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Zum Traditionsverständnis und zur Rechtsentwicklung der Bundeswehr

Von Ulrich Sander*

* Ulrich Sander ist einer der Sprecher der VVN-BdA - Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der AntifaschistInnen.
Der Beitrag beruht auf einem Vortrag vom 6. Friedenspolitischen Ratschlag (Dezember 1999) in Kassel. Er ist dokumentiert in dem im August 2000 erschienenen Band "Nach dem Jahrhundert der Kriege. Alternativen der Friedensbewegung", hrsgg. von Ralph-M. Luedtke und Peter Strutynski, Verlag Jenior: Kassel 2000).

Die Gelöbnis-Provokationen der Bundeswehr in Berlin und vielen anderen Städten, der Streit um die Wehrmachtsausstellung - auch und gerade in der Bundeswehr - sowie die auftrumpfenden Äußerungen höchster deutscher Militärs auf dem Balkan und nach dem ersten "deutschen Waffengang" nach 1945 haben die Frage nach dem inneren Zustand, nach "Innerer Führung" und nach der Stellung der Rechtskräfte zum Militär und im Militär in besonderer Weise aktualisiert und dramatisiert.

Anfang September dieses Jahres demonstrierten 5000 uniformierte Bundeswehrsoldaten in Berlin für die Hochrüstung und die Kriegseinsätze. Diese illegale politische Pression des Bundeswehrverbandes war Höhepunkt einer Entwicklung, die besonders ihren Aufschwung nahm, nachdem die Generale 1992 den Politikern ihre Verteidigungspolitischen Richtlinien verordnet hatten. Wir sind Zeuge einer rasanten Entwicklung vom Primat der Politik weg und hin zum Primat des Militärischen in der Politik. Mit der Berliner Kundgebung wurde gar die Militarisierung als Protest gegen Minister Hans Eichels Sparkurs drapiert - während die Gewerkschaften stillhalten.

Der Primat des Militärischen in der Politik hat in diesem Lande eine lange Tradition. Der Generalstab als Nebenregierung, zeitweilig als eigentliche Regierung, gehörte ebenfalls dazu. Seit Jahren und besonders seit dem 24. März 1999 haben wir wieder einen bedrohlichen, einen friedensbedrohenden Faktor in Gestalt eines neuen illegalen Generalstabes. Eine solche Einrichtung wurde den Deutschen 1945 im Potsdamer Abkommen untersagt. Im Sommer dieses Jahres gab es nun Stimmen, den Generalstab auch offiziell wieder herzustellen. Scharping sagte am 8. September 1999 vor der Hamburger Führungsakademie, man brauche eine neue Bundeswehr mit einer neuen Führungsstruktur und schilderte ein Gremium, das er schaffen wollte und das einem Generalstab ähnelt, ohne daß man ihn so nennt.

Bezeichnenderweise fand die erste große Beratung von Offizieren nach Ende der Bombardements gegen Jugoslawien zum Thema "Braucht die Bundeswehr Tradition?" statt. Folgendes lasen die erstaunten und wohl auch erfreuten Offiziere, als sie im Juni zu dieser Konferenz über Traditionsfragen der Bundeswehr das Foyer des Bonner Konferenzorts betraten und eine Zeitung überreicht bekamen:
"Zum ersten Mal seit Mai 1945 haben deutsche Soldaten im Ausland im Bodenkampf einen Menschen getötet; 'Bandenbekämpfung' hieß im damaligen Heeresbericht, was heute, obgleich Notwehr, Beklommenheit hervorruft." Und weiter in dem Leitartikel der "Welt" unter der Überschrift "Die Bundeswehr als Befreier": "Zivilisten feiern Deutsche im Stahlhelm: So bejubelt wie die Bundeswehr auf dem Weg nach Prizren wurde zuletzt die Wehrmacht auf dem Weg nach Pilsen." (Die Welt, 15.6.99)

