurde die Operation
CONCORDIA beendet. In Georgien waren ständig etwa
11 Soldaten im Einsatz. Am ISAF-Einsatz waren Anfang
des Jahres etwa 1 500 Soldaten beteiligt. Die Zahl stieg
bis Mitte des Jahres auf ca. 2 400 Soldaten an und fiel bis
zum Jahresende wieder auf etwa 1 700 ab. Die Zahl der
im EF-Einsatz befindlichen Soldaten wurde von über
1 000 im Januar auf etwa 300 im Dezember reduziert.
Von Juni bis September wurde der Einsatz von Soldaten
im Kongo im Rahmen des von der Europäischen Union
geführten Unternehmens ARTEMIS von bis zu 34 Bundeswehrsoldaten
unterstützt.
In allen Einsatzgebieten wird der Dienst der Soldatinnen
und Soldaten hoch geschätzt. Sie leisten unter Einsatz
von Gesundheit und Leben einen wichtigen Beitrag auch
im Interesse der Bundesrepublik Deutschland. Ihr Einsatz
verdient uneingeschränkt Respekt und Anerkennung.
(Bericht des Wehrbeauftragten, S. 19/20)
2.2.2 Gefährdung von Soldaten
Soldaten sind im Einsatz besonderen Gefahren ausgesetzt.
Eine neue Qualität der Gefährdung ergab sich im Berichtsjahr
dadurch, dass deutsche Soldaten erstmals Opfer
von gezielten Anschlägen wurden. Zwar hatte es schon
vorher Raketenangriffe auf das Camp Warehouse in
Kabul gegeben; dabei war das Lager jedoch nicht getroffen
und Soldaten waren nicht verletzt worden.
Am 7. Juni 2003 kamen vier deutsche Soldaten bei einem
gezielten Sprengstoffattentat auf einen Konvoi des deutschen
ISAF-Kontingents ums Leben. 29 weitere wurden
zum Teil schwer verletzt.
Nach dem Sprengstoffanschlag auf den deutschen Konvoi
am 7. Juni 2003 wurden die Sicherheitsmaßnahmen für
die Transporte zwischen Camp Warehouse und dem Flughafen
Kabul erheblich verstärkt. Deutsche Soldaten werden
nun ausschließlich mit geschützten Fahrzeugen der
Typen Fuchs, Mungo und Wolf befördert. Dabei hat jeder
Soldat im Fahrzeug die Splitterschutzweste anzulegen
und den Gefechtshelm griffbereit zu halten. Fahrtrouten
und -zeiten unterliegen einem ständigen Wechsel. Die
Festlegung erfolgt erst unmittelbar vor der Abfahrt.
In der Nacht zum 5. Juni war eine internationale Patrouille,
der auch zwei deutsche Soldaten angehörten, in
Georgien entführt worden. Die Soldaten wurden am
11. Juni unversehrt wieder freigelassen.
Einsatzbedingte Unfälle mit schweren Folgen ereigneten
sich auch im Berichtsjahr.
Zu einem besonders schweren Unfall kam es am 29. Mai
2003 in Kabul. Ein Bundeswehrfahrzeug vom Typ Wolf
fuhr bei einem Ausweichmanöver auf eine von den Soldaten
nicht erkannte Mine. Dabei wurde der Kraftfahrer
getötet und der Beifahrer schwer verletzt.
Im Kosovo wurde das Fahrzeug einer Feldjägerstreife
vom Typ Wolf in einer Schlucht aufgefunden. Beide Insassen
waren tot. Die Untersuchung des Falles ist noch
nicht abgeschlossen.
Ein absoluter Schutz vor Unfällen und erst Recht vor den
Folgen kriegsbedingter Handlungen ist auch und gerade
im Einsatz nicht möglich. Umso mehr sind Hinweise von
Soldaten vor Ort besonders zu beachten, die Behauptungen
über unzureichende Sicherheitsvorkehrungen zum
Gegenstand haben. Diese wurden durchweg von der militärischen
Führung aufgegriffen und haben zu folgenden
Maßnahmen geführt:
Im Rahmen des „Einsatzbedingten Sofortbedarfs“ zur Sicherstellung
eines „Mindestschutzes“ bei fahrzeuggestützten
Einsätzen wurde im Berichtsjahr in der 39. Kalenderwoche
damit begonnen, zunächst 50 Fahrzeuge
vom Typ Wolf mit einem modularen Splitterschutz zu
versehen. Die Nachrüstung reduziert die Gefahr für Leib
und Leben der Einsatzkräfte bei der Nutzung der im Einsatzraum
vorhandenen ungepanzerten Klein-Kfz.
