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"Einsatzbereit – jederzeit - weltweit"

Zum Umbau der Bundeswehr in eine global agierende Interventionsarmee

Von Lühr Henken *

Das Arsenal der Kriegstreiber

Im Jahr 2004 begann die bis dahin größte Umstrukturierung der Bundeswehr. Sie wurde im Weißbuch 2006 dargelegt und sollte im Jahr 2010 abgeschlossen sein. Ihr Kern bestand darin, der Bundeswehr neue Offensivkraft zu verleihen, indem sie in drei völlig neue Kategorien unterteilt wurde, die jeweils aus Verbänden aller drei Teilstreitkräfte gebildet werden: „Eingreifkräfte“, „Stabilisierungskräfte“ und „Unterstützungskräfte“.

Erstere umfassen 35 000 Mann - Hightechsoldaten mit entsprechender Ausrüstung für die schnellen Eingreiftruppen von EU und NATO, die der sogenannten Vernetzten Operationsführung unterliegen. Die 70 000 „Stabilisierungskräfte“ sind für längerfristige Einsätze vorgesehen (also KFOR, ISAF, UNIFIL, etc.). Von ihnen sollen 14 000 gleichzeitig in Einsätze geschickt werden können. Betrachtet man Eingreif- und Stabilisierungskräfte zusammen, ergibt sich für die Planung der Bundeswehr, daß gleichzeitig 50 000 Mann für maximal sechs Monate in Auslandseinsätze geschickt werden können. Daneben gibt es noch 210 000 „Unterstützungskräfte“, davon 75 000 „zivile“ Angestellte.

Bei dem Umbau hat die Orientierung weg von der Landesverteidigung hin zur weltweiten Interventionsfähigkeit für die Bundeswehr höchste Priorität.

Ziel: Wirtschaftskriege

Das noch gültige Weißbuch von 2006 benennt zwei zentrale Herausforderungen für die Bundeswehr: Die Bekämpfung des „internationalen Terrorismus“ und die der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen.

Im Weißbuch wird zudem allgemein das Interesse an der „Sicherheit der Energieinfrastruktur“ hervorgehoben. Wie deren Gewährleistung aussehen soll, hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion genauer festgelegt. In ihrer „Sicherheitsstrategie für Deutschland“ vom Mai 2008 heißt es: „Die Herstellung von Energiesicherheit und Rohstoffversorgung kann auch den Einsatz militärischer Mittel notwendig machen, zum Beispiel zur Sicherung von anfälligen Seehandelswegen oder von Infrastruktur wie Häfen, Pipelines, Förderanlagen etc..“ Spätestens bei den Förderanlagen wird es kriminell. Denn es sind nicht die einheimischen gemeint. Diese Festlegung der größten Regierungspartei und ihr Versuch damit die Kriegsführung für wirtschaftliche Interessen salonfähig zu machen, blieb in der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt.

Da fühlte sich im Mai 2010 der damalige Bundespräsident Horst Köhler bemüßigt, dem Volk diese Debatte schmackhaft machen zu müssen und gab auf dem Rückflug von einem Truppenbesuch in Afghanistan im Radio einige verschwurbelte Sätze zum Besten. Die heftigen Reaktionen darauf von Politikern aus SPD, Grünen und Linken zwangen ihn zum Rücktritt.

Köhler verlangte einen Diskurs im Land darüber, daß „ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muß, daß im Zweifel, im Notfall, auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen.“

Der damalige Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg strickte weiter an diesem Thema. Dokumentiert sind von ihm folgende Aussagen: „Die Sicherung der Handelswege und der Rohstoffquellen sind ohne Zweifel unter militärischen und globalstrategischen Gesichtspunkten zu betrachten“. Und „der Bedarf der aufstrebenden Mächte an Rohstoffen steigt ständig und tritt damit mit unseren Bedürfnissen in Konkurrenz. […] Der Zusammenhang von regionaler Sicherheit und hiesigen Wirtschaftsinteressen muß offen und ohne Verklemmung angesprochen werden.“

Den Bellizisten geht es darum, in der Bevölkerung die Akzeptanz der militärischen Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen wie sie in den Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) von 1992 unter Minister Volker Rühe formuliert sind, zu erhöhen. Dort wird als Sicherheitsinteresse „die Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt“ definiert.

Für die weltweite Interventionsfähigkeit der Bundeswehr sind kostspielige Waffensysteme und Ausrüstungen bestellt und beschafft worden. Im Folgenden will ich diejenigen kurz beschreiben, die die weltweite Orientierung und die Aggressivität des Bundeswehrkonzepts belegen.

Satelliten und Drohnen

Seit Anfang Dezember 2008 hat das „Kommando Strategische Aufklärung“ das Satellitenaufklärungssystem SAR Lupe für Bundeswehr und Bundesnachrichtendienst übernommen. SAR-Lupe basiert auf der Radartechnik und erlaubt eine vom Wetter und von der Tageszeit unabhängige präzise Erdbeobachtung weltweit. Objekte der Größe eines halben Meters sind damit identifizierbar. Über die außerordentliche Bedeutung von SAR Lupe sagte der damalige stellvertretende Generalinspekteur Vizeadmiral Wolfram Kühn: „Militärpolitisch bringt uns das in der satellitengestützten Aufklärung auf Augenhöhe mit anderen Staaten, im Radarbereich sogar in eine Spitzenposition.“ (ohb-system.de, 8.12.08) Spitzenposition meint: Deutschland liegt vor den USA und wird damit zum Global Player. Diese nationale weltweite Aufklärungsfähigkeit aus dem Weltraum ist die Voraussetzung für die weltweite Einsatzfähigkeit der Bundeswehr.