Der Kulturstaatsminister Michael Naumann hatte sich die hier versammelte Generalität zum Feind gemacht. Vom "falsch verstandenen Primat der Politik" angetrieben, fährt sein "Rasenmäher des ideologisch geprägten neuen Kulturbegriffs" zwecks "Geschichtsbereinigung" über die Traditionslandschaft der Truppe. In solchen Bildern erging sich der stellvertretende Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Edgar Trost, um vor allem die Kasernennamen "Erwin Rommel" der Menschheit, insbesondere ihrem deutschen Teil, zu erhalten, die nach der Ankündigung Naumanns, die sogenannten "Nazikasernen" umzubenennen, aufs schärfste bedroht erscheinen. In der Zeitschrift "Die Gebirgstruppe" verteidigt Trost die Namensgebung der Bundeswehr, und ohne die neuen Veröffentlichungen über Mordbefehle Rommels in Italien auch nur zu erwähnen, wird der "herausragende Soldat" Rommel für seinen "Dienst am Vaterland" als traditionswürdig geschildert. Doch nicht nur er. Laut Trost "will die Bundeswehr bewusst anknüpfen an die vielen Beispiele menschlicher Bewährung in allen (!) Epochen unserer Geschichte, an beispielhafte soldatische Haltung und vorbildliche militärische Leistungen, an ehrenhaftes Handeln und tapferes Kämpfen, an großartige Vorgesetzte und treue Untergebene, Kameradschaft und Opfertod" - und dies alles in "Unterscheidung zwischen der Wehrmacht als Ganzem und der kritischen Würdigung der Gesamtpersönlichkeit und des Gesamtverhaltens des einzelnen Soldaten."

Auch das leidige Thema Kasernennamen wurde auf der genannten Tagung des Bundeswehrverbandes und der Molinari-Stiftung in Bonn "Braucht die Bundeswehr Tradition?" erörtert. Die Benennung der Kasernen liegt juristisch bei den Soldaten, klärte dort Vizeadmiral Hans Frank, stellvertretender Generalinspekteur, die versammelten Generale und Obersten sowie Spitzenbeamten auf. Eingaben anderer seien fruchtlos. Gemeinden würden zwar auch gefragt werden, aber der einfache Soldat - und nicht Herr Naumann - seien hier gefragt. Das sei auch die Meinung des Ministers. Doch bisher hat noch kein Soldat einen Vorschlag gemacht, wie denn nun die rund 30 Namen von Kasernen, die im kalten Krieg nach Wehrmachtsgrößen benannt wurden, und die ebenfalls gut drei Dutzend nach Hitlers Vorschlägen mit preußischen Killernamen versehenen Liegenschaften umzubenennen sind.
Dazu Gen. a.D. Winfried Vogel auf der Traditionstagung: " So geht das nicht: Es bedarf der Erziehung. Sonst fragt kein Soldat nach dem Kasernennamen. Die Oberste Führung ist und bleibt gefragt." Doch die spielt Basisdemokratie, wissend, dass nichts passiert.

Die erste große Konferenz, auf der sich nach Beginn des neuen deutschen Feldzuges gegen Serbien hohe und höchste Offiziere austauschten, war überraschender Weise dem Geist der Truppe gewidmet. Die Redner in Uniform beteten vor allem den Dreisatz runter: Erstens ist die Wehrmacht nicht traditionswürdig, aber ihre tapferen und ehrenvollen Soldaten sind es durchaus und vor allem die Männer des 20. Juli; zweitens ist in die Traditionsarbeit vor allem die Bundeswehr an sich aufzunehmen und sind nun auch Gründungsphase sowie aktueller "Friedenseinsatz" - das heißt: der Aggressionskrieg gegen Jugoslawien - etwas stärker als traditionsbildend zu betonen, und drittens sollen auch frühere - das heißt preußische - Armeen mehr in den Blick genommen werden.

