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Guttenbergs Bundeswehrreform: Nun wissen es alle besser

Militärs schicken Ex-Militär vor, die Union wartet auf Merkels Wort, Friedensbewegte bleibt konsequent und Frau Schröder hofft

Von René Heilig *

Am Montag (23. Aug.) hat Verteidigungsminister zu Guttenberg die von ihm präferierten Eckpunkte der Bundeswehrreform präsentiert und gesagt: »Ich freue mich auf die kommenden Wochen, denn es ist eine wichtige Debatte, die wir über Jahre hinweg letztlich noch nicht in der Intensität geführt haben, wie wir sie führen sollten.«

Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) mag es, wenn das, was er sagt, Anerkennung findet. Er ist aber auch Realist genug, um zu wissen, dass sein »Spar«-Vorschlag zur Reduzierung der Bundeswehr und zur Aussetzung der Wehrpflicht (Variante 4, siehe Kasten) nicht vorbehaltlos Lob erfährt.

Widerborstige Militärs schicken den pensionierten Generalinspekteur Harald Kujat vor. Der sagte in der ARD: »Die Bundeswehr wird seit Jahren kaputtgespart. Und dieser Prozess wird sich fortsetzen.« Dass die Bundeswehr in den kommenden Jahren über acht Milliarden Euro einspart, hält der einstige Vier-Sterne-General und NATO-Militärausschuss-Chef für »vollkommen unmöglich«. Er prognostiziert, »dass die Bundeswehr kleiner, aber nicht besser wird«. So werde sie zu immer weniger Einsätzen in der Lage sein. Das sei, so Kujat, keine gute Politik im und für das Bündnis.

Weniger Kritik kam vom Bundeswehrverband. Dessen Vorsitzender, Ulrich Kirsch, sagte im Deutschlandradio, dies sei eine »Reparatur, die glücken kann«. Doch sparen? Nein! »Das ist wie mit einem trockenen Schwamm, wenn Sie da draufdrücken, kommt halt nichts mehr raus.«

Gemoser gegen die Reformvorschläge kommt aus der Union. Doch es ist verhalten. Es hilft Guttenberg, dass sich die Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel noch nicht festlegen mag. Sie lässt freimütiges Denken zu, zeigt aber zugleich ihr Wohlwollen für die Aktivitäten ihres Ministers. Die sicherheitspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Elke Hoff, ist zufrieden, da sich ihre Partei seit Jahren für eine Aussetzung der Wehrpflicht eingesetzt hat. Wohl aber, so merkt sie – ganz FDP-Frau – an, müsse die Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber erhalten bleibe.

Die SPD zeigte sich offen für die Pläne des Verteidigungsministers; Parteichef Sigmar Gabriel begrüßt es, dass junge Menschen freiwillig zum »Bund« gehen und dort einen Wehrdienst auch von zwölf Monaten ableisten könnten. Die gegenwärtige Variante mit einem Grundwehrdienst von nur noch sechs Monaten berge die Gefahr, dass die Bundeswehr zu einer »Praktikantenarmee« verkomme.

Doch da man ja die »klaren« Oppositionskonturen der SPD erkennen soll, merkt deren parlamentarischer Wehrexperte Rainer Arnold an, dass 7500 Freiwillige im Jahr »bei weitem nicht genug sind, um ausreichend qualifizierten Nachwuchs für die Bundeswehr gewinnen zu können«. Er hält die Zahl von 20 000 für gesetzt. Die Grünen werten das formale Belassen des Wehrdienstes als eine »halbherzige Lösung«. Man bleibe beim Vorschlag, »einen flexiblen Kurzdienst für Frauen und Männer in der Dauer von 12 bis 24 Monaten« einzuführen. Dadurch wäre eine sinnvolle Struktur mit einer »Mischung aus Berufssoldaten, Soldaten auf Zeit und Reservisten« zu schaffen, sagt Fraktionschefin Renate Künast.

