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Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege in der Bundeswehr

Der "Traditionserlass" vom 1982 im Wortlaut

Berlin, 09/20/1982
GRUNDSÄTZE

1. Tradition ist die Überlieferung von Werten und Normen. Sie bildet sich in einem Prozeß wertorientierter Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Tradition verbindet die Generationen, sichert Identität und schlägt eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft.
Tradition ist eine wesentliche Grundlage menschlicher Kultur. Sie setzt Verständnis für historische, politische und gesellschaftliche Zusammenhänge voraus.

2. Maßstab für Traditionsverständnis und Traditionspflege in der Bundeswehr sind das Grundgesetz und die der Bundeswehr übertragenen Aufgaben und Pflichten. Das Grundgesetz ist Antwort auf die deutsche Geschichte. Es gewährt große Freiräume, zieht aber auch eindeutige Grenzen.
Die Darstellung der Wertgebundenheit der Streitkräfte und ihres demokratischen Selbstverständnisses ist die Grundlage der Traditionspflege der Bundeswehr.

3. In der pluralistischen Gesellschaft haben historische Ereignisse und Gestalten nicht für alle Staatsbürger gleiche Bedeutung, geschichtliche Lehren und Erfahrungen nicht für alle den gleichen Grad an Verbindlichkeit. Tradition ist auch eine persönliche Entscheidung.

4. Traditionsbewußtsein kann nicht verordnet werden. Es bildet sich auf der Grundlage weltanschaulicher Überzeugungen und persönlicher Wertentscheidungen.
Dies gilt auch für die Bundeswehr mit ihrem Leitbild vom mündigen Soldaten, dem Staatsbürger in Uniform. Die Freiheit der Entscheidung in Traditionsangelegenheiten gilt innerhalb des Rahmens von Grundgesetz und Soldatengesetz.

5. Politisch-historische Bildung trägt entscheidend zur Entwicklung eines verfassungskonformen Traditionsverständnisses und einer zeitgemäßen Traditionsverständnisses und einer zeitgemäßen Traditionspflege bei. Dies fordert, den Gesamtbestand der deutschen Geschichte in die Betrachtung einzubeziehen und nichts auszuklammern.

6. Die Geschichte deutscher Streitkräfte hat sich nicht ohne tiefe Einbrüche entwickelt. In den Nationalsozialismus waren Streitkräfte teils schuldhaft verstrickt, teils wurden sie schuldlos mißbraucht. Ein Unrechtsregime, wie das Dritte Reich, kann Tradition nicht begründen.

7. Alles militärische Tun muß sich an den Normen des Rechtsstaats und des Völkerrechts orientieren. Die Pflichten des Soldaten - Treue, Tapferkeit, Gehorsam, Kameradschaft, Wahrhaftigkeit, Verschwiegenheit sowie beispielhaftes und fürsorgliches Verhalten der Vorgesetzten - erlangen in unserer Zeit sittlichen Rang durch die Bindung an das Grundgesetz.

8. Die Bundeswehr dient dem Frieden. Der Auftrag der Streitkräfte, den Frieden in Freiheit zu sichern, fordert Bereitschaft und Fähigkeit, für die Bewahrung des Friedens treu zu dienen und im Verteidigungsfall für seine Wiederherstellung tapfer zu kämpfen.
Die Verpflichtung auf den Frieden verleiht dem Dienst des Soldaten eine neue politische und ethische Dimension.

9. Für die Traditionsbildung in den Streitkräften ist von Bedeutung, daß die Bundeswehr
  • die erste Wehrpflichtarmee in einem demokratischen deutschen Staatswesen ist;
  • ausschließlich der Verteidigung dient;
  • in ein Bündnis von Staaten integriert ist, die sich zur Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts bekennen.
Diese politischen und rechtlichen Bindungen verlangen, daß die Bundeswehr ihre militärische Tradition auf der Grundlage eines freiheitlichen demokratischen Selbstverständnisses entwickelt.