Man blieb schön unkonkret. Was heißt es, die Gründer der Bundeswehr zu ehren, wenn dazu solche Leute wie der Kriegsverbrecher Adolf Heusinger gehörte, den de Gaulle nicht mehr in Frankreich beim NATO-Stab dulden wollte? Das fragte niemand. Pikanterweise gehört auch Karl Theodor Molinari, Namensgeber für die gleichnamige Stiftung, die das Traditions-Forum ausgerichtet hatte, zu den Gründern. Er war nicht nur Ritterkreuzträger - den Orden erhielt er für seine Tapferkeit, so Oberst Bernhard Goertz von der Stiftungsleitung -, sondern auch Korps-Chef der Bundeswehr in Mainz. Was der Oberst vergaß: Molinari musste einst aus dem Verkehr gezogen werden, weil er in Belgien und Frankreich wegen Kriegsverbrechen gesucht wurde.

Die heutige Bundeswehr wurde auf der Tagung als Hort der Verfassungsmäßigkeit bezeichnet. Nicht ein einziger Offizier thematisierte die Artikel 25/26 des Grundgesetzes für die Verbindlichkeit des Völkerrechts und für das Verbot von Angriffskriegen, denen mit dem Datum vom 24. März der Todesstoß versetzt wurde. Das grausige Treiben der Bundeswehr von heute wurde dann auch vom ehemaligen Generalinspekteur Wolfgang Altendorf feinsinnig mit dem Hinwenden "von der Friedenssicherung zur Friedensgestaltung" umschrieben. Früher, so kann man daraus schließen, sagte man Kriegsführung dazu, heute heißt es "Frieden schaffen". Viel Beifall von der Ritterkreuzträger-Generation hörte man auf der Tagung nach der Ankündigung von CDU/CSU- und FDP-Rednern, neue Initiativen für den Ehrenschutz für Soldaten und gegen ein bestimmtes Tucholsky-Zitat ergreifen zu wollen. Der Krieg gegen Jugoslawien macht wieder jeden militaristischen Unsinn denkbar. Allerdings wurde der Unsinn zunächst noch einmal vom Bundestag gestoppt. Die CDU/FDP-Initiative gegen Tucholsky wurde abgelehnt.

Vertreter der Wehrmachtsgeneration verteidigten während der Tagung die Hitlerarmee. Sie sagten: Die Wehrmacht habe doch auch das Abendland verteidigt! Sie habe doch die 26 Gebote von 1944 gehabt, in denen der Glaube an Gott (von dieser gottlosen Wehrmachtsführung) postuliert wurde. Sie habe doch nur gegen böse Partisanen gekämpft. Und den europäischen Soldaten typisiert. "Ein Volk wird daran gemessen, wie es mit Soldaten des verlorenen Krieges umgeht," sagte Oberstleutnant a.D. Johannes ("nicht der Bruder Johannes") Oeser, der es fertig brachte, weil im Weltkrieg 1 geboren, sich als Teilnehmer an zwei Weltkriegen und an der Bundeswehr auszugeben.

Der ehemalige Generalinspekteur Wolfgang Altenburg ging schonend mit den Nazis um. Er warf den Nazis allen ernstes vor, das militärische Zeremoniell für Reichsparteitage missbraucht zu haben. Wenn es nur das gewesen wäre. Und nun also die Neuauflage des "Soldaten-sind-Mörder"-Streits. Altenburg: Der Staat darf das nicht hinnehmen, denn noch schwerer für den Soldaten als getötet zu werden, ist zu töten. Besonders die Reservistenverbandsvertreter fochten vehement für das Gesetz zum Ehrenschutz: "Unser Beruf ist nicht wie andere Berufe auch. Wir setzen das Leben ein für politische (!) Ziele."

Vizeadmiral Hans Frank hatte immer wieder elitäre Anfälle: Die Armee muss an der Spitze des Fortschritts marschieren, habe Scharnhorst gesagt. Und deshalb richte sich die Führungsakademie (!) danach. Das ist die mit dem Herrn Obernazi Roeder als Referent. Bei Fahnen, Orden, Liedern hätte man manches anders machen können, doch "es wärmt das Herz, unter einem Wimpel oder Fahne zu fahren, unter der schon Rommel und Graf Spee fuhren," schwärmte der Mariner. Gut sei auch die Zusammenarbeit mit den Soldatenverbänden. Bei den Ritterkreuzträgern habe man nur Ärger mit ihrem Verein, dem "Ordenskreis", nicht mit dem einzelnen Kameraden, der tapfer gekämpft - usw. usw. siehe oben - hat.

