Weizsäcker-Kommission "Zukunft der Bundeswehr" legt ihr Konzept vor
Eine Erklärung von Tobias Pflüger (imi Tübingen)
Im Namen der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. gibt
Tobias Pflüger zum vorliegenden Kommissionsbericht folgende
Pressemitteilung ab:
Kriegsführungsfähigkeit verhindern, qualitative Aufrüstung einleiten!
1. Beide vorliegende Papiere stellen einen weiteren Schritt zur
Kriegsführungsfähigkeit dar
Krieg und Kriegsführung sind mit der neuen NATO-Strategie auch
für die Bundesrepublik und damit die Bundeswehr wieder zum
"normalen" Mittel von Politik geworden. Beide Papiere verstärken
diesen Trend zu Krieg. Für uns ist es oberstes Ziel, diese Fähigkeit
zum Kriegführen wieder rückgängig zu machen. Zentrales Ziel in
der jetzt folgenden Debatte muß es sein, eine strukturelle
Kriegsführungsunfähigkeit und strukturelle Angriffsunfähigkeit der
Bundeswehr zu erreichen.Dies ist insbesondere dadurch möglich,
daß die Komponenten der Bundeswehr abgerüstet werden, die
militärisch die Kriegsführungsfähigkeit herstellen und die
gefährlichste militärische Qualität ausmachen, dies sind die
Krisenreaktionskräfte bzw. Einsatzkräfte von 157.000 Soldat/inn/en
(Kirchbach-Papier) bzw. 140.000 Soldat/inn/en (Kommissions-
Bericht).
Deshalb lautet die Forderung der Informationsstelle Militarisierung:
"Qualitative Abrüstung einleiten, Auflösung der
Krisenreaktionskräfte bzw. Einsatzkräfte einschließlich der
Elitekampftruppe Kommando Spezialkräfte (KSK)"
2. Friedensbewegung und kritische Friedensforschung könnten in
drei aufgestellte Fallen laufen:
a. Die Reduzierung der Bundeswehr auf 290.000 (Kommission)
oder 265.000 Mann und Frau (Kirchbach) ist keine Abrüstung, es
ist aufgrund der Aufstockung der Einsatzkräfte (früher
Krisenreaktionskräfte / KRK) eine qualitative Aufrüstung! Deshalb
ist ein Begrüssen einer rein zahlenmässigen bzw. quantitativen
Abrüstung kontraproduktiv, es muß darum gehen, die Teile der
Bundeswehr abzurüsten, mit denen Krieg geführt werden
könnte!
b. Die isolierte Forderung nach Abschaffung der Wehrpflicht ist
kontraproduktiv. Die Abschaffung der Wehrpflicht ist weder im
Kirchbach-Papier noch im Kommissionsbericht vorgesehen. Aber
insbesondere im Kommissionsbericht wird mit der Einführung eines
"Auswahlwehrdienstes" das Ende der Wehrpflicht eingeläutet. Das
Ende der Wehrpflicht wäre endlich das Ende eines staatlichen
Zwangsdienstes. Doch: Wenn nur die Wehrpflicht fallen würde,
aber die Bundeswehr weiter qualitativ aufgerüstet wird, sprich wenn
die Kriegsführungsfähigkeit weiter ausgebaut wird, dann ist dies
zwar für die betroffenen Männer individuell zu begrüssen, doch
friedenspolitisch ist dies ein enormer Rückschritt. Die Forderung
nach Abschaffung der Wehrpflicht muß deshalb immer in den
Gesamtkontext gestellt werden, zentrales Ziel muß sein, die
Bundeswehr strukturell angriffsunfähig zu machen. Die Frage der
Wehrpflicht ist nicht die zentrale Frage der deutschen Militärpolitik,
die zentrale Frage ist, ob eine Interventionsarmee gewünscht wird
oder nicht, wir setzen uns für die Verhinderung einer solchen
kriegsfähigen Armee ein.
c. Aus dieser obigen Feststellung wird von manchen die
Schlußfolgerung gezogen, dann müßten Friedenskräfte sich für
den Erhalt der Wehrpflicht einsetzen, weil damit eine
Interventionsarmee verhindert werden könnte.