Auch auf dem Gebiet der Luftwaffenrüstung zeigt sich die Bundeswehr ambitioniert: Die sogenannte Vernetzte Operationsführung dient dazu, Entscheidungsprozesse zu beschleunigen. Das soll den entscheidenden Vorteil im Krieg bringen. Technisch bedeutet das: Alle Führungs- und Einsatzebenen verfügen gleichzeitig über dasselbe Lagebild auf ihrem Display. Entscheidend dafür sind Aufklärungsdaten, die zukünftig von Unbemannten Flugkörpern (UAV, Drohnen) geliefert werden sollen. Die Einführung von UAVs wird im offiziellen Sprachjargon der Bundeswehr als „Kristallisationspunkt für die Transformation in Bundeswehr und Luftwaffe“ (Strategie und Technik November 2005, S. 41, im weiteren: SuT) angesehen. Die Bundeswehr will ab 2013 sechs UAV des Typs Global Hawk in den USA kaufen. Das mit einem Radarsystem ausgestattete Global Hawk kann binnen 24 Stunden ein Gebiet von der Größe Nordkoreas ausspionieren – und dies 5500 km von seinem Startplatz entfernt. Das reicht den Militärs jedoch nicht: Als Weiterentwicklung des Global Hawk will man den Euro Hawk. Euro Hawk bedeutet die Hülle des Global Hawk, jedoch mit EADS-Technik. Bis Ende 2015 sollen fünf Euro Hawks an die Bundeswehr ausgeliefert werden, so daß sie dann weltweit elf Großdrohnen einsetzen kann.

Ein weiteres Schlüsselprojekt auf dem Gebiet der Luftwaffenrüstung sind die Transportflugzeuge des Typs Airbus A 400 M. Sie werden für den strategischen Lufttransport eigens so konstruiert, daß einer jeweils entweder zwei Kampfhubschrauber Tiger, einen Transporthubschrauber NH-90, einen Schützenpanzer Puma, einen GTK Boxer oder 116 Soldaten mit Ausrüstung weltweit transportieren kann. Fallschirmspringer und Lasten können während des Fluges abgesetzt werden. Zehn Airbusse werden für die Luftbetankbarkeit ausgelegt, so daß sie nonstop um die Welt fliegen können. Als Start- und Landebahn genügen ein Kilometer Sand- oder Lehmpiste. Sie gelten als „Kampfzonentransporter“. Ende 2012 sollten eigentlich planmäßig zwölf von insgesamt 60 Airbus A 400 M an die Bundeswehr ausgeliefert sein, um so eine vorläufige Einsatzbereitschaft zu gewährleisten. Jedoch sind aus technischen Gründen Verzögerungen von mindestens drei Jahren eingetreten, mit der Einsatzbereitschaft ist frühestens Ende 2015 zu rechnen. Das wirkt sich auf den Preis aus. Statt 19,2 Milliarden Euro kostet die Herstellung der insgesamt 184 Maschinen rund 30,4 Milliarden. (FAZ 25.2.10) Der A 400 M ist ein Projekt Deutschlands, Frankreichs, Spaniens und Großbritanniens. Über die Aufteilung der Mehrkosten in Höhe von 11,2 Milliarden Euro ist man sich im Februar 2010 einig geworden. Die 60 deutschen A 400 M kosten nicht 9,3, sondern 10,5 Milliarden. Später einigten sich Käuferseite und EADS darauf, daß nur noch 170 Maschinen abgenommen werden. Im Januar hat sich die Bundesregierung darauf verständigt, statt der 60 nur noch 53 A 400 M zu kaufen. Allerdings sollen davon dreizehn weiterverkauft werden, so daß die Bundeswehr dann nur 40 erhält und bezahlt. (FAZ 26.1.11). Die Serienfertigung ist bereits angelaufen. (SuT, April 2011, S. 6)

Kampfflugzeuge, Marschflugkörper

Ende Juni 2003 gingen die Eurofighter in Serienproduktion. Der Eurofighter ist ein britisch- deutsch-italienisch-spanisches Projekt. Bestellt sind 707 Stück, bis zu 180 Maschinen soll die Bundeswehr in drei Tranchen bis 2015 erhalten. Bis September 2010 waren 55 der Kampfflugzeuge an die deutsche Luftwaffe ausgeliefert (ftd.de, 16.9.2010). Die Herstellungskosten inklusive Bewaffnung für das deutsche Kontingent belaufen sich derzeit auf 23,3 Milliarden Euro. Der Haushaltsausschuß des Bundestages bewilligte die zweite Tranche über 79 Maschinen Anfang Dezember 2004. Er band seine Zusage allerdings an Auflagen, wonach „in den Verträgen Regelungen zu vermeiden (seien), die eine Vorentscheidung zur Tranche 3 bedeuten könnten“ (SuT Januar 2005, S.6). Tatsächlich fordern LINKE, Grüne und FDP, die dritte Tranche über 68 Maschinen aufzugeben, aus der SPD kam der Vorschlag sie zu halbieren. Angeblich reicht das Geld nur noch für 31 der 68 Maschinen. Dieses Kontingent wird als Tranche 3a bezeichnet. Drei Milliarden Euro seien zusätzlich notwendig, um die restlichen 37 Maschinen, also die Tranche 3b, auch noch zu kaufen. Eine Entscheidung darüber müsse bis Mai 2012 fallen. Schwarz-Gelb hat sich im Koalitionsvertrag darauf verständigt, Eurofighter der Tranche 3 b für den Export „anrechnen zu lassen.“ Wie viele tatsächlich exportiert werden, steht in den Sternen. Folglich kann es durchaus beim Kauf von 180 Eurofightern bleiben. Somit bleibt der Deal ein Faß ohne Boden. Eine Eurofighter-Flugstunde kostet übrigens 74 000 Euro. (Der Spiegel, 30.8.10)

2002 hat die damalige (rot-grüne) Bundesregierung erstmals in der deutschen Militärgeschichte Marschflugkörper bestellt. Bis Ende 2010 sind für Tornados und Eurofighter 600 Taurus angeschafft worden. Der deutsch-schwedische Marschflugkörper kann, aus einer Entfernung von bis zu 350 Kilometer vom einprogrammierten Ziel abgesetzt, mittels der 500 Kilogramm schweren Gefechtsladung noch vier Meter dicken Beton durchschlagen. Er soll „verbunkerte Führungsgefechtsstände, Fernmeldezentren, Versorgungseinrichtungen, Brücken, Flugzeuge am Boden, Flugplatzinfrastruktur und Luftverteidigungsstellungen präzise zerstören“ können (SuT Januar 2011, S.6). Offensichtlich handelt es sich bei Taurus um eine Angriffswaffe.