Dass Guttenbergs Absichten bei der Linkspartei nicht auf ein positives Echo stoßen, ist klar. Der Minister fahre einen »dilettantischen Schlingerkurs«, sagte Wehrexperte Paul Schäfer. Seine Partei ist aber wohl noch zu sehr in den Ferien begriffen, um detailliert Stellung zu beziehen. Aber sie bleibt natürlich dabei: Wehrpflicht abschaffen, Auslandseinsätze beenden.

Der Bundesausschuss Friedensratschlag ist gleichfalls kritikgeladen. Er wendet sich unter anderem gegen Befürworter der Wehrpflicht, die vehement auf das Grundgesetz pochen. Zutiefst scheinheilig sei das. Denn »dieselben Politiker verstoßen seit Jahren gegen die verfassungsrechtliche Beschränkung der Bundeswehr auf die Landesverteidigung (Art. 87a GG), indem sie deutsche Soldaten in Kampfeinsätze außerhalb des Bundes- und NATO-Bündnisgebiets schicken«.

Die Frage: Wehrdienst – ja oder nein?, treibt auch Kristina Schröder (CDU) um. Die Familienministerin ist zuständig für den Zivildienst. Fällt die Wehrpflicht, ist der Zwangs-Zivildienst nicht zu halten. Als Ersatz träumt Schröder einen freiwilligen Zivildienst. 35 000 Frauen und Männer ließen sich jährlich gewinnen. Der Dienst sollte ein Jahr dauern, der Bund könnte »etwa 500 Euro« im Monat zahlen.

Frau Schröders Beamte haben der Chefin aber wohl nicht allzu viel Hoffnung auf Erfolg gemacht, denn sie sagte auch: »Ich gebe mich nicht der Illusion hin, dass wir das, was wir heute haben, komplett ersetzen können.«

* Aus: Neues Deutschland, 25. August 2010

Weitere aktuelle Agentur-Meldungen und Pressemitteilungen

In CSU wächst Widerstand gegen Aussetzung der Wehrpflicht

In der CSU wächst der Widerstand gegen eine mögliche Aussetzung der Wehrpflicht. Die Koalition sei "gut beraten", den "bewährten Grundsatz der Wehrpflicht" aufrechtzuerhalten, sagte der bayerischen Staatskanzleichef Siegfried Schneider (CSU) der "Passauer Neuen Presse" (26. Aug.). Die von Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) jetzt vorgeschlagenen Alternativen zur Reform der Bundeswehr könnten erst dann intensiv geprüft werden, "wenn alle Modelle vollumfänglich vorliegen", sagte Schneider.

Mögliche Einspareffekte dürften nicht im Vordergrund stehen, fügte Schneider hinzu. Primär müssten die Sicherheit der Soldaten, die langfristigen Sicherheitsinteressen unseres Landes und die Verankerung der Bundeswehr in der Bevölkerung berücksichtigt werden. Die Wehrpflicht sei "ein besonderer Bestandteil unserer Bundeswehr". Die sichere den Spielraum, auf die "ungewissen Herausforderungen der Zukunft angemessen reagieren zu können und die Bundeswehr im Notfall wieder aufwachsen lassen zu können". Guttenberg hatte sich zu Wochenbeginn für ein Aussetzen der Wehrpflicht und eine Verkleinerung der Bundeswehr ausgesprochen.

Der Bundeswehrverband warf den Unionspolitikern, die Guttenbergs Pläne kritisieren, Unglaubwürdigkeit vor. "Wo waren diese Unionspolitiker, als die Wehrpflicht mit der Verkürzung auf sechs Monate kaputt gemacht wurde?", sagte Verbandschef Ulrich Kirsch der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Sowohl CSU-Chef Horst Seehofer als auch Ex-Verteidigungsminister Franz Franz Jung (CSU) hätten sich im vergangenen Herbst bei den Koalitionsverhandlungen dem Druck der FDP gebeugt und damit zur Abschaffung der Wehrpflicht beigetragen. "Wer jetzt mahnend den Finger hebt, muss auf sich selber zeigen", sagte Kirsch.

