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Immer mehr traumatisierte Soldaten - überforderte Bundeswehr?

Ein Beitrag von Albrecht Kieser im NDR Forum "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderation):

Die Ausstattung der Bundeswehr für Auslandseinsätze ist nicht optimal. Es gibt aber nicht nur Probleme bei der Ausrüstung, sondern auch bei der medizinischen Betreuung der Soldaten, und zwar nicht erst seit heute. Für den scheidenden Wehrbeauftragten des Bundestages hat der Inspekteur des Sanitätswesens versagt. Im vergangenen Monat zählte Reinhold Robbe eine umfangreiche Mängelliste auf und nahm kein Blatt vor den Mund:

O-Ton Robbe
„Es gibt nicht wenige Experten in der Bundeswehr, die ganz davon sprechen, dass dieser Inspekteur die Sanität regelrecht vor die Wand gefahren habe.“

Überfordert ist das Sanitätswesen beispielsweise bei der Behandlung traumatisierter Soldaten. Posttraumatische Belastungsstörungen – kurz PTBS - so heißt das Phänomen genau. Wie die Bundeswehr damit umgeht, dazu Albrecht Kieser:

Manuskript Albrecht Kieser:

Die Zahl deutscher Soldaten, die aus Auslandseinsätzen traumatisiert zurückkehren, steigt stetig an. Nach Angaben der Bundeswehr sind in den vergangenen 14 Jahren bei Auslandseinsätzen insgesamt 1.500 Soldaten an PTBS erkrankt; allein im letzten Jahr haben sich 477 in Behandlung begeben. Glaubt man Langzeitstudien aus den USA, handelt es sich allerdings um die Spitze eines Eisbergs. Nach diesen Studien werden zwischen 10 und 40 Prozent der Soldaten Opfer einer PTBS, je nach Schwere des Einsatzes. Die Selbsthilfeorganisation ehemaliger Soldaten, Skarabäus, geht bei 150.000 im Ausland eingesetzten Soldaten deshalb von mindestens 10.000 Traumatisierten aus. Und die Deutsche Kriegsopferfürsorge, die sich ebenfalls um ehemalige Soldaten kümmert, spricht sogar von 20.000. Andreas Timmermann-Levanas, ausgebildeter Infanterist und ehemaliger Presseoffizier, hat die Organisation gegründet. Er selbst ist bei Auslandseinsätzen mehrmals verwundet worden. Von der Bundeswehr wurde er schließlich als dienstunfähig entlassen.

Warum tauchen die mehr als Zehntausend seelisch Erkrankten in keiner Statis-tik auf? - Weil Wehrdienstleistende, dienstunfähig entlassene ehemalige Be-rufs- oder Zeitsoldaten nach dem Ausscheiden aus der Bundeswehr Zivilisten sind. Die Bundeswehr hat danach mit ihnen erst einmal nichts mehr zu schaf-fen. Oberfeldarzt Niels von Rosenstiel, stellvertretender Referatsleiter im Ver-teidigungsministerium, räumt das ganz offen ein:

O-Ton Rosenstiel
„Es ist ja so, dass die Soldaten, die außerhalb der Bundeswehr erkranken, nach ihrer Wehrdienstzeit, sich natürlich dann im zivilen Bereich behandeln lassen werden. Deswegen gehen diese Soldaten nicht in unsere Bundeswehrstatistik ein.“

Dass die Bundeswehr über die Zigtausend kranken ehemaligen Soldaten besonders seit dem Afghanistan-Einsatz schweigt, hat nach Ansicht von Ex-Offizier Andreas Timmermann-Levanas aber auch einen ganz anderen Grund:

O-Ton Timmermann-Levanas
„Das liegt daran, dass sowohl die militärische Führung als auch die politische Führung darauf bedacht ist, den Einsatz als Erfolg darzustellen. Auch im internationalen Vergleich. Und da ist es natürlich ganz praktisch, dass viele der betroffenen Soldaten bereits Zivilisten sind, in unserer Statistik nicht erwähnt werden müssen. Und so kann man – und das ist auch in vielen Reden nachzulesen – sagen: seht her, liebe Bevölkerung, wir sind im internationalen Vergleich mit allen anderen Streitkräften, was z.B. die Ausfallquote von Soldaten betrifft, die Besten. Wir haben weniger Ausfälle auch im psychischen Bereich als die Amerikaner, als die Niederländer, als die Franzosen usw., usw.“ / „Eine bewusste Lüge?“ / „Ja. Zumindest ein bewusstes Nicht-Kommunizieren der ganzen Wahrheit.“

Die Bundeswehr wäre, so auch die Einschätzung von Hauptmann a.D. Heinz Sonnenstrahl, der den Verein Skarabäus gegründet hat, hoffnungslos überfordert, wollte sie sich um die große Zahl seelisch verletzter ehemaliger Soldaten kümmern. Bis heute sind in der Bundeswehr nur knapp die Hälfte der Psychiater- und Psychologen-Stellen besetzt, 20 von vorgesehenen 42. Nur einige Mediziner verfügen über eine Ausbildung, wie ein Posttraumatisches Belastungssyndrom zu behandeln ist. Schon für die 477 seelisch erkrankten Soldaten im aktiven Dienst sind das zu wenig. So wenig, dass die Bundeswehr im Sommer 2009 Hilfe bei niedergelassenen Psychologen suchte. Wer nicht zu den Bundeswehrkritikern gehöre, so der Appell, solle freie Therapieplätze melden. Oberfeldarzt von Rosenstiel bestätigt den damaligen Hilferuf:

O-Ton Rosenstiel
„Es ist natürlich immer bei uns so, dass wir sagen, möglichst diejenigen zivilen Kollegen in Anspruch zu nehmen, die, sagen wir mal, der Bundeswehr nicht ablehnend gegenüberstehen.“

Während die Bundeswehr für die knapp 500 PTBS-erkrankten Aktiven psychologische Hilfe also immerhin zu organisieren versucht, fallen die zehn- bis zwanzigtausend traumatisierten ehemaligen Soldaten durchs Raster. Daran hat auch die Einrichtung eines sogenannten Trauma-Zentrums der Bundeswehr in Berlin nichts geändert. Hinter dem großen Namen steht nämlich nicht etwa eine Einrichtung, die Hilfe für aktive und ehemalige Soldaten bündelt. Heinz Sonnenstrahl von Skarabäus über die mit drei Offizieren ausgestattete Einrichtung:

O-Ton Heinz Sonnenstrahl
„Hier handelt es sich lediglich um eine ganz kleine Forschungseinrichtung, die sich empirisch mit dem Phänomen PTBS auseinandersetzen soll. Hat also mit einer praktischen Unterstützung für Betroffene in keinster Weise was zu tun.“

Andreas Timmermann-Levanas von der Organisation Deutsche Kriegsopferfürsorge sieht das ähnlich. Der Oberstleutnant a.D. ist mit Verteidigungspolitikern des Bundestages im Gespräch und fordert,

O-Ton Timmermann-Levanas
„dass der betroffene Soldat, gerade wenn er auf der Schwelle ist zum Ausscheiden aus der Bundeswehr, eine Art Fallmanager an die Seite gestellt bekommt. Dass wir also durch die Bundeswehr und durch die Politik gefördert dem Kameraden, den es betrifft, einen Berater an die Hand geben, der durch alle Instanzen den Jungen auch beraten kann. Und nicht sagen: Du bist nun Zivilist, jetzt sieh zu, wie du damit zurechtkommst.“

Denn mit der Behandlung und Versorgung der ehemaligen Bundeswehrangehörigen ist auch die Zivilgesellschaft hoffnungslos überfordert. Der Krieg mit seinen vorwiegend zivilen Opfern, mit von Granaten und Anschlägen zerfetzten Körpern und ständiger Todesangst auch bei den Soldaten, wird in der deutschen Bevölkerung verdrängt. Auch darunter leiden Bundeswehr-Soldaten:

O-Ton Timmermann-Levanas
„Wenn unsere Soldaten jetzt aus dem Einsatz kommen und sagen, ich war in Afghanistan, dann finden sie in Deutschland eine Gesellschaft vor, die sagt: Ja und bei uns ist der Spritpreis gestiegen. Oder: Der Stau zum Gardasee im Sommer, der war ganz lang. D.h. der Soldat ist nicht nur von der Bundeswehr verlassen, sondern er kommt mit seiner Geschichte in Deutschland gar nicht rüber. Das passiert auch in der Familie. Wenn der junge Soldat nach Hause kommt – er hat eigentlich Geschichten, die keiner hören will und selbst, wenn ihm zugehört wird, keiner versteht. Und das führt dazu, dass er sozial völlig isoliert wird; zusätzlich zu dem, was er erlebt hat und was er an Paket aus dem Einsatz mitbringt, fällt er in ein absolut tiefes Loch.“

Die Folgen sind nicht nur für die Betroffenen, ihre Familien und ihr sonstiges soziales Umfeld desaströs. Heinz Sonnenstrahl von Skarabäus spricht von „lebenden Zeitbomben“. Auch Andreas Timmermann-Levanas von der Deutschen Kriegsopferfürsorge zeigt sich äußerst besorgt:

O-Ton Timmermann-Levanas
„Ich hab bei mir in der Organisation mehrere Fälle gehabt, die davon sprachen, ich wollte mich eigentlich mit einem großen Knall verabschieden. D.h. nicht nur der eigene Tod, der eigene Suizid, wurde damit angedeutet, sondern die Absicht, dass man das tut, aber nicht im stillen, leisen Kämmerlein, sondern öffentlichkeitswirksam. Man sprach von öffentlichen Plätzen in Deutschland, man sprach davon, dass in der Nähe von hochrangigen Politikern zu machen. Wir hatten einen Fall, der hat gesagt, ich werde mich bewaffnen. Und wir konnten diese Fälle in ruhigen Gesprächen und in unserer beratenen Funktion etwas lindern. Und es ist noch nicht dazu gekommen.“

Nicht in Deutschland, aber bereits in anderen Ländern. Klar ist: Es gibt erheblich mehr als die offiziell registrierten knapp 500 PTBS-Fälle. Das Posttraumatische Belastungssyndrom – darauf sind heute weder die Bundeswehr noch die Gesellschaft vorbereitet.

Aus: NDR-Sendereihe Streitkräfte und Strategien, 24. April 2010; www.ndrinfo.de


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