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Großbaustelle Bundeswehr

Von Juliane Baumgarten *

Babenhausen. Der Bundeswehr droht eine riesige Personallücke, denn die Wehrpflicht wird ab Juli ausgesetzt. Nur 10 Prozent der benötigten Freiwilligen haben sich gemeldet. Die Kritik aus den eigenen Reihen wird lauter.

Die Infoveranstaltung der Bundeswehr ist gut besucht. Rund 30 Schüler der Realschule Babenhausen sind gekommen, um den Arbeitgeber Bundeswehr kennenzulernen. Wehrdienstberatungsoffizier Lars Bogott schaut in viele picklige Gesichter, aus jedem zweiten Mund blitzen Zahnspangen. Alle sind zwischen zwölf und sechzehn Jahre alt. Bogott erzählt von Qualifizierungsmöglichkeiten beim Bund, der Gefahr von Auslandseinsätzen und dem lukrativen Einstiegsgehalt. 1500 Euro netto zahlt die Bundeswehr auch dem Anfänger.

Die Jugendlichen hören zu, aber es sind andere Fragen, die sie umtreiben: Darf man auch mit Piercing oder Tattoo zur Bundeswehr? Sind lange Haare erlaubt? Kann man gleich Panzerfahren? Welcher Notenschnitt wird vorausgesetzt?

Der zwölfjährige Tim ist ein besonders eifriger Frager. Sein Vater und sein Onkel waren Stabsgefreite bei der Bundeswehr. Er selbst ist im Schützenverein und daher steht für ihn fest: "Ich will zur Bundeswehr, weil ich dort schießen kann." Die 14-jährige Cigaem ist aus ganz anderen Gründen von der Bundeswehr begeistert: "Da reicht der Hauptschulabschluss, dass die einen nehmen", erklärt sie. Aber nicht allen Jugendlichen gefällt die Vorstellung, Soldat zu werden. Der 15-jährige Timo will lieber Elektriker werden. "Kampf ist nicht so meins", sagt der große schlaksige Junge.

Am Ende des Nachmittags, nach drei Inforunden, haben sich etwa 100 Schüler über die Aussichten bei der Bundeswehr schlau gemacht. Durch die Aussetzung der Wehrpflicht droht eine eklatante Personallücke. Bislang kann diese Lücke noch durch die letzten Wehrpflichtigen abgefangen werden. Bereits zum Jahresende werde der Mangel deutlich spürbar, prophezeit Oberstleutnant Peter Walde, Dezernatsleiter im Zentrum für Nachwuchsgewinnung. "Dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Bundeswehr nicht mehr in dem Maße handlungsfähig ist, wie sie es bislang war."

Anfang Januar wurden die letzten jungen Männer eingezogen, aber die gesetzliche Grundlage, wie es weitergehen soll, fehlt nach wie vor. "Wir stochern alle im Nebel, das ist das Unbefriedigende an der Situation. Im Moment sind wir eine Großbaustelle", sagt Walde. Er könne den jungen Menschen nicht gesichert sagen, was bei der Bundeswehr auf sie zukommt. "Uns fehlt schlicht und ergreifend die Handlungsgrundlage." Und die müsse die Politik so schnell wie möglich schaffen. "Wir brauchen klare gesetzliche Grundlagen, auf deren Basis wir weiter arbeiten können", fordert der Oberstleutnant. Und er betont: "Der erste Schritt, also die Aussetzung der Wehrpflicht wurde gemacht, aber der zweite fehlt." Wie der Mangel kompensiert werden soll, sei nicht durchdacht.

Die Frage, wie die Lücke in den Reihen der Bundeswehr gestopft werden soll, birgt Zündstoff. Ist es sinnvoll, Ausländer oder immer Jüngere zu rekrutieren?

