Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Neue Verteidigungspolitische Richtlinien der Bundeswehr

Auszüge aus einem internen Entwurf

Am 25. April veröffentlichten Die Welt und die Süddeutsche Zeitung Auszüge aus einem Papier aus dem Haus des Verteidigungsministers, in dem Grundzüge der neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien beschrieben sind. Wir werden einige Passagen daraus im Folgenden dokumentieren.
Vorausschicken wollen wir aber, dass es aus dem Hause Peter Strucks postwendend ein Dementi gab, das sich gegen die Behauptung richtete, die Bundeswehr solle auch im Inneren eingesetzt werden. Dies war von der Nachrichtenagentur Reuters zunächst berichtet worden:
Reuters (24.04.2003): Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) will Einsatzkräfte der Bundeswehr nach einem Zeitungsbericht auch für die Terrorismus-Bekämpfung im Inland bereit halten.
Die Bundeswehr werde zum Schutz von Bevölkerung und wichtiger Infrastruktur vor terroristischen Bedrohungen Kräfte und Mittel entsprechend dem Risiko bereitstellen, berichtete "Die Welt" vorab aus der Freitagausgabe (25.04.03) unter Berufung auf einen Entwurf der Verteidigungspolitischen Richtlinien des Ministers. Die Streitkräfte sollten immer dann zur Verfügung stehen, "wenn nur sie über die erforderlichen Fähigkeiten verfügen oder wenn zum Schutz der Bürger und kritischer Infrastruktur ein erheblicher Personaleinsatz erforderlich wird". Das Ministerium erklärte, die neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien seien noch nicht fertig gestellt und würden erst Ende Mai im Kabinett beraten. Deshalb wolle man den Bericht nicht kommentieren.
Struck sieht nach einem Bericht der "Bild"-Zeitung eine zunehmende Bedrohung Deutschlands "durch weit reichende Raketen und terroristische Angriffe". Diese Bedrohungen stellten zusätzliche Anforderungen an die Bundeswehr im Inland.


Wenig später meldete AFP das Dementi des Ministeriums:
AFP (25.04.03): Das Bundesverteidigungsministerium hat Zeitungsberichte über den angeblichen Inhalt der neuen verteidigungspolitischen Richtlinien dementiert. Das, was derzeit kursiere, seien "absolute Arbeitsentwürfe aus der ersten Phase der Erarbeitung, nicht aus der aktuellen", sagte ein Ministeriumssprecher vor Journalisten in Berlin. Zu einem Zeitungsbericht, wonach die Bundeswehr auch im Inland zum Kampf gegen den Terrorismus eingesetzt werden solle, sagte der Sprecher lediglich: "Alle geltenden Gesetze und Bestimmungen werden in diesen verteidigungspolitischen Richtlinien berücksichtigt". Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) werde die Öffentlichkeit in "nicht ferner Zukunft" über die Aktualisierung der elf Jahre alten Richtlinien informieren. Laut "Bild"-Zeitung will Struck die neuen Richtlinien Mitte Mai vorstellen.


Dokumentation:
Auszüge aus dem Entwurf für die neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundeswehr
Zwischenüberschriften von uns

"Die Sicherheitslage hat sich grundlegend gewandelt. Die Erfordernisse einer vorausschauenden deutschen Außen- und Sicherheitspolitik führen zu erweiterten Anforderungen an die Bundeswehr. Neue sicherheitspolitische Chancen und Risiken erfordern veränderte Fähigkeiten. Die begonnene umfassende Reform der Bundeswehr wird weiter entwickelt. (...)

Die Allgemeine Wehrpflicht bleibt in angepasster Form für Einsatzbereitschaft, Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit der Bundeswehr ohne Alternative. Die Sicherheitspolitik hat zum Ziel, eine umfassende Grundvorsorge des Staates für die Sicherheit und den Schutz seiner Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Sie nutzt dazu die bestehenden regionalen und globalen Sicherheitssituationen wie die Europäische Union (EU), die Nordatlantische Allianz (NATO), die Vereinten Nationen (VN) und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

