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"Die Gewissensfreiheit des Soldaten gefährdet die Bündnisfähigkeit und Sicherheit Deutschlands"

Pressereaktionen und Kommentare auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts im Fall Pfaff

Am 21. Juni hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig den Major Florian Pfaff freigesprochen. Bei seiner Dienstverweigerung während des Irakkriegs konnte er sich, so die Richter, durchaus auf sein Gewissen berufen (siehe: "Major Pfaff hat Recht bekommen").
Das Urteil wurde sehr stark beachtet. Die Frankfurter Rundschau berichtete mit dem Aufmacher auf Seite 1. Und die führenden Zeitungen kommentierten die Entscheidung. Im Folgenden dokumentieren wir auszugsweise eine Reihe von Kommentaren aus überregionalen Zeitungen sowie eine Presseerklärung der DFG-VK. Die Meinungen gehen natürgemäß weit auseinander: FAZ und Süddeutsche üben Urteilsschelte - taz und junge Welt stellen sich hinter die Freiheit der Gwissensentscheidung auch von Soldaten, die Frankfurter Rundschau kann sich nicht so recht entscheiden.


Brisante Bewertung

VON RICHARD MENG

(...) Verweigert hat auch das oberste Disziplinargericht die Gefolgschaft gegenüber der offiziellen (auch: rot-grünen) Version deutscher Nicht-Beteiligung. Und wäre nichts dran an den Argumenten des Majors, dies sei ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg gewesen, hätte er nicht freigesprochen werden dürfen.
Dass etwas dran ist, bleibt sicherheits- wie demokratiepolitisch nicht erst jetzt hoch brisant. Die Deutschen sind über die Nato international integriert und durch die Stationierungsabkommen mit Washington lassen sie sich von den USA so leicht in deren weltweite Logistik einbinden, dass selbst im Fall grundsätzlicher politischer Abgrenzung ein Rest an routinemäßigem Mittun bleibt.
Zum einen hat das Gericht den Grundrechtsschutz der Soldaten gestärkt. Ihr Recht also, sich eigene Gedanken über Hintergründe und Wirkungen einzelner Befehle zu machen (...) Zum anderen liegt spätestens jetzt ein ganz großes politisches Dilemma offen, aus dem es zwei Auswege gibt. Der falsche: Deutsche Gerichte behindern unter Hinweis auf das Grundgesetz die internationale Kooperation. Der richtige: Die Zusammenarbeit wird - auch gegen das wichtigste Partnerland - besser vor Missbräuchen geschützt. Denn das ist sie nicht. Aus: Frankfurter Rundschau, 23. Juni 2005




Frei und gefährlich

Von Reinhard Müller

Selbstverständlich gilt das Grundrecht der Gewissensfreiheit auch für Soldaten. (...)
Verfassungsrang hat jedoch auch die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr - und die hat das Bundesverwaltungsgericht nicht ausreichend im Blick gehabt, als es nun einen Major freisprach, der den Gehorsam verweigerte (...)
(...)
Der an sich ehrenwerte Begriff vom „Staatsbürger in Uniform” hat dabei zu Fehlvorstellungen geführt. Er suggeriert, der Bürger ziehe die Uniform an wie einen Blaumann und ansonsten bleibe alles beim alten - der Militärdienst als eine Beschäftigung wie jede andere (...); es fehlt nur noch das Streikrecht und der militärische Ernstfall als Kündigungsgrund für den Soldaten.
Die Streitkräfte seien an Recht und Gesetz gebunden, stellen die Leipziger Richter fest. Davon könnten sie sich nicht unter Berufung auf die militärische Zweckmäßigkeit oder Funktionsfähigkeit freistellen. Dem Leipziger Wehrdienstsenat ist offensichtlich nicht klar, daß in den Streitkräften kaum noch etwas funktionierte, wenn das Beispiel des Stabsoffiziers Schule machen sollte.
(...) Eine lagebedingte Gewissensfreiheit des Soldaten nach Leipziger Art gefährdet die Bündnisfähigkeit und Sicherheit Deutschlands.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. Juni 2005


Ein Urteil gegen den Primat der Politik

Wenn ein Berufssoldat einen legitimen Befehl verweigert, sollte er den Beruf wechseln. Von Kurt Kister