10. Viele Formen, Sitten und Gepflogenheiten des Truppenalltags sind nicht Tradition, sondern militärisches Brauchtum. Es handelt sich um Gewohnheiten und Förmlichkeiten, wie sie in jeder großen gesellschaftlichen Einrichtung anzutreffen sind. Meist haben sie sich vor langer Zeit herausgebildet. Ihr ursprünglicher Sinn ist oft in Vergessenheit geraten, der Bedeutungszusammenhang zerfallen. Formen, Sitten und Gepflogenheiten tragen jedoch zur Verhaltenssicherheit im Umgang miteinander bei.
Nicht jede Einzelheit militärischen Brauchtums, das sich aus früheren Zeiten herleitet, muß demokratisch legitimiert sein. Militärisches Brauchtum darf aber den vom Grundgesetz vorgegebenen Werten und Normen nicht entgegenstehen.
Brauchtum muß, um lebendig zu bleiben, von den Soldaten angenommen werden.

ZIELSETZUNGEN

11. Traditionsbewußtsein zu wecken, ist eine wichtige Aufgabe der Vorgesetzten.

12. Traditionspflege ist Teil der soldatischen Ausbildung. Sie soll die geistige und politische Mündigkeit des Soldaten und die Einbindung der Bundeswehr in Staat und Gesellschaft fördern. Die Pflege von Traditionen soll der Möglichkeit entgegenwirken, sich wertneutral auf das militärische Handwerk zu beschränken.

13. Traditionsbewußtsein und Traditionspflege sollen dazu beitragen, die ethischen Grundlagen des soldatischen Dienstes in der heutigen Zeit zu verdeutlichen. Sie sollen dem Soldaten bei der Bewältigung seiner Aufgabe helfen, durch Bereitschaft und Fähigkeit zum Kampf seinen Beitrag zur Sicherung des Friedens zu leisten und die damit verbundenen Belastungen zu tragen.

14. In der Ausbildung zum militärischen Führer sind mit der Kenntnis geschichtlicher Tatsachen auch Werte und Inhalte der Traditionspflege zu vermitteln.

15. In der Traditionspflege der Bundeswehr sollen solche Zeugnisse, Haltungen und Erfahrungen aus der Geschichte bewahrt werden, die als ethische und rechtsstaatliche, freiheitliche und demokratische Traditionen auch für unsere Zeit beispielhaft und erinnerungswürdig sind.

16. In der Traditionspflege soll auch an solche Geschehnisse erinnert werden, in denen Soldaten über die militärische Bewährung hinaus an politischen Erneuerungen teilhatten, die zur Entstehung einer mündigen Bürgerschaft beigetragen und den Weg für ein freiheitliches, republikanisches und demokratisches Deutschland gewiesen haben.

17. In der Traditionspflege der Bundeswehr soll auf folgende Einstellungen und Verhaltensweisen besonderer Wert gelegt werden:
  • kritisches Bekenntnis zur deutschen Geschichte, Liebe zu Heimat und Vaterland, Orientierung nicht allein am Erfolg und den Erfolgreichen, sondern auch am Leiden der Verfolgten und Gedemütigten;
  • politisches Mitdenken und Mitverantworten, demokratisches Wertbewußtsein, Vorurteilslosigkeit und Toleranz, Bereitschaft und Fähigkeit zur Auseinandersetzung mit den ethischen Fragen des soldatischen Dienstes, Wille zum Frieden;
  • gewissenhafter Gehorsam und treue Pflichterfüllung im Alltag, Kameradschaft, Entschlußfreude, Wille zum Kampf, wenn es der Verteidigungsauftrag erfordert.
18. Menschlichkeit hat nach unserem Grundgesetz einen hohen Rang. Das Selbstverständnis der Bundeswehr ist dem verpflichtet. Es gibt auch in der Vergangenheit viele Beispiele menschlich vorbildlichen Verhaltens, die unseren Respekt verdienen. Sie sollen daran erinnern, daß der Grundwert der Humanität auch unter schwierigen Bedingungen bewahrt werden muß.

