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Verteidigungsministerium will die "Verteidigunspolitischen Richtlinien" von 1992 neu fassen

"Endgültiger Abschied von der Landesverteidigung", kritisiert die Friedensbewegung

Am 21. Februar kündigte Verteidigungsminister Peter Struck in einer Pressekonferenz an, sein Ministerium wolle die "Verteidigungspolitischen Richtlinien" aus dem Jahr 1992 überarbeiten. Hierzu stellt er elf Kriterien auf. Im Folgenden dokumentieren wir eine kritische Stellungnahme des Bundesausschusses Friedensratschlag zu diesem Plan. Weiter unten befindet sich noch eine Presseerklärung der DFG-VK zum selben Thema.


Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag
  • Friedensbewegung: Verteidigungspolitische Richtlinien (VPR) überarbeiten: Ja!
  • Strucks Vorschläge einer Neufassung der VPR gehen aber in die falsche Richtung
  • Endgültiger Abschied von der Landes- und Bündnisverteidigung
  • Rüstungspolitische Entscheidungen stärken strukturelle Angriffsfähigkeit"
  • Entgrenzung des Verteidigungsbegriffs ist verfassungswidrig
Die Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, Lühr Henken (Hamburg) und Peter Strutynski, erklären zur Ankündigung Verteidigungsministers Strucks, die zehn Jahre alten Verteidigungspolitischen Richtlinien neu zu fassen:

Der Bundesausschuss Friedensratschlag begrüßt die Ankündigung von Verteidigungsminister Peter Struck, die "Verteidigungspolitischen Richtlinien" (VPR) aus dem Jahr 1992 zu überarbeiten. Seit langem fordert die Friedensbewegung, diese Richtlinien ganz aus dem Verkehr zu ziehen, weil sie ein Dokument der beginnenden Umorientierung der Bundeswehr auf weltweite Militäreinsätze darstellten. Die VPR aus dem Hause Rühe hatten die "Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt" als vitale deutsche Sicherheitsinteressen definiert. Damals begann das Verteidigungsministerium mit dem Aufbau der sogenannten Krisenreaktionskräfte (Ziel: 52.000 Soldaten), die Rot-Grün mit ihrem Beschluss vom Juni 2000 sogar auf 150.000 Soldaten verdreifachen will.

Die Art und Weise allerdings, wie Peter Struck die VPR neu fassen will, geht in eine völlig falsche Richtung. Der Weg der Bundeswehr zur weltweit einsetzbaren Interventionsarmee soll nicht etwa rückgängig gemacht werden, sondern noch klarere Konturen erhalten und rüstungspolitisch abgesichert werden.

Die von Struck am 21. Februar 2003 vorgelegten "11 Kriterien" für neue VPR haben vor allem ein Ziel: Der von der CDU-FDP-Regierung eingeleitete Kurs der Herausbildung einer weltweit einsetzbaren Interventionstruppe wird zum Wesensmerkmal der Bundeswehr. Sie stellt den endgültigen Abschied von einer Verteidigungsarmee dar, wie sie im Grundgesetz vorgeschrieben ist (Art. 87 a).

Organisationspolitisch hatte die rot-grüne Bundesregierung die Weichen zur Erringung einer "strukturellen Angriffsfähigkeit" längst gestellt: Die Bildung der "Division luftbewegliche Operationen" und der "Division Spezielle Operationen" soll die schnelle globale Einsatzfähigkeit ermöglichen. Die dafür benötigten Ausrüstungen wurden in Auftrag gegeben: 80 High-Tech-Kampfhubschrauber Tiger, 600 Marschflugkörper für Tornados und Eurofighter der Luftwaffe, drei neue Fregatten, fünf neue Korvetten (vor allem für den Beschuss von See an Land), vier supermoderne U-Boote, 60 strategische Lufttransportmaschinen Airbus, ein nationales weltweit nutzbares Radaraufklärungssatellitensystem, um nur die "innovativsten" zu nennen. Die beschleunigte Beschaffung von Abstands- und Präzisionswaffen, weltweiter Transport-, Führungs- und Kommunikationssysteme trägt den Charakter einer aggressiven Militärpolitik. Finanzmittel, die durch Stilllegungen schwerer Kriegswaffen frei werden, sollen nicht etwa für andere Ressorts, z.B. für Gesundheit, Bildung und Kultur verwendet, sondern für die weltweite Kriegsführungsfähigkeit der Bundeswehr eingesetzt werden. Rund 140 Mrd. Euro wird der Rüstungsmoloch allein für neue Waffen und Ausrüstungen in den kommenden zwei Jahrzehnten verschlingen.

Den heikelsten Punkt der neuen VPR verschwieg Struck der Öffentlichkeit. Wie stellt sich die Regierung zu den Plänen der US-Regierung, "Präventivkriege" - per se völkerrechtswidrig - zu führen, denen keine unmittelbare und gegenwärtige Bedrohung vorausgeht? Diskussionen im Vorfeld sowie die indirekte Unterstützung der sog. Bush-Doktrin des "Präventivschlages" in der Erklärung des NATO-Gipfels in Prag im November 2002 lassen befürchten, dass das "Revolutionäre" der neuen Richtlinien exakt in diesem völkerrechtswidrigen Punkt liegt.

