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Vom Schicksal eines Untersuchungsausschusses

Die jetzt beklagte Tradition der Bundeswehr haben SPD und Grüne gewollt.

Ein Kommentar von Ulli Sander

Der Chef des Kommandos Spezialkräfte, Brigadegeneral Reinhard Günzel, hat zum Entsetzen seiner Vorgesetzten das ihm auferlegte Schweigen gebrochen, das ihm besonders hinsichtlich seiner kleinen Untergrundarmee befohlen worden war. Er schrieb dem rechtsextremen CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann einen zustimmenden Brief zu dessen Thesen von den Juden als Tätervolk im Rahmen des Bolschewismus und der Oktoberrevolution. Günzel nannte Hohmanns Rede mit den entsprechenden Äußerungen eine ausgezeichnete Ansprache mit „Mut zur Wahrheit und Klarheit“, wie man sie in Deutschland „nur noch sehr selten hört und liest“. Man werde mit solchen Aussagen zwar von den Medien in die „rechtsradikale Ecke gestellt“, aber man spreche damit „der Mehrheit unseres Volkes eindeutig aus der Seele“. Hohmann solle mutig weiter Kurs halten und sich nicht durch „Anwürfe aus dem linken Lager“ beirren lassen.

Nun nach dem Hohmann/Günzel-Skandal wird wieder nach einer Untersuchung in der Bundeswehr gerufen. Es sei daran erinnert, wie die letzte Untersuchung dieser Art ausging: Kurt Rossmanith, Obmann für Sicherheits- und Verteidigungspolitik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und vehementer Verteidiger der Benennung von Kasernen nach Leuten wie Eduard Dietl, Hitlers Lieblingsgeneral, legte den Untersuchungsbericht vor und befand: Alles in Ordnung. Das war am Ende des 13. Bundestages im Sommer 1998, als der Untersuchungsausschuß zu den „rechtsextremen Vorfällen“ in der Bundeswehr seinen Bericht erörterte. Im Plenum lehnte die Unions-FDP-Koalition Anträge der Grünen und der SPD ab. Diese Anträge haben sie später, als sie an der Regierung waren, nie wieder gestellt – und sich auch nicht danach gerichtet. Weder wurde das Verhältnis Bundeswehr/Wehrmacht zweifelsfrei geklärt, noch wurde den alten Traditionsverbänden der Stuhl vors Kasernentor gestellt.

Struck sagte, es handelt sich bei Reinhard Günzel um einen einzelnen „verwirrten General, der einem noch verwirrterem CDU-Abgeordneten aufgesessen ist“. Da soll wohl von den verwirrten SPD-Ministern und Verteidigungsausschussmitgliedern abgelenkt werden, die einem solchen General freie Hand ließen. Niemand weiß, was er mit seiner KSK in den „Kampfeinsätzen“ trieb. Die Abgeordneten verzichteten gar auf Nachprüfungen. Die Fallschirmjäger, die Truppe des antisemitischen deutschen Generals, sie drucken in Werbebroschüren das alte Nazi-Liedgut wie „Rot scheint die Sonne“, das Göring so gern hörte, sie feiern die Siege von Monte Cassino und Kreta. Schon lange vor der KSK-Gründung übten sie den „Einsatz hinter feindlichen Linien“. Nun musste der General aus der vorderen Linie abgezogen werden. Es hätte viele Gründe gegeben, ihn dort nie zu platzieren.

Das war am Ende des 13. Bundestages im Sommer 1998, als der Untersuchungsausschuß zu den rechtsextremen Vorfällen in der Bundeswehr seinen Bericht erörterte: Im Plenum lehnte die Unions-FDP-Koalition einen Antrag der Bündnisgrünen zu diesem Bericht ab. Leider haben sich die Grünen nicht mehr daran gemacht, diesen Antrag neu einzubringen. Der bisherigen Bundesregierung wurde darin vorgeworfen, sie habe „es bewußt unterlassen, das Verhältnis von Bundeswehr und Wehrmacht zweifelsfrei und verbindlich zu regeln.“

Klipp und klar sollte es nach Meinung der Grünen von 1998 in einem Beschluß des Bundestages heißen: „Die Wehrmacht als eine der tragenden Säulen des NS-Regimes kann keine Tradition der Bundeswehr begründen.“ Dies wurde nicht verwirklicht. Weiter verurteilten die Bündnisgrünen „die Tendenz, die Umsetzung des Leitbildes vom ,Staatsbürger in Uniform' zugunsten einer Ausbildung von entschlossenen universellen Kämpfern zu opfern.“ Jetzt setzen die Grünen diesen Kämpfer universell ein.