Kirsch sicherte Guttenberg eine konstruktive Mitarbeit bei der Reform der Truppe zu. "Der Verteidigungsminister hat große Hoffnungen geweckt und einen Vertrauensvorschuss bekommen. Den darf er nicht enttäuschen", betonte der Verbandsvorsitzende. Er mahnte ressortübergreifende Unterstützung vom gesamten Bundeskabinett an, speziell von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Die Reform werde nur gelingen, wenn der Bund dafür eine Anschubfinanzierung von mindestens einer Milliarde Euro bereitstellt, sagte Kirsch.


ARD: Bundeswehr-Reform bedeutet Abstriche bei Bündnisfähigkeit

Die von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) geplante Reform der Bundeswehr führt nach einem ARD-Bericht in allen diskutierten Varianten zu Abstrichen bei der Bündnisfähigkeit Deutschlands. Das ARD-Hauptstadtstudio berief sich dabei am 26. Aug. auf einen Prüfbericht des Verteidigungsministeriums. Darin würden detailliert die Folgen der fünf Reduzierungsmodelle der Armee für Einsätze und Bündnisverpflichtungen analysiert. "Die bisher gegenüber der NATO/EU eingegangenen Verpflichtungen müssen in jedem Modell reduziert werden", heiße es in dem Papier.


CDU-Politiker fordern neuen Pflichtdienst für junge Menschen

In der CDU mehren sich Forderungen nach Einführung eines neuen Pflichtdienstes für den Fall, dass die Wehrpflicht ausgesetzt wird. Saar-Ministerpräsident Peter Müller (CDU) sprach sich in der "Rheinischen Post" für einen sozialen Pflichtdienst für junge Männer und Frauen aus. In der CSU wächst der Widerstand gegen ein Aussetzen der Wehrpflicht, die auch dem Zivildienst die Grundlage entziehen würde.

Er frage sich, welche "Verantwortung des Bürgers für sein Gemeinwesen wir gesetzlich etablieren sollten", sagte Müller. Dabei sollte die Einführung eines sozialen Pflichtdienstes ernsthaft überlegt werden. "Ist es nicht legitim, zu verlangen, dass sich junge Menschen auch für das Gemeinwesen für einen begrenzten Zeitraum zur Verfügung stellen?", sagte der CDU-Politiker.

Der aus dem Amt scheidende hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) schlug die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht für junge Männer vor. "Die Gesellschaft wird ärmer, wenn junge Menschen vor jeder Art von Herausforderungen, etwas für die Gesellschaft zu tun, verschont bleiben", sagte der CDU-Politiker der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

Die SPD kritisierte die Vorstellungen Müllers. Sie verstießen gegen das Grundgesetz und seien unvereinbar mit der europäischen Menschenrechtskonvention, erklärte SPD-Fraktionsvize Gernot Erler. "Das Wirrwarr um die Bundeswehrreform nimmt immer abstrusere Formen an." Auch von den Grünen kam Kritik. Anstelle eines Zwangsdienstes für alle Jugendlichen müsse es jetzt einen Ausbau der Freiwilligendienste geben, erklärte auch der Jugendexperte der Grünen, Kai Gehring.

Mit dem in der Koalition erwogenen Aussetzen der Wehrpflicht würde auch die Einsatzgrundlage für die derzeit rund 90.000 Zivildienstleistenden pro Jahr entfallen. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) hat daher einen bundesweiten Zivildienst von etwa 35.000 Freiwilligen pro Jahr mit staatlicher Förderung vorgeschlagen. Der Dienst soll in der Regel ein Jahr dauern, mindestens aber sechs Monate. Er soll für Frauen und Männer ab 16 offenstehen.


