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Von "Friedenspolitik" zu permanenter Kriegspolitik

oder Die Bundeswehr unter rot-grün

Von Tobias Pflüger*

1. Vorbemerkung

Es gibt wenige Politikbereiche, in denen es tatsächlich substanzielle Änderungen zur Vorgängerregierung gegeben hat. Insbesondere im Bereich der Aussenpolitik war Kontinuität angesagt. Doch in einem Politikbereich wurde eine sehr grundlegende "Neugestaltung" vorgenommen: bei der Bundeswehr, hier hat rot-grün aufbauend auf ersten Weichenstellungen der alten Regierung vollständig neue Grundlagen geschaffen.

Die Veränderung der Bundeswehr geschah in zwei Bereichen: Erstens in Qualität und Quantität der Auslandseinsätze und zweitens bei der Struktur der Bundeswehr.

Zusammengefasst hat sich die Bundeswehr von einer Armee mit Hauptaufgabe Landesverteidigung und gelegentlichen Auslandseinsätzen zu einer "Armee im Einsatz" (so der heutige Generalinspekteur Harald Kujat) entwickelt. Heute (im Sommer 2002) sind über 10.000 Soldaten der Bundeswehr im ständigen Auslandseinsatz von sogenannten "humanitären Aktionen" bis hin zu reinen und brutalen Kampfeinsätzen (Kommando Spezialkräfte in Afghanistan).

2. Was wurde im Koalitionsvertrag angekündigt?

Im Koalitionsvertrag hieß es zur Bundeswehr: "Die Bundeswehr dient der Stabilität und dem Frieden in Europa. Als fest in das atlantische Bündnis integrierte Armee ist sie im Sinne von Risikovorsorge weiterhin zur Landes- und Bündnisverteidigung zu befähigen."

Und dann kam die zentrale Aussage: "Eine vom Bundesminister der Verteidigung für die neue Bundesregierung zu berufende Wehrstrukturkommission wird auf der Grundlage einer aktualisierten Bedrohungsanalyse und eines erweiterten Sicherheitsbegriffs Auftrag, Umfang, Wehrform, Ausbildung und Ausrüstung der Streitkräfte überprüfen und Optionen einer zukünftigen Bundeswehrstruktur bis zur Mitte der Legislaturperiode vorlegen. Vor Abschluss der Arbeit der Wehrstrukturkommission werden unbeschadet des allgemeinen Haushaltsvorbehalts keine Sach- und Haushaltsentscheidungen getroffen, die die zu untersuchenden Bereiche wesentlich verändern oder neue Fakten schaffen."

Weitere Aussagen gab es nicht für den Bereich des Militärs.

3. Der Angriff auf Jugoslawien als Einstiegsdroge für die Militarisierung der Aussenpolitik

Das entscheidende Ereignis für die Veränderung der Bundeswehr war der vor dem vollzogenen Regierungswechsel beschlossene NATO-Angriffskrieg auf Jugoslawien. Die Bundeswehr war u.a. mit ECR-Tornados aktiv an den Bombardierungen Jugoslawiens von Ende März bis fast Mitte Juni 1999 beteiligt. Mit der Kriegsteilnahme war einerseits die Grundsatzentscheidung für Krieg als "normales" Mittel der Politik getroffen.

Insgesamt war die deutsche Regierung mit der Leistung ihrer Bundeswehr im Krieg jedoch nicht zufrieden, die deutschen Soldaten bekamen nur die Note ausreichend. Deshalb wurden erste Vorentscheidungen - auch bezüglich der schwierigen "Heimatfront" getroffen.

Die wesentlichen Teile der Struktur der Bundeswehr blieben nach dem Krieg vorerst gleich, es kam nur zu kleinen Veränderungen: Die bisherige offizielle Gesamtzahl der Bundeswehr wurde von 340.000 auf 324.000 korrigiert, die Anzahl der Soldaten der Krisenreaktionskräfte, die als einziges für Kampf- und Kriegseinsätze genutzt werden können und dürfen, wurde von bisher 53.600 Soldaten oder 16 % der Gesamtzahl der Bundeswehr auf etwas über 60.000 erhöht. Die Teile mit höherer militärischer "Qualität" wurden erhöht, während ansonsten eine rein zahlenmäßige Reduzierung stattfand. Quantitativ wurde abgerüstet, qualitativ aufgerüstet. Mehr konnte und wollte der Rudolf Scharping zu diesem Zeitpunkt im Juni 1999 nicht verändern.