2005 hat der Haushaltsausschuß des Bundestages grünes Licht gegeben für die Entwicklung des Luftverteidigungssystems MEADS, ein US-amerikanisch-deutsch-italienisches Projekt. Es soll Marschflugkörper und ballistische Raketen mit Reichweiten von weniger als 1 000 Kilometer vom Himmel holen. Wenn wir uns die Umgebung Deutschlands vor Augen führen, wird deutlich, daß im Umkreis von 1 000 Kilometer allerdings niemand mit Raketen oder Marschflugkörpern auf die BRD zielt. MEADS kann also mit Landesverteidigung nichts zu tun haben – und hat es auch nicht. Es soll lediglich Soldaten der schnellen Eingreiftruppen von EU und NATO im Ausland schützen. Dazu taugt das vorhandene Patriot-System nur bedingt, denn es paßt nur schwer in ein Flugzeug, aber MEADS kann mit den Military-Airbussen weltweit transportiert werden. Nachdem im Februar 2011 die USA ihren Ausstieg aus der Entwicklung bis 2013 verkündeten, erklärte auch das deutsche Verteidigungsministerium, daß es MEADS „nicht beschaffen wird“. (SuT März 2011, S. 57) Deutschland wird jedoch die Entwicklung bis Ende 2013 bis zum Systemnachweis durchführen. Ob die Entwicklung danach bis 2015 fortgeführt wird, was zusätzlich etwa 250 Millionen kosten würde, soll Ende 2011 entschieden werden. Selbst die USA halten sich die Option eines Wiedereinstiegs in das Programm offen, weil ab 2018 allein die Modernisierung der Patriot-Systeme angeblich bestimmte Fähigkeitslücken nicht mehr abdecken kann. (Vgl. SuT März 2011, S. 57) Ein deutscher Verzicht auf den Erwerb von zunächst geplanten zwölf Feuereinheiten nach 2015 würde maximal 2,85 Milliarden Euro einsparen.(FAZ 16.2.11)

Schwerpunkt Aufstandsbekämpfung

Das Heer ist in fünf Divisionen unterteilt. Dazu zählen zum einen die Division Spezielle Operationen DSO (zirka 7 300 Mann), und zum anderen die Division Luftbewegliche Operationen DLO (zirka 10 500 Mann). Wesentliche Teile der DSO sind zwei Luftlandebrigaden und das geheim operierende Kommando Spezialkräfte (KSK). Die DSO gilt als „Division der ersten Stunde“. Die Vorauskräfte sind in 24 Stunden verfügbar, die Hauptkräfte des Einsatzverbandes können innerhalb von drei bis vier Tagen in den Einsatz starten. Der Schlachtruf der DSO ist Programm: „einsatzbereit – jederzeit – weltweit.“ (Rüstungsatlas Hessen, Linksfraktion im Hessischen Landtag, Wiesbaden 2011, S.12)

Wesentlicher Bestandteil der DLO ist die neue sogenannte Luftbewegliche Brigade. Sie soll 64 Kampfhubschrauber Tiger und 32 Transporthubschrauber NH-90 erhalten sowie eine 1 600 Soldaten starke Infanterie, die per Gleitschirm einfliegt. Diese Kampftruppe, dessen Kern die Kampfhubschrauber Tiger bilden, die die kampfstärksten Hubschrauber überhaupt sind, wird aus dem Stand einsetzbar und steht nach Bundeswehrselbstzeugnis „damit qualitativ auch international an der Spitze“. (SuT März 2005, S. 22)

2009 sollte die erste Staffel (18 Tiger + 18 NH-90) eigentlich einsatzbereit sein („combat ready“). Dies hat sich verzögert, weil beide Hubschrauber nicht in ausreichender Zahl hergestellt sind. Die Bundeswehr hatte im Dezember 2010 erst dreizehn Tiger. 2011 ist mit der sogenannten vorläufigen Einsatzbereitschaft zu rechnen, 2014 mit der „vollen Einsatzbereitschaft.“

Die Tiger sind ein deutsch-französisches Projekt der Firma Eurocopter. Beide Länder erhalten je 80 Tiger, wobei der Vertrag über die zweite Tranche noch nicht unterzeichnet ist. Tiger verfügen über „durchschußverzeihende Rotorblätter“ und „selbstabdichtende Tanks“. Ab dem zweiten Quartal 2012 ist für vier Tiger der Kampfeinsatz in Nord-Afghanistan geplant. (Die Welt, 20.12.2010)

Die NH-90 sind ein deutsch-französisch-italienisch-niederländisches Projekt. Insgesamt liegen für den NH-90 665 Bestellungen vor. Davon erhält die Bundeswehr 134. Bis zum Jahresende 2011 werden erst 24 NH-90 an die Bundeswehr ausgeliefert sein. (Vgl. SuT Dezember 2010, S.46)

Die Bundeswehr verfügt über etwa 11 000 Infanteristen. Das sind vor allem Fallschirm-, Gebirgsjäger- und Panzergrenadierbataillone. 9 000 von ihnen werden ab 2012 mit dem Hightech-System „Infanterist der Zukunft – Erweitertes System“ (IdZ-ES) ausgerüstet. Diese Technik ermöglicht die Anbindung der Infanteriegruppe an die so genannte Vernetzte Operationsführung. Die „Infanteristen der Zukunft“ erhalten für den Stadt-, Orts- und Häuserkampf spezialisierte Kampffahrzeuge wie 272 GTK Boxer oder 410 Schützenpanzer PUMA. Schwerpunkt der Infanterieausbildung ist die Bekämpfung von Aufständen.

