Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Chance für Kurskorrekturen? Die Bundeswehr-Reform und der neue Verteidigungsminister

Beiträge von Ulrike Bosse und Otfried Nassauer aus der NDR-Sendung "Streitkräfte und Strategien"

Ulrike Bosse (Moderatorin):


O-Ton Guttenberg
"Gottes Segen der Bundeswehr. Ich melde mich ab."

Abschiedsworte und ein Großer Zapfenstreich mit Wunschkonzert für Karl Theodor zu Guttenberg. Während der Abgang des CSU-Politikers - nicht nur aus dem Amt des Bundesverteidigungsministers - politischen Freunden und Gegnern noch mancherlei Anlass bietet, verbal die Klingen zu kreuzen, wäh-rend der Baron in Meinungsumfragen noch immer zum beliebtesten deutschen Politiker gekürt wird, und noch bevor die Bundeswehr sich mit einem Großen Zapfenstreich von ihrem bisherigen Dienstherrn verabschiedet hatte, waren die Augen all derer, die wissen wollen, wie es nun weitergeht mit der Bundeswehr, längst ausgerichtet auf Thomas de Maizière. Selten gab es nach der Ernennung eines Ministers so einhellig positive Reaktionen wie nach der des bisherigen Innenministers de Maizière zum Verteidigungsminister. Ob Politiker der Regierungskoalition, der Opposition oder beobachtende Medien: in den Reaktionen fast aller erschien die Entscheidung für de Maizière als die einzig richtige – ja beinahe die einzig mögliche. Warum sie sich für ihn entschied, begründete die Bundeskanzlerin so:

O-Ton Merkel
„An Thomas de Maizière schätze ich nicht nur seinen brillanten Intellekt und sein vorbildliches Pflicht- und Verantwortungsgefühl, sondern ihn zeichnet vor allem aus, dass er Politik auf der Grundlage fester Werte betreibt, dass er vom Menschen aus denkt und immer den Menschen sieht, seine Sorgen, seine Anliegen.“

Mochten die Äußerungen von Angela Merkel über zu Guttenberg bis zuletzt ebenfalls positiv und verständnisvoll sein – allein aus ihrer kurzen Charakteristik de Maizières wird der riesige Unterschied zwischen dem alten und dem neuen Dienstherrn der Bundeswehr deutlich. Erinnerte zu Guttenberg an jene jungen, selbstbewussten Soldaten mit besonderen Aufgaben, die in Afghanistan schwerbewaffnet, in Kampfuniform und mit verspiegelten Sonnenbrillen – ja auch sie – keinen Widerspruch sehen zwischen einer ernsten Aufgabe und einem von Hollywood geprägten Auftreten, so hat mit de Maizière der Typ Stabsoffizier das Kommando übernommen. „Wertkonservativ“ nennt er sich selbst – und grenzt sich mit der Definition dieses Begriffes implizit von seinem Vorgänger ab:

O-Ton de Maizière
„Das ist vor allem meine Haltung auch. Dass man die Sache in den Vordergrund stellt, dass man sich eher auf die Sache konzentriert als auf Gewese.“

Eine Haltung, die der Sohn des früheren Generalinspekteurs der Bundeswehr, Ulrich de Maizière, von zu Hause mitbekommen hat. Ebenso wie die Erfahrung, was es heißt, in einer „Bundeswehr“-Familie zu leben: mit der Belastung vieler Umzüge und der häufigen Abwesenheit eines Elternteils. Und ebenso wie die Lehre seines Vaters, der seinen Söhnen das Spielen mit Waffen verbot mit der Begründung: „Waffen sind sehr ernst, damit spielt man nicht“.

Thomas de Maizière hat 1972 bis 1974 einen zweijährigen Wehrdienst abge-leistet und ist Reserveoffizier. Er ist erfahrener Politiker und Minister. Er ist ein Vertrauter der Bundeskanzlerin. Es gibt vieles, was ihn befähigen mag, Vertei-digungsminister zu sein. Im Laufe seiner juristischen Ausbildung und politi-schen Karriere hat er vieles gelernt, was ihm helfen wird, die Mammutaufgabe Bundeswehrreform zu bewältigen, für die nun er verantwortlich ist. Aber es könnten die Erfahrungen seiner Kindheit und Jugend sein, die de Maizière möglicherweise helfen, bei dieser Reformaufgabe nicht aus dem Blick zu verlieren, was laut Bundeskanzlerin im Mittelpunkt seines politischen Handelns steht: die Menschen, ihre Sorgen und Anliegen.