4. Die Strategiepapiere

In einer schnellen Folge wurden eine ganze Reihe von Strategiepapieren für die Effektivierung der Bundeswehr vorgelegt.

4.1. Weizsäcker-Kommission

Am 23. Mai 2000 legte die "Weizsäcker-Kommission" ihren umfangreichen Bericht vor. Da Rudolf Scharping regelmäßig über die Beratungen und Ergebnisse der Weizsäcker-Kommission unterrichtet wurde, waren im die Konturen und die Grundrichtung der Vorschläge der Weizsäcker-Kommission bekannt. Scharping hatte deshalb inzwischen auch seinen Generalinspekteur angewiesen, eine Art Konkurrenzpapier aus Sicht der Militärs zu erstellen. Inhaltliche Vorgaben hier: Effektivierung der Bundeswehr, NATO-Kompatibilität und Erhaltung der Wehrpflicht.

Eine der zentralen Aussagen der Kommission "Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr" ist die Feststellung: "Die Empfehlungen der Kommission lassen sich nur langfristig umsetzen. Sie zielen auf den Zeitraum der nächsten zehn bis fünfzehn Jahre". Ziel der Ausarbeitung müsse "eine einsatzfähige, moderne und bezahlbare Bundeswehr sein." Die Kommission ist hart in ihrem Urteil: "In der heutigen Struktur hat die Bundeswehr keine Zukunft. Die Wehrform produziert zu große Personalumfänge bei gleichzeitig zu schwachen Einsatzkräften." Die zukünftigen Einsätze werden klar benannt: "Die Aufgaben der Bundeswehr haben sich völlig geändert. Die Bundeswehr wird vornehmlich außerhalb Deutschlands eingesetzt werden - entweder zur kollektiven Verteidigung eines Bündnispartners oder - was wahrscheinlicher ist - zu regional begrenzten Einsätzen der Krisenvorsorge und Krisenbewältigung." Daraus abgeleitet kommt die Kommission zu folgender Empfehlung: "Die Kommission empfiehlt, Fähigkeiten, Strukturen und Umfänge der Bundeswehr primär aus der Eignung zu Kriseneinsätzen abzuleiten. Mit den dafür bereitgestellten Kräften wird auch die Bündnisverteidigung geleistet werden können." Daher auch der Schluß der Kommission: "Die Orientierung auf Kriseneinsätze erfordert eine grundsätzlich neue Bundeswehr." "Die Kommission empfiehlt, die deutschen Streitkräfte auf eine schnelle Reaktion in zwei gleichzeitigen Krisen hin auszurichten. die Bundeswehr konzentriert sich darauf, Kräfte für multinational geführte Einsätze und gemeinsame europäische Kontingente bereitzustellen. Sie richtet sich auch auf die Führung solcher Verbände ein."

4.2. Kirchbach-Papier

Im Kirchbach-Papier wird insbesondere die interne Struktur der Bundeswehr konkreter durchgeplant, ansonsten gleichen sich bestimmte Grundaussagen: "Die dafür benötigten Fähigkeiten und Streitkräfte ergeben sich aus dem Bedarf für gemeinsam definierte Einsatzarten, die von der humanitären Hilfe bis zu friedensschaffenden Operationen reichen. Dabei besteht Übereinstimmung zwischen verbündeten und Partnern, daß eine solche Operation mittlerer Größe auch parallel zu einem vergelichbaren Einsatz des Bündnisses möglich sein muß. Die Bundeswehr muß daher in der Lage sein, sich gleichzeitig an zwei Operationen mittlerer Größe zu beteiligen."

