Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Guttenberg prüft gesamte Bundeswehr

Kapitän der "Gorch Fock" seines Amtes enthoben *

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hat Konsequenzen aus den bekannt gewordenen Missständen bei der Bundeswehr gezogen. Nach der angeblichen Meuterei und Hinweisen auf Drangsalierungen auf der »Gorch Fock« enthob er Kapitän Norbert Schatz des Kommandos. Zudem ordnete er eine Untersuchung der gesamten Bundeswehr auf mögliches Fehlverhalten an. Die »Gorch Fock« soll möglichst schnell von Argentinien nach Deutschland zurückkehren. Ihre Zukunft als Ausbildungsschiff ist ungewiss. Berichten zufolge erstattete die Mutter der zu Tode gestürzten Kadettin Strafanzeige wegen fahrlässiger Tötung.

Er habe Generalinspekteur Volker Wieker beauftragt, bei Heer, Marine und Luftwaffe zu prüfen, »inwieweit es in den letzten Jahren und auch jetzt noch Anhaltspunkte für Rituale gibt, die den Grundsätzen der Bundeswehr widersprechen«, sagte Guttenberg der »Bild am Sonntag«. Es gehe auch um die Frage, ob es »in Einzelfällen einen Zusammenhang zwischen Einsatzbelastung und Verstößen gegen Grundsätze der inneren Führung und Vorschriften gab, wie zum Beispiel den leichtfertigen Umgang mit Waffen«.

Am Mittwoch (26. Jan.) muss Guttenberg dem Verteidigungsausschuss des Bundestags Auskunft geben. Außer zu den Vorfällen auf der »Gorch Fock« muss er auch zum versehentlichen Todesschuss auf einen Soldaten in Afghanistan und zum Öffnen von Feldpost aus diesem Einsatzgebiet Stellung nehmen.

Zur Absetzung des Kapitäns sagte der Fraktionsvorsitzende der SPD, Frank-Walter Steinmeier: »Das lässt vermuten, da wird noch viel aufzuräumen sein.« Der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel warf Guttenberg mangelnde Informationspolitik vor. Klaus Ernst, Vorsitzender der LINKEN, brachte einen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Vorfälle ins Gespräch.

* Aus: Neues Deutschland, 24. Januar 2011


Bild läßt entlassen

Guttenberg beruft Kommandant der »Gorch Fock« nach Pressebericht ab

Von Rüdiger Göbel **


Nach den jüngsten Todesfällen in der Bundeswehr läßt Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) die Truppe auf sogenannte Regelverstöße überprüfen. Den Kommandanten des Segelschulschiffs »Gorch Fock« berief er überraschend von seinem Posten ab. Das Schiff soll bis zur Klärung der Vorwürfe um den Tod einer 25jährigen Marine-Soldatin nicht eingesetzt werden.

Wie Spiegel online berichtet, hatte Bild Guttenberg am Freitag abend darüber informiert, »daß sie ihre Samstagausgabe mit dem Thema ›Gorch Fock‹ aufmachen wird. Der Artikel enthalte neue Vorwürfe gegen die Schiffsführung. Zudem kursierten im Verteidigungsministerium Gerüchte über weitere Vorfälle an Bord des Segelschulschiffes, die in den kommenden Tagen an die Öffentlichkeit kommen könnten, darunter Alkoholmißbrauch, Diebstähle an Bord bis hin zum Verdacht auf einen Selbstmord wegen der harschen Verhältnisse an Bord.« Guttenberg habe noch am Freitag abend »reagiert« und Kapitän zur See Norbert Schatz von seinem Posten als Kommandant der »Gorch Fock« abberufen. Stunden vor dem Anruf aus dem Hause Springer war Guttenberg noch den vielen Gerüchten über Druck, Schikanen und sexuelle Belästigung an Bord entgegengetreten. Der Freiherr hatte eine Untersuchung gefordert und erklärt, es dürfe »keine Vorverurteilung« geben.

In Bild am Sonntag (23. Jan.) erklärte der Minister, er habe Generalinspekteur Volker Wieker beauftragt, bei Heer, Marine und Luftwaffe zu prüfen, »inwieweit es in den letzten Jahren und auch jetzt noch Anhaltspunkte für Rituale gibt, die den Grundsätzen der Bundeswehr widersprechen«. Es gehe auch um die Frage, ob es »in Einzelfällen einen Zusammenhang zwischen Einsatzbelastung und Verstößen gegen Grundsätze der inneren Führung und Vorschriften gab, wie zum Beispiel den leichtfertigen Umgang mit Waffen«. Hintergrund: Am 17. Dezember war in Afghanistan ein Soldat versehentlich von einem anderen Soldaten erschossen worden. Der Verteidigungsminister wandte sich zugleich entschieden dagegen, »die Bundeswehr unter einen Generalverdacht« zu stellen.

Guttenbergs Gehorsam und Schönsprech zahlten sich aus: In seiner Sonntagausgabe kürte der Springer-Boulevard den »Beliebtesten unter den Politikern« zum »Einhorn der deutschen Politik«.

** Aus: junge Welt, 24. Januar 2011


Merkels Medien-Minister

Von René Heilig ***

Zugegeben, es kommt mal wieder »dicke« für Merkels »Sonnyboy«. Geöffnete Feldpost, tödliche Waffenspielereien und dann noch dieser provozierte Todesfall auf der »Gorch Fock«. Doch zu Guttenberg hatte alles im Griff. Wer zu interessiert nachfragte, dem riet er, Untersuchungen abzuwarten. Vorverurteilung? Nicht mit ihm! So war das bis zum Freitagabend, dann rief »Bild« an und las die Schlagzeilen des kommenden Tages vor. Guttenberg trat die Flucht nach vorn an, überging alle Ministeriumsebenen, pfiff auf Untersuchungen. Per Handy von unterwegs erklärte er dem Flottenchef, was in Sachen »Gorch Fock« zu tun ist.

Alles läuft wie in der Kundus-Affäre: Erst vertuschen, sich dann als Opfer von Informationsverweigerern darstellen, dann Merkel um Rückendeckung bitten, schließlich Sündenböcke suchen und medienwirksam feuern. Seltsame Auffassung von Anstand und Menschenführung. Ganz zu schweigen von der permanenten Missachtung des Parlaments. Das, was Medien berichteten, konnte dem Minister nicht neu sein. Doch erst als die veröffentlichte Flut schwachsinnigen Soldatenalltags drohte, sein Hochglanz-Image zu unterspülen, handelte er. Was er nun als Führungsstärke auszugeben versucht, wird ihm auf die Füße fallen. Denn der Umbau der Bundeswehr zur Berufskampftruppe kann nicht gegen die Beteiligten gelingen. Die aber erleben nun abermals, dass Guttenberg sie, wenn es um seinen eigenen Hals geht, wie Schachfiguren opfert.

*** Aus: Neues Deutschland, 24. Januar 2011 (Kommentar)


Zurück zur Bundeswehr-Seite

Zurück zur Homepage