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Klappriger Sinkflug der "Orion"

Aufklärung zum Seeaufklärer und die "Kaputtsparliste" als Versuchsballon

Von René Heilig *

Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) ist gerade zu Besuch in den USA. Was wohl wird er seinem Washingtoner Amtskollegen Robert Gates sagen, wenn der ihn fragt, wie die Bundeswehr in fünf oder zehn Jahren ausschaut? Auf keinen Fall wird er ihm ein »Geheimpapier« zeigen, das seine Leute derzeit gerade ministeriumsnahen Medienmenschen zustecken.

Wir sparen, hatte de Maizières Amtsvorgänger zu Guttenberg lauthals verkündet: Die Anzahl der Soldaten soll von aktuell 223 000 auf 185 000 sinken, die Wehrpflicht ist ausgesetzt, überflüssiges Material wird aussortiert. Wie die Reform gelingt, hatte der Freiherr nicht gesagt.

Das, so heißt es, stehe nun in der »geheimen« Liste – und die erzeugt in der Truppe wie in Politikerkreisen bereits Entsetzen. Personalabbau beginnt bei den Stäben, eine komplette Brigade wird aufgelöst, man verzichtet auf den Kampfhubschrauber »Tiger«, schafft ein Fallschirmjägerregiment ab – auch wenn es eine solche Einheit gar nicht gibt in der Bundeswehr.

Dieser und noch ein paar andere – eingebaute – Fehler lassen erahnen, dass dieses »Kaputtsparpapier« ein Versuchsballon ist. Man erzeugt Unruhe in der Truppe, das bringt Unmut in der Politik hervor, Gegenwehr setzt ein und letztlich wird alles längst nicht so heiß gegessen wie gekocht.

Doch die Liste enthält auch aus Sicht von Nicht-Radikal-Abschaffern einige bedenkenswerte Vorschläge. Unter dem Stichwort Marine wird beispielsweise der Seeaufklärer PC-3 »Orion« aufgeführt. Ohne diese 2006 gebraucht in den Niederlanden beschafften 20 Jahre alten Flugzeuge ließen sich 50 Millionen Euro pro Jahr für den Materialerhalt einsparen, liest man in der Sparliste.

Von wegen! Da kann man locker noch viel mehr sparen, studiert man den jüngsten Bericht des Bundesrechnungshofes. Gekauft wurden die acht Maschinen für 388 Millionen Euro. Im Preis waren die Anpassung an deutsche Vorgaben, die Ausbildung des fliegenden und des Bodenpersonals sowie Ersatzteile enthalten. Technische Umbauten steigerten die Kosten auf 500 Millionen Euro. Für 2009 waren zusätzlich 106 Millionen für weitere Ersatzteile und Instandsetzungsarbeiten ausgewiesen.

Dumm nur, dass man sich die »Orions« offenbar nicht so genau angeschaut hat. Die acht Maschinen waren einfach Schrott. Eines der Flugzeuge wies sogar 850 Mängel auf. Nun entdeckte man auch noch Risse in den Tragflächen. Plus 200 Millionen Euro sind wohl zu veranschlagen.

Eine »Orion« wurde gar nicht erst in einen flugfähigen Zustand versetzt, sie diente als Ersatzteilspender für die anderen sieben, mit denen erst ein Jahr nach dem geplanten Termin geflogen werden konnte. Zwar »klemmte« es deshalb arg bei der Ausbildung der Besatzungen, doch da es für die Maschinen keine Bewaffnung gibt – und nach Auskunft auch nicht geben wird –, sind die Marinemaschinen für den geplanten militärischen Einsatz ohnehin unbrauchbar. Absurder geht es nicht? Oh doch! Die Marine plant, im kommenden Jahr einen weiteren nicht flugfähigen »Orion«-Seeaufklärer erwerben, um daran das technische Personal zu trainieren.