Interessant sind im Kirchbach-Papier Details: "Nachrichtengewinnung und Aufklärung sind in Verbindung mit sicherer Kommunikation Voraussetzung für die Sicherstellung einer kontinuierlichen nationalen Führung. Das frühzeitige Erkennen von Indikatoren krisenhafter Entwicklungen mit eigenen Mitteln und die Erstellung eines zutreffenden Lagebildes sind Voraussetzungen für eine nationale Urteils-, Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit und für die Vertretung deutscher Interessen in internationalen Organisationen. ... Vorrangig ist eine nationale Kernfähigkeit zur satellitengestützten Aufklärung zu schaffen, die gleichzeitig auch Informationen für die operative und taktische Ebene liefern kann." Ausschließlich im Kirchbach-Papier ist an mehreren Stellen klar und deutlich die Rede von "Nuklearer Teilhabe" , womit wohl die Idee einer "Mitverfügung" über französische Atomraketen genauso gemeint sein wird, wie die gemeinsame Verfügung (deutsche Flugzeuge, us-amerikanische Atomwaffen mit us-amerikanischer "Betreuung". Die "Kernfähigkeiten" werden bei Kirchbach klar definiert: "Im Frieden sollten zunächst nur solche Kräfte bereitgehalten werden, mit deren Einsatz am ehesten zu rechnen ist." "Die Streitkräfte werden sich in Zukunft auf ihre militärischen Kernfunktionen konzentrieren." "Der Einsatz der Streitkräfte wird künftig vorrangig außerhalb der Grenzen Deutschlands erfolgen." Es geht darum, "künftig in der Lage zu sein, "eine große Operation über einen mittleren Zeitraum nach mittlerer Vorbereitungszeit oder zwei mittlere Operationen mit sehr langer Einsatzdauer und mittlerer Vorbereitungszeit sowie mehrere kleinere Operationen von sehr kurzer bis zu sehr langer Einsatzdauer mit sehr kurzer bis mittlerer Vorbereitungszeit gleichzeitig durchführen zu können."

4.3. Ein Zwischenbericht: Das Scharping-Eckpunkte-Papier

Rudolf Scharping (SPD) will die Bundeswehr auf 255.000 einsatzbereite Soldaten verkleinern. Zentral ist die zukünftige Größe der "Einsatzkräfte", sie soll 150.000 Soldat/inn/en betragen, das ist fast eine Verdreifachung von vor dem Jugoslawienkrieg (53.600 Soldat/inn/en)! Zentrale Aussagen im verbindlichen "Eckpunkte"-Papier Rudolf Scharpings sind welche, die die Fähigkeit der Bundeswehr an Kriegen teilzunehmen "verbessern" sollen: "Die Bundeswehr muß in der Lage sein, sich gleichzeitig an zwei Operationen mittlerer Größe zu beteiligen" , "Die Ausrüstung der Bundeswehr wird umfassend modernisiert", "Die Verbesserung der strategischen Verlegefähigkeit hat erste Priorität" etc. "Schnell und wirksam einsetzbare Streitkräfte sind daher ein unverzichtbarer Teil des sicherheitspolitischen Instrumentariums." "Deutsche Streitkräfte müssen im gesamten Aufgabenspektrum verwendbar, dabei auf einen umfassenden Einsatz vorbereitet und für die wahrscheinlichsten Einsätze rasch verfügbar sein. Sie müssen qualitativ und quantitativ dem politischen Gestaltungsanspruch und Gewicht Deutschlands im Bündnis sowie in den regionalen und überregionalen Organisationen entsprechen. ... auch über längere Zeiträume mobil, flexibel einsetzbar, überlebensfähig und durchhaltefähig sein, eine erfolgreiche Durchführung eigener sowie bündnisgemeinsamer oder europäischer Einsätze sicherstellen wie Einsätze im Rahmen von ad hoc Koalitionen lageabhängig aufwuchsfähig sein"

4.4. Das Ergebnis: "Ressortkonzept"

Am 29.01.2001 legte Rudolf Scharping sein Ressortkonzept "Die Bundeswehr der Zukunft" vor. Die ganze Republik diskutierte daraufhin, welche Bundeswehr-Standorte wo geschlossen werden sollen. Das ging aber ziemlich am Thema vorbei. Thema des Ressortkonzeptes war "eine Veränderung der Bundeswehr von Grund auf". In der Einleitung des Ressortkonzeptes stand, um was es ging: "Wesentliche Leitgedanken dieser Umstrukturierung sind die Bündelung von Aufgaben, der streikräftegemeinsame Ansatz und die Konzentration der Streitkräfte auf den Einsatz". Und weiter: "Die Bundeswehr wird kleiner, im Hinblick auf die gewandelten Anforderungen jedoch moderner und leistungsfähiger."

5. Bundeswehr im Auslandseinsatz: Vom Balkan bis zum Hindukusch

"Zugegeben, man verliert schon ein bisschen den Überblick, wo deutsche Soldaten im Kampf gegen den Terrorismus überall im Einsatz sind," so Andreas Cichowitz am 28.02.2002 in den Tagesthemen der ARD.

Heute im Sommer 2002 kann eine erste Zwischenbilanz von "Enduring Freedom" (EF) gezogen werden.

