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Koran im Marschgepäck - Muslime in der Bundeswehr

Ein Beitrag von Reiner Scholz in der NDR-Sendung "Streitkräfte und Strategien" *

Moderation Andreas Flocken
Häufig wird die Bundeswehr als Spiegelbild der Gesellschaft bezeichnet. In Deutschland leben inzwischen immer mehr Muslime. Und da ist es nicht ver-wunderlich, dass so mancher Wehrpflichtige Muslim ist. Bei der Bundeswehr ist es für diese Soldaten manchmal nicht ganz einfach. Reiner Scholz hat mit jungen Muslimen über ihre Erfahrungen gesprochen:


Manuskript Reiner Scholz

O-Ton Yildiz
"Dieses Bild zeigt damals, wo ich bei der Bundeswehr war und meinen Wehr-dienst gemacht habe. Ich war bei den Pionieren, mit dem roten Barett."

Ömer Yildiz ist stolz auf das ein paar Jahre alte Foto auf seinem Laptop. Der Muslim hätte sich damals auch gern verpflichtet, wäre ihm nicht die Familien-planung dazwischen gekommen. Dass er sein Land im Notfall verteidigen muss, davon ist der Deutsche mit türkischen Wurzeln überzeugt. Er hat aber auch erlebt, dass man es als Andersgläubiger in der Truppe nicht immer leicht hat:

O-Ton Yildiz
"Ich hatte [in unserer Einheit] aus Berlin einen Algerier. Von seiner Hautfarbe her, vom Äußeren her wusste man schon, dass er aus dem arabischen Gebiet kommt. Und den hat man auch ab und zu Mal provoziert. Den Stuhl wegge-schlagen und solche kleineren Dinge. Wir haben es eigentlich auch ganz gut geschafft, wir haben uns nicht provozieren lassen. Denn es kommt sehr schnell zu Rangeleien und zu Unannehmlichkeiten, und dann muss man das immer erklären, und das ist dann auch nicht so schön. Aber wir wollten da keinen Ärger, und es gab leider immer wieder aus den entlegensten Gebieten Menschen, die schon ein bisschen anderer Ansicht waren, dass wir da nicht hin gehörten."

Junge Muslime, die einen deutschen Pass haben, sind in der Regel in Deutschland wehrpflichtig. Doch längst nicht alle gehen zum Bund. Zwar gibt es keine verlässlichen Zahlen, doch die Mehrheit scheint den Zivildienst vorzuziehen. Dennoch steigt die Zahl junger Muslime im Dienst mit der Waffe. Nach vorsichtigen Schätzungen sind es mindestens 1.250 Soldaten, wahrscheinlich aber deutlich mehr - verteilt auf die unterschiedlichsten Einheiten. Unter ihnen sind längst auch muslimische Frauen.

Der 23-jährige Erkan Kahraman ist Zeitsoldat. Er verpflichtete sich für 12 Jahre und studiert derzeit Politikwissenschaft an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg. Der muslimische Soldat ist tiefgläubig, betet regelmäßig auch im Dienst, hat aber von einer Ablehnung durch Kameraden noch nichts gespürt:

O-Ton Kahraman
"Ich glaube, das ist auch bei mir so ein positiver Effekt gewesen, dass ich damit sehr offen umgegangen bin. Und dass auch gleich jeder wusste und ich da auch irgendwie jedes Vorurteil in meiner Kameradschaft aufnehmen konnte. Das einzige, was ich erlebt habe, ist, dass, wenn es gerade in den Medien ist, dass dann halt Fragen kommen: Erkan, du bist doch Muslim, wie ist denn das mit dem Dschihad etc. Und ich mit meinem bescheidenen Wissen versuche das dann zu erklären. Es kam nie was Vorwurfsvolles. Das ist noch nicht vorgekommen."

Ein möglicher Auslandseinsatz in einem muslimischen Land schreckt ihn nicht. Im Gegenteil: Erkan Kahraman würde sich darüber freuen. Der Muslim, der wahlweise gerne auch Entwicklungshelfer geworden wäre, möchte im Ausland das Bild eines Deutschlands vermitteln, in dem auch muslimische Mitbürger ein selbstverständlicher und akzeptierter Teil der Gesellschaft und seiner Armee sind.

Für ihn und seinen Kameraden Aksin Dündüz, der Betriebswirtschaftslehre studiert, ist es selbstverständlich, dem Land, in dem sie leben, zu dienen:

O-Ton Dündüz
"Ich glaube, ein bisschen Patriotismus gehört einfach zu diesem Beruf mit dazu. Ich bin deutscher Offizier und das ist nicht einfach ein Beruf, sondern da steckt auch viel Überzeugung dahinter. Und ich glaube, das muss man einfach haben, um das auch wirklich machen zu können."

Die beiden Muslime haben an der Bundeswehr nichts auszusetzen. Auf die Belange von Muslimen, auf entsprechende Essens- und Gebetsvorschriften, gehe man in der Truppe genügend ein, heißt es zustimmend auch beim "Zentrum für Innere Führung" in Koblenz. Wobei es im Zusammenleben im Einzelfall durchaus Probleme geben könne, sagt Thomas Elßner, der dort Dozent für katholische Theologie ist:

O-Ton Elßner
"Also wenn in der Stube ein ganz normaler Tisch vorhanden ist und ein Soldat nicht-muslimischen Glaubens stellt da seine Flasche Bier hin und dann sagt der Muslim, wo ich meinen Koran hinlege, da darfst du deine Flasche Bier nicht hinstellen. Dann sind Konflikte vorprogrammiert, wo man ihn dann vielleicht etwas ausgrenzt."