Korvetten und U-Boote

Um die deutsche Marinerüstung einzuordnen, hilft ein Blick auf die Globalstrategie der deutschen Marineführung. Kurz gesagt: Sie konzentriert sich auf fremde Küstengewässer und auf das Land dahinter. Der ehemalige deutsche Marineinspekteur Wolfgang Nolting drückt sich so aus: „Die See wird zu einem Wirkraum, der nicht mehr durch die unmittelbare Küstenlinie selbst begrenzt wird, sondern weit darüber hinaus ins Hinterland reicht, um so die Unterstützung von Landoperationen zu ermöglichen.“ Landkrieg von der See. Warum? Auch das erklärt der Marineinspekteur: „Über den möglichen Schutz ziviler Schifffahrt in gefährdeten Regionen hinaus, müssen wir die Weltmeere auch als größtes militärisches Aufmarsch- und Operationsgebiet begreifen. Nach Schätzung von Experten werden 2020 über 75 Prozent der Weltbevölkerung innerhalb eines nur 60 km breiten Küstenstreifens leben. Wir reagieren auf diesen Umstand, indem wir unsere Marine aktuell zu einer ‚Expeditionary Navy’ weiterentwickeln. Wir müssen Fähigkeiten entwickeln, die uns künftig die Teilhabe an teilstreitkraftgemeinsamen und multinationalen Szenarien bis in entfernte Randmeerregionen ermöglichen.“ (SuT April 2007, S. 10)

Zu diesem Zweck wurden für die deutsche Marine fünf Korvetten hergestellt. Über sie ist im Weißbuch zu lesen: „Mit den Korvetten K 130 verbessert die Marine künftig ihre Durchsetzungs- und Durchhaltefähigkeit. Diese Eingreifkräfte der Marine werden zur präzisen Bekämpfung von Landzielen befähigt sein und damit streitkräftegemeinsame Operationen von See unterstützen.“ (Weißbuch S. 124). Die Korvetten haben Tarnkappeneigenschaften und sind jeweils mit vier Marschflugkörpern bestückt, die aus über 200 Kilometer Entfernung auch an Land treffen können. Sie sind extrem störsicher und ermöglichen der deutschen Marine damit sogar Überraschungsangriffe. Bei der Testfahrt der vierten Korvette 2009 ereignete sich ein folgenreicher technischer Defekt. Eine Schraube hatte sich gelöst und das Getriebe zerstört. Untersuchungen ergaben einen Konstruktionsfehler des Getriebes, so daß sämtliche Getriebe ausgetauscht werden mußten. Die Indienststellungen verzögerten sich dadurch um mindestens zwei Jahre. Jetzt wird dafür ein Termin Ende des Jahres 2011 angegeben. Projektiert sind darüber hinaus sechs weitere Korvetten des Typs K 131, die für den weltweiten Einsatz und hafenunabhängige Stehzeiten von zwei Jahren ausgelegt sind. Wenn dafür Geld zur Verfügung steht, ist mit dem Zukauf ab 2019 zu rechnen.

Bereits weiter entwickelt ist das Projekt von vier neuartigen Fregatten vom Typ F 125 für die deutsche Marine, die von 2016 bis 2018 zur Verfügung stehen sollen. Auch sie sollen zwei Jahre unabhängig auf See bleiben können. Die Mannschaften werden ausgetauscht. Unter anderem sollen sie auch von See an Land schießen können.

Die deutsche Marine verfügt über die kampfstärksten konventionell angetriebenen U-Boote der Welt. Sie verfügen über einen von der Außenluft unabhängigen Brennstoffzellenantrieb. Der ermöglicht bis zu drei Wochen lange ununterbrochene Tauchfahrten um den halben Globus. Die U-Boote sind leiser als US-amerikanische Atom-U-Boote, von Marinen außerhalb der NATO sind sie bisher nicht zu orten. Mit ihren 50 Kilometer weit reichenden Schwergewichtstorpedos Seehecht stellen sie damit eine strategische Waffe dar. Sie können nicht nur Überwasserschiffe versenken, sondern auch U-Boote. Zurzeit verfügt die deutsche Marine über vier dieser U-212. Zwei weitere sind in Bau und sollen bis 2013 in Dienst gestellt werden.

Die Kosten der Neustrukturierung.

Der Ausbau der Fähigkeit der Bundeswehr weltweit Kriege zu führen, ist mit kostspieligen Großprojekten verbunden. Diese waren in hohem Maße dafür ursächlich, daß der deutsche Verteidigungshaushalt von 2006 bis 2010 von 27,9 auf 31,1 Milliarden Euro im Jahr 2010 angestiegen ist. (Vgl. SuT, Februar 2011, S. 73).

Die globale Finanzkrise 2008 führte zu einer sogenannten Schuldenbremse im Grundgesetz, die die Bundesregierung verpflichtet, bis zum Ende 2016 das strukturelle Defizit des Bundes auf 0,35 Prozent des Bruttosozialprodukts zurückzuführen. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat sich am 7. Juni 2010 darauf festgelegt, von 2011 bis 2014 insgesamt 81,6 Milliarden Euro einzusparen. Der Verteidigungsetat soll sich daran mit einer Summe von 8,3 Milliarden beteiligen.

Zur Umsetzung dieser Einsparungen wurde daraufhin eine Strukturkommission unter Leitung des Generalinspekteurs Volker Wieker einberufen, die prüfen sollte, wie sich eine Reduzierung der Bundeswehr um 40 000 Berufs- und Zeitsoldaten auswirkt.

