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Stadt zum Krieg üben

Sachsen-Anhalt: Für 100 Millionen Euro will die Bundeswehr eine Geistersiedlung in der Altmark bauen. Soldaten sollen auf Kriegseinsätze in "urbanen Zentren" vorbereitet werden

Von Susan Bonath *

Noch existiert das nach einer früheren Waldarbeitersiedlung in der Colbitz-Letzlinger Heide (Sachsen-Anhalt) benannte »Schnöggersburg« nur auf dem Papier: Eine Stadt mit Hoch- und Einfamilienhäusern, Straßen, Plätzen, Kulturzentren, Bäumen und Hecken, einem Industriegebiet, einem U-Bahn-Tunnel und – wie in vielen Ländern Gang und Gäbe – einem Elendsviertel am Rande. Doch auf dem Areal, das später sechs Quadratkilometer umfassen soll, wird niemand wohnen. Statt dessen sollen dort Schüsse und Rauchbomben fallen, Panzer fahren, künstliches Blut fließen sowie Angriffe auf Menschen und Gebäude simuliert werden. Auf dem Truppenübungsplatz Altmark – der mit einer Fläche von rund 232 Quadratkilometern einer der größten der Bundesrepublik ist – soll in den kommenden Jahren eine komplette Übungsstadt mit mehr als 500 Häusern und Hallen sowie Infrastruktur entstehen. Sie soll einzig dem Zweck dienen, daß Soldaten, die im dortigen Gefechtsübungszentrum (GÜZ) speziell für Auslandseinsätze ausgebildet werden, den Krieg in einer Stadt planen, proben und vorbereiten. Geschätzte Kosten: etwa 100 Millionen Euro.

Bereits seit mehreren Jahren liegen die Pläne in der Schublade. Im vergangenen Herbst segneten Bundesverteidigungs- und – finanzministerium das Vorhaben ab. Voraussichtlich im Sommer dieses Jahres soll der erste Spatenstich erfolgen, wie der scheidende Leiter des GÜZ, Oberst Michael Matz, während einer Verabschiedungsveranstaltung am vergangenen Mittwoch bekanntgab. Oberstleutnant Peter Makowski sagte der Mitteldeutschen Zeitung (Donnerstagausgabe), daß bis 2016 zunächst der Bau von 180 Gebäuden sowie mehreren Straßen inklusive eines Stücks Autobahn vorgesehen sei. Dann könne bereits mit Ausbildungen begonnen werden. Im Oktober vorigen Jahres hatte Matz gegenüber der Altmärker Zeitung versichert, daß »für die Bevölkerung so gut wie keine Belastungen entstehen«, da die »Stadt« mindestens sechs bis acht Kilometer von den Anrainerdörfern rund um Heide entfernt liegen solle.

Auf dem Truppenübungsplatz, der nach Angaben der Bundeswehr zum »größten Zentrum Europas« ausgebaut werden soll, werden derzeit jährlich bis zu 25 000 Soldaten auf Kriegs­einsätze vorbereitet. Erbauer und Betreiber des Domizils ist der weltweit agierende Rüstungsproduzent Rheinmetall mit Sitz in Düsseldorf, der das Gelände an die Bundeswehr vermietet. Der Konzern erklärt auf seiner Internetseite: »Hier üben die Soldaten in Verbänden bis zur Bataillonsstärke in einer Mischung aus realem Manöver und IT-gestützter Live-Simulation die Panzerabwehr, den Häuserkampf und das Verhalten gegenüber aufgebrachten Menschenmengen.« Schon heute existieren auf dem Platz sechs kleine Siedlungen. Eine komplette Stadt gebe es laut Makowski in Deutschland bisher nicht. Da Konflikte normalerweise in urbanen Zentren entstünden, bei denen Zivilisten im Ort seien, sei zum Üben ein Ballungsraum nötig, so der Oberstleutnant. Zudem versicherte er gegenüber der MZ, daß es nicht um den Nachbau einer afghanischen Stadt gehe. Gebaut werde eine Musterstadt, »die sich überall Welt befinden könnte«.

Für Sachsen-Anhalts Linkspartei ist der geplante Nachbau einer Stadt zu Kriegsübungszwecken »katastrophal und makaber«, wie die innenpolitische Fraktionssprecherin Gudrun Tiedge Ende vergangener Woche mitteilte. »Bund, Länder und Kommunen wissen nicht, wie sie ihre Haushalte ausgleichen sollen, wichtige Projekte scheitern oft schon an kleinen Beträgen«, betonte sie. Für öffentliche Daseinsvorsorge fehle das Geld, und für Kriegszwecke würden 100 Millionen Euro »verschleudert«. Jetzt seien Landesregierung und Kriegsgegner gefordert, »alles dafür zu tun, die verheerende Entscheidung wieder rückgängig zu machen«, so Tiedge.

Das Bündnis »War starts here« befürchtet, daß »die Armee künftig vermehrt Städte als Angriffsziele wählen könnte, um soziale Unruhen zu bekämpfen«. Es ruft zu einem Camp auf, das vom 12. bis 17. September dieses Jahres in der Nähe des Dorfes Hillersleben (Landkreis Börde) stattfinden soll. Auch die dort befindlichen ehemaligen Kasernen der Sowjetarmee sowie frühere Wohnhäuser von deren Familien nutzen die Soldaten des GÜZ zum Üben. Unter dem Motto »Der Krieg beginnt hier – wir wollen ihn hier markieren, blockieren, sabotieren« solle das Camp zu einem »zentralen Ort der Bündelung antimilitaristischer Kräfte« werden, teilt das Bündnis auf seiner Homepage mit.

www.warstartsherecamp.org

* Aus: junge Welt, Montag, 14. Mai 2012


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