Einer sagte es eiskalt und offen: Es wird neue Formen der Traditionsarbeit geben: Denn die Zeit sei endgültig vorbei, in der ein Soldaten als Rekrut zur Bundeswehr kam und als General ging, ohne je im Krieg einen Schuss abgegeben zu haben oder es befohlen zu haben. Oberst Friedhelm Klein von Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Potsdam sagte, wofür künftig die Schüsse abgegeben werden: Für "das Recht" und die FDGO und die Marktwirtschaft - über die übrigens nichts im Grundgesetz steht. Schlimme Ausrutscher - ganz in der Tradition der Traditionsarbeit - gab es in den Referaten von Oberst Klein und Admiral Frank hinsichtlich der faschistischen Vergangenheit: Es gab vor 1945 "Verwerfungen" (Klein) und die Wehrmacht sei eine "Episode" gewesen (Frank).

Sachlich - nicht so aufgeregt wie sonst in der Öffentlichkeit - gingen die Generale und Obersten auf ihrer internen Beratung mit der Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht" um. Als der Historiker Dr. Klaus Naumann, einer der Mitgestalter der Ausstellung, zu seinem Vortrag das Wort nahm, hörte man artig zu. Leider wurde ein wichtiger Hinweis Naumanns nicht diskutiert, den er in die Frage kleidete, ob die Bundeswehr nicht zwischen guten und schlechten Traditionen unterscheiden sollte, um die guten Traditionen zu bewahren und die schlechten ständig abschreckend vor Augen zu behalten. Naumann forderte schließlich die Fallschirmjäger und Gebirgsjäger auf, auch die Verbrechen der Wehrmacht, vor allem der Fallschirmjäger und Gebirgsjäger in Kreta, Griechenland, im Kaukasus den Bundeswehrsoldaten zu schildern. Die Soldaten der Bundeswehr auf dem Balkan wüssten nichts über die Sühnemaßnahmen, den Partisanenkampf, Bandenkampf der Wehrmacht in Jugoslawien - das sei damals schließlich Kampf für die "Entjudung" gewesen. Befassung mit der eigenen Bataillonsgeschichte von Wehrmacht und Bundeswehr - warum eigentlich nicht, fragte er. Dann müsse man aber auch die Verbrechen schildern. Wer den Eid auf Hitler ablegte, hatte mit Preußentum nichts mehr zu tun, meinte er. Doch leider blieb dieser Klaus Naumann, der auch die völkerrechtliche Zulässigkeit des Krieges gegen Jugoslawien thematisierte, ungehört. Man hört dort auf einen anderen dieses Namens.

Rechtsentwicklung in der Truppe

Ich beschränke mich hierzu weitestgehend auf die Bundeswehr. Auch ihr widmen die Neonazis ihre Demonstrationen, in dem sie sich hinter den "deutschen Soldaten" stellen, dessen Andenken vor der Wehrmachtsausstellung geschützt werden muss. "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" rufen die Neonazis bei solchen Zusammenrottungen. Und die Justiz weigert sich, gegen solche Nazipropaganda vorzugehen.

Der Balkan-Krieg und seine Vorbereitung haben in der Bundeswehr ihre rechtsextremen Spuren hinterlassen. Die rechtsextremen Exzesse fanden besonders in Truppenteilen statt, die auf den Einsatz auf dem Balkan vorbereitet wurden. Eine aufschlussreiche Meldung besagte: "Nach den Enthüllungen von Gewaltvideos haben katholische Militärpfarrer die Vorbereitungen der Bundeswehr auf Auslandseinsätze als Nährboden für rechtsextreme Vorfälle bezeichnet. Der Ernstfall ändere das Bewusstsein der Soldaten und ziehe ein anderes Spektrum von Wehrpflichtigen an. ... Rechtes Gedankengut trete nicht als ‚Krankheit' beim Auslandseinsatz auf, sondern bilde sich vielmehr bei den Vorbereitungsübungen im Inland. Soldaten der Krisenreaktionskräfte, die z.B. tagelang Kampfsituationen nachstellten, sähen sich schnell als Kriegsteilnehmer wie ihre Großväter in der Wehrmacht." (Westfälische Rundschau nach Nachrichtendiensten, 11. Nov. 1997)