Wieker legte am 31. August 2010 seinen 63 Seiten starken Bericht (Bericht des Generalinspekteurs der Bundeswehr zum Prüfauftrag aus der Kabinettsklausur vom 7. Juni 2010, kurz: GI-Bericht) vor. Von erheblichem Erkenntniswert ist das machtpolitische Selbstverständnis, daß dem Vorhaben Bundeswehr zu Grunde liegt. Der Generalinspekteur formuliert: „Deutschland als bevölkerungsreichstes und wirtschaftsstärkstes Land der EU ist eine politische Führungsmacht in Europa. Es wird erwartet, daß Deutschland auf vielfältige Weise Verantwortung übernimmt. Es ist unser Anspruch, auch weiterhin Streitkräfte zu stellen, die zu den besten und leistungsfähigsten in der NATO gehören. Diesen Anspruch umzusetzen, verlangt, qualitativ hochwertige Beiträge für Einsätze leisten zu können. Für die Planung und Durchführung von Einsätzen zählt unter den Verbündeten nicht die Anzahl an Soldatinnen und Soldaten in den Kasernen, sondern allein die Zahl der für unterschiedliche Operationen tatsächlich nutzbaren Kräfte.“ (GI-Bericht S. 14)

„Bündnispolitisches Gewicht“

Klartext: Als Begründung für die von Interventionismusambitionen getriebene deutsche Militärpolitik zieht der oberste Militär der Republik angebliche Erwartungen einer anonym bleibenden Instanz („Es wird erwartet“) heran. Und wenn Anonymus diese Erwartungen stellt, muß die „politische Führungsmacht“ Europas mit zu den Besten bei deren Erfüllung gehören. Weil nur diejenigen Soldaten, die global eingesetzt werden können, wirklich zählen, kommt Wieker zu dem Schluß, daß der Nutzen der Reform darin bestehen muß, daß künftig nicht nur 7 000, wie derzeit, sondern 10 000 Soldatinnen und Soldaten „dauerhaft und durchhaltefähig“ im Ausland operieren sollen, um das angeblich „seit Jahren bestehende Defizit an Infanteriekräften nachhaltig“ zu beheben. (GI-Bericht S. 50)

Wieker entwirft fünf verschiedene Modelle, die Bundeswehrumfänge von 150 000 bis 210 000 Soldaten umfassen. Er selbst favorisiert das „Modell Nr. 4“ mit 156 000 Berufs- und Zeitsoldaten (ausgehend von damals real 188 700 Mann, FAZ 28.9.10) und 7 500 Freiwilligen, so daß die Bundeswehr von nominell 252 500 auf 163 500 Mann reduziert würde, mithin um 35 Prozent. Die Freiwilligen könnten sich ab 2013 für zwölf bis 23 Monate verpflichten und dürften in Auslandseinsätze entsandt werden.

Für diese Variante spreche, daß „in keinem anderen Modell der prozentuale Anteil der Soldatinnen und Soldaten, die für Auslandseinsätze grundsätzlich vorgesehen werden können, so groß wie in diesem Modell ist“ (S. 39). Von den 163 500 sind 133 500, also 81,7 Prozent, für die Verwendung im Ausland vorgesehen. (GI-Bericht S. 49) „Dieser qualitativ neue Ansatz erlaubt im Vergleich mit Partnern wie GB, FR, ITA und ESP eine deutliche Herabsetzung des Streitkräfteumfangs der Bundeswehr,“ so der Bericht, „ohne sicherheitspolitische Einschränkungen und ohne bündnispolitisch an Gewicht zu verlieren.“ (S. 53)

Das Modell 4 führt nach Berechnungen des Generalinspekteurs zu Einsparungen von 4,4 Milliarden Euro von 2011 bis 2014 - also nur etwa die Hälfte des geforderten Betrags.

Das Modell 4 setzt die Aussetzung der Wehrpflicht zum 1. Juli 2011 voraus. Als Gründe dafür, daß die Wehrpflicht ausgesetzt werden kann, führt der GI-Bericht an: „Die Zahl der Grundwehrdienstleistenden kann signifikant verringert werden. Ihr militärischer Beitrag ist schon allein durch den seit vielen Jahren bestehenden Parlamentarischen Konsens begrenzt, Grundwehrdienstleistende nicht für Auslandseinsätze heranzuziehen. Der Mehrwert der allgemeinen Wehrpflicht besteht […] in ihrem Beitrag zur Nachwuchsgewinnung. (GI-Bericht S. 18). Die Nachwuchsgewinnung von jährlich 7 000 bis 8 000 sich weiter verpflichtenden Grundwehrdienstleistenden deckte jedoch nicht mehr den Bedarf von annähernd 10 000 Berufs- und Zeitsoldaten.

„Vom Einsatz her denken“

Der Wieker-Bericht muß im Zusammenhang gesehen werden mit dem Bericht der Weise-Kommission (benannt nach ihrem Leiter, Oberst d. R. Frank-Jürgen Weise) vom 26. Oktober 2010. Die Arbeit der Weise-Kommission beruht auf einer Festlegung im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP von 2009. Darin wurde der Verteidigungsminister ermächtigt, eine Kommission einzusetzen, die, „einen Vorschlag für Eckpunkte einer neuen Organisationsstruktur der Bundeswehr, inklusive der Straffung der Führungs- und Verwaltungsstrukturen“ erarbeitet. (Koalitionsvertrag, S. 124) Diese Kommission, deren Vorsitzender Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit ist, nahm die Arbeit am 12. Juni 2010 auf (Bericht der Strukturkommission der Bundeswehr, Oktober 2010).

