Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Imageproblem wegen Afghanistan-Kampfeinsatz? Schwierigkeiten der Bundeswehr bei der Nachwuchsgewinnung

Von Ute Hempelmann. Ein Beitrag aus der NDR-Sendung "Sreitkräfte und Strategien"

Dr. Ulrike Bisse (Moderatorin

Die Wehrpflicht wird auf sechs Monate verkürzt, so hat es das Kabinett jetzt beschlossen. Zivildienstleistende können ihr Engagement freiwillig um drei bis sechs Monate verlängern - ob das den Zivildienst in seiner bisherigen Form rettet, bleibt abzuwarten. Und auch die Frage nach der Wehrgerechtigkeit und der Notwendigkeit der Wehrpflicht wird mit dieser Entscheidung wohl nicht dauerhaft beantwortet sein. Was sich kaum ändern wird ist das Problem der Bundeswehr, qualifiziertes Personal für einen längeren Zeitraum als den vorgeschriebenen Plicht-Wehrdienst zu finden. Sie bemüht sich auf verschiedenen Wegen darum. Das Bild vom Beruf des Soldaten, das sie dabei zeichnet, blendet allerdings - genau wie die gesellschaftliche Wahrnehmung der Bundeswehr - Teile der Realität gerne aus, hat Ute Hempelmann festgestellt.

Manuskript Ute Hempelmann

O-Ton
"(Telefonklingeln) Hi Tommy. Hi Sandra. Wow - Du klingst ja busy. Ich such schon seit Wochen einen interessanten Job mit Perspektiven. Warte mal. Ich hab da was für Dich. (Computertasten)"

Ein Werbespot der Bundeswehr in einem privaten Internetradio. Das Militärische, der staatliche Auftrag spielen keine Rolle. Botschaft: Die Bundeswehr ist ein Arbeitgeber wie jeder andere. Welche "Perspektiven" sie den Bewerbern bietet bleibt unklar. Ebenso wie das gewünschte Profil des soldatischen Nachwuchses:

O-Ton

"Teamarbeit? Herausfordernde Aufgaben? Aufstiegschancen für alle Schulabschlüsse bei einem der größten Arbeitgeber Deutschlands. Check doch mal Bundeswehr - Karriere.de. Musik ( Sprecher) Für alle, die Leistung zeigen wollen. Bundeswehr - Karriere mit Zukunft."

Gut 20.000 Nachwuchskräfte braucht die Truppe jährlich. Doch wo im Umkreis von 50 Kilometern keine Kaserne mehr steht, kein Vater oder Onkel gedient hat, sind direkte Drähte zur Jugend Mangelware. So führt der Weg der Bundeswehr bei der Nachwuchsgewinnung zwangsläufig in die Öffentlichkeit. Zunehmend tauchen die Anzeigen in Medien auf. Dazu in Jugendzeitschriften wie "Spießer", "Bravo" und angeblich mehr als 100 Schülerzeitungen jährlich, wie Kritiker beklagen. Zudem wirbt die Bundeswehr bei Jugendkongressen, dem Girls day, mit Grill- und Infotagen auf Schulhöfen. Oder veranstaltet die Party gleich selbst. Bei den Bundeswehr Adventure Games können Jugendliche ihre Geschicklichkeit testen, bei Sportevents die körperliche Belastbarkeit. Dabei hat die Bundeswehr die Standards gesenkt. Wer früher ausgemustert wurde, wird heute für "tauglich" befunden:

Zitat
"Ihr seid 16 oder 17 Jahre alt und habt Lust auf ein Wochenende mit jeder Menge Sport und Spaß? Das Jugendmarketing der Bundeswehr lädt euch zu den Bw-Olympix 2010 ein. (...) Messt euch im Beachvolleyball, Beachhandball, Minisoccer, Streetball. (...)Rahmenprogramm mit prominenten Sportlern sowie Partys mit Live-Musik und der Big Band der Bundeswehr. Daneben gibt es jede Menge Infotainment rund um die Bundeswehr."

Kehrt marsch - fordern Friedensaktivisten wie die Tübinger Informationsstelle Militarisierung. Den Verein irritiert die Rekrutierung im Herzen der Zivilgesellschaft. Die Mitglieder bemängeln, dass die Bundeswehr mit Werbeveranstaltungen in Schulen à la "Waffen zum Anfassen" ihre Mission verharmlose.

