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"Opportunismus, Feigheit, Skrupellosigkeit"

Jürgen Rose, Oberstleutnant und Publizist, München, kritisiert die "reaktionäre Gesinnung des Lodenmantel-Geschwaders" der Bundeswehr. Nicht nur eine interne Auseinandersetzung

Am 10. Mai erhielten wir von Jürgen Rose, den Lesern unserer Website kein Unbekannter, folgende Zeilen:
Am 2. Mai 2006 ist in der Tageszeitung "Die Welt" (Leib- und Magenblatt des "Lodenmantelgeschwaders") beigefügter Artikel des ehemaligen Chefs des Führungsstabes der Streitkräfte und Stellvertreters des Generalinspekteurs der Bundeswehr, Generalleutnant a. D. Siegfried F. Storbeck, erschienen. In seinem unsäglichen Stück attackiert er die "jüngeren Stabsoffiziere und Militärhistoriker" - diese hatten angeblich in der Traditionsdebatte "Mangel an Stil" bewiesen. Ich selbst bin als derjenige gemeint, der ebenfalls seinen bescheidenen Beitrag zur uberfälligen "Entnamung" des JG 74 "Molders" geleistet hat, worüber sich Herr General echauffiert. Gemeint sind darüber hinaus meine Kameraden Oberstleutnant Dr. Mollers vom Luftwaffenamt und OTL Dr. Schmidt vom Militargeschichtlichen Forschungsamt der Bundeswehr.

Gerade vor dem Hintergund um die derzeit laufenden Vorstöße von BMVg Jung, das Grundgesetz im Hinblick auf die Auslandseinsätze sowie den Einsatz im Inneren auszuhöhlen und zu verbiegen, kommt Storbecks Pamphlet durchaus nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Storbeck, der lediglich pars pro toto fur die reaktionäre Gesinnung des Lodenmantel-Geschwaders steht, liefert nämlich die ideologische Fundierung fur die Umorientierung der Bundeswehr nach dem Muster der alten Wehrmacht - es geht schlicht darum, die Truppe verfügbar zu machen für die neuen Einsätze im Inneren und im Ausland, ganz so wie es Hitlers Wehrmacht dies ehedem "geleistet" hat.

Darüber wird jeder, der meine Replik auf Storbeck liest, sicher sofort erkennen, dass es sich dabei um eine offizielle und unverblümte "Kriegserklärung" meinerseits an die Bundeswehrführung und die Generalität handelt. Letztlich geht es mir dabei darum, die offene Rechnung, die im Hinblick auf den Irak-Krieg noch besteht, zu begleichen und die Bresche, die mein Freund Florian Pfaff mit seinem BVerwG-Urteil geschlagen hat, zum Durchbruch zu erweitern.

Gegen eine moglichst breite Weiterverteilung meines Textes habe ich nichts einzuwenden.

Die WELT hat heute (10. Mai, S. 9) übrigens eine sehr stark gekürzte und deshalb im Grunde genommen verstümmelte Fassung als Leserbrief gebracht.


"Wider den Ungeist des Traditionalismus"

Eine Replik auf Siegfried F. Storbeck: "Im Geist von Scharnhorst", in: Die Welt vom 2. Mai 2006