Die Weise-Kommission hat ihrem Bericht folgenden Titel gegeben: „Vom Einsatz her denken – Konzentration, Flexibilität, Effizienz“ und empfiehlt im Wesentlichen Folgendes: Die Anzahl der im Auslandseinsatz befindlichen Soldaten soll von 7 000 auf zirka 15 000 erhöht werden (S. 26). Zudem soll es künftig einen bis zu 23-monatigen Freiwilligendienst gegen, der allen Erwachsenen für den „Dienst an der Allgemeinheit“ offensteht. Geplant ist auch ein freiwilliger militärischer Dienst, mit einem Dienstpostenumfang von 15 000, dessen Angehörige auch im Ausland eingesetzt werden können. (S. 26)

Die Personalstärke soll auf 180 000 Soldatinnen und Soldaten verringert, das Zivilpersonal von etwa 100 000 auf etwa 50 000 Dienstposten reduziert werden. (S. 26)

Die allgemeine Wehrpflicht wird mit der Begründung, sie sei „sicherheitspolitisch auf absehbare Zeit nicht mehr erforderlich“, ausgesetzt (S. 28)

Außerdem wird die Rolle des Generalinspekteurs aufgewertet. Er wird verantwortlich für die Planung, Führung und Nachbereitung von Operationen sowie für die Einsatzbereitschaft und -fähigkeit der Bundeswehr. Er ist gegenüber dem Verteidigungsminister (im Verteidigungsfall dem Kanzler) persönlich dafür verantwortlich. Er soll auch eine Führungsfunktion gegenüber den Teilstreitkräften und der Streitkräftebasis haben. „Die Position des Generalinspekteurs ist als die zentrale militärische Stelle in der Bundeswehr auszugestalten und entsprechend zu stärken.“ (S.30) Mit anderen Worten: Er erhält die Funktion eines Generalstabschefs.

Der Standort Bonn des Verteidigungsministerium soll komplett nach Berlin verlagert und die Ministerialbürokratie auf 1 500 Posten halbiert werden. (S. 34)

Die Umsetzung der von der Weise-Kommission vorgeschlagenen Umstrukturierung würde nach fünf bis sieben Jahren abgeschlossen sein (S. 10), also spätestens 2017.

Der ehemalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hatte bezüglich der Ergebnisse des Wieker-Berichts deutlich gemacht, daß er sich eine Erhöhung der Freiwilligenzahl auf 15 000 vorstellen könne. (FAZ, 25.8.10) Insgesamt käme man so auf 171 000 Soldatinnen und Soldaten. Nachdem dann die Weise-Kommission 180 000, die FDP bis zu 200 000, die CDU/CSU-Fraktion 190 000 und die SPD 200 000 Soldaten wollten, nannte zu Guttenberg einen Korridor von 180 000 bis 185 000 als Ziel (FAZ 23.11.10). Daraufhin faßte das Kabinett im Dezember 2010 den Beschluß einen Bundeswehrumfang von „bis zu 185 000“ Mann anzustreben, wovon 170 000 Zeit- und Berufssoldaten und 15 000 Freiwillige sein sollen. (FAZ 11.12.10)

Der Beschluß der Bundesregierung liegt um bis zu 21 500 Soldaten über dem Wieker-Vorschlag, so daß der finanzielle Einsparungseffekt sich weiter verringert. Während der Wieker-Vorschlag von 2011 bis 2014 zirka 4,42 Milliarden Euro ergäbe (Vgl. GI-Bericht, S. 48), erbrächte der Kabinettsbeschluß lediglich schätzungsweise 3,3 Milliarden.

Da dem Verteidigungsminister nachträglich für die Kürzung seines Etats ein Jahr mehr Zeit zugestanden wurde, kämen 1,3 Milliarden an Ersparnis hinzu, so daß schätzungsweise 4,5 Milliarden Euro an Minderausgaben erzielt würden.

Umstrukturierung kostet

Frühzeitig war dem Ministerium klar, daß sie die Einsparungen von insgesamt 8,3 Milliarden Euro nicht allein durch den Abbau von Personal wird erbringen können. Deshalb beauftragte Minister zu Guttenberg im Februar 2010 seinen neuen Staatssekretär Walther Otremba – am dafür zuständigen Rüstungsrat unter Vorsitz des Generalinspekteurs vorbei –, eine „Streichliste“ von milliardenschweren Rüstungsprojekten zu erarbeiten. Das vertrauliche Papier mit Stand vom 25. Juni 2010 wurde unter dem Titel „Priorisierung Materialinvestitionen“ [1] als „Handlungsempfehlung“ angefertigt. Im Papier wird vorgeschlagen, auch auf mehrere schon vertraglich festgelegte Beschaffungen zu verzichten. Weitere Einsparungen würden sich aus dem Betrieb nicht mehr benötigter Waffensysteme ergeben. Selbst Fähigkeitslücken werden in Kauf genommen. Zu den kostenintensivsten Vorschlägen zählen: der Verzicht auf 37 Eurofighter (Tranche 3b), die Beschaffung von nur 80 satt 134 Transporthubschraubern NH-90, von 40 statt 80 Kampfhubschraubern Tiger, von 280 statt 410 Schützenpanzern Puma sowie von drei statt vier Fregatten 125 und von weniger A 400 M. Auf das unbemannte Aufklärungssystem Talarion solle verzichtet werden. Allerdings wird die Beschaffung von acht Waffensystemen des Raketenabwehrsystems MEADS empfohlen.

An dieser „Streichliste“ verblüfft, daß der Verzicht auf die Hälfte mancher Waffensysteme offensichtlich nicht sicherheitsrelevant ist. Fragen drängen sich auf: Nach welchen Kriterien sind früher die Stückzahlen bestimmt worden? Nach welchen Kriterien kommt der Führungsstab des Ministeriums zu diesen neuen verminderten Stückzahlen?

Den Einspareffekt bei Beschaffungen und Betrieb durch die Umsetzung dieser „Streichliste“ beziffert das Ministerium für den Zeitraum 2011 bis 2014 mit 2,764 Milliarden Euro. Unter Zuhilfenahme des Jahres 2015 wird eine Ersparnis von 3,372 Milliarden Euro angegeben. Zusammen mit der Einsparung durch die Verminderung der Soldatenzahl auf „bis zu 185 000“ ergibt sich eine Ersparnis von schätzungsweise knapp 7,9 Milliarden. Zusätzlich erbrächte allein der Verzicht auf die Weiterentwicklung von MEADS in den Jahren 2014 und 2015 eine Viertel Milliarde . Weitere Einsparungen würden sich aus dem Weiterverkauf des Military-Airbus A 400 M ergeben, so daß das selbst gesteckte Sparziel von 8,3 Milliarden erreichbar scheint.

