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Auslandseinsätze der Bundeswehr an Völkerrecht und Menschenrechte binden

Antrag der GRÜNEN im Bundestag und sämtliche zu Protokoll gegebene Reden dazu im Wortlaut

Im März 2008 brachte die Fraktion der GRÜNEN im Deutschen Bundestag einen Antrag ein, der die Auslandseinsätze der Bundeswehr an das Völkerrecht binden sollte. Der Antrag kam am 25. September 2008 auf die Tagesordnung der 179. Sitzung der 16. Wahlperiode. Eine Diskussion fand nicht statt, die Redebeiträge wurden allesamt zu Protokoll gegeben. Im Folgenden dokumentieren wir:



Deutscher Bundestag, Drucksache 16/8402
16. Wahlperiode 05. 03. 2008

Antrag
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Winfried Nachtwei, Marieluise Beck (Bremen), Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid, Thilo Hoppe, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Rainder Steenblock, Jürgen Trittin und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für klare menschen- und völkerrechtliche Bindungen bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
  1. über die völkerrechtlich korrekte und parlamentsrechtlich eindeutige Mandatierung von Auslandseinsätzen hinaus Klarheit über die menschen- und völkerrechtlichen Bindungen und die Grenzen zulässigen Vorgehens bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr zu schaffen;
  2. sicherzustellen, dass bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr grund- und menschenrechtliche Verpflichtungen sowie die Normen des humanitären Völkerrechts eingehalten werden;
  3. sicherzustellen, dass an Auslandseinsätzen beteiligte deutsche Soldatinnen und Soldaten nicht zu bestimmten Handlungen angeleitet werden, für die sie sich später möglicherweise strafrechtlich verantworten müssen;
  4. sicherzustellen, dass deutsche Soldatinnen und Soldaten bei gemeinsamen Operationen mit Streitkräften anderer Staaten sich nicht an Operationen beteiligen, die nach den für deutsches staatliches Handeln geltenden Normen nicht zulässig wären.
Berlin, den 5. März 2008
Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Auslandseinsätze der Bundeswehr sind zwingend an das Völkerrecht und die Menschenrechte gebunden. Das ist auch das Selbstverständnis der Soldatinnen und Soldaten. Zu Recht stellt die neue Zentrale Dienstvorschrift 10/1 „Innere Führung“ fest, dass die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr als „Staatsbürger in Uniform“ „den Werten und Normen des Grundgesetzes in besonderer Weise verpflichtet“ sind. Die Erfahrungen gerade mit den konkreten Einsatzbedingungen in Afghanistan und insbesondere bei der Operation Enduring Freedom zeigen aber: Der Bundesregierung ist es bisher nicht gelungen, die menschen- und völkerrechtlichen Grenzen und Bindungen bei Auslandseinsätzen klar zu definieren und erlaubtes von unerlaubtem Handeln deutlich abzugrenzen. Im Zusammenhang mit dem Einsatz in Afghanistan geht es dabei um so entscheidende Fragen wie die, was mit festgenommenen Personen zu geschehen hat, und ob und unter welchen Bedingungen eine Übergabe dieser Personen an andere Institutionen zulässig ist. Es geht aber auch darum, ob deutsche Soldatinnen und Soldaten z. B. über Luftaufklärung zur Auswahl und Identifizierung von Personen und Zielobjekten einen aktiven Beitrag zu gezielten Tötungen leisten dürfen.

Eine Bestimmung des zulässigen Vorgehens im Einzelfall setzt Klarheit über die geltenden rechtlichen Grundsätze voraus. Sogar innerhalb des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) gab es dazu allerdings in der Vergangenheit konträre Auffassungen, die beispielsweise im Jahre 2002 in zwei sich widersprechenden Rechtsgutachten Niederschlag fanden. Innerhalb der Bundesregierung führten Versuche der Abstimmung zwischen den beteiligten Häusern nicht zur Auflösung des Dissenses. In der Konsequenz wird die Verantwortung bei den Soldatinnen und Soldaten abgeladen.

Zur Frage der Behandlung von festgenommenen Personen hat das BMVg nunmehr in einem Befehl vom 26. April 2007 zumindest grundlegende Regelungen niedergelegt. Es fällt jedoch auf, dass dieser Befehl jegliche Bezugnahme auf grund- und menschenrechtliche Standards oder Normen des humanitären Völ- kerrechts vermeidet. So fehlt jeder Hinweis auf die Garantien des Grundgesetzes, die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) oder die Regelungen des humanitären Völkerrechts. Dabei ist alle staatliche Gewalt an das Grundgesetz und die menschenrechtlichen Verpflichtungen, die die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich eingegangen ist, gebunden.

