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SPD will fast alle Soldaten behalten

Bundeswehr soll nur um 50 000 schrumpfen, Wehrdienst freiwillig werden

Die SPD-Verteidigungsexperten haben ein Konzept für eine Bundeswehrreform vorgelegt, das einen Truppenabbau um rund 50 000 auf 200 000 Soldaten vorsieht. Der Wehrdienst soll nach dem am Mittwoch präsentierten Papier in einen Freiwilligendienst umgewandelt werden, die Führungsstrukturen gestrafft und eine ganze Reihe von Rüstungsprojekten gestrichen werden.

Die von der Bundesregierung bis 2014 angestrebten Kürzungen des Verteidigungshaushalts von 8,3 Milliarden Euro hält die Arbeitsgruppe Sicherheits- und Verteidigungspolitik der SPD-Bundestagsfraktion für viel zu hoch. »Mit den vorgesehenen Etatkürzungen kann die Bundeswehr materiell nicht einsatzfähig und einsatzbereit gehalten werden«, heißt es in dem Papier.

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hat drei Modelle für eine Bundeswehrreform entwickelt, die am Dienstag bekannt wurden. Sie sehen Zielgrößen für die Bundeswehr von 150 000, 170 000 und 205 000 Soldaten vor. SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold nannte die Vorschläge unseriös. »Es ist völlig abenteuerlich, wie Minister zu Guttenberg vorgeht.« Die Sparvorschläge würden die Bundeswehr auf eine »reine Interventionsarmee« reduzieren. Arnold sagte im Deutschlandradio Kultur, er sei gegen eine vollständige Abschaffung der Wehrpflicht. Weil sie in ihrer bisherigen Form aber einer Verkleinerung der Bundeswehr im Wege stehe, setze die SPD auf Freiwilligkeit.

Der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Ernst-Reinhard Beck, kritisierte das SPD-Konzept als Ansammlung von Allgemeinplätzen. Wenn die SPD sich für eine in der Größe kaum verminderte Bundeswehr einsetze, solle sie auch etwas zur Finanzierbarkeit sagen.

Unterdessen relativierte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittwoch die Sparpläne ihrer Regierung. Sie zeigte sich bereit, die finanziellen Vorgaben für die anstehende Reform der Streitkräfte noch einmal zu ändern. »Wegen zwei Milliarden kann ich nicht die deutsche Sicherheit aufs Spiel setzen«, sagte die CDU-Chefin. »Finanzen sind wichtig, aber Finanzen sind nicht die treibende Kraft einer Bundeswehr der Zukunft.«

* Aus: Neues Deutschland, 22. Juli 2010


Sommerlochphantasien

Verteidigungspolitiker will "freiwillige Wehrdienstleistende" mit Studienplätzen belohnen. Linke kritisiert Ausnutzen der Perspektivlosigkeit Jugendlicher

Von Carsten Albrecht **


Während der Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) über die Aussetzung der Wehrpflicht nachdenkt, will die SPD den Dienst an der Waffe attraktiver machen. Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Rainer Arnold, forderte am Mittwoch eine »freiwillige Wehrpflicht«. Er wolle den Dienst beibehalten, aber nur noch Freiwillige rekrutieren, erklärte Arnold in einem Interview in Deutschlandradio Kultur.

Um die Freiwilligkeit etwas zu befördern, sollen Wehrdienstleistende künftig mit »Punkten bei der Studienplatzvergabe« belohnt werden. Die Bundeswehr brauche »intelligenten Nachwuchs«, so Arnold. Er warnte vor Entwicklungen wie in Frankreich und Großbritannien, wo die Wehrpflicht abgeschafft wurde: »Die haben nach wie vor kluge Offiziere, haben aber ganz erhebliche Probleme bei den Mannschaften.« Der Sozialdemokrat fordert für deutsche Zeitsoldaten sogar Vorteile auf dem Arbeitsmarkt: »Und ganz zu Ende gedacht muß eigentlich jeder Personalchef bei einer Einstellung fragen: Junge Frau, junger Mann, was hast du für unser Gemeinwesen geleistet?«

Die Vorschläge des SPD-Politikers haben scharfe Kritik aus den Reihen der Linken hervorgerufen. Inge Höger, abrüstungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, wies am Mittwoch darauf hin, daß »bereits jetzt sozial Benachteiligte als Kanonenfutter dienen«. Arnold wolle die Perspektivlosigkeit vieler junger Menschen ausnutzen, um sie für die »todsicheren Jobangebote der Bundeswehr« zu ködern. Arbeitsplätze statt Kriegseinsätze, das müsse die Devise sein, so Höger. Sie bekräftigte zudem die Forderung ihrer Partei nach Abschaffung der Wehrpflicht.

»Die SPD will offensichtlich Studienplätze in eine billige Währung verwandeln«, sagte Nicole Gohlke, hochschulpolitische Sprecherin der Linksfraktion. »Die Logik lautet: Wer gedient hat, bekommt Zugang zur Uni.« Bereits im April hatte Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) die Vergabe von Medizin-Studienplätzen an die Verpflichtung koppeln wollen, als Landarzt zu arbeiten. »Solche Drohungen ziehen natürlich nur, wenn der Hochschulzugang dermaßen begrenzt ist«. Gohlke unterstrich das Recht auf Bildung, zu dem auch ein Studium gehöre. »In der SPD will man sich scheinbar mit albernen Sommerlochideen profilieren«, stellte Inge Höger fest.

** Aus: junge Welt, 22. Juli 2010


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