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Bundeswehr – kleiner, aber knallhart

Verteidigungsminister Guttenberg legt Konzept für Profitruppe ohne Wehrpflichtige vor

Von René Heilig *

Weniger Soldaten insgesamt, aber mehr Militärs für Auslandseinsätze – Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) will die Wehrpflicht aussetzen und die Bundeswehr um ein Drittel verkleinern.

Fünf Modelle zum Umbau der Bundeswehr hatte ein Team um Generalinspekteur Volker Wieker dem Minister vorgelegt. Der entschied sich dafür, die Truppe in den nächsten Jahren von derzeit 252 000 auf 163 500 Soldaten zu reduzieren. Allerdings könne man die Obergrenze bei Beachtung der demografischen Entwicklung bis auf 180 000 Soldaten festlegen.

Ein Streitpunkt – vor allem in der Union – ist die Wehrpflicht. Sie soll zwar im Grundgesetz verankert bleiben, doch werde man vermutlich ab 2011 niemanden mehr gegen seinen Willen einziehen. Zu Guttenberg will jungen Frauen und Männern einen freiwilligen »Schnupper-Wehrdienst« zwischen 12 und 23 Monaten anbieten, um so den notwendigen Nachwuchs für das De-facto-Berufsheer zu sichern. Mit der von Guttenberg für Mitte nächsten Jahres geplanten Aussetzung der Wehrpflicht würde auch der Zivildienst wegfallen.

»Wir werden weniger Soldaten als heute haben, aber besser und effektiver«, hatte der Minister bereits am Sonntag (22. Aug.) erklärt, nachdem er Kanzlerin Angela Merkel Grundzüge seiner Reform erläutert hatte. Am Montag nun (23. Aug.) unterrichtete er Experten der schwarz-gelben Koalition. Das Verteidigungsministerium hält sich indessen mit Einzelheiten und Wertungen zurück: Ziel der Strukturreform sei es, die Bundeswehr als leistungsfähiges Instrument der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Bundesrepublik Deutschland zu erhalten. Hinter diesem lapidaren Satz verbergen sich weitreichende Auswirkungen auch auf Kommunen. Wie bereits bei vergangenen Reduzierungsmaßnahmen soll der aktuelle Einschnitt nicht durch ein bundesweites Konversionsprogramm unterstützt werden.

Es gehe »zuallererst um unsere Sicherheit«, sagte der Verteidigungsminister. Finanzielle Auswirkungen stünden dabei nicht am Anfang seiner Überlegungen. Wohl aber ist sein Ressort aufgefordert, 8,3 Milliarden Euro bis zum Jahr 2014 einzusparen. Doch der Minister selbst zweifelt, dass die bislang vorgesehenen Maßnahmen mehr als 1,5 Milliarden Euro Einsparung ermöglichen. Damit werden die Pläne der schwarz-gelben Koalition zur Haushaltskonsolidierung zusätzlich in Frage gestellt.

Strukturen aus der Zeit des Kalten Krieges – auch in Führungsebenen – werden aufgebrochen. Am kräftigsten abspecken soll das Heer, das aber den Großteil der im Ausland eingesetzten Einheiten stellt. Die bisher größte Teilstreitkraft muss vermutlich mit 54 500 Soldaten auskommen, die Heeresflieger kommen zur Luftwaffe, die Anzahl der Panzerbataillone wird auf drei, die der Artilleriebataillone auf zwei reduziert. Man leistet sich nur noch ein Fallschirmjäger-Regiment.

Völlig offen sind Rüstungskürzungen. Intern heißt es im Ministerium, die Einsparungen für 2011 lägen – im Fall eines sofortigen Ausstiegs aus allen großen haushaltswirksamen Rüstungsprojekten – »im unteren dreistelligen Millionenbereich«. Union und SPD debattieren heftig über Guttenbergs Ideen. Grüne und Linkspartei fordern die Abschaffung der Wehrpflicht. Die LINKE will zudem das Ende der Auslandseinsätze.