Kampf- und Schützenpanzer werden mit einem verbesserten
Minenschutz ausgestattet. Ein Vertrag über die
Umrüstung von 15 Kampfpanzern LEOPARD 2 mit einer
Option für weitere 55 Kampfpanzer ist abgeschlossen.
Die Auslieferung des ersten umgerüsteten Kampfpanzers
ist im Juli 2004 geplant. Die Umrüstung von
74 Schützenpanzer MARDER 1 A 3 zum minengeschützten
MARDER 1 A 5 ist ebenfalls unter Vertrag. Die ersten
45 minengeschützten Schützenpanzer sind umgerüstet
und ausgeliefert, acht davon an das Einsatzkontingent
KFOR.
Das mit einem optimalen Minenschutz gepanzerte Kfz
DINGO 1 wurde im Rahmen des einsatzbedingten
Sofortbedarfs in einer Stückzahl von 147 beschafft.
100 Exemplare sind den Heereskontingenten in allen Einsatzgebieten
zur Verfügung gestellt worden, davon 50 für
das deutsche Kontingent ISAF. Weitere 55 DINGO 2
(Nachfolger DINGO 1) sollen den Einsatzkontingenten
zur Erhöhung des Schutzes als Patrouillenfahrzeug ab
Herbst 2004 zur Verfügung gestellt werden. Im Bereich
ISAF ist das mit vorrangiger Dringlichkeit beschaffte Flächenminenräumgerät
im Einsatz. Eine zusätzliche Minenschutzausstattung
für den Bergepanzer BÜFFEL, den
Pionierpanzer DACHS und bestimmte Varianten des
Mannschaftstransportwagens MTW 112, für die Panzerhaubitze
2000 und den Minenräumpanzer KEILER ist in
Vorbereitung und soll bei entsprechender finanzieller
Zuweisung realisiert werden. Weitere Fahrzeuge mit
Splitter- oder Minenschutz vom Typ Wolf und LKW
MULTI A3 sollen der Truppe im Einsatz 2004 zur Verfügung
stehen.
(Bericht des Wehrbeauftragten, S. 21)
***
2.1.3 Frauen in den Streitkräften
Seit drei Jahren können Frauen in den Streitkräften entsprechend
ihrer Eignung, Befähigung und Leistung in allen
Verwendungsreihen Dienst leisten. Ihr Anteil an der
Gesamtstärke der Bundeswehr ist im Berichtsjahr von
3,97 % im Jahr 2002 auf 4,71 % weiter angestiegen. Das
entspricht einer Steigerung von 18,6 %.
Durchschnittlich leisteten ca. 9 000 Soldatinnen als Zeitoder
Berufssoldaten Dienst in den Streitkräften, davon
56,25 % im Sanitäts- und 43,75 % im Truppendienst.
Auch die Zahl der Bewerberinnen stieg im Berichtsjahr
an. Insgesamt bewarben sich 9 112 Frauen für den Dienst
in den Streitkräften, davon 3 514 für den Sanitäts- und
5 598 für den Truppendienst. Im Jahr davor waren es insgesamt
8 835, davon 3 297 für den Sanitäts- und
5 538 für den Truppendienst.
Nach Laufbahngruppen aufgeteilt stellen sich die Zahlen
der Bewerberinnen wie folgt dar: Offiziere 2 040 (2002
2 611), Unteroffiziere und Mannschaften 7 072 (2002
6 224).
Grundsätzlich lagen Bewerbungen von Frauen für alle
Verwendungsreihen vor.
Anfang des Jahres veröffentlichte das Sozialwissenschaftliche
Institut der Bundeswehr erste Ergebnisse einer
im Jahre 2001 eingeleiteten Begleituntersuchung zur Integration
von Frauen in die Bundeswehr.
