Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Deutlicher Anstieg rechtsextremer "Vorfälle" in der Bundeswehr registriert

"Kein Ausreißer" - Bericht des Wehrbeauftragten

Ein alkoholisierter Obergefreiter pöbelt einen ausländischen Soldat mit den Worten an: "Was sucht dieser Nigger in einem deutschen Bett, zu Hitlers Zeiten wäre das nicht passiert." Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Willfried Penner (SPD), hat in seinem Jahresbericht 2000 einen massiven Anstieg rechtsextremer Straftaten in der Bundeswehr beklagt. Bei der Übergabe der Studie an Bundestagspräsident Wolfgang Thierse sagte Penner, im vorigen Jahr seien 45 Prozent mehr Straftaten gemeldet worden als im Vorjahr. Bei den 196 Vorfällen (1999: 135) handelte es sich weniger um Gewaltdelikte als vielmehr um "Schmierereien an Toiletten", "Grölen des Hitler-Grußes" oder das Abspielen einschlägiger CDs.

Diese Entwicklung in der Bundeswehr sei aber kein "Ausreißer", sondern spiegele das Aufkommen des Rechtsextremismus in der Gesellschaft wider. Vier von fünf Taten wurden von Grundwehrdienstleistenden begangen, sehr viele von länger Dienenden.

Tendenz gleichbleibend

Penner erwartet für 2001 ein ähnlich hohes Niveau rechtsextremer Straftaten in der Truppe wie im Vorjahr. Bis zum 28. Februar seien bei den deutschen Streitkräften bereits 33 Vorkommnisse mit einem rechtsextremen Hintergrund gemeldet worden, sagte er. Diese Prognose kommt einem Offenbarungseid der "Inneren Führung" schon sehr nahe. Noch im vergangenen Jahr hatte sich Scharping damit gebrüstet, mit speziellen Maßnahmen zur Stärkung und Verbesserung der Politischen Bildung den Rechtsradikalismus in der Bundeswehr eindämmen zu wollen. "Unsere präventiven Maßnahmen greifen sehr wohl", verlautete im vergangenen August aus dem Verteidigungsministerium. Auch der Wehrbeauftragte setzte große Hoffnung in ein Gespräch, zu dem er im vergangenen Oktober 30 Offiziere, die Dienst im Kosovo taten, eingeladen hatte um mit ihnen über das Thema Rechtsradikalismus zu beraten.



Zu den Zahlen: "Verdachtsfälle" und "bestätigte Vorfälle"
Schon im vergangenen Herbst hatte Penner mit Sorge die Zahlen über die "besonderen Vorkommnisse" bei der Truppe zur Kenntnis genommen. Nach seiner damaligen Einschätzung sei ein Anstieg zu beobachten. Während Penner im Jahr 1999 von 90 bestätigten Fällen rechtsradikaler Propaganda und rechtsradikaler Gewalttaten erfuhr, seien es allein bis zum Juli 2000 bereits 79 gewesen. Dabei handelte es sich zum weitaus größten Teil um so genannte Propagandadelikte, also um das Grölen von neonazistischen Parolen, das Absingen einschlägiger Lieder oder das Recken des Arms zum Hitlergruß. Bei etwa zehn Prozent der Delikte gehe es um Gewalttaten. Nach Angaben des Wehrbeauftragten sind die Übeltäter in den allermeisten Fällen Grundwehrdienstleistende, nämlich bei 78 Prozent der Vorfälle.

Auch Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) hat im vergangenen Jahr rechtsradikale Entwicklungen in der Bundeswehr ausgemacht. Im Gegensatz zu Penner registriert das Verteidigungsministerium allerdings einen Rückgang der Vorfälle mit rechtsradikalem Hintergrund. Es zog als Vergleich das Jahr 1998 heran, als es mit 319 "Verdachtsfällen" eine besonders hohe Zahl gab. Diese sei zurückgegangen auf 135 in 1999. Im Jahr 2000 seien bisher (bis Juli 2000) 87 Verdachtsfälle bekannt geworden. Dieser Zahlenvergleich sollte belegen, dass die Bundeswehrführung das Problem des Rechtsextremismus in den "Griff" bekäme. Scharping verschwieg aber, dass die hohe Zahl für 1998 u.a. darauf zurückzuführen war, dass eine Sonderkommission gezielt nach rechtsradikalen Umtrieben gesucht hatte und dabei die genannten 319 "Verdachtsmomente" eruirte. Eine solche Untersuchung gab es in den beiden folgenden Jahren nicht mehr, sodass auch die Zahl der Verdachtsfälle (gegenüber 1998) stark sinken musste.