Zur Bedrohungs- und Sicherheitslage
(...) Die fortschreitende Erweiterung und Vertiefung der euroantlantischen Sicherheitsstrukturen schaffen einen weltweit einzigartigen Stabilitätsraum. Die Öffnung von NATO und EU für neue Mitglieder festigt Sicherheit und Stabilität, bedingt aber auch die Bereitschaft, mehr Pflichten zu übernehmen. Deutschland profitiert von dieser Entwicklung in Europa. Eine Gefährdung des deutschen Staatsgebietes durch konventionelle Streitkräfte gibt es derzeit und auf absehbare Zeit nicht. Die Anpassung der NATO an das veränderte sicherheitspolitische Umfeld sichert auch für die Zukunft die zentrale Rolle der Allianz für die euroatlantische Sicherheit. Sie garantiert die feste Verankerung des amerikanischen Bündnispartners in Europa. Vornehmlich religiöser Extremismus und Fanatismus, im Verbund mit der weltweiten Reichweite des internationalen Terrorismus, bedrohen die Errungenschaften moderner Zivilisationen. In Europa sind auch weiterhin gewaltsam ausgetragene, nationalistische und ethnisch motivierte Konflikte möglich. Die fortdauernd labile Sicherheitslage auf dem Balkan erfordert weiterhin das besondere Engagement gerade der europäischen Nationen. Militärische Beiträge zur Gestaltung eines sicheren Umfeldes für eine nachhaltige politische und gesellschaftliche Normalisierung bleiben zwingend erforderlich. Für die deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik ergeben sich daraus drei Folgerungen: Erstens: Die transatlantische Partnerschaft bleibt das Fundament der Sicherheitsarchitektur im euro-atlantischen Rahmen. Ohne die Vereinigten Staaten von Amerika kann es auch künftig keine Sicherheit in und für Europa geben. Die transatlantische Partnerschaft verlangt einen angemessenen deutschen Beitrag, um gemeinsam die neuen Herausforderungen in und um Europa bewältigen zu können. Zweitens: Der Stabilitätsraum Europa wird durch eine breit angelegte, kooperative und wirksame Sicherheits- und Verteidigungspolitik gestärkt.
(...)
Fähigkeiten zur Landesverteidigung werden nicht mehr benötigt
Deutschland beteiligt sich an den internationalen Staatengemeinschaften wie den VN und der OSZE. Hinzu kommen Einsätze im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, auch als Beiträge zur Unterstützung von Bündnispartnern. Die Bundeswehr bekämpft weltweit operierende Terrororganisationen und trägt dazu bei, ihnen sichere Rückzugsgebiete zu entziehen und Seeverbindungswege zu sichern. Künftige Einsätze lassen sich wegen des umfassenden Ansatzes zeitgemäßer Sicherheits- und Verteidigungspolitik und ihrer Erfordernisse weder hinsichtlich ihrer Intensität noch geografisch eingrenzen. Der politische Zweck bestimmt Ziel, Ort, Dauer und Art eines Einsatzes. Die Notwendigkeit für eine Teilnahme der Bundeswehr an multinationalen Operationen kann sich weltweit und mit geringem zeitlichen Vorlauf ergeben und das gesamte Einsatzspektrum bis hin zu Operationen mit hoher Intensität umfassen. Zum Schutz der Bevölkerung und lebenswichtiger Infrastruktur des Landes vor terroristischen und asymmetrischen Bedrohungen wird die Bundeswehr Kräfte und Mittel entsprechend dem Risiko bereithalten. Auch wenn dies vorrangig eine Aufgabe für Kräfte der inneren Sicherheit ist, werden die Streitkräfte immer dann zur Verfügung stehen, wenn nur sie über die erforderlichen Fähigkeiten verfügen oder wenn zum Schutz der Bürger und kritischer Infrastruktur ein erheblicher Personaleinsatz erforderlich wird. Die bisher ausschließlich für die Landesverteidigung gegen einen konventionellen Angreifer vorgehaltenen Fähigkeiten werden angesichts des neuen internationalen Umfeldes nicht länger benötigt. Sie können zudem angesichts der knappen, zur Schwerpunktbildung zwingenden Ressourcenlage nicht mehr erbracht werden, ohne dass sich dies nachteilig auf die künftig erforderlichen Fähigkeiten auswirkt. Notwendig bleibt vielmehr eine Befähigung, die es erlaubt, die Landesverteidigung gegen einen Angriff mit konventionellen Streitkräften innerhalb eines überschaubaren Zeitrahmens wieder aufzubauen. Der Wehrpflicht kommt in diesem Zusammenhang eine zentrale Bedeutung zu. Der Schutz Deutschlands einschließlich der Befähigung zur Rekonstitution sowie die eventuelle Unterstützung bei Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen begründen auch künftig die allgemeine Wehrpflicht. Umfang, Ausgestaltung und Dauer des Grundwehrdienstes werden der Lage angepasst."

Im Wortlaut: "Verteidigungspolitische Richtlinien"
Erlassen vom Bundesverteidigungsministerim am 26. November 1992 (12. März 2003)
Die Rohstoffkriege der Wirtschaftsmächte
Die "Verteidigungspolitischen Richtlinien" von 1992 sollen überarbeitet werden (12. März 2003)
Global Player Bundeswehr
Entwurf der Verteidigungspolitischen Richtlinien aus dem Hause Struck - Eine Kritik von Tobias Pflüger (IMI e.V. Tübingen) (26. April 2003)


Zur Bundeswehr-Seite

Zurück zur Homepage