Auch diese Schlußfolgerung ist kurzsichtig. Auch bisher ging
Wehrpflicht und der Ansatz einer Interventionsarmee zusammen.
Ein Beibehalten der Werhrpflicht verhindert die
Kriegsführungsfähigkeit nicht. Das Kirchbach-Papier hatte als
Vorgabe, genau die Kombination von Wehrpflicht
und Interventionsarmee zu erreichen, der Kommissionsbericht
versucht mit der Einführung der Auswahlwehrpflicht beides unter
einen Hut zu bekommen.
Nach wie vor bleibt für die Bundeswehrführung die Wehrpflicht die
"beste" Rekrutierungsmöglichkeit von späteren Berufs- und
Zeitsoldaten. Deshalb: Pro-Wehrpflicht-Positionen sind
kontraproduktiv!
3. Der Gesamtzusammenhang der neuen Bundeswehr: Neue
NATO und militarisierte Europäische Union (EU)
3.1 Die neue NATO ein Interventionsbündnis, Sofortige Rücknahme
der neuen NATO-Strategie, Ziel Auflösung der NATO
Die neue NATO-Strategie hat im wesentlichen drei Kernelemente:
- "Selbstmandatierung": Die NATO gibt sich in Zukunft selbst ein
Mandat für Militäreinsätze. In der neuen NATO-Strategie wird dazu
betont: "In diesem Zusammenhang erinnert das Bündnis an seine
späteren Beschlüsse in bezug auf Krisenreaktionseinsätze auf
dem Balkan." Dies zeigt, daß der Jugoslawienkrieg ein Muster war
für zukünftige NATO-Kriege und nicht eine "bedauerliche
Ausnahme". - Interventionismus: Es wurde festgelegt, daß es
in Zukunft sogenannte "nicht Artikel 5 Krisenreaktionseinsätze"
geben soll. Art. 5 des NATO-Statutes besagt, daß wenn ein NATO-
Land angegriffen wird, wird dies als Angriff auf alle NATO-Staaten
verstanden. In Zukunft wird sich die NATO auch für sogenannte
"Nicht-Art. 5 Einsätze" (also Angriffsaktionen wie gegen
Jugoslawien) zuständig fühlen. - Kampfeinheiten: Durch eine Umstrukturierung der NATO-Armeen
sollen noch mehr kleinere, kampforientierte Einheiten (also weitere
"Einsatzkräfte") geschaffen werden.
Die politischen Forderungen muß deshalb sein:
-
Sofortige Rücknahme bzw. Nichtumsetzung der neuen NATO-
Strategie./ul>
Die neue NATO-Strategie enthält offensive und völkerrechtswidrige
Elemente, bedeutet eine Entmachtung der UNO und die
Kriegsführungsfähigkeit der NATO. Eine parlamentarische Beratung
der neuen NATO-Strategie hat nie stattgefunden.
-
Ziel muß die Auflösung der NATO sein.
Die NATO ist ein Unsicherheitsbündnis geworden. Die NATO
bedroht mit ihrem Verständnis von "Sicherheit" inzwischen andere
Länder. Frieden und Gerechtigkeit sind nur noch gegen die NATO
möglich. Deshalb müßte die NATO aufgelöst werden. Auch wenn
das Ziel Auflösung der NATO nicht realisierbar scheint, dennoch
muß es klar formuliert werden. Durch die kombinierten
Forderungen nach Rücknahme der neuen NATO-Strategie als
ersten Schritt und als Ziel die Auflösung der NATO erzeugen wir
endlich eine überfällige Diskussion über das Unsicherheitsbündnis
NATO.
3.2. Militarisierung der Europäischen Union (EU)
Die EU hat nach dem Krieg wesentliche Beschlüsse für eine
eigenständige Militärmacht EU gefaßt. Das ist die absolut falsche
"Konsequenz" aus dem Krieg gegen Jugoslawien. Diese
Militarisierung der EU geht einher mit einer Oligopolisierung der
europäischen Kriegswaffenindustrie.