Aber: Die Umstrukturierung verursacht neue Kosten hauptsächlich in zwei Bereichen. Erstens: durch die Erhöhung der Soldatenzahlen im Auslandseinsatz und zweitens durch die Werbung von Berufs- und Zeitsoldaten und militärischen Freiwilligen bei Wegfall der Wehrpflicht.

Zur Zeit sind 6 845 Bundeswehrsoldaten (Stand 27. April 2011) in elf Einsätzen auf drei Kontinenten und zwei Meeren in Auslandseinsätzen. Über die künftige Zielgröße, wie viele Bundeswehrangehörige dauerhaft im Ausland eingesetzt werden sollen (ob 10 000 wie die Wieker- oder 15 000 wie die Weise-Kommission vorschlägt), ist nicht entschieden. Klar ist jedoch, daß sich bei einer Verdopplung der Soldatenzahl im Ausland auch die Kosten dafür verdoppeln werden - von im Jahr 2011 zirka 1,3 auf etwa 2,6 Milliarden Euro. Dabei schlägt allein der Afghanistaneinsatz 2011 nominell mit 1,07 Milliarden zu Buche. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung ermittelte allerdings an volkswirtschaftlichen Kosten für das Jahr 2010 dafür sogar etwa drei Milliarden.

Da die Erhöhung der Soldatenzahl im Auslandseinsatz die „höchste Priorität“ in den Überlegungen der Weise-Kommission hatte, wird an diesem Ziel festgehalten werden. Beleg dafür ist General a.D. Karl-Heinz Lather, als Stabschef des NATO-Hauptquartiers SHAPE Mitglied der Weise-Kommission, der auf die Frage „15 000 Soldaten - also doppelt so viele wie jetzt – heißt das zweifache Kosten?“ antwortete: „Wir verstehen uns auch nicht als Sparkommission. Die Kostenfrage muß offen diskutiert werden.“ [2]

Werben fürs Sterben

Das Gesetz zur Aussetzung der Wehrpflicht greift zwar erst voll zum 1. Juli 2011, aber alle diejenigen, die vom 1. März bis 1. Mai eingezogen werden, leisten zwar Wehrdienst wie bislang Wehrpflichtige, werden aber nicht mehr gegen ihren Willen eingezogen. Die letzten regulär „Gezogenen“ haben am 4. Januar 2011 ihren sechsmonatigen Dienst angetreten. Ab dem 1. Juli wird der freiwillige Wehrdienst beginnen, der zwölf bis 23 Monate dauert, und Männern und Frauen offen steht. Sie erhalten zum bisherigen Wehrsold einen Zuschlag von zwischen 16,50 und 26,50 Euro täglich mehr, so das ihr Sold zwischen 1 000 und 1 600 Euro liegen wird. Jährlich müssen etwa 12 000 Freiwillige geworben werden, um die Zielgröße 15 000 aufrecht erhalten zu können. Grundwehrdienstleistenden wird in diesem Jahr eine Verpflichtungsprämie angeboten, die etwa 100 bis 125 Euro pro Monat der Verpflichtungszeit beträgt. (Vgl. Sueddeutsche.de, 1.2.2011) „Der freiwillige Wehrdienst kostet rund 319 Millionen Euro, die durch den Wegfall der Wehrpflicht vollständig kompensiert werden.“ (FAZ, 16.12.10)

Damit ist es jedoch längst nicht getan. Neben den jährlich bis zu 12 000 zu werbenden Freiwilligen müssen ausscheidende Berufs- und Zeitsoldaten geworben werden. Erfahrungsgemäß scheiden pro Jahr etwa zehn Prozent von ihnen aus, so daß jährlich 17 000 neue gefunden werden müssen. „In den USA wenden die Streitkräfte im Durchschnitt 30 000 Dollar auf, bevor ein Bewerber überhaupt seine Unterschrift unter einen Vertrag setzt.“ (Sueddeutsche.de, 1.2.2011). Übertragen auf die Bundeswehr wären dies etwa 620 Millionen Euro pro Jahr. Das Verteidigungsministerium hat Mitte Februar ein Maßnahmenpaket „zur Steigerung der Attraktivität der Bundeswehr“ herausgebracht, in dem 82 Punkte aufgeführt werden, „mit denen Werbung, Laufbahn, soziale Rahmenbedingungen und die Personalgewinnung verbessert werden sollen.“ (FAZ, 15.2.2011). Empfohlen wird, verstärkt Werbung im Fernsehen, soziale Netzwerke im Internet oder YouTube einzusetzen. Das Volumen für „personalwerbliche Anzeigen“ in den Medien soll in diesem Jahr knapp 5,7 Millionen Euro betragen (Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 3.2.2011, Drucksache 17/4634). „Im Zentrum der Überlegungen, wie die sozialen Rahmenbedingungen verbessert werden können, steht die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dazu findet sich an konkreten Vorschlägen: Betriebskindergärten an acht Standorten, Eltern-Kind-Arbeitsplätze an 200 Standorten, Kinder-Ferienbetreuung an 100 Standorten.“ (FAZ, 15.2.11) Spezialisten wie Minentauchern und Drohnenpiloten sowie Ärzten werden höhere Zulagen in Aussicht gestellt.