Das “positive Bild” der Bundeswehr im Jubiläumsjahr “wird getrübt durch ihren Umgang mit der Tradition”, lässt der längst außer Dienst gestellte General Storbeck in seiner Suada wider den Zeitgeist verlauten. Wo er Recht hat, hat er Recht, wurde doch die Bundeswehr von eben jenen militärischen Erfüllungsgehilfen installiert, die soeben noch dem GröFaZ bei dem “ungeheuerlichsten Eroberungs-, Vernichtungs- und Versklavungskrieg der jüngeren Geschichte” (Ernst Nolte) willig zur Hand gegangen waren. Nahezu ungebrochen durch die von Beginn an geradezu fanatisch bekämpfte, weil durch den Grafen Baudissin wahrlich revolutionär angelegte Neukonzeption des deutschen Militärs, floss der Geist der alten in die neue Wehrmacht. Dies stellt den unübersehbaren und zugleich irreversiblen Geburtsmakel der Bundeswehr dar – weshalb Storbecks Polemik zutreffender mit dem Rubrum: “Im traditionalistischen Ungeist” zu betiteln gewesen wäre. Dass Herr General mit solcherart Attitüde eben diejenigen “einzelnen jüngeren Stabsoffiziere und Militärhistoriker” diffamiert, die unentwegt die Fackel baudissinscher Aufklärung durch die Reihen der Fleckgetarnten tragen, kann daher nicht wirklich überraschen. Entlarvend und zugleich idealtypisch für die reaktionäre Gesinnung, mit der Traditionalisten vom Schlage Storbecks gemeinhin hausieren zu gehen pflegen, ist sein Petitum, “die geistige Haltung und das damit verbundene historisch erprobte soldatische Wertebewusstsein des Offizier- und Unteroffizierkorps nicht einem kurzatmigen Zeitgeist zu überlassen.” Fragt sich nur, wo das so pathetisch beschworene soldatische Wertebewusstsein im Jahr 2003 abgeblieben war, als die Bundesregierung der deutschen Generalität befohlen hatte, mit der Bundeswehr das angloamerikanische “Völkerrechtsverbrechen” (Reinhardt Merkel) im Irak zu unterstützen. Denn wie hatte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig in seinem Jahrhunderturteil vom 21. Juni 2006 konstatiert: “Die Beteiligung an einem völkerrechtlichen Delikt ist selbst ein völkerrechtliches Delikt.” Dass die goldbetressten Karriereoffiziere aufgrund intellektueller Insuffizienz nicht hatten erkennen können, was da vor sich ging, wird man mit Fug und Recht ausschließen dürfen. Denn immerhin hatte sich bereits ein in der Etappe befindlicher subalterner Bundeswehrmajor als fähig erwiesen, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden, wie die Leipziger Bundesrichter ihm schlagend bestätigten. Da Dummheit ergo auszuschließen ist, bleibt nur noch die zweite Alternative zur Erklärung – und die lautet: Opportunismus, Feigheit, Skrupellosigkeit. Mit einem Satz: Die militärische Führung der Bundeswehr hat auf Anordnung der Bundesregierung willfährig und vorbehaltlos schweren Völkerrechts- und zugleich Verfassungsbruch begangen, indem sie mit Tausenden von Soldaten dem Imperium Americanum Beihilfe zu einem glasklaren Aggressionskrieg leistete. Ein in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bislang präzedenzloser und zugleich völlig inakzeptabler Akt politischer Kriminalität! Der Skandal besteht indes darin, dass sich die militärischen Handlanger des Völkerrechtverbrechens nach wie vor in Amt und Würden befinden und auch kein einziger der politisch Verantwortlichen bislang zur Rechenschaft gezogen wurde. Hätte die deutsche Generalität auch nur einen Funken Ehrgefühl sowie Rechts- und Moralbewusstsein im Leibe, so hätte der Generalinspekteur im Verein mit seinen Teilstreitkraftinspekteuren sich geweigert, den völkerrechts- und verfassungswidrigen Ordres der rot-grünen Bundesregierung Folge zu leisten – ganz so wie dies, leider als einziger in der gesamten Armee, der Bundeswehrmajor Florian Paff vorbildhaft demonstriert hat. So wie die Dinge derzeit liegen, lässt sich freilich nur eines fordern, nämlich die Goldbesternten dorthin zu befördern, wo Storbeck sich bereits befindet: ab ins Lodenmantelgeschwader.

Jürgen Rose, Oberstleutnant und Publizist, München


Auszug aus dem Artikel von Siegfried F. Storbeck, 1986/87 Chef des Führungsstabes der Streitkräfte und bis 1991 Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr, Admiral Dieter Wellershoff. Der Artikel erschien am 2. Mai 2006 in der "Welt".

Eine Wertediskussion wird immer wieder angestoßen, aber nicht zu Ende geführt. Die kräftigen geistigen Impulse des aussterbenden Bildungsbürgertums fehlen. Wir stehen global und national vor großen Herausforderungen und spuren, dass es schwierig wird, von einem labilen historischen und geistigen Fundament aus überzeugend nach vorn zu handeln. Unsere Politik ist zu meinungsorientiert, es wird zu wenig nach positiven geschichtlichen Erfahrungen und eigenen Überzeugungen entschieden. Dabei müssen wir nicht, wie immer wieder befurchtet, die beschämenden Teile unsere Geschichte mit dem Holocaust verdrangen. Vor diesem Hintergrund hatten die soldatischen Wertevorstellungen der älteren Generation wenig Gewicht. Die Erklärungen zu den abwertenden Entscheidungen über vorbildliche Soldaten der Wehrmacht leiteten sich politisch, in einzelnen öffentlichen Diskussionsbeitragen ideologisch ab und sind militärgeschichtlich nicht immer nachvollziehbar. Einzelne jüngere Stabsoffiziere und Militärhistoriker bewiesen in dieser Debatte nicht nur Mangel an Stil. Dieser Disput darf nicht den Abriss zwischen den Generationen in der Armee zum Ergebnis haben. Hierfür tragen die politisch Zuständigen und die militärische Führung hohe Verantwortung. Der Umbau der Streitkräfte auf die neuen Einsatzszenarien ist ein von den Stäben lösbarer, organisatorisch-materieller politischer Auftrag. Die wichtigere und größere Aufgabe ist es, die geistige Haltung und das damit verbundene historisch erprobte soldatische Wertebewusstsein des Offizier- und Unteroffizierkorps nicht einem kurzatmigen Zeitgeist zu überlassen. Schon Scharnhorst hat danach gehandelt.




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