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Weizsäcker-Kommission "Zukunft der Bundeswehr" legt ihr Konzept vor

Eine Stellungnahme des Komitees für Grundrechte und Demokratie

Bundeswehrreform: Nebel werfen auf Nebenkriegsschauplätzen

Gegenwärtig tobt in der Öffentlichkeit eine Schlacht um die Grundzüge einer umfassenden Reform der Bundeswehr. Die künftige Personalstärke der Streitkräfte und die Frage nach Erhalt oder Abschaffung der Wehrpflicht sind heiß umkämpft. Das ist - um im militärischen Jargon zu bleiben - Nebelwerfen auf Nebenkriegsschauplätzen. Denn verdeckt wird die Tatsache, daß sich Scharping, von Kirchbach und sein Nachfolger Kujat, die Damen und Herren der Weizsäcker-Kommission und die VertreterInnen der rot-grünen Regierung sowie der christlich-liberalen Opposition im entscheidenden Punkte völlig einig sind: Das deutsche Militär soll zu einer fern der Heimat offensiv einsetzbaren Interventionsarmee umgerüstet und umstrukturiert werden. Die "Landesverteidigung" - der grundgesetzliche Auftrag der Bundeswehr - mag zwar noch unterschiedlich gewichtet werden, klar und unbestritten aber ist, dass faktisch Angriffsoperationen im Ausland, sog. "Kriseneinsätze" künftig zur Hauptaufgabe werden. Denn ein Feind, der das Land bedrohen könnte, ist nach einhelliger Meinung weit und breit nicht in Sicht, "Krisen" dafür aber um so mehr. Die Weizsäcker-Kommission etwa empfiehlt, die Bundeswehr auszurichten auf den "Kriseneinsatz" auf zwei Schauplätzen gleichzeitig. Und da ist es dann nebensächlich, dass die Kommission den Personalumfang auf 240.000 Soldaten und die Zahl der Wehrpflichtigen auf 30.000 herunter fahren will; entscheidend ist, dass sie die Krisenreaktionskräfte (in der neuen Terminologie: Einsatzkräfte) von gegenwärtig 60.000 auf 140.000 aufstocken will. Diese Einsatzkräfte sollen fern der Heimat und der Landesverteidigung offensiv kämpfen können. Mobilität, Flexibilität, Verlegbarkeit, Durchhaltefähigkeit sind Schlüsselbegriffe, mit denen die künftigen Fähigkeiten des Militärs bedacht werden. Dem entsprechend empfiehlt die Weizsäcker-Kommission, bei der Umrüstung der Bundeswehr das Schwergewicht auf so aparte Instrumente wie "strategische Lufttransportkapazität", "leistungsfähige Seetransportkapazitäten", "Präzisionsbewaffnung mit Abstandsfähigkeit" usw.usf. zu legen, kurz: auf jene Instrumente, die für militärische Interventionen besonders dringend gebraucht werden. Ebenso sollen die "nationalen Führungsstrukturen" auf Interventionsfähigkeit ausgelegt werden. Es soll eine neue Organisation geschaffen werden, die "in der Lage ist, streitkräftegemeinsame Operationen modular zusammengestellter Kontingente über Landes- und Bündnisgrenzen hinweg (! V.B.) zu führen". Hat da jemand "Generalstab" gehört?

Kein Trost ist es, dass man diese Interventionsarmee nach eigenem Bekunden ja nur für "den guten Zweck", also "Krisenbewältigung", "humanitäre Interventionen" etc. pp. einzusetzen gedenkt. Im Krieg gegen Jugoslawien hat man sich ja auch schon über Völkerrecht und Grundgesetz hinweg gesetzt. Und oberstes Gebot friedens- und sicherheitspolitischen Urteilens ist und bleibt, militärische Mittel nicht nach den Absichtsbekundungen der Politiker und Militärs zu beurteilen, sondern nach den Fähigkeiten. Interventionsfähigkeit aber ist das zentrale Charakteristikum der angestrebten neuen Bundeswehr. Auch nicht zur Beruhigung trägt bei, dass man diese Interventionsarmee ja nur "im Bündnis", also im Rahmen der NATO und neuerdings auch der EU, einsetzen will und sie auch nur bündnisgemeinsam einsetzbar machen will. Das mag zwar nationale militärische Alleingänge ausschliessen, nicht aber militärgestützte nationale Machtpolitik als solche. Denn das eigene militärische Gewicht wird selbstverständlich als Trumpfkarte in die internen machtpolitischen Konkurrenzen in NATO und EU eingebracht werden. Wie heißt es doch bei der Weizsäcker-Kommission?: 140.000 Mann (und Frau) Einsatzkräfte seien erforderlich, um "der Bundesrepublik angemessenes Gewicht und Mitsprache im Bündnis zu sichern".

Ein letztes: Vollends zynisch wird die Argumentation dort, wo man eine interventionsfähige Bundeswehr einordnet in eine angeblich auf zivile Krisenprävention und Konfliktbearbeitung orientierte Politik und das Militär zum Mittel einer solchen Politik erklärt; zeigen doch die Gewichte - nimmt man allein die Ausstattung mit Finanzen und Ressourcen - das einmal mehr das Militär zum eigentlichen Kern von "Krisenbewältigung" gemacht werden soll, während zivile Instrumente zum entbehrlichen Wurmfortsatz der hochgerüsteten Streitmacht degradiert werden. Von nicht zu überbietender Dreistigkeit ist angesichts dieser Entwicklungen wer - wie die Grünen - die personelle Reduzierung der Bundeswehr und die Abschaffung der Wehrpflicht bei gleichzeitiger Modernisierung und Interventionsorientierung als friedenspolitischen Erfolg verkaufen will. Erstes Gebot von Friedenspolitik ist, einerseits militärische Mittel so abzubauen und umzumodeln, dass sie nicht mehr offensiv- und interventionsfähig sind, und andererseits Methoden und Instrumente ziviler Konfliktbearbeitung zu entwickeln. Nur so kann man einer Bundesrepublik ohne Armee und einer Welt ohne Militär und gewaltsamen Konfliktaustrag näher kommen. Das aber wollen offensichtlich weder Scharping noch die Weizsäcker-Kommission noch die Grünen.
Volker Böge, Komitee für Grundrechte und Demokratie

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