Nach einer ersten Auswertung kommt das Institut zu der
Feststellung, dass die soziale Integration fortgesetzt und
vertieft werden müsse. Handlungsbedarf wird nach der
Studie insbesondere im Bereich der Vereinbarkeit von Familie/
Partnerschaft und Beruf gesehen.
Diese Feststellungen decken sich weitgehend mit den Erkenntnissen
des Wehrbeauftragten.
(Bericht des Wehrbeauftragten, S. 16)
3.11 Sexualität und Bundeswehr
3.11.1 Sexualerlass
Mit dem Erlass „Sexuelles Verhalten von und zwischen
Soldaten“ (ZDv 14/3, Anlage B 173) vom 25. Februar
2002 hat das Bundesministerium der Verteidigung generelle
Verhaltensregeln für den Umgang mit Sexualität aufgestellt.
Es gilt der Leitsatz: „Die Intimsphäre als Teil des Persönlichkeitsrechts
des Soldaten ist einer Einflussnahme des
Dienstherrn grundsätzlich entzogen. Daher ist der Umgang
eines Soldaten mit seiner Sexualität dienstrechtlich
nur von Bedeutung, wenn er die dienstliche Zusammenarbeit
erschwert oder den kameradschaftlichen Zusammenhalt
beeinträchtigt und damit zu nachhaltigen Störungen
der dienstlichen Ordnung führt.“
Nach Einschätzung des Bundesministeriums der Verteidigung
wird der Erlass von der Truppe als eine notwendige
„Orientierungshilfe“ für alle Soldatinnen und Soldaten,
insbesondere aber für die Disziplinarvorgesetzten, begrüßt
und grundsätzlich nicht infrage gestellt.
Gegenüber dem Wehrbeauftragten äußerten Soldatinnen
und Soldaten im Berichtsjahr wie bereits im Vorjahr Kritik
an einzelnen Aussagen des Erlasses und stuften sie als
„lebensfremd“ ein. Sie machten insbesondere geltend:
Es sei nicht akzeptabel, dass Vorgesetzte disziplinar eingreifen
müssten, sobald sie von der Aufnahme von sexuellen
Beziehungen zwischen Soldaten und Soldatinnen
außerhalb des Dienstes in der militärischen Liegenschaft
erführen. Insbesondere sei dies der Fall, wenn die Beziehung
nicht persönlich oder dienstlich störe.
Das vom Erlass statuierte Verbot sexueller Betätigung innerhalb
militärischer Liegenschaften führe im Auslandseinsatz
praktisch zu einem generellen Verbot sexueller
Betätigung. Der Auslandseinsatz sei nämlich mit dem
ständigen Aufenthalt in der militärischen Liegenschaft
verbunden.
Entsprechendes gelte für den Fall der Kasernenwohnpflicht
im Inland.
Das Bundesministerium der Verteidigung beabsichtigt,
den Erlass zu überarbeiten. Die Hinweise der Soldaten
und Soldatinnen werden aufgenommen. Es ist nach gegenwärtigem
Stand an folgende Lösungswege gedacht:
Eine sexuelle Betätigung außerhalb der Dienstzeit in militärischen
Liegenschaften zwischen Soldaten soll künftig
toleriert werden können, wenn der Dienst oder das Kameradschaftsgefüge
nicht beeinträchtigt werden.
Disziplinarvorgesetzte sollen von der Pflicht entbunden
werden zu überprüfen, ob sexuelle Beziehungen von
vornherein auf Dauer angelegt sind. Anknüpfungspunkt
für oder gegen die Aufnahme disziplinarer Ermittlungen
sollen mögliche Auswirkungen auf den Dienstbetrieb
bzw. auf das Vertrauen in die handelnden Personen als
Vorgesetzte sein.
Die Aussagen zum Eindringen in die Ehe oder in die eheähnliche
Lebensgemeinschaft eines Kameraden sollen so
angepasst werden, dass disziplinare Ermittlungen nur
dann aufgenommen werden sollen, wenn durch den konkreten
Sachverhalt eine Störung des Dienstbetriebes hervorgerufen
würde.
Die beabsichtigte Überarbeitung des Erlasses wird begrüßt.