Zwar soll die rechtsextremistische Entwicklung in der Bundeswehr im Jahre 1999 nach Auskunft der Hardthöhe zurückgegangen sein, doch wird es sich vor allem nur um die Meldungen handeln, die weniger wurden. Während 1997 rund 200 "Vorfälle" gemeldet wurden, waren es 1998 dann rund 300, wie Minister Scharping auf seiner Jahresauftaktpressekonferenz im Januar mitteilte.

Der Krieg und der Militäreinsatz auf dem Balkan hat auch alle schlechten Militärtraditionen wieder reaktiviert. Mit dem Krieg auf dem Balkan sehen die rechtesten Militärkreise auch den Zeitpunkt gekommen, um die Distanz zwischen Wehrmacht und Bundeswehr, die die Verteidigungsminister seit 1982 per Traditionserlass verordnet haben - das NS-Regime könne heute keine Militärtradition begründen -, wieder zu beseitigen. Der "Vergangenheitsbewältigung" soll ein Ende bereitet werden, wie in der weit verbreiteten Zeitschrift "Der Deutsche Fallschirmjäger" Nr. 4/99 von Brigadegeneral a.D. Dr. Günter Roth, bis 1995 Leiter des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, gefordert wird. Es stelle sich die Frage, "ob eine Einsatzarmee noch immer unter dem Slogan 'Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen' in einem gesellschaftlich gleichsam luftleeren Raum als 'notwendiges Übel' akzeptiert wird und - ohne auf die zeitgemäße Umsetzung der militärischen Erfahrungen der Wehrmacht im Sinne kritisch auswählenden Traditionsverständnisses zurückzugreifen - ihre Kampfaufträge erfüllen kann." Ohne die Erfahrungen von Hitlers Truppe kann Scharpings Bundeswehr nicht auskommen.

Traditionen aus Hitlers und Kaisers Zeiten fortzuführen, betrifft nicht nur die Innere Führung, sondern auch die "Operative Führung", also die Kriegsführung. In den Leitlinien des Heeres für die Operative Führung wird die Kriegspraxis des Antisemiten und verurteilten Kriegsverbrechers Generalfeldmarschall von Manstein zum Vorbild genommen: "Operative Führung suchte und fand die Entscheidung im offensiven Schlagen des Gegners. Der Grundsatz, initiativ zu werden, behielt aber auch bei kräftemäßiger Unterlegenheit seine Gültigkeit. Generalfeldmarschall von Manstein steht für erfolgreiche Operationsführung nach diesem Prinzip. Er gewann viele Schlachten durch das 'Schlagen aus der Nachhand'. Die Missachtung dieser erprobten Führungsgrundsätze, z.B. durch Einschränkung der Handlungsfreiheit oder auch detaillierte Befehlsgebung über mehrere Führungsebenen hinweg, schloss am Ende des zweiten Weltkrieges eine selbständige operative Führung weitgehend aus." (Seite 6) Die Leitlinien sehen die Wehrmacht als Vorbild und folgern: Wäre Hitler nicht gewesen, hätten die Generale den Krieg gewonnen.

Traditionswürdig ist auch immer noch der Oberbefehlshaber des Heeres von 1935 bis 1938, Generaloberst Werner Freiherr von Fritsch, nach dem Kasernen der Bundeswehr in Itzehoe, Hannover, Celle, Koblenz und Pfullendorf benannt sind. Am 11. Dezember 1938 schrieb Fritsch: "Bald nach dem Krieg kam ich zur Ansicht, daß drei Schlachten siegreich zu schlagen seien, wenn Deutschland wieder mächtig werden sollte: die Schlacht gegen die Arbeiterschaft, gegen die katholische Kirche und gegen die Juden. Und der Kampf gegen die Juden ist der schwerste." Infolge einer Intrige wurde Fritsch als Oberbefehlshaber abgelöst, dennoch schrieb er bei Kriegsbeginn: "Ich habe mir eingebildet, ein guter Nationalsozialist gewesen und noch zu sein."