Wehrpflicht: Dilettantischer Schlingerkurs

Pressemitteilung 24.08.2010 – Paul Schäfer

„Verteidigungsminister zu Guttenberg fährt bei der Bundeswehrreform einen dilettantischen Schlingerkurs“, kommentiert Paul Schäfer, verteidigungspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE, die Debatte um die künftige Struktur der Bundeswehr und die Zukunft der Wehrpflicht. Schäfer erklärt weiter:

„Guttenberg hat erst mit aller Gewalt eine absurde Fortschreibung der Wehrpflicht durch den Bundestag gedrückt, obwohl ihn alle auf die Schwierigkeiten des W6-Modells hingewiesen haben. Dann hat er eine Strukturkommission eingesetzt und deren Abschlussempfehlung mit einem halbgaren Plan zur Aussetzung der Wehrpflicht vorgegriffen. Schon jetzt will er sich aber bei der Zahl der freiwillig Wehrdienstleistenden wieder nach oben handeln lassen. Eine belastbare Entscheidung ist mittlerweile auf ein diffuses Datum nach diversen Parteitagen im Herbst verschoben.

Für die Zwänge Guttenbergs, der sich mit einer entscheidungsunfähigen Chefin und einer vergangenheitsverhafteten Partei plagen muss, werden die Wehrpflichtigen, die in ihrer Lebensplanung gebremst werden, kein Verständnis haben. Auch die bisherigen Zivildienst-Träger benötigen verbindliche Daten für die Umstellung ihres Personalmodells.

Die Fraktion DIE LINKE fordert die Bundeswehr auf, die Wehrpflicht unverzüglich abzuschaffen, die Bedingungen für freiwilliges Engagement im sozialen, ökologischen und zivilgesellschaftlichen Rahmen deutlich zu verbessern und für all das klare Zahlen und Daten zu nennen.“


BERNSCHNEIDER: Debatte über sozialen Pflichtdienst ist unnötig wie ein Kropf

BERLIN (26. August). Zu den Forderungen, im Falle einer Aussetzung der Wehrpflicht einen sozialen Pflichtdienst für junge Menschen einzuführen, erklärt der jugendpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Florian BERNSCHNEIDER:

Ein sozialer Pflichtdienst ist unsinnig und überflüssig. Die enorme Nachfrage junger Menschen nach Plätzen im Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) und Freiwilligen Ökologischen Jahr (FÖJ) straft alle Lügen, die behaupten, es brauche einen Pflichtdienst, damit sich junge Menschen für ihr Gemeinwesen engagieren. Es ist absurd, dass politisch immer wieder über einen allgemeinen Zwangsdienst diskutiert wird und wir zugleich den jungen Menschen, die sich freiwillig engagieren wollen, nicht genügend geförderte Plätze in den bestehenden Freiwilligendiensten anbieten.

Die Freiheit der Bürger unseres Landes ist eines der höchsten verfassungsrechtlichen Güter, welches nur in eng umgrenzten Bereichen eingeschränkt werden darf. Ein solcher Bereich ist die Wehrpflicht zum Zwecke der Landesverteidigung und als Ersatz aus Gewissensgründen der daraus resultierende Ersatzdienst. Für einen wie auch immer gearteten allgemeinen sozialen Pflichtdienst gibt es im Grundgesetz keine Grundlage und die FDP-Bundestagsfraktion steht für eine entsprechende Verfassungsänderung nicht zur Verfügung.

Ein allgemeiner Zwangsdienst ist allerdings nicht nur rechtlich nicht umsetzbar, sondern wäre auch volkswirtschaftlicher Unsinn. Die Diskussionen über einen drohenden Fachkräftemangel zeigen, wie unvernünftig es wäre, hundertausende junge Frauen und Männer in einen staatlichen Pflichtdienst zu stecken und sie damit von Ausbildung und Studium abzuhalten. Die Befürworter einer allgemeinen Dienstpflicht lassen auch regelmäßig die Frage unbeantwortet, wie und wo die nötigen rund 800.000 Plätze pro Jahr geschaffen werden sollen. So viele Plätze wären nötig, wenn alle Frauen und Männer eines Jahrgangs einem Pflichtdienst nachkommen sollten. Die Kosten eines solchen Zwangsdienstes gingen in die Milliarden.




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