Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Rinder für tote Kinder

Von Peter Preiß *

Gut acht Monate nach den Luftangriffen bei Kundus will die Bundesregierung die Angehörigen der Opfer entschädigen. Wie der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe meldet, sind umgerechnet durchschnittlich 4000 Euro je Todesfall vorgesehen. Die können in bar oder als Sachleistung gezahlt werden. Familien der Getöteten können demnach beispielsweise Rinder bekommen. Das Budget von insgesamt 400000 Euro für die Wiedergutmachung soll als Leistung »ohne Anerkennung einer Rechtspflicht« gezahlt werden. Bei dem von der Bundeswehr veranlaßten Bombardement waren am 4.September 2009 »bis zu 142 Menschen« getötet worden, wie es in einem NATO-Untersuchungsbericht heißt, »vernichtet«, wie es der befehlsgebende Oberst Georg Klein selbst nennt. Der Offizier bleibt straffrei, erst im vergangenen Monat hatte die Bundesanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingestellt.

Unklar ist indes, wer am Ende tatsächlich Entschädigungsleistungen erhalten wird. In den kommenden Wochen soll das deutsche Feldlager im nordafghanischen Kundus eine Versammlung von Dorfältesten aus der betroffenen Region Chahar Darreh einberufen. Wie der Spiegel berichtet, sollen während des Treffens die Angehörigen der »zivilen Opfer« und die bei dem Angriff Verletzten identifiziert und entschädigt werden– nach Möglichkeit noch in der ersten Jahreshälfte. Konkret heißt das zum Einen, Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hat bis heute noch keine Opferliste anfertigen lassen. Zum anderen: Für das Gros der Hinterbliebenen wird es schwer sein, den Nachweis zu erbringen, daß ihre getöteten Angehörigen »Zivilisten« und nicht Talibankämpfer waren. Wie der Stern-Reporter Christoph Reuter und der Fotograf Marcel Mettelsiefen in ihrer gerade vorgelegten Dokumentation zu den Kundus-Toten eindrucksvoll schildern, läßt sich eine klare Unterscheidung zwischen Taliban und Zivilist in der Region gar nicht vornehmen. Aber: Ihren Angaben zufolge waren unter den von Klein »vernichteten« Afghanen 24 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren.

Über das Konkurrenzmagazin Focus ließ Verteidigungsminister Guttenberg am Wochenende die eigentlich alte Nachricht wiederholen, daß Panzerhaubitzen und weitere 15 »Marder«-Schützenpanzer, Brückenlege- und Pionierpanzer zu den deutschen Truppen nach Afghanistan verlegt werden. Die Bundeswehr rüste nicht generell auf, sondern reagiere »auf die jeweilige Notwendigkeit vor Ort«, erklärte der Freiherr die Verlegung schweren Geräts, von dem Beobachter sagen, daß es beim Vorgehen gegen die Aufständischen nicht hilft. Neu dagegen ist Guttenbergs Eingeständnis zur Dauerpräsenz am Hindukusch: Auch nach dem angestrebten Abzug der Besatzungstruppen aus Afghanistan muß demnach ein militärisches Eingreifen möglich bleiben. Es sei nicht auszuschließen, daß in einigen Jahren wieder afghanische Stämme gegeneinander kämpften, so der Minister. Grundsätzlich werde es eine Form der »Nachsorge« geben müssen, dann aber eher mit wenigen speziell ausgebildeten und ausgerüsteten Kräften. Solche Missionen von Spezialkräften seien ohnehin »generell eine Frage für die Einsatzszenarien der Zukunft«.

Via Bild ließ Guttenberg einen »Sachstandsbericht« verbreiten, wonach immer mehr Soldaten unter posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) leiden. Der eskalierende Krieg wirkt sich demnach, wen wundert’s, negativ auf die Psyche der Soldaten aus: Im ersten Quartal 2010 seien schon 147 Soldaten mit PTBS behandelt worden. 2009 erkrankten insgesamt 466 Bundeswehr-Angehörige an der Belastungsstörung, 2008 waren es offiziell 245 PTBS-Erkrankte.

* Aus: junge Welt, 10. Mai 2010

Militärhaushalt: "Geld zu streichen, kann nicht angehen"

Guttenberg äußerte sich im focus-Interview optimistisch, dass der Verteidigungshaushalt von Sparmaßnahmen weniger hart getroffen werde als bislang geplant. Bei langfristigen Beschaffungen müsse über Schwerpunkte geredet werden. "Aber an einem Punkt hält sich meine Flexibilität in Grenzen: Wir müssen für den Schutz der Soldaten im Einsatz das Notwendige vorhalten. Hier aus kühlen Zahlenerwägungen Geld zu streichen, kann nicht angehen."




Zurück zur Bundeswehr-Seite

Zur Afghanistan-Seite

Zurück zur Homepage