Die Auslandseinsätze der Bundeswehr können in drei Kategorien eingeordnet werden: Da sind einerseits die "europäischen" Bundeswehreinsätze in Bosnien (SFOR = Stabilization Force), im Kosovo (KFOR = Kosovo Forces) und in Mazedonien (TFF = Task Force Fox). Zum zweiten gibt es die Beteiligung der Bundeswehr an der sogenannten "Schutztruppe" in Kabul und näherer Umgebung (ISAF = International Security Assistance Force). Die dritte Kategorie der Bundeswehreinsätze sind alle Auslandseinsätze im Rahmen von "Enduring Freedom", dem sogenannten Antiterroreinsatz.

Deutsche Soldaten befinden sich derzeit in Georgien (UNOMIG), Bosnien (SFOR), Jugoslawien / Kosovo (KFOR), Mazedonien (TFF), Usbekistan (ISAF), in der Türkei (Enduring Freedom = EF), Italien (NATO-Einsatzzentrale), am Horn von Afrika (EF), in der arabischen See (EF), im Mittelmeer (EF), in Kuwait (EF), in Bahrein (EF), in Djibouti (EF), in Kenia (EF), in den USA / Florida, Tampa (EF), und nicht zu vergessen in Afghanistan (ISAF) und mit Elitetruppen im Kampfeinsatz in Afghanistan und anderswo (EF).

5.1. Die "europäischen" Bundeswehreinsätze: SFOR, KFOR, Fox, UNOMIG

Auf dem europäischen Kontinent hat die Bundeswehr derzeit am meisten Bundeswehrsoldaten stationiert.

5.1.1. SFOR / Bosnien

Die SFOR-Einheiten sollten als Nachfolgeoperation der NATO-geführten IFOR ( IFOR = Implementation Force) ursprünglich nur von 1996 bis 1998 in Bosnien stationiert bleiben. In Bosnien entwickelte sich stattdessen das erste NATO-Protektorat und damit der erste langfristige NATO-"Besatzungs"-Einsatz. Heute (2002) sind von den ursprünglich "zugelassenen" 3.000 noch fast 1.600 (genau derzeit 1.558) Bundeswehr-Soldaten an SFOR in Bosnien beteiligt. Der Großteil der Soldaten sitzt im Lager Rajlovac, dem Sitz des Deutschen Heereskontingentes SFOR, weitere Soldaten finden sich im Außenlager Filipovici, beim Stab in Mostar oder beim SFOR-Hauptquartier in Butmir bei Sarajevo. Das deutsche Kontingent ist Teil der Multinationalen Division Süd-Ost (MND-SE) mit Sitz in Mostar mit Kontingenten aus Frankreich, Italien, Marokko und Spanien. Das Ganze steht unter französischer Führung. An SFOR sind NATO-Staaten und 16 Nicht-NATO-Staaten (davon 14 sogenannte PfP-Staaten, also Staaten, die am NATO-Programm "Partnership for Peace" teilnehmen, einschließlich Russland und der Ukraine) beteiligt. (Das PfP-Programm ist de facto eine "NATO-Mitgliedschaft light".)

5.1.2. KFOR / Kosovo

Als Folge des NATO-Angriffskrieges gegen Jugoslawien wurden im Bereich Kosovo, das formal noch zu Jugoslawien gehört, aber de facto unabhängig bzw. NATO-Protektorat ist, ab dem 12.06.1999 Einheiten der KFOR stationiert. Bis zu 8.500 Bundeswehrsoldaten können bei diesem zweiten langfristigen Besatzungseinsatz der Bundeswehr auf dem Balkan eingesetzt werden. Beim derzeit laufenden Einsatz sind ca. 5.000 (derzeit genau: 4.570 Soldaten) im Kosovo.

5.1.3. Task Force Fox / Mazedonien

Der Einsatz Fox in Mazedonien ist der Folgeeinsatz der Operation "Amber Fox", der auf den Einsatz "Essential Harvest" folgte. "Essential Harvest" war der NATO-Militäreinsatz, bei dem es offiziell darum ging, in drei Teilen 3.000 Waffen von der auch in Mazedonien militärisch agierenden UCK einzusammeln. Real ging es darum, daß UCK-Kämpfern für die registrierte Abgabe irgendeiner - auch sehr alten - Waffe bei den Einheiten von "Essential Harvest" später von der mazedonischen Regierung Amnestie gewährt wurde. (Näheres hierzu in den IMI-Studien 07 und 08 aus dem Jahr 2001. ) Im Rahmen von Task Force Fox sind derzeit 221 deutsche Soldaten eingesetzt.