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat eine Debatte wieder belebt, die in den ersten dreißig Jahren der Bundeswehr sehr hitzig geführt wurde. (...)
(...)
Als die Bundeswehr gegründet wurde, sollte sie ganz anders sein als die Wehrmacht: eine Armee in der Demokratie, deren Soldaten es sogar zur Pflicht gemacht wurde, Befehle zu verweigern, die gegen Moral und Gesetz verstießen.
Als Vorbilder wurden jene Offiziere auserkoren, die dem Befehl ihres Gewissens gefolgt waren und unter Bruch des Eides Widerstand gegen das NS-Regime geleistet hatten. Der Streit, wann ein Soldat sein Gewissen zur Richtschnur des dienstlichen Verhaltens machen darf, wogte lange zwischen Traditionalisten und Reformern in der Bundeswehr.
Seit Jahren findet er kaum mehr statt, wohl auch weil der Prozess der Integration der Streitkräfte in die Gesellschaft geglückt ist. Die Bundeswehr ist heute ein selbstverständlicher Bestandteil des demokratischen Staates.

Unter der rot-grünen Regierung hat sich sogar mehrheitlich die Auffassung durchgesetzt, dass der Einsatz deutscher Soldaten außerhalb des Nato-Gebietes richtig und nötig sein kann. (...)
(...)
Nun kann der einzelne Offizier immer noch sagen: Mit mir nicht. Dann aber muss er die Entlassung betreiben oder auch einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung stellen. Allerdings ist es nicht an ihm, bei jedem einzelnen Befehl zu entscheiden, ob er ihn im Lichte seiner je individuellen Interpretation von Politik und Völkerrecht ausführen möchte oder nicht. Tut er es doch, muss er völlig zu Recht Nachteile und Bestrafung hinnehmen.
Konkret: Ein Major, der aus Gewissensgründen auf keinen Fall dazu beitragen will, den Krieg der Amerikaner im Irak zu unterstützen, muss die Bundeswehr verlassen. Indirekt unterstützt die Nato-Armee Bundeswehr im Auftrag des Bundestages in vielerlei Hinsicht die US-Streitkräfte im Irak. Allein der Einsatz deutscher Soldaten auf dem Balkan trägt dazu bei, dass die USA mehr Truppen an den Tigris schicken können.
Ein Offizier, der diese Zusammenhänge ignoriert, gleichzeitig aber sein Gewissen zum Maßstab der Welt macht und Offizier bleiben will, ist in jedem Fall falsch am Platz. Und ein Gericht, das ihn in dieser Haltung bestärkt, hat, sehr vorsichtig gesagt, sein Urteil nicht unter Abwägung aller wichtigen Umstände gefällt.

Süddeutsche Zeitung, 24. Juni 2005


Das Nein von der Heimatfront

KOMMENTAR VON BETTINA GAUS

Was für eine Ironie. Ausgerechnet im Zusammenhang mit einem Krieg, an dem sich Deutschland nicht beteiligt hat, wird nun ein Grundsatzurteil gefällt, das es künftig allen Akteuren erheblich erschwert, sich auf Militärinterventionen auch nur vorzubereiten. Dennoch - oder gerade deshalb - ist das Urteil mutig und überfällig.
(...) Die Botschaft ist unmissverständlich. Wer einen Paradigmenwechsel wünscht - anders ausgedrückt: wer Sicherheitspolitik nicht ausschließlich auf Verteidigung beschränken will -, wird um eine Verfassungsänderung nicht herumkommen. Es genügt nicht, Bombardements in Akte der Selbstverteidigung umzudefinieren.
Die Rechtslage schien lange eindeutig zu sein. Deutsche Streitkräfte sollten nur zu Verteidigungszwecken aufgestellt werden dürfen. Vorbereitung und Teilnahme an einem Angriffskrieg galten als verfassungswidrig. Um den Widerstand gegen die Wiederbewaffung seinerzeit aufzuweichen, wurde die Doktrin vom Soldaten als "Staatsbürger in Uniform" aufgestellt: dem ebenso wie allen anderen demokratische Rechte zustanden, darunter das Recht auf Widerstand gegen jeden, der versucht, die verfassungsmäßige Ordnung zu beseitigen.
Damit ist es gerade im militärpolitischen Bereich so eine Sache. Nicht nur deshalb, weil sich schwer entscheiden lässt, wer das im jeweiligen Einzelfall versucht. Sondern auch, weil es reine Defensivwaffen nicht gibt. (...)
Das Bundesverfassungsgericht hat sich bislang mit formalen Argumenten um die Frage gedrückt, ob und wann aggressive Operationen möglich sind. Derlei Ausweichmanöver dürften nicht mehr genügen. Soll Krieg ein Mittel der Politik sein? Auch Deutschland wird sich entscheiden müssen.

