Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Von Phnom Penh nach Kundus

Seit 1993 hat die Bundeswehr im Ausland 102 Soldaten verloren – die meisten davon allerdings nicht im Kampf

Von Velten Schäfer *

Die Hinterbliebenen eines getöteten Bundeswehrsoldaten erhalten 100 000 Euro – deutlich mehr als die Angehörigen eines getöteten US-Amerikaners. Wie Deutschland sich wieder an das »Fallen« gewöhnt.

Es begann mit Alexander Arndt. Vor genau 20 Jahren – am 14. Oktober 1993 – wollte der 26-jährige Sanitätsfeldwebel der Bundeswehr mit seinem Kameraden Torsten Klaas in Phnom Penh essen gehen. Doch auf dem Rückweg wurden die beiden, wie die Bundeswehr-Chronik vermerkt, von einem Motorrad überholt. Einer der Fahrer zog plötzlich eine Handfeuerwaffe, vier Schüsse fielen. Der Sanitätssoldat Arndt wurde in Brust und Oberschenkel getroffen. Arndt wurde der erste im Ausland getötete deutsche Soldat nach 1945.

Das Kambodscha-Abenteuer der Bundeswehr gehörte zu einer internationalen Anstrengung, den kambodschanischen Bürgerkrieg zu beenden und die Wahlen zu schützen, die das Land in friedliches Fahrwasser führen sollten. Diesen Zweck hat die UN-Mission, in deren Rahmen die Bundeswehr in Kambodschas Hauptstadt ein Krankenhaus aufbaute, nicht nur nach Einschätzung der Bundeswehr weitgehend erfüllt.

Mit dem Tode Arndts begann aber auch eine innenpolitische Mission: das Normalisieren von Bundeswehr-Toten. »Gefallene« hatte es jahrzehntelang nicht gegeben. Doch die »neue Rolle« Deutschlands auf dem internationalen Parkett, die bereits in der ersten Vereinigungseuphorie vielfach ausgerufen wurde, erforderte zwingend eine Akzeptanz nicht nur des Tötens durch, sondern auch des Sterbens von deutschen Uniformierten in nahezu aller Welt.

Es ist wohl noch offen, inwieweit dies geglückt ist. Doch bislang ist die Truppe von den für Militärs so unangenehmen Folgeerscheinungen des Krieges an der Heimatfront – öffentliches Trauern und Fragenstellen durch Hinterbliebene, Demonstrationen von Veteranen u. Ä. – weitgehend verschont geblieben.

Dass dies so bleibt, soll auf der einen Seite die Angehörigenpolitik der Bundeswehr sicherstellen: Bis Dezember 2011 erhielt etwa der Ehepartner eines »Gefallenen« 60 000 Euro als einmalige, steuerfreie Entschädigung, heute sind es 100 000. War der Getötete ledig, gibt es 40 000 Euro für die Eltern und »versorgungsberechtigte« Kinder. Fehlen auch diese, gehen 20 000 Euro an die Großeltern. Im Vergleich ist dies eher großzügig: Hinterbliebene getöteter US-Soldaten erhalten umgerechnet nur etwa 75 000 Euro als Grundleistung – allerdings wird diese Summe in jedem Fall gezahlt: Auch ledige und kinderlose GIs können die Begünstigten frei auswählen.

Auf der anderen Seite ist der Kampf noch bei Weitem nicht die häufigste Ursache des Todes von Bundeswehr-Angehörigen. Insgesamt sind seit deren Bestehen rund 3200 Truppenangehörige im Dienst ums Leben gekommen, zwischen 1955 und 1989 stürzten bei inländischen Übungsflügen rund 450 Flugzeuge und Hubschrauber ab – zum Beispiel Jäger vom Typ »Starfighter«, der in Friedenszeiten bisher tödlichsten Waffe der Bundeswehr.

Nach Alexander Arndt starben laut Bundeswehr 101 weitere deutsche Soldaten im Auslandseinsatz. Noch ist die »Fremdeinwirkung« dabei eher die Ausnahme als die Regel: Nur 37 der umgekommenen Soldaten wurden von gegnerischen Kräften getötet, 65 kamen durch »sonstige Umstände«, also etwa Waffen- oder Verkehrsunfälle sowie Suizid ums Leben. 54 Todesfälle gab es in Afghanistan, 26 in Kosovo und 19 in Bosnien und Herzegovina. In Afghanistan, dem bisher »robustesten« Bundeswehr-Auslandseinsatz, hat sich dieses Verhältnis allerdings erstmals umgekehrt: 35 Soldaten starben durch Fremdeinwirkungen – Feuergefechte, Minen, Sprengfallen, Anschläge –, 19 Soldaten kamen durch »sonstige Vorfälle« um. Zudem nahmen sich während Auslandeinsätzen bisher 20 Soldaten das Leben.

An das bisher blutigste Gefecht deutscher Soldaten seit dem Zweiten Weltkrieg wird im Militärjargon als »schwarzer Karfreitag« erinnert: Kurz vor Ostern 2010 wurden drei Soldaten bei Kundus durch Kämpfe getötet. Zweimal – 2003 in Kabul nach einem Selbstmordanschlag und 2010 kurz nach dem »schwarzen Karfreitag« – starben sogar vier Soldaten an einem Tag. Seither ist das Kriegsvokabular auch bezüglich »des Feindes« zurück: Kämpfende Kontrahenten werden von Politik und Militär regelmäßig als »feige« Terroristen bezeichnet.