5.1.4. UNOMIG in Georgien

In Georgien sind 11 Bundeswehrsoldaten sind im Rahmen der UNOMIG-Mission. UNOMIG gibt es seit 1993, seit 1994 ist die Bundeswehr beteiligt. Offizielle Aufgabe ist "die Kontrolle und Überwachung des Moskauer Waffenstillstands- und Truppenentflechtungsabkommens zwischen Georgien und Abchasien vom 14. Mai 1994 sowie die Schaffung von Voraussetzungen für eine sichere und geordnete Rückkehr der Kriegsflüchtlinge"

5.2. In Afghanistan und auf einem Drittel des Globus

5.2.1. ISAF oder auch "Schutztruppen" gab es schon einmal

Die Bundeswehr hat 1.225 Soldaten im Rahmen von ISAF (International Security Assistance Force) im Einsatz, der "Schutztruppe" für den Großraum Kabul.

Seit 19.03. 2002 hat die Bundeswehr in Kabul auch die taktische Führung der Multinationalen Brigade Kabul übernommen. Damit stehen stehen circa 4.700 Soldaten aus 18 Staaten unter dem Kommando des kommandierenden deutschen Brigadegenerals. Der Einsatzradius der ISAF-Truppen ist ausdrücklich auf den Grossraum Kabul beschränkt. Die ISAF-Truppen sind im wesentlichen an zwei Stationierungsorten: 980 Soldaten in Kabul, 165 in Usbekistan.

Deutsche "Schutztruppen" gab es im übrigen schon einmal in der Geschichte. Die deutschen Kolonialtruppen, die insbesondere in Namibia oder wie es damals kolonialistisch hieß "Deutsch-Südwestafrika" ihr Unwesen trieben, hießen ebenfalls "Schutztruppen".

5.2.2. Der Einsatz im Rahmen von "Enduring Freedom" oder eine "epochale" "Kriegsermächtigung"

Am 07. November 2001 beantragte die Bundesregierung beim Bundestag eine "Ermächtigung" zum Einsatz der Bundeswehr. Der Bundestag stimmte darüber in einer kombinierten Abstimmung zusammen mit der Vertrauensfrage (für Gerhard Schröder) ab. Damit konnten nur noch vier Abgeordnete als kalkulierte Gegenstimmen aus Reihen der Bündnisgrünen (und eine Abgeordnete, die deshalb extra aus der SPD-Fraktion austreten musste) gegen die Kriegsermächtigung stimmen.

Die zentralen Sätze der Kriegsermächtigung sind:

"Im Rahmen der Operation ENDURING FREEDOM werden bis zu 3.900 Soldaten mit entsprechender Ausrüstung bereitgestellt: ABC-Abwehrkräfte, ca. 800 Soldaten / Sanitätskräfte, ca. 250 Soldaten / Spezialkräfte, ca. 100Soldaten / Lufttransportkräfte, ca. 500 Soldaten / Seestreitkräfte einschließlich Seeluftstreitkräfte, ca. 1800 Soldaten / erforderliche Unterstützungskräfte, ca. 450 Soldaten."

"Die Beteiligung mit deutschen Streitkräften an der Operation ENDURING FREEDOM ist zunächst auf zwölf Monate begrenzt."

"Einsatzgebiet ist das Gebiet gemäß Art. 6 des Nordatlantikvertrags, die arabische Halbinsel, Mittel- und Zentralasien und Nord-Ost-Afrika sowie die angrenzenden Seegebiete."

"Deutsche Kräfte werden sich an etwaigen Einsätzen gegen den internationalen Terrorismus in anderen Staaten als Afghanistan nur mit Zustimmung der jeweiligen Regierung beteiligen."