Bisher bewertet die Bundeswehr ihre Anwerbeversuche als „nicht sehr ermutigend“ (FAZ, 5.3.2011). Sie habe gut 160 000 Männer zu Jahresbeginn angeschrieben. Lediglich 4 000 hätten in einer Antwort bekundet, daß sie grundsätzlich interessiert seien. Der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Werner Freers, spricht gar von „großen Lücken im Personalkörper, die uns langjährig begleiten und nicht auszugleichen sein werden.“ (Der Spiegel, 21.2.2011) Inwiefern es sich hier um interessengeleitete Propaganda handelt, um im Vorfeld von Kabinettsberatungen über die Haushaltsplanung Stimmung zu machen, läßt sich nicht belegen. Allerdings kam das Bundeskabinett daraufhin zu anderen Finanzplanungszahlen als zuvor.

Mehr Militärausgaben

Ein Vergleich der beiden letzten mittelfristigen Finanzplanungen macht eine Kehrtwende zugunsten der Finanzausstattung der Bundeswehr deutlich. Verglichen werden der 44. Finanzplan für 2010 bis 2014 vom 13. August 2010 mit dem 45. Finanzplan von 2011 bis 2015 vom 16. März 2011. Im 44. Finanzplan sind die beabsichtigten Kürzungen im Verteidigungshaushalt (Einzelplan 14) von insgesamt 8,3 Milliarden Euro dargestellt. „Die Verteidigungsausgaben wurden im Entwurf des Bundeshaushalts 2011 mit rund 31,5 Milliarden Euro veranschlagt, im Finanzplan bis 2014 mit rund 30,9 Milliarden Euro im Jahr 2012, mit rund 29,6 Milliarden Euro im Jahr 2013 und mit rund 27,6 Milliarden Euro im Jahr 2014 fortgeschrieben.“ (Finanzplan des Bundes 2010 bis 2014 vom 13.August 2010, Drucksache 17/2501, 82 Seiten, S. 21). Der 45. Finanzplan hingegen weist folgende Eckwerte für den Verteidigungsetat aus: Für 2011 31,55 Milliarden Euro (wie gehabt), jedoch für 2012 31,68, für 2013 31,35, für 2014 30,95 und für 2015 30,43 Milliarden Euro. (vgl. FAZ, 17.3.2011). Das ist eine enorme Steigerung. Sie erklärt sich aus dem Umstand, dass die Bundeswehr künftig ihre Kasernen mieten will. Für den Zeitraum 2011 bis 2015 summieren sich dafür die Mehrkosten auf knapp 7,4 Milliarden Euro. Verteidigungsminister Thomas de Maizière hat in seiner Weisung vom 22. März 2011 zum Fortgang der Strukturreform ausdrücklich den 45. Finanzplan zum Ausgangspunkt für weitere Entscheidungen gemacht.

Welche Mittel für das Attraktivitätsprogramm eingeflossen sind, welche Rüstungsprojekte gestrichen, gekürzt oder gestreckt werden sollen, welche Mittel für den Materialerhalt eingespart werden, ist öffentlich nicht bekannt. Die Entscheidung darüber, welche der 380 Bundeswehrstandorte geschlossen werden sollen, wird erst Ende 2011 entschieden und bekannt gegeben. Ganz gleich, welche Kürzungen die Regierung aus ihrer eigenen „Streichliste“ vornimmt, die Ausrichtung der Bundeswehr auf eine flexibel einsetzbare und leistungsstarke Militärmaschinerie im weltweiten Einsatz auch für wirtschaftliche Interessen bleibt dennoch gewährleistet. Dies ist eine Reform, die die strukturelle Angriffsfähigkeit der Bundeswehr effektiviert.

Abrüsten!

Statt die Bundeswehr immer mehr auf die Fähigkeit Krieg führen zu können umzurüsten und dafür in der Bevölkerung um Akzeptanz zu werben, was die Militarisierung der Gesellschaft erhöht, ist es aus friedenspolitischer Sicht erforderlich, die Bundeswehr grundlegend abzurüsten. Das geht weit über die in der „Streichliste“ aufgeführten Waffensysteme hinaus. Als erste Schritte kommen jene Kommandobereiche der Bundeswehr in Betracht, die für die Kriegsführung systemrelevant sind: Etwa das Einsatzführungskommando in Potsdam, die Stäbe der DSO in Stadtallendorf und der DLO in Veitshöchheim. Darüber hinaus muß das Kommando Strategische Aufklärung geschlossen werden. Das führt zur Stilllegung des Satellitensystems SAR Lupe. Um das aggressive System der „Vernetzten Operationsführung“ zu unterbinden, muß auf den Erwerb der Großdrohnen, für die es bisher keinerlei vertragliche Bindungen gibt, verzichtet werden. Die Anschaffung von Schützenpanzern, gepanzerten Transportfahrzeugen und die Einführung des Systems „Infanterist der Zukunft“ muß verhindert werden. Die Korvetten können ebenso stillgelegt werden wie neue U-Boote. Neue Korvetten sind gleichermaßen überflüssig wie neue Fregatten. Auf die „nukleare Teilhabe“ Deutschlands muß verzichtet werden, so daß die 36 Tornados des Jagdbombergeschwaders 33 in Büchel sofort stillgelegt werden können. Die Marschflugkörper Taurus gehören zunächst eingemottet, dann zerstört. Um den Abbau von Arbeitsplätzen in der Rüstungsbranche sozialverträglich zu gestalten und Arbeitsplätze in der zivilen Produktion zu schaffen, ist ein umfassenden Konversionsprogramm aufzulegen. Es gibt eine Fülle von notwendigen und relativ zügig durchführbaren Maßnahmen, die die Bundeswehr in eine Struktur überführt, die sie nicht-angriffsfähig macht. Als erste Maßnahme jedoch gilt es, den Bundeswehreinsatz in Afghanistan zu beenden.

Anmerkungen
  1. www.geopowers.com/sites/default/files/pdf/Priorisierungsliste.pdf
  2. http://blog.rhein-zeitung.e/?p=12091
* Lühr Henken ist einer der Sprecher des Bundesausschusses Friedenratschlag und im Beirat der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. (siehe www.imi-online.de)

Dieser Beitrag erschien in zwei Teilen in der "jungen Welt" vom 4. und 5. Mai 2011



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