Im Vorwort des Buches von 1939 "Wehrmacht und Partei", herausgegeben von Reichsamtsleiter Dr. Richard Donnevert vom "Stab des Stellvertreters der Führers" Rudolf Hess, heißt es, jetzt "steht das deutsche Volk in einem harten Kampf um sein Lebensrecht gegen seine jüdischen und demokratischen Feinde." Wehrmacht und NSDAP kämpften "Schulter an Schulter". In dem Werk, das mit der Behauptung heutiger Militärhistoriker aufräumt, die Wehrmacht und die Nazis wären weltenweit auseinander gewesen, wird dem Soldaten jedes Bedenken, ob sein Tun erlaubt sei, genommen. Es wird vom "Vorrecht des Stärkeren" berichtet: "Recht bekommt, wer sich im Daseinskampf durchzusetzen versteht." Es gehe um "Forderungen an Siedlungsland, an Rohstoffquellen und Absatzmöglichkeiten" (Seite 1/2).

Ich erinnere an dieses Buch, weil in den Verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundeswehrführung von 1992 zu den wichtigsten Aufgabe der "neuen" Bundeswehr ebenfalls dies gezählt wird: "Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt im Rahmen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung." Die Kriegsziele der Bundeswehr werden heute mit fast den selben Worten geschildert, wie einst die der Wehrmacht.

Wehrmacht als Verbrechen - von Anfang an

Dem "Offizier als Erzieher im Dritten Reich" wird in dem Buch eingehämmert - und es sei hier zitiert, um zu zeigen, dass die Wehrmacht nicht zum Verbrechen wurde, sondern das Verbrechen war: "Mag die internationale Judenschaft Deutschlands Emporwachsen mit Hass und Vernichtungswünschen beobachten und neidisch den Erfolgen nationalsozialistischer Staats- und Wirtschaftsführung zusehen! Wir Deutsche wollen Frieden für uns und die kommenden Geschlechter, und wir werden ihn zu schützen und notfalls zu erkämpfen wissen (Seite 112)".

Das ist die Definition vom Frieden, der erst durch Krieg erreichbar ist. Und die ist auch heute noch - oder schon wieder - gebräuchlich: "Nach Ende der Ost-West-Konfrontation ist Europa in eine Phase eingetreten, in der sich der Frieden in geringerem Maße als früher durch Kriegsverhütung gewähren lässt." ("Information für die Truppe", Januar 1992). Denn: "Der Krieg behauptet sich nach wie vor als Instrument im Arsenal der Politik." (IfdT, Mai 1991).

Vom Offizierskorps, das noch nazistischer ist als die Nazis selber, weiß in dem Buch "Partei und Wehrmacht" kein geringerer als Admiral Wilhelm Canaris zu träumen, der heutzutage hoch geehrt wird. Der später bei Hitler in Ungnade gefallene und im April 1945 in einem KZ erhängte Abwehrchef fand in dem Werk zur Einstimmung auf den Krieg auf Seite 49 zur Erkenntnis, dass es selbstverständlich sei, "Nationalsozialist zu sein", denn "wir sind als Soldaten glücklich, uns zu einer politischen Weltanschauung bekennen zu dürfen, die zutiefst soldatisch ist." Von der Wehrmacht forderte Canaris "unbedingte politische Zuverlässigkeit". Mehr noch: "Das Offizierskorps muss im gelebten und verwirklichten Nationalsozialismus vorangehen."

1939, als "Wehrmacht und Partei" mit einer Auflage von 40.000 fast jedem Offizier zugänglich und bekannt geworden war, da hatte die Wehrmacht schon lange ihre Unschuld verloren. Sie war nicht nur verstrickt in die sich anbahnenden Massenverbrechen, sie war sogar ihr Antriebsmotor. Deshalb ist es auch sehr empörend, dass die Deserteure der Jahre 1933 bis 1939 nicht rehabilitiert wurden, als der Bundestag vor zwei Jahren endlich den Deserteuren der Wehrmacht den Makel "vorbestraft" nahm.