Zum Umgang mit homo- und bisexuellen Bundeswehrangehörigen
trugen Soldaten vor, dass es im Truppenalltag
Intoleranz, Berührungsängste oder einfach nur Unsicherheit
und Unwissenheit gebe.
Jeder Bundeswehrangehörige ist verpflichtet, Diskriminierungen
auch im sexuellen Bereich zu unterlassen und
ihnen entgegenzutreten.
Für einen unbefangenen Umgang setzt sich ein Arbeitskreis
homosexueller Angehöriger der Bundeswehr
(AHsAB e.V.) ein, dessen Vorsitzender im Berichtsjahr
die Thematik in einer ausführlichen Aussprache dem
Wehrbeauftragten geschildert hat.
3.11.2 Verstöße gegen Sexualstrafrecht
Im Berichtsjahr wurden insgesamt 83 Besondere Vorkommnisse
mit Verdacht auf Verstoß gegen das Recht auf
sexuelle Selbstbestimmung gemeldet.
Dazu einige Beispiele:
Ein Vorgesetzter rief nach den Feststellungen der zuständigen
Einleitungsbehörde eine ihm unterstellte Soldatin
an und befragte sie eingehend, welche sexuellen Praktiken
sie bevorzuge.
Darüber hinaus bot er ihr an, mit ihr in einen „Swingerclub“
zu gehen. In einem weiteren Gespräch fragte er sie,
„Na, wie war die Woche Ficken?“
Gegen den Soldaten wurde ein gerichtliches Disziplinarverfahren
eingeleitet.
Ein Leutnant umarmte eine Obergefreite und versuchte
sie zu küssen. Sie machte unmissverständlich deutlich,
dass sie seine Annäherungsversuche nicht wolle. Dennoch
drang der Leutnant ca. zwei Stunden später in die
Stube der schlafenden Soldatin ein, küsste sie und berührte
sie im Intimbereich. Erst nach mehrfacher laut geäußerter
Aufforderung der inzwischen erwachten Soldatin,
sie in Ruhe zu lassen, ließ er von ihr ab. Der Leutnant
wurde fristlos entlassen.
Bisher konnten 31 Fälle abschließend untersucht werden.
In sechs Fällen bestätigte sich der Verdacht auf verbale
Übergriffe. In 16 Fällen konnte den verdächtigten Soldaten
die Anwendung körperlicher Gewalt nachgewiesen
werden.
Im Hinblick auf Kinderpornographie wurden 24 Besondere
Vorkommnisse gemeldet. In 2002 waren es 18. Hierbei
handelt es sich wie im Vorjahr um Fälle, bei denen der
Verdacht auf Besitz und/oder Verbreitung von Bildern
und/oder Filmen mit entsprechendem kinderpornographischen
Inhalt Gegenstand der Meldung war.
Die Aufklärung der Fälle gestaltet sich schwierig. Häufig
sind Besitz und/oder Verbreitung entsprechenden Materials
nur schwer nachzuweisen, weil sichergestelltes Material
nicht eindeutig zugeordnet werden kann.
Dateien waren beispielsweise über Netzwerke vielen Benutzern
zugänglich oder es war nicht auszuschließen,
dass Mails mit veränderter Absenderkennung verschickt
wurden.
3.11.3 Meldung und Untersuchung von Verstößen gegen das Recht auf
sexuelle Selbstbestimmung
Gemäß der ZDv 10/13 Nr. 304 ist der Verdacht des Verstoßes
gegen die sexuelle Selbstbestimmung als Besonderes
Vorkommnis zu melden. Ausnahmen von dieser Meldepflicht
sind in der ZDv nicht vorgesehen. In der
Nichtmeldung eines solchen Verdachtes, aus welchen
Gründen auch immer, ist dementsprechend ein Verstoß
gegen die Dienstvorschrift zu sehen. Ein solches Besonderes
Vorkommnis muss auch dem Wehrbeauftragten des
Deutschen Bundestages mitgeteilt werden. Diese Unterrichtung
ist angesichts der Brisanz des Themas und des
daraus abgeleiteten Interesses des Parlaments, über entsprechende
Vorgänge unterrichtet zu werden, und wegen
der gesteigerten Sensibilität der Öffentlichkeit bei Themen
der Verletzung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung
von besonderer Bedeutung. Die Einhaltung der
Dienstvorschrift 10/13 ist deshalb auch für die Arbeit des
Wehrbeauftragten unerlässliche Voraussetzung.