Mit Argusaugen hat auch die Linke in Schleswig-Holstein eine zunehmende zivil-militärische "Fraternisierung" ausgemacht. Projekttage, Werbung für die Bundeswehr beim Arbeitsamt - das schmeckt ihr nicht. Die Bevölkerung nimmt die Aktivitäten gelassen hin. Die Mehrheit hat, wie Umfragen bestätigen, Vertrauen in die Bundeswehr. Und Soldaten berichten, dass sie sich mittlerweile auch mal in Uniform öffentlich zeigen können, ohne angepöbelt zu werden. Die zivil-militärische Annäherung ist unter anderem dem politisch propagierten Leitbild des Soldaten als Aufbauhelfers zu verdanken. Mit ihm konnten sich Bürger mit und ohne Uniform identifizieren. Solange die Bundeswehr Afghanistan aufbaute, war die Mehrheit der Bevölkerung für den Einsatz. Und studierende Offiziere an der Universität der Bundeswehr in Hamburg identifizierten sich mit dieser Rolle:

O-Ton
"Ich denke der Hauptauftrag der Bundeswehr zurzeit in den Auslandseinsätzen ist die Friedensschaffung und der Wiederaufbau. Und das ist, was wir können. Das machen wir sehr gut und ich denke auch, dass wir sind die Besten sind zurzeit die das machen. Dafür sind wir anerkannt. Und das sollten wir auch weiter so handhaben wie wir das tun."

Nach den Toten von Kundus ist das überholt. Oder müsste zumindest ergänzt werden. Denn dass ein deutscher Soldat tötet oder getötet wird, passt nicht ins Bild des Entwicklungshelfers in Uniform. Doch statt zu agieren reagieren Teile der Politik und der militärischen Führung mit Verschleierungstaktiken. Bis heute wird die Bevölkerung im Unklaren gelassen über den gesellschaftlichen Tribut des Afghanistan-Einsatzes: Eine mit militärischen Mitteln nicht zu stoppende Gewalt, das Töten, das Getötet werden, traumatisierte Soldaten. Solange der Preis der Auslandseinsätze nur scheibchenweise benannt und nicht offen zwischen Politik, Gesellschaft und Militär diskutiert wird, kann die Bevölkerung den fundamentalen Wandel von der Verteidigungs- zur Einsatzarmee und seine Konsequenzen kaum nachvollziehen.

Vielleicht zählt das zum politischen Kalkül. Das allerdings wäre ein heikles Spiel. Der Bürger wird entmündigt. Der Staatsbürger in Uniform bleibt ohne Rückhalt in der Bevölkerung.

Weil das Leitbild diffus ist, gelingt der Bundeswehr derzeit auch keine glaubhafte Außendarstellung im Inland. Vorerst halten Rekrutierungsexperten auf dem "Bundeswehr - Karriere - Portal" an Definitionen fest, die von der Realität überholt wurden:

Zitat
"Die Bundeswehr ist gefordert bei der Evakuierung deutscher Staatsbürger aus Notlagen und bei humanitären Einsätzen. Gemeinsam mit Streitkräften befreundeter Nationen und Partnern beteiligt sie sich an friedenserhaltenden, stabilisierenden und friedenserzwingenden Operationen. Durch diese Einsätze trägt die Bundeswehr dazu bei, gewaltsame Konflikte zu verhindern oder zu beenden."

An der Realität des Hindukusch-Einsatzes ist das vorbei getextet. Die Medien berichten dagegen fast ausschließlich über die gefahrvolle Seite und prägen mit diesen Schlagzeilen die öffentliche Wahrnehmung. Auch die der Jugendlichen.

Was die Mehrheit nicht verschreckt. Für die Bundeswehr als Arbeitgeber interessieren sich so viele Jugendliche wie nie zuvor, belegt eine Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr aus dem Herbst des letzten Jahres. Die Interpretation dieser Tatsache hat unter den Experten für Nachwuchsgewinnung der Bundeswehr einen Richtungsstreit entfacht. Die Nachfrage sei der Beleg für die neue Akzeptanz, frohlocken die Optimisten. Die Pessimisten mutmaßen, das derzeitige Interesse sei schlicht ein Resultat der Jugendarbeitslosigkeit. "Afghanistan oder Arbeitsamt?" spitzte es jüngst die Online Ausgabe einer ostdeutschen Tageszeitung zu. Fakt ist: Obwohl die Zahl der Wehrpflichtigen auf Grund des Geburtenknicks um derzeit ein Drittel zurückgeht, nehmen im Zentrum für Nachwuchsgewinnung Ost rund 25 Prozent mehr Jugendliche an Auswahlverfahren teil. In einem Bericht des ZDF erklärt ein Ausbilder bei Tests in einer Sporthalle:

O-Ton
"Junge Menschen suchen hier den sicheren Arbeitsplatz, sie suchen die Möglichkeit der Qualifikation, sie suchen die Möglichkeit, sich gut weiterbilden zu können."