Der so genannte bewaffnete Kampf gegen Straftäter, wie der Einsatz in Afghanistan von der Rechtsabteilung des BMVg bezeichnet wird, findet mangels Festlegung daher weiterhin in einer rechtlichen Grauzone statt. Das Konstrukt der Strafverfolgung mit militärischen Mitteln führt dazu, die rechtlichen Grundlagen des Einsatzes zu vernebeln und sich von rechtlichen Bindungen zu lösen. Gerade Auslandseinsätze der Bundeswehr aber bedürfen einer klaren rechtlichen Grundlage: Nicht nur der Deutsche Bundestag braucht Klarheit über den Umfang und die – rechtlichen – Grenzen eines von ihm zu verantwortenden Auslandseinsatzes. Insbesondere die beteiligten Soldatinnen und Soldaten benötigen Rechtssicherheit. Sie dürfen nicht in rechtlichen Grauzonen operieren, und sie dürfen nicht im Unklaren gelassen werden, ob ihr Vorgehen rechtlich zulässig ist oder einen Rechtsverstoß darstellt.


Aus dem Sitzungsprotokoll vom 25. September

Tagesordnungspunkt 26:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Winfried Nachtwei, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für klare menschen- und völkerrechtliche Bindungen bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr

– Drucksache 16/8402 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Holger Haibach, CDU/CSU, Christoph Strässer, SPD, Florian Toncar, FDP, Dr. Norman Paech, Die Linke, Volker Beck (Köln), Bündnis 90/Die Grünen, und des fraktionslosen Gert Winkelmeier.

Holger Haibach (CDU/CSU):

Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr leisten seit vielen Jahren in Auslandseinsätzen einen wichtigen Beitrag nicht nur für die Sicherheit Deutschlands, sondern auch für den Schutz der Menschenrechte. Sie nehmen teil an humanitären und friedenssichernden Missionen und sorgen durch ihre Präsenz für den notwendigen Schutz, der in einer Krisenregion erst die unabdingbaren Voraussetzungen für den Wiederaufbau schafft: Stabilität und Sicherheit! Dafür gebührt ihnen unser tief empfundener Dank.

Militärisches Handeln findet allerdings nicht im luftleeren Raum statt. Das bedeutet, dass das Handeln von Soldatinnen und Soldaten von verschiedenen Faktoren abhängig ist: vom Einsatzgebiet, von der Aufgabenstellung und nicht zuletzt von den anderen Akteuren vor Ort – ob feindlich, freundlich oder neutral. Militärisches Handeln wird schließlich nicht alleine von der Bundeswehr geleistet, sondern in der Regel in Zusammenarbeit mit anderen Partnern im Rahmen der UN, der EU oder der NATO.

Vor diesem Hintergrund entstehen neue Fragestellungen und Probleme, die der Antrag, den wir heute debattieren, aufgreift. Diese Fragestellungen sind auch deshalb wichtig, weil die Bundeswehr über mehr als vier Jahrzehnte nicht in Auslandseinsätze eingebunden war und sich somit viele Fragen bis Mitte der 90er-Jahre einfach nicht gestellt haben.

Ich möchte in diesem Zusammenhang eine Bemerkung vorausschicken: Jeder militärische Einsatz, der auf den Schutz der Menschenrechte zielt, verliert in dem Augenblick dramatisch an Legitimation, in dem die militärisch Handelnden Mittel und Wege nutzen, die den Menschrechten zuwiderlaufen. Schon aus dieser Erwägung heraus – ohne auf die zwingende moralische Notwendigkeit zur Einhaltung der Menschenrechte einzugehen – muss sich das Handeln der internationalen Staatengemeinschaft und damit eben auch der Bundeswehr an menschenrechtlichen Standards orientieren. Ich bin der festen Überzeugung, dass der Bundesverteidigungsminister, die militärische Führung der Bundeswehr und auch die Soldatinnen und Soldaten sich dieser Tatsache bewusst sind und auch in den allermeisten Fällen danach ihr Handeln ausrichten.

Es ist jedoch nicht zu bestreiten, dass es in der Vergangenheit vereinzelt zu nicht hinnehmbaren Verletzungen dieser Prinzipien gekommen ist. Diese müssen aufgeklärt und die Ursachen hierfür beseitigt werden. Es ist mir allerdings wichtig, darauf hinzuweisen, dass es sich tats ächlich um Einzelfälle und nicht um ein „Massenphänomen handelt.

Dennoch hat der vorliegende Antrag insofern seine Berechtigung, als er die Schwerpunkte anspricht, die für ein an menschenrechtlichen Standards orientiertes Handeln entscheidend sind: entsprechende Ausbildung, klare Befehlsstrukturen und ebenso klare Vorgaben für das Verhalten im Einsatz. Allerdings versucht der Antrag, den Anschein zu erwecken, diese Punkte seien bisher vernachl ässigt oder gar nicht beachtet worden. Und diesen Versuch kann man getrost und mit guten Gründen als gescheitert ansehen.