Die Dienstvorschrift ist im Berichtsjahr nicht immer beachtet
worden.
Ein Beispiel:
Von einem Bataillon wurde der Verdacht eines Verstoßes
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nicht gemeldet. Es
berief sich dabei auf den Gesichtspunkt des Opferschutzes.
Der Wehrbeauftragte erfuhr von diesem Vorfall erst
aus den Medien.
Das ist ein Verstoß gegen die ZDv 10/13; eine diesbezügliche
Ausnahme von der Meldepflicht aus Opferschutzgründen
ist nicht vorgesehen.
Die Führungsstäbe der militärischen Organisationsbereiche
wurden aufgefordert, im unterstellten Bereich auf die
Einhaltung der diesbezüglichen Meldepflichten hinzuwirken.
Im Falle eines Verdachts ist der Sachverhalt mit größtmöglicher
Sorgfalt aufzuklären. Vorgesetzte und Kameraden
dürfen nicht einmal den Anschein erwecken, das
Opfer würde nicht ernst genommen. Sexuelle Diskriminierungen
sind ein massiver Eingriff in die Würde des
Menschen. Angesichts der Schwere eines solchen Eingriffs
ist der Aufklärung des Falles und dem angemessenen
Umgang mit dem Opfer besondere Bedeutung beizumessen.
Diesen Pflichten ist im Berichtsjahr nicht immer entsprochen
worden.
Ein Beispiel:
Eine Soldatin meldete ihrem Vorgesetzten, dass ihr aus
dem Fenster eines Bundeswehrfahrzeuges eine Beleidigung
mit sexistischem Hintergrund nachgerufen worden
sei. Aufgrund der Dunkelheit habe sie Nummernschild
und Fahrer des Wagens nicht erkennen können. Der Vorgesetzte
nahm die Ermittlungen zwar auf, unterließ es
aber, die Ergebnisse der Vernehmungen in einem Aktenvermerk
festzuhalten oder zu protokollieren. Damit verstieß
er gegen § 32 WDO. Die Aufklärung des Sachverhalts
erfolgte nicht mit der gebotenen Sorgfalt; das
Verfahren wurde in die Länge gezogen. Ein solches Verhalten
von Vorgesetzten ist angesichts des Verdachts eines
Eingriffs in die sexuelle Würde eines Menschen unangemessen.
(Bericht des Wehrbeauftragten, S. 32-33)
***
3.13 Rechtsextremismus
Mutmaßungen über rechtsextremistische Tendenzen in
der Bundeswehr im Zusammenhang mit der Versetzung
eines Generals in den einstweiligen Ruhestand geben Anlass
zu der Feststellung:
Die Bundeswehr ist eine demokratische Institution im demokratisch
verfassten Staat. Sie schützt die Freiheit und
das Recht. Zu den tragenden Werten gehören die Achtung
und der Schutz der Würde des Anderen.
Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit haben in
der Bundeswehr keinen Platz.
Im Berichtsjahr wurden 139 „Besondere Vorkommnisse“
mit Verdacht auf rechtsextremistischen oder fremdenfeindlichen
Hintergrund gemeldet. In den Jahren 2000 bis
2002 waren 196, 186 bzw. 111 einschlägige Meldungen
registriert worden.
Bei den gemeldeten Besonderen Vorkommnissen stehen
ausschließlich Propagandadelikte in Rede; Gewaltdelikte
mit rechtsextremistischem Hintergrund waren nicht darunter.
Es geht im Wesentlichen um Schmierereien, das
Hören von rechtsextremistischer oder fremdenfeindlicher
Musik sowie um das Zeigen des „Hitlergrußes“, „Sieg-
Heil“-Rufe und die Kundgabe nationalsozialistischer Parolen,
oft begleitet von beleidigenden und fremdenfeindlichen
Äußerungen.
Bei den Tatverdächtigten handelt es sich zu etwa 70 %
um Grundwehrdienstleistende oder freiwillig zusätzlichen
Wehrdienst leistende Soldaten. Unterteilt nach
Dienstgradgruppen lag der Anteil der Mannschaften bei
etwa 83 %. Unteroffiziere und Offiziere waren mit ca.