Oliver ist einer der Bewerber:

O-Ton Oliver
"Also ich bin gelernter Koch. Und da wär ein Traum von mir Lebensmittelkontrolleur zu werden. Und da brauch ich die Meisterebene. Und die Meisterebene kann ich beim Bund erlernen. Das wär schon ein großes Ziel."

Mit seinem Interesse für eine zivile Berufslaufbahn bei der Bundeswehr scheint Oliver im Trend zu liegen. Für eine militärische Laufbahn haben sich in den vergangenen Jahren immer weniger junge Männer entschieden. So sanken die Bewerberzahlen für Offiziere und Unteroffiziere um 15 Prozent. Zusätzlich läuft der Bundeswehr qualifiziertes Personal davon: Allein im vergangenen Jahr kündigten 70 Piloten.

Die Zahlen decken sich mit Meldungen des Bundeswehrverbandes. Nach Einschätzung der Soldatengewerkschaft fehlen zunehmend spezialisierte Kräfte: in den Führungsdiensten der Marine, im Sanitätswesen oder den Kampftruppen. In diesen Bereichen zeigen sich die Schattenseiten des Arbeitgebers Bundeswehr auch besonders deutlich: Wer sich für die Kampftruppen verpflichtet, riskiert sein Leben. Das Sanitätswesen steht seit Jahren in den Schlagzeilen wegen schlechter Führung und schlechter Arbeitsbedingungen wie unbezahlten Überstunden. Und wer den Dienst in der Marine wählt entscheidet sich mit rund 200 Abwesenheitstagen nahezu automatisch gegen ein geregeltes Familienleben. Auf dem Internetportal "Karriere Bundeswehr" klingt das anders:

Zitat
"Familie und Dienst werden in den Streitkräften nicht als unvereinbare Gegensätze gesehen, sondern als sich ergänzende Einheit und Motivationsfaktor. Bei der Bundeswehr werden für die Soldatinnen und Soldaten Angebote entwickelt, die die Voraussetzungen schaffen, Familie und Dienst miteinander zu vereinbaren und das Soldatenleben einfacher zu machen."

Sich entwickeln, selbst planen und entscheiden über wichtige Schritte im Leben. Und Vorgesetzte, die das möglich machen. Das sind Faktoren, die laut Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr für viele Jugendliche wichtig sind. Wichtiger noch als ein gesicherter Arbeitsplatz. Vor allem die gut Qualifizierten, die zwischen mehreren Arbeitgebern wählen können, entscheiden sich gegen die Bundeswehr. Die Lücke bei Offizier- und Unteroffizierbewerbern hat die Bundeswehr überwiegend durch "Rekrutierung aus der Truppe" geschlossen und Wehrpflichtige übernommen. Die Reduzierung der Wehrpflicht auf sechs Monate werde darum zum zusätzlichen Problem in der Nachwuchsgewinnung, prophezeien Experten. Zumal die Umsetzung in den Teilstreitkräften "derzeit ein Chaos" sei. So wächst die Lücke zwischen Wirklichkeit und Anspruch. Denn mit den Auslandseinsätzen werden die Anforderungen an die Soldaten größer. Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Schneiderhan forderte schon vor vier Jahren:

Zitat
"Die Bundeswehr benötigt in Zukunft engagiertes Führungspersonal(...) Es muss zum ganzheitlichen Denken befähigt, kommunikativ und gleichermaßen konflikt- wie konsensfähig sein. Gefordert ist eine charakterstarke und in ihrer Urteilskraft gefestigte Persönlichkeit mit emotionaler und moralischer Stabilität, die auch in Krisensituationen unter hohem psychischem und physischem Druck bestehen kann."

Laut Werbung will die Bundeswehr solche Persönlichkeiten mit einer Unternehmenskultur begeistern, die auf einer zeitgemäßen Menschenführung beruht. Dass die Praxis bei der Bundeswehr zuweilen anders aussieht, wissen auch viele Jugendliche. Laut Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr zweifeln sie, bei der Bundeswehr auf verständnisvolle Vorgesetzte zu treffen. Moderne Menschenführung, Unternehmens- und Kommunikationskultur sind nicht immer die Regel, weiß auch der Verteidigungsminister. Einige Strukturen atmeten noch den Geist des Kalten Krieges, erklärte Karl-Theodor zu Guttenberg vor kurzem in Hamburg. Die Bundeswehr ist eben doch kein Arbeitgeber wie jeder andere:

O-Ton
"Seid ihr Soldaten oder seid ihr ein Mädchenpensionat, hä? Im Gleichschritt.....na also, geht doch!"

* Aus: NDR-Sendereihe Streitkräfte und Strategien, 22. Mai 2010; www.ndrinfo.de


Zurück zur Bundeswehr-Seite

Zur Afghanistan-Seite

Zurück zur Homepage