taz, 23. Juni 2005


"Das ist ein Tritt vor Schröders Schienbein"

Freispruch für Florian Pfaff könnte Signal für andere Militärs sein. Soldaten werden mit viel Geld zu Auslandseinsätzen gelockt. Ein Gespräch mit Helmuth Prieß* (Interview: Peter Wolter)

F: Der 2. Wehrdienstsenat in Leipzig hat am Mittwoch die Bestrafung des Majors Florian Pfaff aufgehoben, der im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg den Gehorsam verweigert hatte. Seine Degradierung zum Hauptmann ist damit aufgehoben. Ist das eine kleine Sensation?
Zumindest ist es sehr erfreulich. Es zeigt nicht zuletzt, daß die Wehrdienstsenate nachdenklicher geworden sind.
F: Hat eine solche Entscheidung nicht enorme Konsequenzen für künftige Militäreinsätze?
In der Tat. Schon 1999 hätten sich deutsche Soldaten nicht an dem völkerrechtswidrigen Luftangriff der NATO auf Jugoslawien beteiligen dürfen. Wir hoffen sehr, daß das Urteil im Falle Pfaff dazu beiträgt, unsere Kameraden in der Bundeswehr nachdenklich zu stimmen. Vielleicht gibt es auch dem einen oder anderen in der Bundesregierung zu denken und trägt dazu bei, daß deutsche Soldaten künftig nur nach nationalem und internationalem Recht eingesetzt werden.
F: Auf dieses Urteil könnten sich ja Wehrpflichtige berufen, die zum Beispiel im Kriegsfall US-Stützpunkte in der BRD bewachen müssen.
Ich möchte alle Wehrpflichtigen und alle Zeitsoldaten dazu aufrufen, genau das zu tun.
F: Aber auch andere Bundeswehrsoldaten könnten sich darauf beziehen, z.B. jene, die die KSK-Kräfte in Afghanistan versorgen.
Dieser Afghanistan-Einsatz ist zumindest rechtlich fragwürdig. Unabhängig davon wird das Urteil aber Signalwirkung haben. Soldaten sollten sich in rechtlich zweifelhaften Fällen von ihren Vorgesetzten erst die Rechtmäßigkeit des Befehls erläutern lassen. Geschieht das nicht, müssen sie laut Soldatengesetz den Befehl verweigern.
F: Das Leipziger Urteil dürfte für Militärpolitiker wie Peter Struck (SPD) und andere, die Deutschland plötzlich am Hindukusch verteidigen wollen, höchst blamabel sein. Wird damit nicht die gegenwärtige »Sicherheitspolitik« der Regierung torpediert?
Nach meiner Meinung müssen deutsche Soldaten friedenserhaltende Einsätze im Rahmen der UNO mittragen. Bei Kampfeinsätzen allerdings muß die Politik überdacht werden. Dieses Urteil ist daher mit Sicherheit auch ein kräftiger Tritt gegen das Schienbein des Kanzlers. Deutschland sollte Zurückhaltung bei Auslandseinsätzen praktizieren und statt dessen auf vorbeugende, nichtmilitärische Konfliktlösungen setzen.
F: Major Pfaff ist Mitglied des Darmstädter Signals. Ihre Gruppe wurde des öfteren von konservativen Politikern, aber auch vom Verteidigungsministerium attackiert. Gegen Sie persönlich hatte es Verfahren gegeben ...

Das ist richtig. Ich wurde noch stärker gemaßregelt als Pfaff. Er wurde um eine Stufe degradiert, ich gleich um zwei. Später wurde ich wieder zu meinem ursprünglichen Dienstgrad Major und dann zum Oberstleutnant befördert.
F: Welche Relevanz hat das Darmstädter Signal heute? In den Medien ist es darum still geworden.
Die Leitung des Verteidigungsministeriums schneidet uns nach wie vor. Kritische Medien, auch Rundfunk- und Fernsehanstalten, nehmen uns aber durchaus wahr. Wir nutzen die Chance, über die Öffentlichkeit auf unsere Kameraden in der Bundeswehr Einfluß zunehmen.
F: Wie sieht es mit dem Zuspruch aus?
Wir sind nach wie vor 100 Soldaten – aktive und ehemalige, wobei die letzteren in der Mehrheit sind.
Viele junge Offiziere gehen heute zur Bundeswehr, nicht um etwas für den Frieden zu tun, sondern weil sie bei Auslandseinsätzen viel Geld verdienen. Ein Leutnant im Afghanistan-Einsatz bekommt das doppelte Geld. Etwa 3000 Euro pro Monat Normalgehalt und für jeden Tag noch einmal 100 Euro. Nach einem halben Jahr hat dieser Mann mehr als 30000 Euro in der Tasche, weil es in Afghanistan kaum Gelegenheit gibt, Geld auszugeben. Ich kenne Soldaten, die sich vor ihrer Versetzung ins Ausland erst einmal einen nagelneuen BMW 316 i bestellt haben.