16 bzw. 1 % beteiligt.
Die Tatmotive sind unterschiedlich. Sie basieren auf politischer
Überzeugung, aber auch auf der bloßen Absicht,
provozieren oder für andere „spaßig“ sein zu wollen.
Einige Beispiele aus diesem Bereich:
Ein Grundwehrdienstleistender bezeichnete gegenüber
anderen Soldaten einen Oberfeldwebel philippinischer
Herkunft als „Fidschi“, einen Hauptgefreiten als „Neger“
und zwei Muslime in der Kompanie als „Kanaken“. In
diesem Zusammenhang äußerte er sein Unverständnis
darüber, dass solche Menschen Soldaten in der Bundeswehr
sein könnten. Im Übrigen gab er an, vermummt an
einer NPD-Veranstaltung teilgenommen zu haben. Gegen
den betroffenen Soldaten wurde ein Disziplinararrest von
sieben Tagen verhängt. Die Staatsanwaltschaft wurde eingeschaltet.
Während einer Feier im Unterkunftsgebäude einer anderen
Kompanie zeigte ein freiwillig zusätzlichen Wehrdienst
leistender Soldat in deutlich alkoholisiertem Zustand
anderen Soldaten die im SMS-Speicher seines
Mobiltelefons befindlichen nationalsozialistischen Symbole.
Als ein weiterer Soldat die Stube betrat, deutete er
durch das Anlegen von zwei Fingern an die Oberlippe
den Bart von Hitler an und führte den „Hitlergruß“ aus.
Die Dienstzeit des Soldaten wurde auf neun Monate neu
festgesetzt; gleichzeitig wurde gegen ihn eine Disziplinarbuße
von 400 Euro verhängt. Die Vollstreckung wurde
auf die Dauer von fünf Monaten zur Bewährung ausgesetzt.
Auch in diesem Fall erfolgte eine Abgabe an die
Staatsanwaltschaft.
Ein Maat hob nach übermäßigem Alkoholgenuss in der
Mannschaftsmesse einer portugiesischen Fregatte den
rechten Arm zum „Hitlergruß“. Als er von einem deutschen
und portugiesischen Mannschaftsdienstgrad auf
seine Fregatte zurückgebracht wurde, rief er zweimal
„Heil Hitler“. Bei den daraufhin durchgeführten Ermittlungen
wurde festgestellt, dass der Soldat bereits in der
Vergangenheit durch rechtsextremistische Äußerungen
aufgefallen war, die jedoch nicht gemeldet worden waren.
So hatte er beim Landgang in der Türkei einheimische Jugendliche
als „türkisches Dreckspack“ bezeichnet. Während
eines Aufenthaltes in Spanien sang er die ersten beiden
Strophen des Deutschlandliedes und sprach vom
„Führer“. An Bord einer Fregatte sprach er gegenüber einem
Mannschaftsdienstgrad vom „Führer“ und äußerte
sich dahin gehend, dass „früher alles besser war und wir
wieder rote Armbinden mit Hakenkreuz tragen sollten“.
Schließlich wurden auf seinem privaten Laptop Dateien
mit rechtsextremistischem Inhalt entdeckt. Auf seinem
Rechner befanden sich indizierte Musik, das in Deutschland
verbotene Computerspiel „Return to Castle Wolfenstein“
sowie eine veränderte Version des Buches „Mein
Kampf“. Der betroffene Soldat wurde fristlos aus der
Bundeswehr entlassen. Die Staatsanwaltschaft wurde eingeschaltet.
Nach den bisher durchgeführten Ermittlungen konnten im
Berichtsjahr in rund 25 % der Fälle entweder der Anfangsverdacht
nicht hinreichend bestätigt oder der Täter
nicht ermittelt werden.
In einigen Fällen konnte auch die Täterschaft von Zivilpersonen
nicht ausgeschlossen werden. Vereinzelt kam es
zu rechtsextremistischen Schmierereien in Liegenschaften
der Bundeswehr, die auch für zivile Besucher oder
Dienstleister zugänglich waren.
(Bericht des Wehrbeauftragten, S. 34)
Zur Bundeswehr-Seite
Zurück zur Homepage