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Sicherheit für Hauptfeldwebel X

Bundeswehrreform: Die attraktivere Einsatzarmee wird zusätzliche Milliarden kosten

Von René Heilig *

Die Bundeswehrreform schreitet voran. Bis Ende dieses Jahres sollen »der Hauptfeldwebel X und der Major Y wissen, wie es mit ihm weitergeht«, sagte Dienstherr Thomas de Maizière und traf sich gestern mit der gleichfalls besorgten Rüstungsindustrie.

Sparen muss man sich leisten können. Diese alte Weisheit nimmt Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) gerade für seine Bundeswehrreform in Anspruch. Er plant ein milliardenschweres Begleitprogramm für die personelle Neuorientierung der Bundeswehr. Insgesamt bezifferte er die Kosten auf rund 200 Millionen Euro für 2012 und auf gut eine Milliarde Euro für den aktuellen Finanzplanungszeitraum bis 2015. Das Programm soll bis Ende 2017 laufen. Das Bundeskabinett muss die Pläne allerdings noch billigen.

Gut zwei Drittel der Steuermittel müssen dazu dienen, den Dienst für die verbleibenden und künftigen 170 000 Soldaten sowie 55 000 zivilen Angestellten attraktiver zu gestalten. So sollen sie für fünf Jahre befristet bei Versetzungen zwischen Umzugskostenvergütung und Trennungsgeld wählen können, Angebote zur Kinderbetreuung sollen verbessert und die Vergütung für besondere zeitliche Belastungen fast verdoppelt werden. Hochqualifizierte sollen bis zu mehrere Zehntausend Euro erhalten, wenn sie »beim Bund« unterschreiben.

Bei Neueinstellungen geht es darum, mehr Mannschaftsdienstgrade für eine längere Zeit als bisher zu heuern. Acht Jahre gelten als normal, die bisherige Höchstgrenze bei Zeitsoldaten wird von 20 auf 25 Jahre angehoben. Um die »einsatzorientierte Verjüngung des Personalkörpers« zu erreichen, bietet man älteren Militärs einen lukrativen Abschied. So sollen Berufssoldaten zwischen 40 und 50 Jahren mit mehr als 20 Dienstjahren vorzeitig in den Ruhestand gehen können. Ihre Pension entspricht den dann bereits erlangten Ansprüchen. Für jedes Jahr, das sie vor ihrer Pensionierung ausscheiden, soll es ebenfalls steuerfrei 5000 Euro Abfindung geben. Berufssoldaten, die 50 Jahre und älter sind, können mit vollen Bezügen gehen. Für Beamte gilt ähnliches, allerdings ab 55 Jahren.

»Die Besten werden nicht gehen dürfen«, betont de Maizière. Ähnlich ist das bei Waffensystemen. Das Verteidigungsministerium will die, die nicht mehr in die Struktur einer global einsatzfähigen Armee passen, abschaffen. Man darf befürchten, dass sie demnächst auf den internationalen Waffenmärkten auftauchen.

Die vertrauliche Zahlen besagen, dass man beim Heer die Anzahl der Leopard-2-Panzer von 350 auf 225 reduzieren, den Schützenpanzer »Marder« komplett und 67 der 148 Panzerhaubitzen ausmustern will. Die Luftwaffe muss 100 der 185 Tornado-Jets stilllegen und die 29 Patriot-Raketensysteme auf 14 absenken. Die Marine verliert die alten Fregatten des 122er Typs und die Hälfte der Minenabwehreinheiten. Für de Maizière komplizierter ist die Kappung laufender Rüstungsprojekte. Vor allem Europas Rüstungsriese EADS ist von dem Sparkonzept betroffen. Statt 177 Eurofighter-Kampfjets will man jetzt 140 abnehmen. Die Anzahl der Tiger-Kampfhubschrauber soll bei 40 statt 80 und die der NH-90-Transport-Helikopter bei 80 statt 120 liegen. Statt 410 Puma-Schützenpanzer von Rheinmetall und Krauss-Maffei Wegmann will das Militär »nur« 350. Es gehe darum, »planerischen Freiraum« zurückzugewinnen, heißt es in einem Schreiben an den Bundestags-Verteidigungsausschuss. Ziel sei es, »unter dem vorrangigen Gesichtspunkt einsatzfähiger Streitkräfte eine höhere Effizienz und Effektivität zu erreichen«.

Diese Überlegungen versuchte de Maizière gestern führenden Vertretern der Rüstungsindustrie nahe zu bringen. Doch der Minister greift in bestehende Verträge ein. Die Vertreter der Industrie werden sich ihre »Einsicht« teuer bezahlen lassen.

* Aus: neues deutschland, 20. Oktober 2011


Bettel-Ossis

Von René Heilig *

Weniger Soldaten brauchen weniger Kanonen und weniger Kasernen. Da diese Reformlogik selbst einem sächsischen CDU-Premier einleuchtet, tönt Tillich: Im Freistaat dürfe es keine Einschnitte in größerem Stil bei Standorten oder Personal geben. Die benachbarte Landesmutter Lieberknecht versucht, den Abzug von Militär samt Kaufkraft mit einem Trick zu verhindern. In Thüringen gebe es nicht nur eine »überdurchschnittliche Wehrbereitschaft«, sondern seit der Vereinigung habe der Bund auch 600 Millionen Euro in die dortigen Soldatenherbergen gegeben. Die Summe toppt Amtsbruder und Parteikollege Haseloff mühelos: Er hat in Sachsen-Anhalt eine Milliarde Militär-Investitionen addiert. Nicht ganz so forsch will SPD-Nordlicht Sellering in de Maizières Konzepten redigieren. Er erwartet nur »eine gerechte Lösung, die uns nicht benachteiligt«. Und nun, der ganze Bundeswehr-Aufbau-Ost dahin?

Hätten die Bewahrer der militärischen Mono(un)kultur doch nur mit einem Teil ihrer Energie zukunftsträchtige Konversionsideen befördert! Und den Bund gedrängt, sich nicht nur um fittere Soldaten für noch grausamere Kriege zu kümmern. Das Grundgesetz, nach dem die Bundeswehr ausschließlich zur Heimatverteidigung besteht, wäre auf ihrer Seite gewesen. So wie Umweltschützer, Künstler, Jugend- und Sozialarbeiter: Übungsplätze zu Naturschutzgebieten, Flugplätze zu Solarparks, Kriegshäfen zu Surfschulen ... Man hätte bei Unternehmen wie Gewerkschaften für rüstungsfreie Produktion werben und Banken ins Boot holen können. Gerade im Osten gibt es viel Know-how dafür - hier wurde schon einmal eine ganze Armee entsorgt. Aber betteln ist leichter.

** Aus: neues deutschland, 20. Oktober 2011 (Kommentar)


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