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Wenn überhaupt dann höchstens ein 100.000-Mann-Heer!

Gedanken zur PDS-Initiative zur Bundeswehrreform

Von Fred Fleischer

Am 17. Juni 2000 gestaltete die PDS - Bundestagsfraktion im Bundestagsgebäude eine Diskussionsrunde zu dieser Thematik. Es ging um die Reform der Bundeswehr. Die Runde von ca. 75 Personen, fast nur Männer!, war beachtlich repräsentativ. Es diskutierten bekannte Friedensforscher wie die Professoren Ulrich Albrecht (FU Berlin), Dieter S. Lutz ( Uni Hamburg), Otfried Nassauer (BITS Berlin), Dr. H. J. Gießmann (IFSH, Hamburg), der Chef des Bundeswehrverbandes Oberst Bernhard Gertz, der Botschafter Hans Arnold, Vertreter von Friedensinitiativen und Kirche, so Tobias Pflüger, Pfarrer i. R. Ulrich Finkh, sowie ehemalige und aktive Offiziere, so die militärkundigen Herren Elmar Schmähling, Fritz Streletz, Wolfgang Neidhard, Jürgen Rose, Hans Jochen Scholz, Lothar Schröder u.a. Last but not least setzten die PDS - PolitikerInnen mit Heidi Lippmann, Wolfgang Gehrke, Gregor Gysi und Uwe Jens Rössel (alle MdB) engagiert friedenspolitische Zeichen in der Debatte.

In den 3 Diskussionsforen des Hearings wurden solche Fragen erörtert wie:
  1. Wer bedroht uns eigentlich? Wie soll der Auftrag der Bundeswehr lauten?
  2. Gibt es einen Zwang zu dienen? Wie viele Soldaten braucht das Land?
  3. Lässt sich eine Armee zivilisieren? Wie soll der Staatsbürger in Uniform künftig aussehen?

Konsens
>BR> Es gab mehr Konsens denn Konfrontation. So trafen sich die Meinungen:
  • Die Reform der Bundeswehr dürfe weder das Werk einer "Geheimkommission" sein, noch nach dem Diktum eines autoritären Kabinetts erfolgen.
  • Die Zukunft der Bundeswehr und der Platz Deutschlands im NATO-Bündnis müsse nach dem Ergebnis einer breiten demokratischen und volksverbundenen Diskussion erfolgen in die auch die Friedensbewegung und Nichtregierungsorganisationen eingebunden sind.
  • Nach dem von der Verfassung gesetzten Verteidigungsauftrag für Deutschland und auf der Grundlage einer waschechten sicherheitspolitischen Risikoanalyse müsse eine Bundeswehr gestaltet werden, die nicht Dienerin einer militarisierten Außenpolitik ist, sondern eine Verteidigungsarmee, die sich zur Aggression nicht eignet.
Der Umbau der Bundeswehr zu einer verfassungswidrigen Interventionsarmee müsse abgelehnt werden. Die neue Bundeswehr müsse künftig für die NATO ein Hindernis sein, sich nach dem Strickmuster der Aggression gegen Jugoslawien selbst zu mandatieren

Als grober Mangel wurde hervorgehoben, dass Krisenvorbeugung bisher vorrangig militärisch definiert wurde und dass zivile Friedensangebote konzeptionell und materiell unterentwickelt seien.
  • Künftig müsse der Verteidigungsauftrag der Bundeswehr dadurch entlastet werden, dass Krisenprävention eindeutig und vorausschauend vor Krisenreaktion erfolgen muss, d.h. Politik muss dafür sorgen, dass Soldaten nicht zu Mördern werden.
  • Alle Disputanten ließen stärker oder schwächer den visionären Wunsch durchblicken, dass Deutschland eine Sicherheitspolitik gestalten möge, die in Perspektive Krieg als Mittel der Politik zum Auslaufmodell werden lässt. "Gerade das wieder erweiterte Deutschland habe dazu die Macht und die Mittel". (Heidi Lippmann)

Wehrpflicht

Der Meinungsstreit umfasste weiterhin das Problem von Wehrpflicht und Zivildienst. Hinterfragt wurde, ob der Eingriff des Staates in die Lebensplanung junger Menschen selbst vor dem Verfassungsgericht künftig noch Bestand haben können (Albrecht, Lutz). Nachdrücklich betont wurde, dass in der Sicherheitsvorsorge der militärische Faktor nur einer von vielen ist, der wirklich erst als letztes Mittel eingesetzt werden darf (Clausewitz, Schmähling u.a.).