Der Beschluss bedeutet u.a.:
  • Eine Aushebelung des "Parlamentsheers" (Ermächtigung zu Einsätzen für mindestens ein Jahr),
  • ein Einsatzgebiet auf mindestens einem Drittel des Globus' und
  • alle Einsatzarten der Bundeswehr von sogenannten "humanitären Einsätzen" bis hin zu reinen Kampfeinsätzen sind möglich.
Diese Kriegsermächtigung wurde Stück für Stück umgesetzt: Heute im Sommer 2002 befinden sich Bundeswehrsoldaten im Rahmen von "Enduring Freedom" an folgenden Orten:

Luftwaffenbasis Tampa / Florida: 10
Kuwait: 50 ABC-Abwehrkräfte (mit umfangreichem Material) als Folgestationierung eines Manövers zusammen mit US- und Kuwaitischen Truppen. Friedrich Merz (CDU) sagt dazu: "Alles ABC-Abwehrmaterial ist in Kuwait geblieben, wenn es dort in der Region zu einem Konflikt kommt, ist Deutschland dabei." Das sei richtig. Die 50 ABC-Abwehrkräfte sind ein Vorbote des fest geplanten Krieges der USA; Deutschlands und anderer Verbündeter gegen den Irak. Der Krieg wird wohl im Februar 2003 losgehen.
Afghanistan und an unbekannten Orten bei der Vorbereitung (genannt werden hier: Oman, Iran, Schweiz, Deutschland, etc.): 92 Soldaten des Kommando Spezialkräfte (KSK) bzw. 92 Soldaten aus den Einheiten der Division Spezielle Operationen (DSO) (Luftlandebrigaden 31 (Oldenburg) und 26 (Saarlouis) und Kommando Spezialkräfte (Calw)
Mittelmeer: 280
Arabische See / Horn von Afrika: 820
Bahrein: 140
Djibouti: 140
Kenia: 100


Die Stationierungen um Somalia können als Vorbote eines in Betracht gezogenen Angriffs auf Teile von Somalia interpretiert werden.

6. Das Beispiel "Bundeswehr am Horn von Afrika"

Zuerst einmal, welche Truppen hat die Bundeswehrführung ans Horn von Afrika geschickt? Drei Fregatten, drei Seeaufklärer, vier Hubschrauber, fünf Versorgungsschiffe und ursprünglich noch fünf Schnellbotte, die allerdings nicht tropentauglich waren, da für Nord- und Ostsee konzipiert.

Die offizielle Aufgabenbeschreibung für die "Deutsche Marine" am Horn von Afrika ist folgendermaßen:
  • Durchführung von Seeraumüberwachungsoperationen in den Seegebieten um das Horn von Afrika
  • Schutz der Seeverbindungslinien im Operationsgebiet
  • Unterbindung des verbotenen Handelns und Transports von Gütern, die der Unterstützung des internationalen Terrorismus dienen können, z.B. Drogen, Waffen, Munition, militärisches Gerät, Geldmittel etc.
Dies soll geschehen durch sogenannte "Maritime Interdiction Operations" (MIO), also "Kontrolle von Handelsschiffen neutraler Staaten (sic!)", und sogenanntes "Boarding" (Kontrolle von Ladung und Ladungspapieren). Notfalls sollen "Zwangsmaßnahmen" "wie z.B. die Umleitung in Häfen zur weiteren Untersuchung von Schiff und Besatzung ergriffen werden". (Alle Zitate aus der alten nicht mehr existenten Internetseite der Bundeswehr, die neue enthält nur einen Bruchteil der vorigen Informationen.)

Soweit die offizielle Beschreibung. Die Realität ist wie häufig eine etwas andere: Die Bundeswehrsoldaten langweilen sich nach zuverlässigen Informationen offensichtlich ziemlich an ihren diversen Stationierungsorten rund um Somalia. Die Frage stellt sich also, was ist der Sinn oder Unsinn dieser Operation am Horn von Afrika?

Seit 12. Mai 2002 hat die "deutsche Marine" das Oberkommando über alle Operationen am Horn von Afrika, immerhin ein Gebiet viermal so groß wie die Bundesrepublik. Dem deutschen Oberkommando untersteht eines von neun Teilkontigenten der gesamten "Enduring Freedom"-Flotte, die aus über 80 Schiffen aus 16 Staaten besteht. Unter deutschem Kommando stehen Schiffe aus Grossbritannien, Spanien, Deutschland und den USA. Das deutsche Kontigent neent sich "Task Force 150". Die Koordination liegt beim neuen Einsatzführungskommando in Potsdam-Geltow.

Die deutsche Marine agiert in internationalen Gewässern, maßt sich dort Hoheitsrechte an, die sie nicht hat und kontrolliert den internationalen Schiffverkehr. Der Schiffsverkehr ist in dieser Region sehr stark. Fast alle Schiffe von Asien nach Europa und umgekehrt müssen z.B. durch die Meerenge Baar el Mandeb, die zwischen dem Golf von Aden und dem roten Meer liegt.