Denn mag Karl Theodor zu Guttenberg auch die Urheberschaft für das Konzept der Bundeswehrreform für sich reklamieren – für die konkrete Ausgestaltung und die Umsetzung ist nun Thomas de Maizière verantwortlich. Wie es weiter gehen könnte mit der Bundeswehrreform, jetzt, nach dem Ministerwechsel im Verteidigungsministerium, dazu eine Bestandsaufnahme von Otfried Nassauer:

Manuskript Otfried Nassauer

Am Schluss ging alles ganz schnell. Karl Theodor zu Guttenberg trat als Ver-teidigungsminister zurück. Der bisherige Innenminister Thomas de Maizière wurde am Tag darauf zum Nachfolger bestimmt. De Maiziere ist ein enger Ver-trauter von Kanzlerin Merkel. Seine Wahl soll eine rasche Rückkehr von der Diskussion über Personen zur Diskussion über die Sachpolitik erleichtern. Ein Problem, das auch zu Guttenberg in seiner Rücktrittserklärung erwähnte:

O-Ton Guttenberg
„Wenn es auf dem Rücken der Soldaten nur noch um meine Person gehen soll, kann ich dies nicht mehr verantworten.“

Richtig. Die wochenlange Diskussion über die Person des Ministers schadet der Bundeswehr, den Soldaten und vor allem seinem wichtigsten Großprojekt, der Reform der Bundeswehr. Auch dazu äußerte sich der scheidende Minister in seiner Rücktrittserklärung:

O-Ton Guttenberg
Es gehört sich, ein weitgehend bestelltes Haus zu hinterlassen, weshalb letzte Woche noch einmal viel Kraft auf den nächsten entscheidenden Reformschritt verwandt wurde, der nun von meinem Nachfolger bestens vorbereitet verabschiedet werden kann. Das Konzept der Reform steht.“

Eine äußerst gewagte Behauptung. Kaum war der Minister zurückgetreten, wurde erneut Kritik an seinen Reformplänen laut: Besonders deutlich wurde der ehemalige Wehrbeauftragte, Reinhold Robbe:

O-Ton Robbe
„Er hinterlässt einen Scherbenhaufen. Es sind lauter Baustellen, die nicht mal andeutungsweise einer Lösung zugeführt sind. Es ist mitnichten so, dass hier von einem bestellten Feld gesprochen werden kann.“

Das ist zweifellos richtig. Selbst grundlegende Fragen sind noch nicht geklärt. Nur einige wenige Beispiele:

Im Herbst letzten Jahres favorisierte Generalinspekteur Volker Wieker eine mutige Lösung: Die Bundeswehr solle von über 250.000 Soldaten auf 163.500 verkleinert werden. Wenn es dazu eine Anschubfinanzierung gebe, dann könne eine große Bundeswehrreform gelingen. Mehr Geld gab es aber nicht. Im Gegenteil: Das Kabinett beschloss kurz vor Wiekers Vorschlag, die Bundeswehr solle binnen vier Jahren 8,3 Milliarden zur Haushaltskonsolidierung beitragen - also einsparen. Sofort warnte Wieker, damit sei sein Vorschlag nicht mehr finanzierbar. Doch dieses Problem sollte noch größer werden. Um die Aussetzung der Wehrpflicht politisch durchsetzen zu können, musste zu Guttenberg akzeptieren, dass CDU und CSU den künftigen Umfang der Bundeswehr wieder deutlich nach oben korrigierten. 185.000 Soldaten sollen es künftig sein. Mehr Geld sagten sie ihrem Minister jedoch nicht zu. Zwar soll der Zeitraum, in dem 8,3 Milliarden gespart werden müssen jetzt um ein Jahr gestreckt werden. Bei der Höhe der Einsparung soll es aber bleiben. Das Grundproblem bleibt also bestehen: Die Armee soll mit weniger Geld mehr Personal finanzieren als damit bezahlbar ist. CDU und CSU haben das Problem geschaffen. Ihr Minister, zu Guttenberg, sollte es lösen. Der jedoch vertagte es. Sein Nachfolger muss sich jetzt damit befassen. Am 16. März erfahren wir mehr. Dann legt das Kabinett die Eckwerte für den Haushalt 2012 und die mittelfristige Finanzplanung fest. Deutlich mehr Geld bekommt auch der neue Minister wohl kaum.

Ein zweites Beispiel: Bekommt Thomas de Maizière keine zusätzlichen Mittel, so muss er entweder dafür werben, dass die Bundeswehr doch deutlich kleiner wird oder bei den Investitionen sparen. Also bei Forschung, Entwicklung und vor allem der Beschaffung. Das aber geht nur auf Kosten der Modernisierung der Bundeswehr, und auf Kosten der Verbesserung ihrer Einsetzbarkeit im Ausland. Für neue Anschaffungen ist nämlich kaum Geld da, weil die vorhandenen Mittel weitestgehend vertraglich gebunden sind. Sie fließen noch auf Jahre in Großprojekte wie den Eurofighter und die Hubschrauber Tiger und NH90. Diese Vorhaben aber tragen wenig dazu bei, dass die Bundeswehr ihre Auslandseinsätze bald besser bewältigen kann. Sie werden seit Jahren nur immer teurer, verzögern sich immer weiter und verschlingen das Geld, das die Bundeswehr dringend benötigt, um neues Material für die Auslandseinsätze zu beschaffen. Im Juni letzten Jahres wurde deshalb im Ministerium eine Liste mit ersten Vorschlägen diskutiert, bei welchen Vorhaben größere Einschnitte gemacht werden sollten. Vorgeschlagen wurde unter anderem, auf weitere Eurofighter zu verzichten und nur noch die Hälfte der bestellten Hubschrauber zu kaufen. Ein Versuch, mit der Industrie über einen kostensenkenden Ausstieg aus laufenden Verträgen zu sprechen, wurde unter Minister Guttenberg jedoch nicht unternommen. Thomas de Maizière muss es nun richten.

