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Jungs Schutzschrift für Oberst Klein

Kundus-Ausschuss: Der Ex-Verteidigungsminister ließ Abgeordnetenkollegen "abfahren"

Von René Heilig *

Die »Einschläge« nähern sich dem Kanzleramt. Noch ist es unkontrolliertes »Störfeuer« – und wenn die vorgeschobenen Beobachter im Kundus-Untersuchungsausschuss weiter so ungeschickt Aufklärung betreiben, braucht die Kanzlerin selbst wohl keine Deckung zu suchen.

Dem zum Untersuchungsgremium umgebildeten Verteidigungsausschuss gehören über 30 Mitglieder an. Nur wenige lassen erkennen, dass sie willens und/oder fähig sind, die Hintergründe des am 4. September 2009 von einem deutschen Oberst in Kundus befohlenen Bombenangriffs aufzudecken.

Ungelenke Fragen werden nicht besser, wenn man sie mehrmals stotternd wiederholt. Und wenn man dann auch noch kuscht, nur weil CDU-Mann und Jura-Oberlehrer Siegfried Kauder Wortwahl und Gesten rügt oder Fundstellen für Zitate auf die Zeile genau nachgewiesen haben will – womit er formal im Recht ist –, dann wird Aufklärung grotesk. So hatte der am Donnerstag als Zeuge geladene, damals politisch verantwortlicher Ex-Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) leichtes Spiel, seine fragenden Kollegen »abfahren« zu lassen.

Noch immer hält der Abgeordnete und Rechtsanwalt Jung den Angriff auf zwei entführte Tankwagen, die sich auf einer Sandbank im Kundus-Fluss festgefahren hatten, für »alternativlos«. Und was die getöteten Unbeteiligten betrifft, so könne ihm ja bis heute niemand exakt sagen, ob es sie gab und wie viele es gewesen sind.

Der Angriff, bei dem vermutlich über 140 Menschen umgekommen sind, kam höchst ungelegen für die deutsche Regierung. Erstens war Wahlkampf, da wollten weder Union noch SPD nach toten Afghanen befragt werden. Zweitens hatten die USA gerade ihre neue »Kuschelstrategie« für Afghanistan beschlossen. Schutz der Bürger sollte fortan ganz oben stehen bei der Kriegsführung. Also ging das deutsche Verteidigungsministerium nach dem Angriff zum Angriff über und deutete das Bombardement ausschließlich als erfolgreichen Schlag gegen die Taliban. Unschuldige Opfer seien nicht zu beklagen, sagte der Presse- und Informationsstab. Keine zivilen Opfer, behauptete auch Minister Jung, der mit Regierungs- und Parteichefin Merkel wahlkämpfend durchs Ruhrgebiet tourte.

Das war am 4., am 5. und auch noch bis zum Nachmittag des 6. September so. Jung beharrte im Ausschuss darauf, dass er ja aus erster Hand informiert gewesen sei. Zweimal habe er mit Oberst Georg Klein, dem PRT-Chef in Kundus, der den Befehl zum Töten gegeben hatte, telefoniert. Klein sei ein »sehr besonnener, hervorragend ausgebildeter Soldat«. Noch immer stellt sich Jung hinter ihn.

Plötzlich – am Nachmittag des 6. September – wurde Jung in seinen Erklärungen vorsichtiger, räumte die Möglichkeit ein, dass auch Unschuldige Opfer der Attacke geworden sein könnten. Der Umschwung lässt sich vermutlich mit dem Hinweis auf die »Washington Post« erklären. In der stand am 6. September ein Artikel über den Angriff. Der Autor gehörte – für die Deutschen bis dahin unerkannt – zum Team des ISAF-Oberbefehlshabers Stanley McCrystal, der sich vor Ort über Kleins Einsatz informierte. Damit war die Hoffnung, das wahllose Töten öffentlich als Erfolg im Wiederaufbauprozess »verkaufen« zu können, dahin.

Ganz aufgegeben hat man den Versuch aber nicht. Am Donnerstag wurde eine E-Mail an Geheimdienst-Zuständige der Kanzleramtsabteilung 6 bekannt, die zeigt, dass man im Merkel-Umfeld bereits am 4. September um 8.06 Uhr mit zahlreichen zivilen Opfern rechnen musste. »Das Verheerende daran ist«, so die E-Mail, »dass dabei zahlreiche Zivilisten ums Leben gekommen sind (Zahlen variieren von 50 bis 100)«. Die Bundesregierung spielt die Mail nun herunter. Das Bundespresseamt verteilte sogar »eine Sprachregelung«. Kurzfassung: Der BND habe nur aus einer BBC-Meldung zitiert, die um 4.45 Uhr gelaufen sei. Im Übrigen, so die vorgeschobene Verteidigungslinie, habe die Kanzlerin »zu keinem Zeitpunkt« zivile Opfer ausgeschlossen.

Es gibt viele Indizien, die auf planmäßige Vertuschung hinweisen. Jung sagt, er habe angeordnet, dass die Untersuchung des Vorfalls nur von der NATO betrieben wird. Schon weil man den Eindruck vermeiden wollte, »parteiisch zu sein«. Bis zur Übergabe seines Amtes an Theodor zu Guttenberg am 27. Oktober lag der NATO-Bericht noch nicht vor. Ohne also das offizielle Untersuchungsergebnis zu kennen, schrieb Minister Jung einen seltsamen – wie er sagte – »Schutzbrief für Klein« an die Staatsanwaltschaft in Dresden. Die schien zuständig für ein eventuelles Ermittlungsverfahren in Deutschland. Inhalt: Klein habe grundsätzlich im Rahmen des Bundestagsmandats gehandelt. Hilfsweise führte Jung an, dass die Grundsätze des Kriegsvölkerrechts nicht verletzt wurden. Wenn das keine vorsätzliche Einflussnahme ist ...

Apropos Einflussnahme. Jungs Nachfolger Theodor zu Guttenberg muss am 22. April vor dem Ausschuss erscheinen. Wie es seinem Naturell entspricht, hatte er nichts gegen einen TV-Live-Übertragung. Die Regierungsmehrheit im Ausschuss bog das ab. Gefragt warum, blickte ein Koalitionsabgeordneter nur aus dem Fenster – in Richtung Kanzleramt.

* Aus: Neues Deutschland, 27. März 2010


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