„Der Deutsche Bundestag sollte die Bundesregierung – nach Wunsch der Grünen – auffordern, das „Leitbild des Staatsbürgers in Uniform durch eine Intensivierung der politischen Bildung, eine Verbesserung der Rechtsausbildung und eine gelebte Innere Führung in die Realität umzusetzen.“ Doch die politische Bildung geht immer mehr zu Lasten der Einübung des Kämpfers.

Weiter sollte der Bundestag beschließen, er sehe „in der Namensgebung von Kasernen und Schiffen einen wichtigen Beitrag für eine glaubwürdige demokratische Traditionspflege. Er fordert die Bundesregierung auf, die gegenwärtigen Kasernen- und Schiffsnamen auf ihre zeitgemäße demokratische Leitbildfunktion hin zu überprüfen.“ Nichts dergleichen geschah. Bis auf eine Umbenennung blieb es bei den alten Namen der Kasernen, blieb es bei den antisemitischen und faschistischen Vorbildern wie Fritsch und Mackensen. Am Angriffs- und Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion waren folgende Kasernen-Patrone der Bundeswehr beteiligt: Hüttner (Hof), Lilienthal (Delmenhorst), Konrad (Bad Reichenhall), Röttiger (Hamburg), Fahnert (Karlsruhe), Schultz (Munster), von Seidel (Trier), Mölders (Visselhövede und Braunschweig), Schreiber (Immendingen), Medem (Holzminden) und Heusinger (Hammelburg).

Der Deutsche Bundestag sollte 1998 weiter die Bundesregierung auffordern, „bestehende Patenschaften zwischen Bundeswehr und ehemaligen Verbänden der Wehrmacht offenzulegen und aufzulösen“. Nichts dergleichen geschah. Während das Darmstädter Signal, eine kritische Soldaten- und Offiziersgruppe, bestehend vorwiegend aus Reservisten, faktisch Hausverbot bei der Bundeswehr hat, genießen die Traditionsverbände alle Freiheiten. Als die VVN-BdA zu Pfingsten in Mittenwald Gäste aus den Orten in Griechenland eingeladen hatte, die von der Gebirgstruppe der Wehrmacht grausam heimgesucht wurden, da bot sie der Bundeswehr an, diese Gäste in die Kasernen der heutigen Gebirgstruppe zu entsenden. Die Divisionsleitung in Sigmaringen lehnte ab, das Ministerium schwieg. Die zuständige 10. Panzerdivision betreute zu Pfingsten das Treffen des berüchtigten völkisch-nationalistischen Kameradenkreises der Gebirgstruppe, in dem sich zahlreiche mutmaßliche Täter gegenseitig ihre Unschuld beeiden.

„Der Deutsche Bundestag“, so sollte nach Meinung der Grünen 1998 weiter beschlossen werden, „fordert die Bundesregierung auf, dafür zu sorgen, daß alle Traditionsräume den Anforderungen der Traditionsrichtlinien aus dem Jahr 1982 entsprechen und bei Nichtbeachtung die zuständigen Kommandeure zur Verantwortung gezogen werden." Ein Bericht, was daraus wurde, liegt nicht vor. Es liegen jedoch stolze Berichte in Blättern der Traditionsverbände vor, in denen geschildert wurde, wie während der Untersuchungen des Bundestages in Kasernen die äußerlich sichtbaren Merkmale der Traditionsarbeit korrigiert wurden, um hinterher wieder in den alten Zustand versetzt zu werden.

Was geschah also nachdem die Grünen in der Regierung saßen? Nichts. Ihr Antrag wurde nie wieder hervorgeholt. Und an der Traditionsarbeit der Truppe änderte sich nichts.

Die gesamte gesamtdeutsche Militärkonzeption, maßgeblich von den Militärs in den Jahren von 1990 bis 1998 erarbeitet, wurde beibehalten. Bereits am 3. 10. 1990 übernahm die Bundeswehr das NVA-Verteidigungsministerium, und ein stellvertretender Oberkommandierender Bundeswehr-General, Werner von Scheven, versicherte den Soldaten aus Ost und West, die Bundeswehr wolle „nicht hinter den Leistungen der Wehrmacht zurückstehen“ („loyal“ 12/1990, zitiert nach Sander „Szenen einer Nähe/Nach dem großen Rechts Um bei der Bundeswehr“, Bonn 1998). Der Geist, der aus diesen Worten sprach, wurde nicht als alarmierend empfunden und ernst genommen.

* Ulli Sander, Dortmund, ist einer der Sprecher der VVN-BdA Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der AntifaschistInnen

Siehe auch:
Friedensbewegung begrüßt die Entlassung des Generals Günzel ...
... und fordert die Auflösung des Kommandos Spezialkräfte (KSK). Presseerklärungen des Bundesausschusses Friedensratschlag und des Darmstädter Signals (5. November 2003)


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