Ein letztes Beispiel: Der neue Minister fand auf seinem Schreibtisch Vorschlä-ge für ein kleineres Verteidigungsministerium. Geschrieben wurden sie von Staatssekretär Walther Otremba, unter Guttenberg zuständig für die Bundes-wehrreform. Die Vorschläge verteilen die Zuständigkeiten und damit die Macht im Ministerium neu. Vor allem zwischen dem Generalinspekteur und den beamteten Staatssekretären. Dieser Vorschlag ist heftig umstritten. Der ehemalige Generalinspekteur Kujat sprach von einer „Verzwergung“ des Generalinspekteurs. Die Entscheidung hinterließ Guttenberg seinem Nachfolger.

Thomas de Maizière scheint zu ahnen, dass er bei der Bundeswehrreform nicht nur auf Baustellen, sondern auch auf Leichen im Keller seines neuen Ministeriums stoßen könnte. Kaum im Amt veröffentlichte er einen Tagesbefehl in dem es heißt:

Zitat
„[Die] begonnene Reform der Bundeswehr werde ich konsequent fortsetzen. Die dazu notwendigen Entscheidungen werde ich nach einer gründlichen Lagefeststellung treffen. Ich weiß um die Dringlichkeit, dennoch: Ich nehme mir die Zeit, die ich brauche.“

Nach einer gründlichen Lagebeurteilung. Kurz darauf bat er Kanzlerin Merkel, Guttenbergs starken Mann für die Bundeswehrreform, Walther Otremba, in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen.

Auch das Kanzleramt weiß um die Baustelle Bundeswehr. Dort hatte man schon im Dezember bemängelt, die Vorschläge Guttenbergs zur Reform der Bundeswehr seien bislang nur eine – so wörtlich - "sehr rudimentäre und un-ausgewogene Grundlage für Entscheidungen zur Reform der Bundeswehr". Im Kanzleramt vermisste man eine "als zwingend erachtete sicherheitspolitische Herleitung" und Aussagen über die strategischen Ansprüche (level of ambition), die die Bundeswehr künftig erfüllen solle.

Das Guttenbergsche Paket der Bundeswehrreform könnte unter de Maizière also noch einmal weitgehend aufgeschnürt und grundsätzlich überprüft werden. Das jedenfalls hoffen viele, die es für problematisch oder unausgegoren halten. Sie fordern wahlweise eine Verschiebung, eine erneute gründliche Überprüfung oder – wie so oft in der Politik – einfach nur mehr Geld. Damit wäre der Bundeswehr jedoch nur kurzfristig geholfen. Sie könnte dann ihre Probleme für ein paar Jährchen wieder besser verstecken. Schon in wenigen Jahren aber stünde sie vor ähnlichen Problemen wie heute. Und wieder wäre das Geld knapp. Es gibt keine sinnvolle Alternative zu einer großen Reform der Bundeswehr. Die Bundeswehr muss dabei radikal schrumpfen und deutlich attraktiver werden. Sonst gelingt ihr der Übergang zu einer Freiwilligenarmee nicht. Auch das ist nun die Aufgabe von Verteidigungsminister de Maizière. Der Mann ist nicht zu beneiden. Sein Haus ist nicht bestellt. Im Gegenteil, ihm fehlen noch große Teile der Fundamente.

Eines könnte ihm bei seiner Aufgabe helfen: Die Bundeswehr wird ihren neuen Minister schnell akzeptieren. Das zeigt ein Ereignis aus dem Jahr 2008. Damals hielt Thomas de Maizière einen Vortrag vor der Clausewitz-Gesellschaft. Sein Thema: „Vernetztes Handeln der Bundesregierung bei der Krisenbewältigung im multinationalen Umfeld“. Ein solider Vortrag mit sicherheitspolitischen Begründungen, so urteilten viele Offiziere, die ihm damals zuhörten. So mancher sah in dem Vortrag sogar eine Bewerbungsrede für das Amt des Verteidigungsministers.

* Aus: NDR-Sendereihe Streitkräfte und Strategien, 12. März 2011; www.ndrinfo.de


Zurück zur Bundeswehr-Seite

Zurück zur Homepage