Die politischen Forderungen müssen deshalb sein:
-
Rücknahme der Militarisierung der europäischen Union
-
Stop der Oligopolisierung der europäischen Kriegswaffenindustrie
4. Gegen die konkreten Auswirkungen der Militarisierung vorgehen:
Gegen jede zivilmilitärische Zusammenarbeit
Die durch die neue NATO-Strategie und die EU-Militarisierung
veränderte und kriegstauglicher gemachte neue Bundeswehr greift
viel weiter in zivile Bereiche der Gesellschaft ein, als das bisher der
Fall war. Doch je konkreter die Militarisierung wird, um so mehr
Menschen werden sich aber wehren, auch Menschen, die unsere
Ziele nicht immer mittragen.
4.1. Gegen zivilmilitärische Zusammenarbeit I: Bundeswehr und
Krankenhäuser
Die Bundeswehr hat während des Jugoslawien-Krieges begonnen
mit ausgewählten Kliniken zivilmilitärisch zusammenzuarbeiten,
d.h. es gibt dort einen gegenseitigen Austausch von Personal
"schon in Friedenszeiten" für die spätere Nutzung bei "Landes- und
Bündniseinsätzen". Diese Zusammenarbeit muß gestoppt werden!
(Nähere Informationen u.a. eine Unterschriftenliste unter
http://www.imi-online.de) Möglich wären Aktionen
und Diskussionsveranstaltungen zum Thema.
4.2. Gegen die Rekrutierung von Frauen zur Bundeswehr
Das Urteil zu Frauen in die Bundeswehr paßt hervorragend in die
neue Militärkonzeption: Es fehlen der Bundeswehr derzeit
Freiwillige also Menschen die den tödlichen Job machen wollen.
Diese Lücke kann nun mit engagierten Frauen aufgefüllt werden.
Wir sollten uns deshalb engagiert dafür einsetzen, daß Frauen
nicht jede Dummheit Männern nachmachen und sich nicht
Nachteile als Emanzipation verkaufen lassen.
4.3. Gegen zivilmilitärische Zusammenarbeit II: Gegen NGOs als
Begleitprogramm militärischer Außenpolitik
Nichtregierungsorganisationen (NGOs) werden immer häufiger
genutzt als Begleitprogramm zur Kriegspolitik. Hier ist es
notwendig, auf das Grundverständnis der einzelnen NGOs zu
achten. Stimmt dieses mit dem inhaltlich überein, was diejenigen
haben, die Kriegspolitik aktiv betreiben, dann ist Skepsis angesagt.
Beispiel: Während des Jugoslawienkrieges: Cap Anamur.
4.4. Gegen zivilmilitärische Zusammenarbeit III: Privatisierung der
Bundeswehr?
Es gibt jetzt eine umfangreiche Zusammenarbeit zwischen privaten
Firmen und Bundeswehr. "Eine strategische Partnerschaft auf dem
Weg in den modernen Staat" sei das. In Teilen der Bundeswehr
findet Outsourcing und Privatisierung statt. Ein umfangreicher
Personalaustausch zwischen Bundeswehr und den beteiligten
Firmen ist vorgesehen. Zu den Firmen gehören auch bisher
vollständig zivile Firmen aus allen möglichen Branchen. Wieder
findet eine zivilmilitärische Vermischung statt. Kriegführung wird
teilprivatisiert.
5. Zusammenfassung
Die neue NATO-Strategie wird derzeit auf die Bundeswehr
durchdekliniert. Die NATO ist ein Interventionsbündnis geworden,
die EU ist auf dem Weg zur Militärmacht und die Bundeswehr wird
verändert in eine Profi-Interventionsarmee. Friedensbewegung und
kritische Friedensforschung haben nun die Aufgabe die konkreten
Auswirkungen der Militarisierung den Menschen bewußt zu
machen: "Bundeswehr und Krankenhäuser", "Frauen in die
Bundeswehr", "NGOs als Begleitprogramm für die Bundeswehr"
und "Wirtschaft und Bundeswehr" sind hier Ansatzpunkte.
Hier geht es zu zwei weiteren Erklärungen aus der Friedensbewegung:
Zu weiteren Artikeln, Dokumenten und Berichten zum Thema Bundeswehr auf der
Bundeswehr-Seite
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