Ernst nehmen, was der Generalstab schreiben lässt

Das "Schrifttum" des Soldaten damals wie heute - es verdient unsere besondere Aufmerksamkeit. Wenn damals der Offizier laut Wilhelm Canaris in Nazideutschland sogar der NSDAP vorangehen sollte, so muss es uns heute alarmieren, wenn wieder davon die Rede ist, dass der Soldat einen besonderen Ehrenschutz genießen muss, dass er nicht irgendeinen Beruf ausübt, sondern mit seinem Leben für die besonderen "deutschen Interessen" (Verteidigungspolitische Richtlinien) eintritt. Im "Reader Sicherheitspolitik" als Beilage zur Februar-1999-Ausgabe von "IfdT" wird gefordert, "deutsche Interessen in der internationalen Politik" zu definieren. Denn: "Die Formulierung von jeweiligen nationalen Interessen im Kontext des internationalen Systems kann zu einer Vertiefung von Integration und Kooperation der Nationen beitragen, wenn Interessen definiert, also eine konkrete kalkulierbare Größe werden." Noch reden die Generale und Offiziere nur von "nationalen Interessen" und fordern leicht ungeduldig, dass "die Politik" sie definiert. Schon bald wird das Offizierskorps selbst für Klarheit sorgen: So wie mit den "Leitlinien für die operative Führung von Kräften des Heeres", in denen von "siegreichen Offensiven" und "aggressiven Operationen" die Rede ist. Und zu welchem Zweck?

"Deutschland ist aufgrund seiner internationalen Verflechtungen und globalen Interessen als eine hochentwickelte Industrienation einem vielfältigen Risikospektrum ausgesetzt," (Leitlinien Seite 8), das "Beiträge zur Krisenreaktion" verlangt. Die nationalen Interessen wollen global verwirklicht sein!

Alle möglichen antifaschistischen und antimilitaristischen Errungenschaften Deutschlands werden derzeit auf den Prüfstand gestellt, ob sich nicht "Sonderwege" dahinter verstecken, die man im Zuge der europäischen Einigung abschaffen könnte.

Weil angeblich die Gleichberechtigung gefährdet werde, sollen Frauen nach europäischem Recht und deutschem Ungeist demnächst an Waffen dienen, obgleich das Grundgesetz dies verbietet. Das Recht der deutschen Frauen, Krieg zu führen, ist genau so ein Unrecht wie das angebliche Recht der deutschen Männer auf Kriegsführung. Die Gleichberechtigung beim Töten, die hier gefordert wird, wirkt auf mich wie die Forderung nach Wiedereinführung der Todesstrafe bei strenger Quotierung der Henkerinnen und Henker.

Als ich im Januar dieses Jahres auf ein Kriegsführungskonzept der Rüstungswirtschaft und der Bundeswehr hinwies und über eine diesbezügliche Tagung in der Luftwaffenschule Fürstenfeldbruck von 1991 in der Zeitung "Unsere Zeit" berichtetet, da schilderte ich auch die Forderung der Offiziere und Manager: "Einführung einer allgemeinen militärischen und sozialen Dienstpflicht für alle Frauen und Männer." Und ich schrieb: "Dies ist der einzige Punkt aus dem Jahre 1991, der bisher noch nicht auf dem Wege der Verwirklichung ist. Aber es wird daran gearbeitet. Wer die Wehrpflicht erhalten will, wie es sich die neue Bundesregierung vorgenommen hat, wird vor die Frage gestellt werden, wie das ohne Aufstockung der Truppenstärke und der Dienstzeit geschehen soll." Der Forderung nach Frauen an den Waffen wird die Forderung nach Wehrpflicht der Frauen an den Waffen folgen - allein schon aus Gründen der sogenannten Wehrgerechtigkeit. Und wenn es dann mehr Soldatinnen und Soldaten geben sollte - schon heute stehen ständig rund eine Million unter Waffen oder in Reserve bereit - als aktuell gebraucht werden, dann wird der Vorschlag zur Schaffung eines Entwicklungshilfedienstes oder etwas ähnlichem kommen. Die Dienstverpflichtung aller - Männer und Frauen - wird somit zur Losung des Tages, allein schon aus Gründen der "Gerechtigkeit". So wird es heißen. Und die neue Koalition wird zustimmen.