Weil die Beschäftigung mit dem Islam immer wichtiger wird, hat die Bundes-wehr vor fast einem Jahr beim "Zentrum für Innere Führung" die "zentrale Koordinationsstelle Interkulturelle Kompetenz" eingerichtet. Hier sollen künftig in Sachen Islam die Fäden zusammen laufen. Soweit der Plan. Doch wie ernst ist es der Bundeswehr damit? Noch sind dort keine Ethnologen und Islamwissenschaftler beschäftigt. Und zusätzliche Mittel soll es nicht geben.

Es ist ohnehin eine interessante Frage, welche Rolle Muslime bei der Bundeswehr künftig spielen sollen. In Einzelgesprächen kritisieren Soldaten, dass ihre besonderen Kompetenzen oft zu wenig gefragt sind. Viele von ihnen sind mehrsprachig und kennen sich in fremden Kulturen gut aus. Und dennoch, so räumt Oberstleutnant Uwe Ulrich vom "Zentrum für Innere Führung" ein, gebe es bislang kein Konzept, diese Fähigkeiten der Truppe über Dolmetscherdienste hinaus dienstbar zu machen:

O-Ton Ulrich:
"Also ich denke, es ist durchaus vorteilhaft, wenn eine gewisse Kenntnis der Kultur vorhanden ist, auch in den Verbänden dort vor Ort, beispielsweise in Afghanistan. Dass wir jetzt gezielt danach suchen, das könnte ich mir höchs-tens im Bereich der Sprachmittlung vorstellen. Da kann ich das bestätigen."

Doch es fehlt nicht nur an Anerkennung, sondern offenbar auch an Hilfen im Problemfall. Ein muslimisches Netzwerk gibt es nicht - anders etwa als bei den Russlanddeutschen. Das "Sozialwissenschaftliche Institut" der Bundeswehr in Strausberg bei Berlin hat eine Untersuchung zum Thema "Muslime und Bundeswehr" durchgeführt. Eine Studie, die übrigens aus unerfindlichen Gründen unter Verschluss gehalten wird. In der Untersuchung bemängeln die befragten Muslime durchgängig, dass es ihnen an Ansprechpartnern beim Bund fehlen würde. Eine Kritik, die Ömer Yildiz nachvollziehen kann. Der ehemalige Soldat trifft in seiner Hamburger Moscheegemeinde immer wieder Menschen, die bei der Bundeswehr waren oder noch dort sind und nicht nur Positives berichten. Erst kürzlich hat sich ihm ein gläubiger junger Muslim anvertraut:

O-Ton Yildiz
"Ich hatte [Kontakt zu] einen, der jetzt aktiv vor einem Monat aufgehört hat -nach 23 Monaten. Der wollte über das Thema fast gar nicht mehr sprechen, weil er auch nur noch weg von der Thematik gehen wollte. Und der wurde auch vom Militärgeheimdienst unter die Lupe genommen, wurde verhört, dass er in der Gemeinde ist, ob er denn gewisse Informationen hat über die Jugendlichen vor Ort, über verschiedene Gemeindemitglieder, die er äußern sollte. Und er hat sich dagegen gewehrt, und fand das nicht so gut, als irgendwie Feind, Verdächtiger dargestellt zu werden. Er ist Gemeindemitglied im Jugendhaus bei uns. Und er empfand es natürlich als absolut daneben, weil er sich nichts zu Schulden kommen lassen hat."

Mobbing, Verdächtigungen und Zurücksetzungen von Soldaten, das wären eigentlich Themen für den Wehrbeauftragten des Bundestages. Doch dem ist darüber offenbar nichts bekannt. Über Muslime und ihre Probleme findet sich in seinem aktuellen Bericht kein einziges Wort. Genauso unerwähnt bleibt die Tatsache, dass es nicht einen muslimischen Militärseelsorger gibt. Das fällt umso mehr ins Gewicht, da der Wehrbeauftragte mehrfach sehr ausführlich auf die katholische und evangelische Seelsorge eingeht.

Zu den wenigen Menschen in der Bundeswehr, die sich detaillierter mit der Situation der Muslime beschäftigt haben, zählt Maren Tomforde. Die Ethnologin an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg hat mit etlichen Muslimen gesprochen. Vieles liefe gut beim Bund. Doch häufig wurde ihr auch zugetragen, dass Sticheleien durchaus keine Einzelfälle seien:

O-Ton Tomforde
"Je religiöser, je fremdländischer aussehend und je mehr an Akzent, desto mehr Probleme auch. Wobei die wirkliche Religiosität das tatsächliche Problem ist. Ich habe mit einem muslimischen Soldaten gesprochen, der sich ganz offen zu seiner Religiosität bekannt hat, der auch wirklich tief gläubig war, und der sich auch dazu entschlossen hat, auf seiner Erkennungsmarke als Religionszugehörigkeit ISL einzutragen, also ISLAM, das machen die wenigsten. Und dadurch ist er doch auf große Probleme gestoßen, und wurde zum Teil auch bei der Arbeit gemobbt und hatte wirklich zum Teil auch psychische Probleme durch den Rassismus, mit dem er dann konfrontiert war."

Ihr Resümee: Die meisten Muslime verfolgen in der Bundeswehr die Strategie: Nur nicht auffallen. Sie würden sich selbst bei offenkundigen Missständen nicht beschweren, aus Angst vor den Nachteilen. Der mündige Staatsbürger in Uniform sieht anders aus.

* Aus: NDR-Sendereihe Streitkräfte und Strategien, 27. März 2010; www.ndrinfo.de


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