* Oberstleutnant a. D. Helmuth Prieß ist Sprecher des »Darmstädter Signals«, eines Arbeitskreises kritischer Soldaten (www.darmstaedter-signal.de)

Aus: junge Welt, 23. Juni 2005




DEUTSCHE FRIEDENSGESELLSCHAFT - VEREINIGTE KRIEGSDIENSTGEGNERINNEN
Joachim Thommes, Politischer Geschäftsführer der DFG-VK
Presseerklärung, Velbert, 23.06.05

Gewissen erlaubt - Rechtsgrundlagen bestätigt!

Als Schritt in die richtige Richtung nahm die Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) das gestrige Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes zur Gewissensfreiheit von Soldaten zur Kenntnis.
Wie der Bundessprecher der DFG-VK Monty Schädel erklärte, sei es „vor dem Hintergrund des jahrelangen Demokratieabbaus sowie der zunehmenden Militarisierung der deutschen Innen- und Außenpolitik überraschend, dass ein Bundesgericht die Gewissensfreiheit eines Soldaten über die militärische Kriegsverwendungsfähigkeit stellt.“ Dass dieses Urteil nicht unbedingt zu erwarten war, zeigen nach Ansicht des DFG-VK Bundessprechers die Erfahrungen der vergangenen Jahre. So wurden Auslandseinsätze der Bundeswehr vom Bundesverfassungsgericht gebilligt, obwohl das Grundgesetz lediglich vorsieht, dass Streitkräfte zur Verteidigung aufgestellt werden. Sämtliche Anzeigen gegen die verantwortlichen deutschen Politiker und Militärs wegen Beteiligung am Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien wurden abgelehnt, obwohl das Grundgesetz die Vorbereitung und Beteiligung an Angriffskriegen untersagt. Auch die Anzeigen die sich gegen eine deutsche Unterstützung des Krieges gegen den Irak richteten wurden bisweilen eingestellt.
Die DFG-VK verbindet mit dem gestrigen Urteil die Hoffnung, dass sich wieder mehr kritische Soldaten gegen die Kriegspolitik der Bundesregierung wenden und ihre eigene Rolle bei der Umrüstung der Bundeswehr zur Kriseninterventionsarmee grundsätzlich hinterfragen, sowie die Beteiligung an den weltweiten Kriegseinsätzen verweigern. Gleichzeitig warnt der DFG-VK Bundessprecher vor übertriebenen Erwartungen. „Wir geben uns nicht der Illusion hin, dass mit diesem Urteil eine grundlegende Kehrtwende in der deutschen Militärpolitik oder bei der friedenspolitischen Grundeinstellung der Mehrheit der Soldaten eingeleitet wird. Eine konsequente Kriegsdienstverweigerung stellt aus Sicht der DFG-VK die beste Entscheidung dar die Menschen zur Verhinderung von Kriegen treffen können“ führt Monty Schädel aus. Trotzdem sei die Stärkung der Gewissensentscheidung von Soldaten durch ein deutsches Bundesgericht vor dem Hintergrund der jüngsten Bodycount-Äußerungen des Militärministers Struck ein wichtiges Signal. Während Struck volle Leichensäcken aus den weltweiten Einsätzen als zu erwartende Normalität ankündigte, verweist das Gericht gestern auf die Verantwortung jedes einzelnen Soldaten vor seinem Gewissen und macht deutlich auf welchen rechtlichen Grundlagen das bundesdeutsche Militär und jeder einzelne Soldat agieren sollte.
„Der sicherste Weg Kriege zu verhindern, ist eine radikale Abrüstung, der Verzicht auf Rüstungsexporte sowie letztlich die Abschaffung der Armeen. Mit der Kampagne „Schritte zur Abrüstung“ haben wir hierzu einen gangbaren Weg aufgezeigt der wegführt von der militärischen Interventionsarmeen und hinführt zu ziviler Konfliktbearbeitung. Soldaten die die Bundeswehr oder ein anderes Militär verlassen wollen, werden bei der DFG-VK immer Unterstützung finden.“ resümiert der Bundessprecher.


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