Die Turbo-Prop-Flugzeuge aus dem Zeppelin-Geschwader sind aber bei weitem nicht das einzige Problem der deutschen Marineflieger. Im Bestand des 3. Marinefliegergeschwaders sind auch Hubschrauber, die eigentlich bereits den Weg in Museen angetreten haben sollten.

Schon seit drei ILA-Luftfahrtmessen – sie finden jeweils im Abstand von zwei Jahren statt – behauptet Hersteller Eurocopter, dass die massenweise Einführung des mittleren Transport-Helikopters NH-90, der in der Marineversion MH-90 genannt wird, nun aber wirklich unmittelbar bevorsteht. Und dann ist alles doch nur wieder eine Luftnummer.

Mit einigem Entsetzen betrachten deutsche Marineflieger die Anstrengungen ihrer niederländischen Kollegen, die bereits einige MH-90 erhalten haben. Zu unflexibel bei der Umrüstung für verschiedene Einsatzanforderungen sei die Maschine. Das Konzept passe nicht mehr in das Anforderungsprofil der »Flotte im Einsatz«, hört man aus dem Flottenkommando in Glücksburg. Und so muss die Deutsche Marine ihre 21 alten »Sea Kings« weiterfliegen. Auch um die vereinbarten und notwendigen SAR-Rettungseinsätze über der Ost- und Nordsee sicherzustellen. Die im Marinefliegergeschwader 5 geflogenen 22 kleinen »Sea Lynx« nähern sich ob gesteigerter Einsatzerfordernisse gleichfalls ihrem Nutzungsende.

Auch jenseits aller Kritik am geopolitischen Machtanspruch Deutschlands spricht einiges für Mäßigung. Motto: Eingesparter Verlust ist doppelter Gewinn! Der Spruch muss ja nicht falsch sein, nur weil er dereinst an rot bezogene Wandzeitungen des DDR-Neuererwesens geschrieben worden ist.

* Aus: Neues Deutschland, 28. April 2011


Kreativ gespart

Von René Heilig **

Der alte Politikertrick funktioniert immer wieder. Erst macht man die Pferde scheu, dann wird sich schon jemand finden, der sie zügelt. Vor ein paar Tagen streute »jemand« angeblich ganz geheime »Bundeswehrwehr-Reform-Kaputtsparpläne des Verteidigungsministeriums. Der pure Horror! Dann plapperten Koalitionsabgeordnete beim Truppenbesuch aus, dass sie aus sicherer Quellen gehört hätten, die Mannschaftsstärke solle nicht nur von 223 000 auf 185 000, sondern auf 145 000 Soldaten sinken. Über allem schwebt das Etateinsparverdikt: Aus dem Verteidigungshaushalt sind bis 2015 rund 8,3 Milliarden Euro zu streichen.

Wie zufällig finden sich nun Ideengeber, die wissen, wie das »Unheil« abzuwenden wäre. Die CSU, die ja bis vor kurzem mit ihrem Abschreibe-Freiherrn noch den Bundeswehr-Chefreformer stellte, lässt prüfen, ob und vor allem wie die Bundeswehr während der teuren Umbauphase finanziell entlastet werden kann. Natürlich nicht durch Auflösung weiterer Standorte, schon gar nicht in Bayern. Wohl aber könnten die Kosten für Auslandseinsätze eingespart werden. Natürlich nicht durch Rückzug, wie sich das diese Linksparteiler vorstellen. Nein, man will alles »zuständigkeitshalber« aus dem Haushalt von Außenminister Guido Westerwelle bezahlen. Schließlich habe das Außenamt bei Auslandseinsätzen grundsätzlich die politische Federführung. Nach diesem kreativen »Einspar«- Modell könnte das Forschungsministerium die Neuentwicklung von Waffen und Gerät bezahlen, das Landwirtschaftsministerium die Verpflegung sichern, das Verkehrsministerium die Truppenverlegungen übernehmen und das Umweltministerium die Übungsplätze.

** Aus: Neues Deutschland, 29. April 2011 (Kommentar)


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