19. Soldatische Erfahrungen und militärische Leistungen der Vergangenheit können für die Ausbildung der Streitkräfte von Bedeutung sein. Dabei ist stets zu prüfen, inwieweit Überliefertes angesichts ständig sich wandelnder technischer und taktischer, politischer und gesellschaftlicher Gegebenheiten an Wert behält. Die Geschichte liefert keine Anweisungen für künftiges Verhalten, wohl aber Maßstäbe und Orientierungen für Haltungen.

20. Die Bundeswehr pflegt bereits eigene Traditionen, die weiterentwickelt werden sollen. Dazu gehören vor allem:
  • der Auftrag zur Erhaltung des Friedens in Freiheit als Grundlage des soldatischen Selbstverständnisses;
  • der Verzicht auf ideologische Feindbilder und auf Haßerziehung;
  • die Einbindung in die Atlantische Allianz und die kameradschaftliche Zusammenarbeit mit den verbündeten Streitkräften auf der Grundlage gemeinsamer Werte;
  • das Leitbild des "Staatsbürgers in Uniform" und die Grundsätze der Inneren Führung;
  • die aktive Mitgestaltung der Demokratie durch den Soldaten als Staatsbürger;
  • die Offenheit gegenüber gesellschaftlichen Entwicklungen und die Kontaktbereitschaft zu den zivilen Bürgern;
  • die Hilfeleistungen für die Zivilbevölkerung bei Notlagen und Katastrophen im In- und Ausland.
Das sind unverwechselbare Merkmale der Bundeswehr.

HINWEISE

21. Die Traditionspflege liegt in der Verantwortung der Kommandeure und Einheitsführer. Sie verfügen über Ermessens- und Entscheidungsfreiheit vor allem dort, wo es sich um regionale und lokale Besonderheiten handelt.
Kommandeure und Einheitsführer treffen ihre Entscheidungen auf der Grundlage von Grundgesetz und Soldatengesetz im Sinne der hier niedergelegten Richtlinien selbständig.

22. Begegnungen im Rahmen der Traditionspflege dürfen nur mit solchen Personen oder Verbänden erfolgen, die in ihrer politischen Grundeinstellung den Werten und Zielvorstellungen unserer verfassungsmäßigen Ordnung verpflichtet sind.
Traditionen von Truppenteilen ehemaliger deutscher Streitkräfte werden an Bundeswehrtruppenteile nicht verliehen. Fahnen und Standarten früherer deutscher Truppenteile werden in der Bundeswehr nicht mitgeführt oder begleitet.
Dienstliche Kontakte mit Nachfolgeorganisationen der ehemaligen Waffen-SS sind untersagt.
Nationalsozialistische Kennzeichen, insbesondere das Hakenkreuz, dürfen nicht gezeigt werden.
Ausgenommen von diesem Verbot sind Darstellungen, die der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der politischen oder historischen Bildung dienen, Ausstellungen des Wehrgeschichtlichen Museums sowie die Verwendung dieser Kennzeichen im Rahmen der Forschung und Lehre.

23. Tradition braucht Symbole, Zeichen und Zeremonielle. Sie könne die inneren Werte der Tradition nicht ersetzen, wohl aber auf sie verweisen und ihre zeitgemäße Bewahrung sichern. In der Traditionspflege der Bundeswehr haben besondere Bedeutung:
  • die schwarz-rot-goldene Flagge als Symbol freiheitlich-republikanischen Bürgersinns und staatsbürgerlich-demokratischer Mitverantwortung;
  • unsere Nationalhymne als Ausdruck des Strebens der Deutschen nach Einigkeit, Recht und Freiheit;
  • der Adler des deutschen Bundeswappens als Zeichen nationaler Souveränität, der dem Recht dienenden Macht und der geschichtlichen Kontinuität;
  • das Eiserne Kreuz als nationales Erkennungszeichen und als Sinnbild für Tapferkeit, Freiheitsliebe und Ritterlichkeit;
  • der Diensteid und das feierliche Gelöbnis der Soldaten als Bekenntnis und Versprechen, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.
Die Bedeutung der Symbole, Zeichen und Zeremonielle muß in der soldatischen Ausbildung erklärt und wachgehalten werden.
So haben auch der Große Zapfenstreich als Ausdruck des Zusammengehörigkeitsgefühls und das Lied vom guten Kameraden als Abschiedsgruß ebenfalls einen festen Platz in der Traditionspflege.