Diejenigen aber, die Alexander Arndt töteten, waren wohl nicht einmal Militante: Ermittlungen ergaben später, dass Arndt von einem kambodschanischen Polizisten in Zivil erschossen wurde. Dieser war von Arndts und Klaas' Jeep offenbar angespritzt worden, als die beiden durch eine Pfütze jagten. Daraufhin hatte er wohl die Fassung verloren.

* Aus: neues deutschland, Montag, 14. Oktober 2013


Im "Wald der Erinnerung"

In der Henning-von-Tresckow-Kaserne bei Potsdam soll der zentrale Gedenkort für die im Ausland getöteten Soldaten entstehen

Von Fabian Lambeck *


Die Entscheidung ist gefallen: Das zentrale Denkmal für die bei Auslandseinsätzen ums Leben gekommenen Bundeswehrsoldaten kommt nicht nach Berlin.

Die Bundeswehr verlässt Afghanistan. Erst vor wenigen Tagen übergab man das Feldlager in Kundus an die einheimischen Sicherheitskräfte. Der Abzug wirft die Frage auf, was mit den Ehrenhainen für gefallene Soldaten geschehen soll. Am Hindukusch finden sich zahlreiche dieser improvisierten Gedenkstätten. Etwa in Kundus, Masar-i-Sharif oder Feisabad. In Afghanistan sollen sie nicht verbleiben. Man fürchtet eine Schändung. Entweder durch die Taliban oder die entzürnten Angehörigen von Opfern deutscher bzw. von deutschen Offizieren angeordneter Militäraktionen. So wurde auch einen Tag nach der Übergabe des Feldlagers Kundus der dortige Ehrenhain abgebaut. Deutsche Soldaten verluden den 2,3 Tonnen schweren Gedenkstein auf einen Lkw. Der mit einem Eisernen Kreuz verzierte Monolith ist mittlerweile auf dem Weg nach Potsdam, wie ein Sprecher des dort ansässigen Einsatzführungskommandos »nd« bestätigte. Die restlichen afghanischen Ehrenhaine sollen folgen.

Praktisch nebenbei erfuhr »nd«, dass die Frage nach dem zentralen Gedenkort für die im Einsatz gestorbenen Soldaten offenbar entschieden ist. Auf dem Gelände der Henning-von-Tresckow-Kaserne bei Potsdam, dem Sitz des Einsatzführungskommandos, soll bis November 2014 ein öffentlich zugänglicher »Wald der Erinnerung« entstehen, so Oberstleutnant Thomas Kolatzki, der Sprecher des Kommandos. Hier sollen auch die Ehrenhaine aus Afghanistan ihren Platz finden. Die Angehörigen der bislang 102 im Ausland getöteten Soldaten und andere Besucher fänden so einen »Ort zum Gedenken«, betonte Kolatzki. Wie die Zivilisten auf das streng abgeschirmte Gelände gelangen, sei noch nicht abschließend geklärt, unterstrich der Sprecher.

Mit der Entscheidung für den Standort Geltow ist die Diskussion, ob die im Ausland getöteten Soldaten ein Denkmal im Berliner Zentrum kriegen sollten, wohl abschließend geklärt. Noch im März forderte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Susanne Kastner (SPD), »in Parlamentsnähe eine Gedenkstätte zu errichten«. Auch der FDP-Bundestagsabgeordnete Burkhardt Müller-Sönksen kam in einem Diskussionspapier vom April dieses Jahres zu dem Schluss: »Ein eigenes Denkmal für die Auslandseinsätze der Bundeswehr in der Nähe des Parlamentes könnte eine sinnvolle Ergänzung zum Ehrenmal der Bundeswehr darstellen.«

Das hier erwähnte »Ehrenmal der Bundeswehr« wurde im September 2009 auf dem Gelände des Verteidigungsministeriums in Berlin eingeweiht. Kritiker wie Militärdekan Joachim Simon hatten immer wieder moniert, dass die Hinterbliebenen der im Ausland Getöteten einen eigenen »Ort persönlicher Trauer« bräuchten. Denn der schmucklose Kasten steht für alle Bundeswehrsoldaten, die seit 1956 im »Dienst« ihr Leben ließen – also für alle. Egal ob durch einen Schießunfall, einen Flugzeugabsturz oder eine feindliche Kugel. Pikanterweise beschäftigte sich das Parlament während der Einweihung zeitgleich mit der von Oberst Klein befohlen Bombardierung zweier entführter Tanklastwagen, bei der mehr als 140 afghanische Zivilisten ihr Leben verloren. Der damalige Bundespräsident Horst Köhler sagte während der Zeremonie, das neue Denkmal rege zum Nachdenken darüber an, »welchen Preis wir zu zahlen bereit sind für ein Leben in Freiheit und Sicherheit«.

Weil man Heldenverehrung vermeiden wollte, wurden die persönlichen Daten der ums Leben gekommenen Soldaten nirgendwo eingraviert. Stattdessen werden die 3100 Namen im sogenannten »Raum der Stille« für jeweils fünf Sekunden an eine Wand projiziert. Die verunglückten Soldaten der Nationalen Volksarmee der DDR sind vom Gedenken ausgenommen.

** Aus: neues deutschland, Montag, 14. Oktober 2013


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