Im Dezember letzten Jahres war Verteidigungsminister mit seinem umstrittenen Satz, dass die Verteidigung Deutschlands auch am Hindukusch stattfände, in die Kritik geraten. Dessen ungeachtet wiederholt er nun diesen Satz trotzig: "Der damals nicht unumstrittene Satz gilt: Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt." Die Friedensbewegung sieht in dieser völligen Entgrenzung des Verteidigungsbegriffs sowohl einen Angriff auf das Völkerrecht als auch eine Verletzung des Grundgesetzes. Man stelle sich nur einmal vor, der Verteidigungsminister Chinas stellt eine neue Militärdoktrin auf, wonach sein Land auch "am Rhein" zu verteidigen sei.

Die "11 Kriterien" zur Neufassung der VPR passen nach Auffassung der Friedensbewegung nicht in die politische Landschaft. Wie will die Bundesregierung glaubhaft Widerstand gegen den drohenden Irak-Krieg leisten, wenn sie gleichzeitig die Bundeswehr für ähnliche Interventionen fit macht? Die Friedensbewegung wird sich dem Umbau der Bundeswehr zu einer Interventionsarmee widersetzen. Über die Neufassung der VPR muss eine breite öffentliche Debatte stattfinden, die auch ihre Verfassungswidrigkeit thematisiert. Wer den Aufgabenschwerpunkt der Bundeswehr von der Verteidigung auf den "Einsatz jenseits unserer Grenzen" verlegen will, müsste dazu erst das Grundgesetz ändern.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Lühr Henken und Peter Strutynski (Sprecher)
Hamburg und Kassel, 25. Februar 2003



DFG-VK PRESSEMITTEILUNG vom 24.02.2003

Keine Feinde, aber trotzdem Krieg führen?
Jetzt Schritte zur Abrüstung statt weiterer Kriegseinsätze!


„Wir geben dem Verteidigungsminister in einem Punkt Recht: Deutsches Territorium ist nicht bedroht“, so Erwin Eisenhardt, Bundessprecher der DFG-VK. „Die übrigen Ausführungen von Peter Struck zur Reform der Bundeswehr laufen aber auf eine verschärfte Militarisierung der deutschen Außenpolitik hinaus“.

Wenn selbst nach Einschätzung des Verteidigungsministers die Verteidigungsaufgaben der Bundeswehr obsolet sind, hätte die Bundesregierung allen Anlass, eine grundlegende Wende der Außen- und Sicherheitspolitik einzuleiten. „Die Bundeswehr hat keine Gegner – außer sie sucht sich welche. Genau das ist leider der Inhalt der Bundeswehrreform“, so Eisenhardt. Die DFG-VK fordert, nun die Gelegenheit zu ergreifen, die Bundeswehr nach und nach abzubauen, anstatt sie auf Einätze in allen möglichen Weltgegenden vorzubereiten.

Mit dem Friedenswillen der Bundesregierung scheine es nicht so weit her zu sein, wenn die Überarbeitung der Verteidigungspolitischen Richtlinien den Umbau der Bundeswehr zur Interventionsarmee noch beschleunigen sollen, so der DFG-VK-Bundessprecher. „So falsch ein Angriff der USA auf den Irak ist, so falsch ist auch jeder Krieg, der von deutschem Boden ausgeht.“

Wenn sich der Verteidigungsminister um die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik sorgt, gäbe es andere Möglichkeiten, als die Bundeswehr in die Welt zu schicken. Die Unterstützung von Entwicklungsländern durch Maßnahmen wie faire wirtschaftliche Beziehungen, Entschuldungen oder Entsendung von Entwicklungshelfern würde den Menschen in diesen Ländern mehr bringen als die Entsendung von Soldaten, um der deutschen Wirtschaft den gewaltsamen Zugriff auf Ressourcen und Handelswege zu verschaffen – wie es in den Verteidigungspolitischen Richtlinien beschrieben ist.

Wenn der Verteidigungsminister Geld sparen will – was er auch soll! - bräuchte er angesichts der Überflüssigkeit der Bundeswehr nicht lange zu überlegen. Er könnte beispielsweise die langfristige Kampagne der DFG-VK „Schritte zur Abrüstung“ zur Kenntnis nehmen: Wir fordern darin den Verzicht auf Auslandseinsätze der Bundeswehr und die Kürzung der Rüstungsausgaben um mindestens 5 Prozent jährlich. Mit den freigewordenen Geldern können Maßnahmen der Zivilen Konfliktbearbeitung und der Friedensforschung finanziert werden. Wer den Verteidigungshaushalt bei 24,4 Milliarden Euro einfrieren will, verweigert sich einer Politik, die auf Ausgleich statt Konfrontation setzt.

Mit ihrer Orientierung auf „Schritte zur Abrüstung“ als langfristiges Projekt wird sich die DFG-VK auch weiterhin in die Demonstrationen der Friedensbewegung einbringen, so Eisenhardt. Denn: „Krieg löst keine Konflikte, sondern schafft neue.“

Frank Brendle, Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit



Bundeswehrreform: Schwerpunkt multinationale Einsätze
Struck will die Verteidigungspolitischen Richtlinien neu fassen - Schwerpunkt "außerhalb der Grenzen" (24. Februar 2003)


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