24. Die deutsche Geschichte hat eine Fülle landmannschaftlicher, regionaler und lokaler Besonderheiten hervorgebracht. Die Vielfalt ist eine deutsche historische Eigentümlichkeit.
Bei der Traditionspflege hat es sich als sinnvoll erwiesen, an solche Besonderheiten anzuknüpfen, insbesondere durch
  • Abschluß und Pflege von Patenschaften mit Städten und Gemeinden;
  • Übernahme und Pflege von Gedenkstätten, Mahn- und Ehrenmalen;
  • Begehen von Fest- und Gedenktagen des Verbandes und der Garnison;
  • Sammeln von Dokumenten und Ausstellungsstücken;
  • Erstellen und Fortschreiben einer Chronik der Einheit oder des Verbandes unter Berücksichtigung regionaler und lokaler Ereignisse.
25. Das Sammeln von Waffen, Modellen, Urkunden, Fahnen, Bildern, Orden und Ausrüstungsgegenständen ist erlaubt. Es dient der Kenntnis und dem Interesse an der Geschichte und belegt, was gewesen ist. Die Art und Weise, in der wehrkundliche Exponate gezeigt werden, muß die Einordnung in einen geschichtlichen Zusammenhang erkennen lassen. Die äußere Aufmachung muß diesen Richtlinien entsprechen.

26. Das Zusammengehörigkeitsgefühl und Auftragsverständnis der Truppe kann durch feierliche Appelle, vor allem anläßlich nationaler Gedenktage, der Aufnahme und Entlassung von grundwehrdienstleistenden Soldaten, beim Abschluß von Übungen sowie anläßlich der Verleihung von Orden und Ehrenzeichen gestärkt werden.
Die Reservisten der Bundeswehr sollen zu geeigneten Veranstaltungen und kameradschaftlichen Zusammenkünften eingeladen werden.

27. Das Singen in der Truppe ist ein alter Brauch, der bewahrt werden soll. Das Liedgut ist im Liederbuch der Bundeswehr zusammengestellt. Diese Sammlung ist Richtschnur für die Auswahl.

28. Die Militärmusik hat eine lange und reiche Geschichte. Sie dient der Ausgestaltung dienstlicher Veranstaltungen und der Repräsentation der Bundeswehr im In- und Ausland.

29. Kasernen und andere Einrichtungen der Bundeswehr können mit Zustimmung des Bundesministers der Verteidigung nach Persönlichkeiten benannt werden, die sich durch ihr gesamtes Wirken oder eine herausragende Tat um Freiheit und Recht verdient gemacht haben.

30. Vereidigungen und feierliche Gelöbnisse unter Anteilnahme der zivilen Bürger sind ein öffentliches Bekenntnis der Soldaten zum demokratischen Staat. Sie sind Bestandteil einer gewachsenen Tradition der Bundeswehr. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stehen diejenigen, die sich zu ihren gesetzlichen Pflichten bekennen sollen. Ihnen muß der Sinn ihres Dienstes deutlich werden.
Die Beteiligung der Öffentlichkeit am Leben der Truppe fördert die Integration der Streitkräfte in die Gesellschaft. An "Tagen der offenen Tür" und bei anderen Gelegenheiten sind die Bürger einzuladen, den Alltag und das Leistungsvermögen der Truppe kennenzulernen.

Quelle: Website der Bundeswehr: www.bundeswehr.de


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