Andere "Vorkommnisse", die doch recht eindeutige Rückschlüsse auf menschenverachtende Grundeinstellungen zulassen, werden nicht unter der Rubrik "Rechtsradikalismus" geführt. Z.B. wenn eine "Aufnahmeprüfung" in den Unteroffiziersstand darin besteht, dass der Anwärter einen "Unteroffizierstrunk" zu sich nehmen musste, der aus Senf, Mayonnaise, Tabasco, Chilipulver, Salz, Pfeffer, Kümmel und Salatöl zusammen gebraut wurde. Der betroffene Soldat musste sich nach dieser Prozedur mehrmals übergeben. Auch dieses Beispiel von Männlichkeitsritualen erwähnte der Wehrbeauftragte in seinem Bericht. Der Vorfall ist gemeldet worden. Nur: Wie oft spielen sich solche Szenen hinter dem Kasernentor, in den Stuben der Soldaten oder in den Gemeinschaftsräumen ab, ohne dass eine entsprechende Meldung an den Vorgesetzten oder gar an den Wehrbeauftragten gemacht wird? Wie viel wird bei der Bundeswehr - auch in Sachen rechtsradikaler politischer Delikte - unter den Teppich gekehrt?

In seinem jährlichen Mängelbericht zählt der Wehrbeauftragte detailliert auf, was zu Ärger und Frust in der Armee führt. Dazu zählen Beförderungsstau, geringere Besoldung in Ostdeutschland, teilweise schlechte oder fehlende Ausrüstung und zu wenig Personal für den Sanitätsdienst. Penner mahnte die Umsetzung des von Scharping versprochenen "Attraktivitätsprogramms" zur beruflichen Qualifizierung an. Der Soldatenberuf, insbesondere im Unteroffiziersbereich (z.B. Feldwebel) müsse wieder bessere Perspektiven erhalten.

Ferner berichtet Penner von Schwierigkeiten mit Sexualität und Drogen während der Auslandseinsätze, von Verunsicherung durch die Debatte über Uran-Munition und mangelnder Nachwuchsgewinnung. Als besonders "beeindruckend" hob er dagegen die "hohe Motivation" der Soldaten im Kosovo hervor. Sie leisteten unter sehr schwierigen Bedingungen einen "erstklassigen Dienst", sagte der Sozialdemokrat. Negative Begleiterscheinungen des Auslandseinsatzes seien allerdings Beeinträchtigungen von Ausbildung und Ausrüstung im Inland. Das wiederum wird Scharping gern gehört haben. Denn auf die Mängel in der Ausrüstung der Bundeswehr (vor allem: zu altes Gerät) weist er selbst immer wieder hin, denn auf diese Weise lässt sich der Wunsch nach mehr Geld besser begründen.

Wehrpflicht sehr unbeliebt

Auch die völlige Öffnung der Bundeswehr für Frauen stellte Penner positiv dar. Sie könnten mit den Männern mithalten und seien zum Beispiel teilweise beim Gepäckmarsch im vorderen Leistungsbereich. Diese Einschätzung verwundert etwas. Denn die "völlige Öffnung" der Bundeswehr für Frauen greift ja erst mit der Grundgesetzänderung vom vergangenen Herbst und die ersten Rekrutinnen nach dem neuen Recht zogen erst am 2. Januar 2001 in die Kasernen ein. Bundesweit waren es 244 Soldatinnen. Der Bericht des Wehrbeauftragten bezieht sich aber auf das Jahr 2000. Er konnte es aber nicht lassen, schon erste - natürlich positive - Erfahrungen der Frauen nach der "historischen Zäsur" zum Besten zu geben.

Der Wehrbeauftragte berichtete außerdem von Klagen Wehrpflichtiger, dass der Dienst an der Waffe für Frauen freiwillig, für Männer hingegen verpflichtend sei. Angesichts der Reduzierung der Zahl der Wehrpflichtigen von 128.000 auf 80.000 stelle sich die Frage, ob von einer allgemeinen Wehrpflicht überhaupt die Rede sein könne, sagte Penner. Damit bestätigte sich im Soldatenurteil eine Auffassung, die Penner schon länger mit sich herumträgt. Im November letzten Jahres outete er sich beispielsweise in einem Zeitungsinterview als entschiedener Gegner der Wehrpflicht: Die Wehrgerechtigkeit, so sagte er, "rückt tatsächlich umso weiter weg, je weniger Angehörige eines Jahrgangs Wehrpflicht leisten müssen. Ich bin außerdem davon überzeugt, dass Wehrpflicht vom Staat nur abverlangt werden kann, wenn es um Landesverteidigung geht. Denn dies ist die intensivste Inpflichtnahme, die der Staat überhaupt kennt: mit Leib und Leben für etwas einzustehen. Da die Bundeswehr aber ihre Aufgabe im Begriff ist zu verändern – Stichwort Krisenreaktionsfähigkeit – wird es zudem komplizierter, die Wehrpflicht verfassungspolitisch und -rechtlich zu begründen. Auch der Hinweis, dass es bei solchen Einsätzen ja nicht um Wehrpflichtige geht, greift zu kurz, weil die auch Teil der Bundeswehr sind, die bei solchen Einsätzen gefordert ist." (Süddeutsche Zeitung, 27. 11. 2000)
Pst

Zu weiteren Artikeln, Dokumenten und Berichten zum Thema Bundeswehr auf der
Bundeswehr-Seite

Zurück zur Homepage