* Aus: Neues Deutschland, 24. August 2010


Effektiver für den Krieg

Von Rüdiger Göbel **

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) will die Wehrpflicht aussetzen und die Truppenstärke der Bundeswehr radikal verkleinern. Konkret kündigte der Freiherr am Montag (23. Aug.) vor den Wehrexperten von Union und FDP in Berlin an, daß die Armee in den kommenden Jahren von gegenwärtig 252000 auf 163500 Soldaten verschlankt werden soll. Vorgesehen sind in der »neuen Bundeswehr« 156000 Berufs- und Zeitsoldaten sowie 7500 »freiwillige Wehrpflichtige«. Das werde aber »keine Bundeswehr nach Kassenlage« sein, erklärte Guttenberg. Vielmehr seien auch die im Umfang verkleinerten Streitkräfte in der Lage, die »sicherheitspolitischen Herausforderungen Deutschlands« zu bewältigen. Tags zuvor, bei der »Bürgerpressekonferenz« am »Tag der offenen Tür« der Bundesregierung, klang das aus des Ministers Munde so: »Wir werden weniger Soldaten als heute haben, aber besser und effektiver.« So wie die Bundeswehr heute strukturiert sei, könnten maximal 7000 bis 8000 Soldaten in den Einsatz jenseits deutscher Grenzen geschickt werden. Das sei »nicht gerade ein Ausdruck großer internationaler Wettbewerbsfähigkeit«, zitierte Spiegel online den Minister in der ihm eigenen Sprache. Klar ist mithin: Die Kriegführungsfähigkeit Deutschlands soll optimiert werden.

Laut Guttenberg soll die Wehrpflicht im Grundgesetz verankert bleiben. Es sollen junge Männer aber nicht mehr gegen ihren Willen eingezogen werden. Freiwillige sollen zwischen zwölf und 23 Monaten »dienen« können – in der Hoffnung, sie schließlich als Berufssoldaten rekrutieren zu können. »Wir können durch einen attraktiveren und besser gestalteten Dienst junge Menschen dazu bewegen, auch freiwillig zur Bundeswehr zu kommen«, meinte der Minister. Und er fügte hinzu: »Es hat noch keinem jungen Menschen geschadet, einen Dienst an der Gesellschaft zu tun.«

Guttenbergs Bundeswehr entwickelt bereits einen eigenen Korpsgeist, wie der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe berichtet. Georg Klein, der am 4. September 2009 den Befehl zum sogenannten Tanklasterangriff bei Kundus in Afghanistan gegeben hatte, wird in der Truppe zunehmend als »Held« gefeiert. Der Oberst ist seit vergangener Woche, nach der Ankündigung der Bundeswehr, kein Disziplinarverfahren einleiten zu wollen, formal rehabilitiert. Die »Vernichtung« von bis zu 142 Afghanen vor knapp einem Jahr hat für ihn keine rechtlichen Konsequenzen. Die Bundesanwaltschaft hatte schon im April die Ermittlungen eingestellt. »Ich gehe davon aus, daß alle Soldaten erleichtert sind«, wird Kleins Vorgesetzter, Generalmajor Achim Lidsba, im Hamburger Magazin zitiert.

»Oberst Klein ein Diziplinarverfahren anzuhängen, das wäre für die Moral der Truppe sehr schlecht gewesen«, kommt ein namentlich nicht genannter »General aus dem Ministerium« – gemeint ist Guttenbergs Wehrressort – zu Wort. »Der hat doch genug gelitten.« Der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, Ulrich Kirsch, schließlich konstatiert: »Die militärische und die politische Führung der Bundeswehr hätten ein größeres Problem mit der Truppe bekommen, falls es ein Disziplinarverfahren gegen Klein gegeben hätte.« Die Truppe entwickle einen »trotzigen Korpsgeist, der droht, in Heldenverehrung zu kippen«, heißt es in dem Bericht zur Stimmungslage der deutschen Soldaten, die allesamt freiwillig in den Krieg nach Afghanistan gezogen sind.

** Aus: junge Welt, 24. August 2010


Guttenberg stellt Pläne zur Aussetzung der Wehrpflicht vor ***

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) will die Wehrpflicht aussetzen und die Streitkräfte um ein Drittel verkleinern. Nach der Reform werde die Bundeswehr zwar kleiner sein als heute, allerdings auch einsatzfähiger, sagte er am Montag (23. Aujg.) in Berlin.

Nach Guttenbergs Vorstellungen soll die Truppe in den nächsten Jahren von 252 000 auf bis zu 163 500 Soldaten verkleinert werden. Es soll aber einen Spielraum nach oben geben. Bis zu 180 000 Soldaten sind nach Auffassung des Ministers unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklung möglich. Allerdings würde das auch teurer werden.

