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Entschädigung von Radaropfern – Ende eines jahrelangen Streits oder Aufbau neuer Hürden?

Ein Beitrag Kersten Mügge aus der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderator):
Die Gefahr war unsichtbar, aber sie hat hunderte Soldaten der Bundeswehr und der Nationalen Volksarmee krank gemacht: während ihrer Dienstzeit kamen sie ungeschützt mit Radarstrahlen in Berührung. Viele erkrankten danach an Krebs und anderen Leiden. Doch Entschädigungen gab es nur für wenige. Die meisten führen seit Jahren einen frustrierenden Kampf gegen die Bürokratie der Bundeswehr. Ende vergangenen Jahres dann neue Hoffnung. Eine Stiftung sollte gegründet werden, um die Betroffenen zu entschädigen. Soweit der Plan. Ob er auch ernsthaft umgesetzt wird, das weiß Kersten Mügge:


Manuskript Kersten Mügge

Politische Versprechen sind die Strahlenopfer gewohnt. Sie hören sie seit Jahren, von den Abgeordneten und der Bundesregierung. Schon 2001 sagte der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping zu, dass Opfer der schädlichen Radarstrahlung bald keine langwierigen Prozesse mehr führen müssen. Damals hatte eine Kommission unter Leitung des früheren Herausgebers der Wochenzeitung DIE ZEIT, Theo Sommer, einen Bericht zum Umgang der Bundeswehr mit Radarstrahlung vorlegt und dem Minister Empfehlungen gegeben, an die sich Scharping halten wollte:

O-Ton Scharping
„Weil sie erlauben, genau das einzulösen, wovon ich beim Aufkommen der Diskussion gesprochen habe, nämlich eine möglichst streitfreie, möglichst großherzige Regelung zu finden.“

Er kündigte ein generöses Verhalten bis an die Grenze dessen an, was ein Gesetz vorschreibt. Doch für die meisten Betroffenen änderte sich nichts. 2003 gab es dann einen neuen Bericht, diesmal von der unabhängigen Radarkommission. Und wieder gaben Äußerungen eines Regierungsvertreters Anlass zur Hoffnung. Diesmal war es der Parlamentarische Staatssekretär Walter Kolbow:

O-Ton Kolbow
„Seien Sie versichert, wir haben diese Kommission eingesetzt, um möglichst schnell für die Menschen auch eine Lösung jetzt zu erzielen.“

Doch statt möglichst schnell, ging es nur langsam voran, vor allem nach dem Regierungswechsel 2005. Hatte der damalige Unions-Obmann im Verteidigungsausschuss, Christian Schmidt, die SPDVerteidigungsminister in der Frage noch kräftig unter Druck gesetzt, änderte sich dies damals: Schmidt wurde Parlamentarischer Staatssekretär und lies die Entschädigungsfrage zunächst ruhen. Erst 2007 konkretisierte Schmidt die Idee eines Fonds oder einer Stiftung:

O-Ton Schmidt
„Man muss in gewisser Weise auch in Zweifelsfällen aus der Sicht der Fürsorgepflicht für die betroffenen früheren Soldaten sagen: Ja, wir werden uns das nochmal genauer anschauen. Also ich bin da gerade mit der Verwaltung in diesem Prozess. Und wenn es solch einen Fonds geben sollte, dann muss der 2008 noch handlungsfähig sein.“

Doch erst drei Jahre später, im November 2011, beschloss der Bundestag mit den Stimmen von Union, SPD, FDP und Grünen, dass die Gründung einer Stiftung geprüft werden soll. Der zuständige FDP-Verteidigungspolitiker, Burkhardt Müller-Sönksen, sah darin den Durchbruch:

O-Ton Müller-Sönksen
„Ja, wir wollen den Betroffenen helfen. Das ist auch richtig und gut so. Bisher mussten sie ja beweisen, dass sie überhaupt eine Schädigung davon getragen haben. Das haben wir jetzt mit diesem Antrag beseitigt, insofern ist das ausgeräumt.“

Die geplante Stiftung soll Betroffenen wie Horst Focke aus Delmenhorst helfen. Der Kampf des 70-Jährigen um Anerkennung seiner Leiden ist einer der längsten unter den etwa 3.800 betroffenen Soldaten:

O-Ton Focke
„Wenn es nach 28 Jahren endlich vorbei ist, wäre ich froh. Ich möchte die Akten einfach vom Tisch haben.“

Die Aktenberge auf seinem Wohnzimmertisch erzählen die Geschichte seiner Krankheit und seines Berufslebens bei der Bundeswehr. Er war insgesamt 24 Jahre an dem Raketenabwehrsystem HAWK eingesetzt:

O-Ton Focke
„Das war sehr interessant. Ich habe das auch gern gemacht, die ganze Zeit. Ich habe auch etliche Verbesserungsvorschläge gemacht, die auch honoriert worden sind. Einmal sogar mit einer Bundesverdienstmedaille.“

Doch die einzelnen Geräte des Systems standen zu dicht beieinander. Soldaten, wie er, bekamen eine zu hohe Röntgendosis ab, ohne dass sie davor besonders geschützt waren. Er war sich der Gefahr nur zum Teil bewusst:

O-Ton Focke
„Mit der Hochfrequenzstrahlung, das war von vornherein klar, da gab es auch Belehrungen. Dass man vor der Antenne nicht arbeiten darf und mit der Röntgenstrahlung, das war überhaupt nicht bekannt. Wir sind eigentlich davon ausgegangen, dass die Systeme sicher waren. Und alle Schalter waren mit Leuchtfarbe bestrichen. Dass die radioaktiv waren, wussten wir nicht. Es hieß einfach Leuchtfarbe.“

Seit Ende der 60er Jahre wurde Horst Focke immer wieder krank. Auf die Idee, dass das mit seiner Arbeit zu tun haben könnte, kam er zunächst nicht:

O-Ton Focke
„Jede Menge Infektionskrankheiten, Furunkel, Karbunkel, Ohrenentzündungen, Augenentzündungen, Schwindelanfälle, dann kriegte ich eine negative Temperaturregelung.“

Das heißt, er fror, auch wenn jedem anderen warm war. Die Bundeswehr bestritt jahrelang einen Zusammenhang zwischen Fockes Leiden und der Röntgenstrahlung der Raketenabwehrsysteme. Erst von 1982 an musste Focke bei der Arbeit eine Bleischürze tragen. Das war für ihn der Bruch, sagt er:

O-Ton Focke
„Ich war ganz schön sauer. Die ganzen Jahre. Die Infektionen, die ich dauernd hatte, und was nicht alles. Das fiel mir natürlich schlagartig ein. Woher kommt´s? Daher kommt´s!“

Daraufhin stellte er einen Antrag auf Wehrdienstbeschädigung – als erster Soldat wegen Strahlenbelastung durch Radargeräte. Die Bundeswehr lehnte ab, erklärte ihn zum Querulanten mit erheblicher hypochondrischer Tendenz. Focke schloss sich mit anderen Soldaten zusammen. Sein Kampf hätte mit einer Stiftung und einer Entschädigung ein Ende:

O-Ton Focke
„Ich sehe das so, dass mir das eigentlich zusteht, als Kompensation für die Leiden, die ich über die ganzen Jahre hatte.“

Doch wann es soweit sein wird, mit der Stiftung, ist weiter offen. Für die Betroffenenorganisation, den Bund zur Unterstützung Radargeschädigter, ist zudem noch unklar, welche Richtung die Stiftung nehmen wird. Von der Gestaltung der Satzung wird nach Einschätzung des Vorsitzenden Dietmar Glaner vieles abhängen. Für ihn ist die wichtigste Frage, wie groß wird der Kreis der Anspruchsberechtigten sein? Die Bundestagsfraktionen haben beschlossen, dass die Stiftung nicht nur Opfern der Röntgenstrahlung, sondern auch PTBS-Betroffenen helfen soll, also traumatisierten Soldaten. Dietmar Glaner fürchtet, dadurch könnte das bislang vorgesehene Stiftungskapital von sieben Millionen Euro zu gering sein. Unabhängig davon hat Glaner grundsätzliche Bedenken:

O-Ton Glaner
„Uns ist bekannt, dass alles versucht wird, den Stiftungsgedanken so durchdringen zu lassen, dass auf jeden Fall keine Schuld oder ein Makel auf die Bundeswehr und ihrem Handeln in den letzten drei, vier Jahrzehnten fällt. Und wir als Betroffene wissen, es gibt auch mehrere bekannte Fälle und Verfahren, wo das nicht so ist. Und das sind unsere Punkte und unsere Skepsis, die da anklingt.“

Vor wenigen Wochen hat Dietmar Glaner Post vom Bundesverteidigungsministerium bekommen. Er soll Mitglied in einem Gremium der Stiftung werden und über die Vergabe von Entschädigungen mitentscheiden. Einen diskussionsreifen Satzungsentwurf für die Stiftung bekam Dietmar Glaner aber noch nicht. Dabei hält er die Satzung für ausschlaggebend für die künftige Entschädigungspraxis der Stiftung:

O-Ton Glaner
„Ich selber habe immer gesagt: wir haben zwei Ministerien im BMVg: Die politische Seite, die versucht für die Soldaten die Pflicht zur Fürsorge umzusetzen, und wir haben anders herum die Ministerialbürokratie, die sehr, sehr stark bremst. Und das kollidiert immer zum Nachteil der Betroffenen.“

Doch das Bild scheint sich zu relativieren, denn in den vergangenen Tagen ist offensichtlich Bewegung in die Diskussion gekommen. Wie aus mehreren Bundestagsfraktionen zu hören ist, soll schon bald ein abgestimmter Satzungsentwurf vorliegen. Demzufolge wird wohl ein fünfköpfiger Stiftungsrat über die Grundsätze der Vergabe von Entschädigungen entscheiden. Dem Gremium sollen unter anderem der frühere Vorsitzende des Bundeswehrverbandes Oberst a.D. Bernhard Gertz, ein weiterer Vertreter des Bundeswehrverbandes sowie der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Hans-Peter Kirchbach angehören. Wie zu hören ist, sollen sich alle Betroffenen direkt an die Stiftung wenden und ihren Fall darlegen können. Ziel der Spitze des Verteidigungsministeriums ist es, die Stiftung in der ersten Jahreshälfte zu gründen. Noch in diesem Jahr sollen die ersten Entschädigungen ausgezahlt werden.

* Aus: NDR-Info-Sendung "Streitkräfte und Strategien", 24. März 2012


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