Piraten darf die Bundeswehr allerdings explizit nicht jagen. Deshalb rühmt sie sich, quasi als Nebeneffekt für Sicherheit in diesen strategisch wichtigen Gewässern zu sorgen, sprich Piraten agieren - so die Bundeswehrverantwortlichen - jetzt weniger, weil soviel Bundeswehrschiffe unterwegs sind. Dies wird allerdings vom zuständigen "International Maritime Bureau" (IMB) bestritten, dort heißt es, die Piratenvorfälle hätten sich seit der Bundeswehrpräsenz verdoppelt.

Was genau der Auftrag der deutschen Marine nun ist, ist strittig zwischen dem US-Oberkommando in Bahrein und dem deutschen Kommando fürs Horn von Afrika: Die US-Einsatzzentrale sagt, "die Rolle der Task-Force ist es, die Gewässer um das Horn von Afrika und das arabische Meer zu überwachen", die Aufgabe würde "weiterhin in der Überwachung und Auskundschaften (surveillance and reconnaissance) des Schiffsverkehrs bestehen und nicht im Abfangen (interdiction)" (ZEIT, 8. Mai 2002). Das mag zwar wie eine Detaildissens klingen, ist aber höchst relevant: Die Küstengewässer in der "Hoheit" Somalias sind tabu für die deutschen Afrikasegler, und völkerrechtlich unstrittig, es gibt kein Mandat und keine rechtliche Deckung von "Gewaltanwendung". Sollte die Bundeswehr dies also tun, was die deutsche Bundeswehrführung verlautet, bricht sie mal wieder Recht, Gesetz und Völkerrecht. Aber, so schreibt die Zeit, heikle erzwungene Kontrollen überließe die deutsche Marine den US Navy Seals, einer harten US-Elitetruppe, die tatsächlich nach Funkbefragungen tausender Schiffe in der Region 75 (!) "Bordgänge" - sprich Schiffsstürmungen - durchgeführt habe. In einem knappen Dutzend von Fällen - so die New York Times - hätten die US-Truppen "Zwangsmaßnahmen" durchgeführt. Sprich, die US Navy Seals führten inzwischen knapp ein Dutzend rechtlich nicht gedeckter Übergriffe auf "verdächtige Schiffe" durch. Aber, so die ZEIT, "die (deutsche) Flotte ist nicht da, um Wasserpolizei zu spielen." Irgendwie dann doch, es ist eben mal wieder eine selbsternannte "Polizei".

Stefan Gose schreibt in der antimilitarismusinformation, beim Bundeswehreinsatz ginge es um "Leichtmatrosen auf Fotosafari", schön formuliert, aber es trifft die Sachlage wohl nicht ganz. Dazu ist es notwendig sich die Situation in Somalia selbst genauer anzuschauen.

Claudia Haydt hat in zwei IMI-Analysen die Auswirkungen der Stationierung der deutschen Marine auf die Gesamtregion Somalia untersucht. Ihre Ergebnisse:

Die Zeitschrift DIE WOCHE hat in einer ihrer letzten Ausgaben berichtet, dass die Stationierung deutscher Truppen sehr wohl als Ankündigung einer militärischen Intervention verstanden werden: "Scharpings (später wieder dementierte) Äußerung, Somalia wäre das nächste Ziel des "Anti-Terror-Kampfes", wird dort (in Somalia) im Kontext der Entsendung des deutschen Kontingents gesehen. "Die Deutschen kommen! und "Wer es sich leisten kann, hat seine Familien außer Landes gebracht"

"Somalia, das Land am Horn von Afrika, liegt günstig - militärisch geostrategisch und bezüglich der wichtigsten Seehandelsrouten." "Die Antwort auf die Frage: Warum Somalia? ist so zynisch wie simpel: Motiv, Möglichkeit und Gelegenheit sind vorhanden, ebenso die willigen Komplizen. Das Land ist arm und hat keine Lobby Die Truppen der "Allianz gegen den Terror" sind positioniert. Der Startschuß wird kommen."

Einziger Verzögerungsfaktor könnte eine Einigung verschiedener Herrscher und Warlords im Gesamtbereich Somalia sein. Daran wird mit UN-Hilfe gearbeitet. Trotzdem steht die Kriegsdrohung weiterhin.