An der Schule in Babenhausen hat sich der 15-jährige Albaner Leotrim von den Möglichkeiten bei der Bundeswehr besonders begeistert gezeigt. Er würde dort gerne trainieren, sagt der sportliche Junge. Ohne deutschen Pass hat er aber momentan keine Chance. Die Gedankenspiele, Ausländer beim Bund zu verpflichten, sieht der Oberstleutnant kritisch. "Parallelen zu einer Söldnerarmee sind dann nicht mehr ganz von der Hand zu weisen."

Für Peter Strutynski von der AG Friedensforschung steht fest: Die Bundeswehr wird aufgrund der drohenden Personallücke sehr offensiv um junge Leute werben. Er kritisiert: "Jugendliche sind leichter beeinflussbar. Und wir müssen uns immer vor Augen halten: Die Bundeswehr bildet zum Töten aus." Besonders ärgert Strutynski, dass die Bundeswehr über Jugendoffiziere gezielt an den Schulen wirbt: "Geschützte Räume wie die Schule sollten nicht benutzt werden, um Kinder zu locken." Das Argument, dass Jugendoffiziere nur informieren und nicht werben, lässt er nicht gelten. "Das ist doch Augenwischerei." Die Grenzen zwischen werben und informieren seien fließend, das habe selbst Hellmut Königshaus (FDP), der Wehrbeauftragte des Bundestags, zugegeben.

Die Probleme der Bundeswehr reichen laut Oberstleutnant Walde aber sehr viel tiefer. Die gesellschaftliche Anerkennung fehle. "Dadurch gibt es ein Zahlen- und ein Qualitätsproblem beim Nachwuchs." Die Bundeswehr sei im eigenen Land nicht gut angesehen, weil die Menschen nicht unterscheiden würden, dass die Streitkräfte nur im Auftrag des Parlaments handeln. Der Afghanistan-Einsatz sei doch nicht die Idee der Soldatinnen und Soldaten, sondern der politische Auftrag, den sie zu erfüllen haben.

Ohne die gesellschaftliche Akzeptanz sei die Gefahr einer "Prekariatsarmee" gegeben. "Es gelingt nicht mehr, genügend junge und gute Leute zur Armee zu bringen", sagt der Oberstleutnant. Ähnliche Überlegungen hat wohl auch der neue Verteidigungsminister angestellt. Wenn man versuchen wollte, nur über gute Bezahlung zu locken, kämen vielleicht die Falschen, gab Thomas de Maizière zu bedenken.

Von alledem haben die Realschüler an diesem Nachmittag nichts mitbekommen. Sie haben Vorträgen rund um Kameradschaft, Teamwork und die 60 verschiedenen Ausbildungsberufe beim Bund gelauscht. Verkauft wurde ihnen ein "Rundum-Sorglos-Paket".

* Aus: Südwestpresse (SWP), 31. März 2011

Viel zu wenige Freiwillige

Die Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht zum 1. Juli 2011 wurde am vergangenen Donnerstag vom Bundestag mit den Stimmen von Union, FDP und Grünen beschlossen. Die Neuregelung ist Teil der Streitkräftereform, wonach die Bundeswehr von derzeit gut 250 000 Soldaten auf maximal 185 000 schrumpfen soll. Der neue Freiwillige Wehrdienst soll zwischen 12 und 23 Monate dauern. Viel mehr ist aber noch nicht bekannt: Der Wehrsold steht ebenso wenig fest wie Regelungen zur Rückkehr ins zivile Berufsleben. Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) kündigte an, weitere grundlegende Entscheidungen über die Reform der Bundeswehr bis Juni treffen zu wollen.

Die Lücke bei der Bundeswehr wird kaum zu schließen sein: Bereits jetzt haben sich viel weniger Freiwillige gemeldet als erhofft. So standen bundesweit dem für April gemeldeten Personalbedarf von 3077 freiwillig länger Dienenden 306 Interessenten gegenüber.

Zum Diensteintrittstermin im März dieses Jahres haben die Kreiswehrersatzämter in Baden-Württemberg 116 junge Männer einberufen. Zur Verfügung standen 905 Stellen. jub




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