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Transformation der Bundeswehr - Die offenen Fragen

Von Erhard Crome *

In der S-Bahn hängt ein Werbeplakat:“Bundeswehrreform - Deine Chance!“ Da steht nicht: Es wird auch gestorben. Bei jeder Arznei muss es einen langen Zettel mit Verweis auf Risiken und Nebenwirkungen geben, hier nicht. Warum eigentlich nicht? Die Rede ist von Studium, guter Qualifikation, Umgang mit moderner Technik, Herausforderungen. Welche sind das? Es heißt, die Bundeswehr hätte Sorge, nicht genug Nachwuchs zu bekommen für die neuen „Herausforderungen“, nach der Abschaffung der Wehrpflicht. Mit viel Geld und mediengerechtem Werben will man nun die nötigen Leute finden. In der Fachliteratur ist die Rede von „Transformation“ der Bundeswehr von der Armee zum Zwecke der Territorialverteidigung zur „Armee im Einsatz“. Dazu gehört nun auch die faktische Abschaffung der Wehrpflicht. Jahrzehntelang haben linke Kritiker, Wehrdienstverweigerer, Pazifisten und christliche Friedensgruppen sowie Bürgerrechtler gefordert, die Wehrpflicht abzuschaffen und alle „Zwangsdienste“ gleich mit. Das wurde jetzt vollbracht, von einem konservativen Minister in einer konservativ geführten Regierung unter Hinweis auf Kostenersparnis, damit die „Armee im Einsatz“ effektiv sei.

Derweil wird in den Medien diskutiert, was denn auf dem Segelschulschiff „Gorch Fock“ passierte, wo eine Soldatin ums Leben kam. In Afghanistan gibt es weiter tote Soldaten und durch die deutschen Soldaten getötete Afghanen. Immer wieder wird diskutiert, ob die militärische Führung richtig handelte, die Berichte richtig nach Berlin oder Bonn kamen und ob das Ministerium dem Parlament richtig Bericht erstattete. Immerhin ist die Bundeswehr ja eine „Parlamentsarmee“. Stärker in den Medien präsent ist jedoch der Herr Minister; nebst Gattin weilte er zur weihnachtlichen Truppenermunterung am Hindukusch, und es wurde debattiert, ob er das denn durfte. Die einen verwiesen darauf, dass es zu früheren Zeiten üblich war, dass die Herren von Adel ihre Kriegsknechte aufsuchten, um ihnen Aufmunterung zu geben und sich huldigen zu lassen. (Im Hause von Bismarck, aus dem die Frau zu Guttenberg kommt, hat das gewiss eine spezielle Tradition.) Andere machten geltend, dass im bürgerlichen Zeitalter so etwas eigenartig unzeitgemäß wirke. Wieder andere monierten die Sonnenbrille des Herrn Ministers, und ob er denn einen Tarnanzug tragen dürfe, da er funktionell doch Zivilist sei, als ministerieller Oberkommandierender (solange nicht der Kriegsfall ausgerufen ist, dann ist das die Kanzlerin). Schließlich wurden Fernseh-Talk-Runden zusammengerufen, um zu debattieren, ob der Minister denn nun überzogen hätte, ob sein Stern sinke, und wie lange denn ein „Verteidigungsminister“ zugleich auf der gefühlten Beliebtheitsskala der deutschen Politiker ganz oben stehen könne, und ob das auf die Dauer von der Kanzlerin eher mit Wohlwollen oder misstrauisch begleitet werde. So viele Fragen, und noch mehr Meinungen dazu, aber keine Antworten. All dies ist Ausdruck einer sich ausbildenden oder absichtlich herbeigeführten Entpolitisierung der Debatten um Militärfragen und Bundeswehr.

Was bei all dem nicht diskutiert wird ist, was denn der künftige Auftrag der Bundeswehr sein soll. Der Bundestag hat mit großer Mehrheit erneut das Mandat zum Afghanistankrieg verlängert, obwohl nach wie vor die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung gegen diesen Krieg ist. Auftrag heißt, was sollen denn die jungen Männer und Frauen in aller Welt für Kriege führen? Wofür? Für Rohstoffe für die deutsche Wirtschaft? Für die Menschenrechte? Zur Konfliktlösung? Was sind die Werte, für die es sich zu sterben lohnt? Hier geht es eben nicht um „Action“, Abenteuerurlaub und hippe Spannung, sondern ganz archaisch um Leben und Tod.

Ein Teil der Skandale, wegen der Bundeswehrangehörige im Gerede sind, hängen mit „Mutproben“, Initiationsriten und selbstgeschnitzten Ritualen zusammen. Die Leere, die Abwesenheit von vermittelbaren Werten, für die es sich zu kämpfen lohnt, führt zur Ausbildung einer „soldatischen Ideologie“, die Helmut Schmidt in Die Zeit ein „Risiko“ für die Demokratie nennt, im besten Fall, schlimmstenfalls bildet sich eine Söldnermentalität heraus, die zu allem fähig macht, nur nicht zu demokratischem Verhalten.

Gebraucht wird eine breite öffentliche und politische Debatte darüber, ob dieses Deutschland nach dem kalten Krieg, nach seiner Vereinigung und umgeben von Freunden, wie es offiziell immer so schön heißt, überhaupt eine Bundeswehr braucht. Wenn dies mehrheitlich mit „Ja“ beantwortet wird, ergeben sich weitere Fragen: Zu welchen Zwecken, mit welchem Ziel? Wozu braucht dieses Deutschland eine „Armee im Einsatz“, am Hindukusch oder wo auch immer? Oder sind nicht die verbliebenen Anforderungen einer minimalen Landesverteidigung der einzig vertretbare Grund, überhaupt noch eine deutsche Armee aufrecht zu erhalten? Wenn diese Fragen beantwortet sind, ergibt sich: Welche Stärke, welche Strukturen und welche Ausrüstung braucht diese Armee dann? Was will sich die real existierende Bevölkerung in Deutschland das kosten lassen?

Schließlich folgen die wertebezogenen Fragen, danach, wie es nach der Abschaffung der Wehrpflicht und mit der „Wehrreform“ um das Leitbild des „Staatsbürgers in Uniform“ steht und um die Definition und die Umsetzung einer „Inneren Führung“, die den Anforderungen des Grundgesetzes und der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland entspricht. Der Staat muss schon sehr triftige Gründe zur Geltung bringen, wenn er junge Menschen in bewaffnete Konflikte, gar den Krieg schickt, in denen sie ums Leben kommen können. Mit dem Hinweis auf die Freiwilligkeit und die gute Bezahlung ist es nicht getan.

* Erschienen in: Das Blättchen, Nr. 3/2011 – http://das-blaettchen.de


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