Bloßgestellt wurde das arge Missverhältnis der Budgets für Krisenreaktion (Militäreinsätze) und Krisenprävention (Vorbeugung und Verhinderung solcher Einsätze) von 8000:1 (!) Entgegengetreten wurde der Legende, der zuständige Minister Rudolf Scharping vollziehe eine gediegene Abrüstung. In Wirklichkeit erfolgt qualitative Aufrüstung in Sachen Flexibilität der Einsatzmöglichkeiten, Führung, strategischer Aufklärung - auch weltraumgestützt, Kommunikation und Transport. Dafür werden abgediente Waffen und Geräte ausgesondert, wie Panzer (35 %), Kampfflugzeuge (25 %), Luftabwehr (40 %). Angeprangert wurde u.a. die Abkehr von Wahlspeck-Versprechen in den Wendezeiten 1990 in Sachen Abrüstung und Sicherheitspolitik. (Von deutschem Boden soll künftig nur noch Frieden ausgehen - Honecker, Kohl ) Inzwischen wurden die militärpolitischen Grundsätze der Modrow-Regierung (weitere Abrüstungsschritte und Kurs auf Nichtangriffsfähigkeit) und der 2+4-Vertrag zur Makulatur entwertet und eine Militarisierung der deutschen Außenpolitik betrieben (Oberst a. D. Schröder) Selbst die von Rühe noch zitierte "Kultur der Zurückhaltung" müsse heute angemahnt werden (Oberst Gertz). In der Schlussrunde dankte der Vorsitzende der PDS-Fraktion Gregor Gysi für die Kritiken, Hinweise und Vorschläge zum PDS-Konzept an dem noch weiter gearbeitet werde. Hauptanliegen sei, weiterhin im Bündnis mit vielen Kräften einen anregenden und schwerwiegenden Beitrag zur breiten Diskussion um die Reform der Bundeswehr und der Sicherheitspolitik Deutschlands und Europas zu leisten. Der Disput muss erst richtig beginnen!

Kritisch angemerkt sei, dass einige Aspekte zum Thema zu kurz kamen. So spielte z.B. die Idee vieler internationaler Autoritäten von einem atomwaffenfreien Korridor von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer kaum eine Rolle. Immerhin gab es dazu vordem u.a.:
3 Ostsee - Friedenskonferenzen in Rostock (1992), Stralsund (1994), Schwerin (1997) von denen die in Schwerin besonders repräsentativ war und eine vierte Konferenz in Lübeck, Kiel oder Flensburg fällig wäre, die Akzente zum Thema Osterweiterung der NATO setzen könnte.

Unterbelichtet war auch die kritische Sicht, dass Militär, namentlich in Deutschland, von der Politik nachhaltig davor geschützt werden muss, verlängerter Arm der Wirtschaft zu sein. Die vielgerühmte Zivilgesellschaft muss ihre Soldaten (incl. der höheren Dienstgrade) einfach davor schützen für verbrecherische Aggressionen missbraucht zu werden. Bewundernswert an dieser Anhörung ist der Mut dieser kleinen aber wirklichen Oppositionsfraktion im Bundestag die breite Diskussion zum heißen Eisen Bundeswehrreform engagiert weiterzutreiben.

Erstaunlich war auch, dass dabei die zahlreichen pfiffigen und profilierten Frauen über die diese Partei verfügt im Ärmel blieben, so zu hoffen als Trümpfe für die nächste Runde.
Aus: PAX REPORT 6/7, Juli/August 2000

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