Guttenberg stellte seine Pläne am Montag den Koalitionsfraktionen vor, nachdem er am Wochenende Kanzlerin Angela Merkel informiert hatte. Die CDU-Chefin will sich zwar noch nicht auf ein Modell festlegen, zeigt sich aber offen für ein Aussetzen der Wehrpflicht.

Guttenberg präsentierte den Koalitionsexperten fünf Modelle, machte aber seine Präferenz klar. Nach seinem Willen soll die Wehrpflicht zwar im Grundgesetz verankert bleiben, junge Leute sollen aber nicht mehr gegen ihren Willen eingezogen werden. Der Minister will einen freiwilligen "Schnupper-Wehrdienst" mit einer Länge von 12 bis 23 Monaten anbieten, der vor allem dazu dienen soll, Nachwuchs für die Berufsarmee zu rekrutieren. Auch Frauen sollen sich freiwillig melden können. Das Ministerium geht in der Modellrechnung von 7500 Freiwilligen sowie 156 000 Berufs- und Zeitsoldaten aus.

Guttenberg betonte, Sparziele stünden bei der Reform nicht im Vordergrund. "Es wird keine Bundeswehr nach Kassenlage geben, sondern eine, die die sicherheitspolitischen und verteidigungspolitischen Herausforderungen bewältigen kann."

Eine Streichung der Wehrpflicht aus dem Grundgesetz lehnt Guttenberg ab. Er begründete das damit, dass man die Entwicklung der Sicherheitslage nicht absehen könne und deswegen eine Wiedereinführung der Wehrpflicht möglich bleiben müsse.

Innerhalb seiner eigenen Partei, der CSU, stößt Guttenberg auf Widerstand. "Ich halte es für falsch, die Wehrpflicht auszusetzen", sagte der Wehrexperte der CSU-Landtagsfraktion, Johannes Hintersberger, der Nachrichtenagentur dpa in München. Die allgemeine Wehrpflicht sei der entscheidende Eckstein für die Verwurzelung der Bundeswehr in der Bevölkerung. CSU-Chef Horst Seehofer hatte bereits vor einigen Wochen gesagt, er könne seiner Partei nur raten, die Wehrpflicht nicht auszusetzen und damit de facto abzuschaffen.

*** Aus: Neues Deutschland, 24. August 2010


Militär-Reform wird teuer

Von René Heilig ****

Die Bundeswehr steht vor der tiefgreifendsten Reform ihrer 55-jährigen Geschichte. Minister zu Guttenberg haut die Pappkameraden raus und will die Truppe zu einer weltweit effizient einsetzbaren Armee formen. Seine Logik gibt ihm Recht, denn der schwerfällige Organismus Bundeswehr hat noch immer nicht akzeptiert, dass es keinen Sowjetsoldaten mehr gibt, dem man das Picknick am Atlantik verwehren muss.

Keine Frage, dass der Weg hin zu einer noch besser gedrillten Interventionsarmee nicht alternativlos ist. Angeblich soll die Reform jedoch auch Steuergeld sparen helfen. Ist das so? Rüstungsfirmen fürchten um Aufträge, Beschäftigte um ihre Jobs. Kommunen zittern. Es werden Standorte geschlossen. Vielleicht ja auch Wittmund. Hier siedelt seit über fünf Jahrzehnten das 71er Jagdgeschwader. Werden die schrottreifen Phantoms nun wirklich von Eurofightern ersetzt?

Sicherheitspolitisch wäre die Schließung auch dieser Basis so zu begrüßen wie die Abschaffung der Wehrpflicht. Was aber ist mit denen, die der Stützpunkt ernährt? Ganze Gewerke leben vom Militär. Es ist der mit Abstand größte Arbeitgeber. 60 Millionen Euro Lohn schüttet der Fliegerhorst pro Jahr über Ostfriesland aus. Ziehen die Soldaten ab, braucht die Region – wie jede andere von Guttenberg reformierte – Hilfe. Doch die hat man wieder einmal nicht mitgeplant. So wird das, was angeblich Geld sparen soll, für viele verdammt teuer.

**** Aus: Neues Deutschland, 24. August 2010 (Kommentar)

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Scheindebatte um die Bundeswehr
Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag (24. August 2010)




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