Im Zuge der Schaffung einer Europa-Verfassung - wir werden es erleben - wird man immer wieder angebliche deutsche "Sonderwege" - antifaschistische und antimilitaristische Verfassungsaufträge nämlich - entdecken und abschaffen, anstatt sie in eine Europa-Verfassung einzubringen, um sie zur Errungenschaft aller Bürgerinnen und Bürger in Europa zu machen.

Im Rahmen von Sofortmaßnahmen gegen den Militarismus - leider werden diese Maßnahmen nicht mehr von den Bündnisgrünen und der SPD angestrebt - geht es heute vor allem um
  • das Verbot der Auslandseinsätze der Bundeswehr,
  • die Aufkündigung der "Verteidigungspolitischen Richtlinien", des Kriegsführungsprogramms der Generale,
  • die Senkung des Rüstungsetats vor allem durch Aufkündigung des Eurofighter-Beschlusses,
  • die Beseitigung aggressionsträchtiger Einrichtungen wie Krisenreaktionskräfte und Kommando Spezialkräfte.
  • die Verringerung der Streitkräfte als Schritte zu ihrer Abschaffung.
Natürlich muss die Friedensbewegung die Auseinandersetzung mit der NATO führen, aber nicht auf eine Weise, als gehe es bei ihr nur um einen tyrannischen amerikanischen Vater, von dem wir uns emanzipieren müssen. Es gibt die "neue NATO", die auch eine "deutsche NATO" ist, denn die auf das Völkerrecht und die Rechtsstaatlichkeit verpflichteten Bundesregierungen und die deutschen Militärs haben an vorderster Stelle geholfen, aus der NATO eine Einrichtung zu machen, die einer Rambo-Organisation gleicht. Die heutige NATO ist nicht nur das Werk der USA, sondern auch Deutschlands. Der Hauptfeind steht im eigenen Land!

Zurück zur Traditionsfrage: Es gibt linksoppositionelle Abgeordnete im 14. Bundestag, die schlagen vor, die Regierung mit ihren eigenen, von der Unions-FDP-Koalition abgelehnten Anträgen neu zu konfrontieren. Es ist daher anzuregen, den Antrag der Bündnisgrünen zu erneuern (März-Juni 98), in dem der bisherigen Bundesregierung vorgeworfen wird, sie habe "es bewusst unterlassen, das Verhältnis von Bundeswehr und Wehrmacht zweifelsfrei und verbindlich zu regeln." Klipp und klar sollte es nach Meinung der Grünen von 1998 heißen: "Die Wehrmacht als eine der tragenden Säulen des NS-Regimes kann keine Tradition der Bundeswehr begründen." Weiter verurteilten die Bündnisgrünen "die Tendenz, die Umsetzung des Leitbildes vom ‚Staatsbürger in Uniform' zugunsten einer Ausbildung von entschlossenen universellen Kämpfern zu opfern." Die Bundeswehr ist abzuschaffen, aber vorher sollten wir uns einmischen:
  • in die Kasernennamensfragen,
  • in die Fragen von Ausbildung, politischer Bildung der Truppe. Das Darmstädter Signal fordert: Gewerkschafter, Zivilisten in die Kasernen zum politischen Unterricht;
  • in die Fragen, wie umzugehen ist mit den Neonazis in der Truppe, wie sie zu entlarven sind. Friedensbewegte Bürger sollten die Bundeswehr nicht aus dem Blick lassen;
  • in die Propaganda-Arbeit der Truppe, die ihre Mittel missbraucht zur Indoktrination der Öffentlichkeit - siehe Ausstellung "Unser Heer" und andere;
  • in die Frage, wie dem immer stärker werdenden Problem der Einflussnahme von Soldatenverbänden zu begegnen ist.

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