Warum ein Krieg "mit" Somalia? Ein Hinweis findet sich in german-foreign-policy.com: Die Fachzeitschrift "Petroleum Economist" habe schon 1991 im Auftrag des "United Nations Development Programme" eine Studie erstellt, nach der im Bereich Somalia umfangreiche Öl- und Erdgasvorkommen wären. Inwieweit das zutrifft ist unklar, ein Hinweis ist es allemal.

Oder um es deutlicher zu formulieren: Die Truppen-Stationierungen rund um Somalia sind Vorboten eines möglichen Krieges gegen Somalia, und an diesem Krieg will Deutschland dann wesentlich beteiligt sein. Der SPIEGEL schreibt dazu: "Im Kriegsfall der USA mit Somalia sollten die Boote zum Schutz von Frachtschiffen und Tankern zur Verfügung stehen". (SPIEGEL 20.04.2002)

Zusammengefasst: die Truppen um das Horn von Afrika - geht man von derem offiziellem Auftrag aus- machen derzeit militärisch wenig Sinn. Was bleibt ist gefährlich genug: Eine Funktion der Bundeswehr ist die Sicherung der Wassertransportwege von Öl, eine weitere Funktion ist die deutsche Bereitschaft bei einem späteren Krieg gegen Somalia dabei zu sein.

Deshalb ist die politische Forderung klar: Abzug aller (deutschen) Truppen rund um das Horn von Afrika!

7. Resumee

Nach den brutalen Terroranschlägen des 11. September erklärte Gerhard Schröder für die Bundesregierung die uneingeschränkte Solidarität mit den USA im "Krieg gegen den Terror". Damit war klar, deutsche Soldaten würden sich an diesem umfassenden Krieg beteiligen. US-Präsident George W. Bush erklärte, der Krieg gegen "den Terrorismus" (was immer auch "der" Terrorismus sein soll) werde solange geführt, bis alle Terroristen "ausgeräuchert" seien. Es wird immer terroristische Aktionen geben und die hegemoniale Wirtschafts- und Kriegspolitik der USA und ihrer Verbündeten - wie Deutschland - wird wohl leider immer mehr Gruppen und Menschen dazu bringen in einer Art "asymetrischer" Kriegsführung mit Terroranschlägen gegen die Dominanzpolitik der USA und ihrer Verbündeten zu agieren. Damit ist klar, spätestens seit dem 11. September befinden sich die USA und Verbündeten wie Deutschland in einem "permanenten Krieg".

Rot-grün hat die Bundeswehr grundlegend neu ausgerichtet. Die Bundeswehr ist kriegsführungsfähig geworden und im Kernbereich eine Interventionsarmee. Inzwischen stehen über 10.000 Soldaten der Bundeswehr im langfristigen Auslandseinsatz. Reine Kampfeinsätze, die zudem unstrittig gegen das Kriegsvölkerrecht verstoßen (KSK- Truppen übergaben Gefangene an US-Truppen, die diese nicht als Kriegsgefangene behandeln) sind zur "Normalität" geworden (Näheres hierzu vgl. "Scharpings Sondertruppe in Afghanistan: Brechen deutsche Soldaten Völkerrecht?" ) Rot-grün hat die Militärpolitik der Vorgängerregierung nicht nur fortgeführt, rot-grün trägt die Verantwortung für zwei Angriffskriege (Jugoslawien und Afghanistan) und eine Reihe umfassender Stationierungen der Bundeswehr im Ausland. Offensichtlich bedurfte es einer rot-grünen Regierung um im Bereich der Militärpolitik derart umfassende Änderungen auf die Schiene zu bringen. Krieg ist wieder Mittel von Politik geworden. Rot-grün steht somit für eine "eskalierende Kontinuität" im Bereich der Militär- und Bundeswehrpolitik, aus deklarierter "Friedenspolitik" (Koalitionsvertrag) wurde permanente Kriegspolitik.

* Tobias Pflüger ist Politikwissenschaftler und im Vorstand der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. Weitere Informationen zur Entwicklung der Bundeswehr unter: IMI, Hechingerstrasse 203, 72072 Tübingen, Telefon: 07071-49154, Fax: 07071-49159, e-mail: imi@imi-online.de Internet: www.imi-online.de (Mit Möglichkeit der Eintragung in die IMI-Mailingliste)

Der Beitrag von Tobias Pflüger erschien in der Zeitschrift "Z.Zeitschrift marxistische Erneuerung, Heft 51, September 2002 (S. 110-121)

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