Gehen wir die Punkte im Einzelnen durch: „Klarheit über die menschen- und völkerrechtlichen Bindungen und die Grenzen des zulässigen Vorgehens bei Auslandseins ätzen zu schaffen“, wie es der erste Punkt Ihres Antrags fordert, ist doch mindestens genauso eine Herausforderung an den Deutschen Bundestag wie an die Bundesregierung. Wenn dem nicht so wäre, dann hätten wir als Abgeordnete im Rahmen der Mandatsverlängerung, aber auch im Rahmen unserer Mitwirkungsrechte im Wege des Parlamentsbeteiligungsgesetzes unsere Arbeit schlecht gemacht. Diesen Eindruck habe ich aber vor dem Hintergrund der intensiven, oft kritischen Debatten in diesem Haus und der noch intensiveren Arbeit in den beteiligten Ausschüssen nicht.

Sie fordern weiterhin, dass Soldatinnen und Soldaten bei Auslandseinsätzen nicht durch Befehle Vorgesetzter in eine Lage gebracht werden sollen, in der sie zu Handlungen angehalten werden, die völker- und menschenrechtlichen Standards widersprechen. Diese Forderung ist, so richtig sie sein mag, doch ein wenig banal. Das Verbot von Befehlen, die gesetzlichen Bestimmungen zuwiderlaufen, ist ein alt hergebrachter Grundsatz der Bundeswehr und gilt im In- wie im Ausland. Das soll nicht hei- ßen, dass es solche Fälle nicht hin und wieder gibt. Aber die Regelungen, die solches verbieten, gibt es eben auch. Ich verweise hier nur auf § 10 Abs. 4 des Soldatengesetzes, der es deutschen Soldaten verbietet, strafrechtswidrige Befehle anzunehmen und auszuführen. Konkret heißt es: „Er (der Vorgesetzte) darf Befehle nur zu dienstlichen Zwecken und nur unter Beachtung der Regeln des Völkerrechts, der Gesetze und der Dienstvorschriften erteilen.“ Hier wird das Völkerrecht ausdrücklich erwähnt.

Im Übrigen will ich an dieser Stelle betonen und deutlich machen, dass die Bundeswehr schon seit langer Zeit ihre Soldatinnen und Soldaten intensiv auf Auslandseins ätze vorbereitet und dass dabei der Aspekt „Einhaltung von menschenrechtlichen und völkerrechtlichen Standards eine wichtige Rolle spielt. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf das VN-Ausbildungszentrum der Bundeswehr in Hammelburg verweisen. Da diese Einrichtung über eine Homepage verfügt, kann man sich im Internet über die Aktivitäten informieren, die unternommen werden, um militärisches und ziviles Personal für Einsätze im Rahmen der UN zu schulen. Dabei kann man auch feststellen, dass es eine intensive Zusammenarbeit auch mit Institutionen der Zivilgesellschaft und auch mit dem Zentrum für internationale Friedenseinsätze gibt. Insofern werden hier unter anderem genau die Inhalte vermittelt, die in dem vorliegenden Antrag eingefordert werden.

Darüber hinaus werden die Einsatzkräfte auch mit sogenannten Taschenkarten ausgestattet, die ihnen in Kurzform im Einsatzfall als Informationsquelle über die Grenzen ihres Handelns zur Verfügung stehen.

Für uns als CDU/CSU-Fraktion ist klar, dass wir die Einsätze der Bundeswehr und das Verhalten der Soldatinnen und Soldaten immer im Einklang mit den Standards des Völkerrechts und der Menschenrechte sehen wollen. Dass dies, besonders bei dem letztem Punkt, den der Antrag erwähnt, nämlich der Zusammenarbeit mit anderen militärischen Verbänden aus anderen Nationen, manchmal zu schwierigen Situationen geführt hat und vielleicht auch führen wird, ist klar. Aber auch hier sollten wir uns davor hüten, Verbündete sozusagen unter Generalverdacht zu stellen, auch wenn bestimmte Vorfälle in der Vergangenheit Besorgnis erregt haben.

Die Verantwortung, die Bundeswehr im Rahmen des Völkerrechts und in Übereinstimmung mit menschenrechtlichen Standards operieren zu lassen, sehen wir in gleicher Weise wie die Antragsteller. Der Eindruck, hier werde zu wenig getan, wird aber von uns nicht geteilt. Schließlich haben wir als Parlament die Verantwortung, Ja oder Nein zu sagen zu einem Einsatz. Diese Verantwortung schließt die Prüfung der Frage mit ein, ob der jeweilige Einsatz vertretbar ist und im Einklang mit den oben genannten Grundsätzen steht.

Christoph Strässer (SPD):

Die Bundesrepublik Deutschland ist seit vielen Jahren Vollmitglied der Vereinten Nationen. Mit dem Beitritt haben wir die Geltung der Charta anerkannt, und zwar insgesamt und nicht nur in Teilbereichen. Anerkannt haben wir damit auch Kapitel VII, wonach bei „Bedrohung“ oder einem „Bruch des Friedens oder einer Angriffshandlung “ auch militärische Sanktionsmaßnahmen nach Art. 42 durchgeführt werten können, wenn andere Maßnahmen nach Art. 41 VN-Charta unzulänglich sind oder sein würden. Unter diesen Obliegenheiten muss auch Deutschland sich der Verantwortung als Mitglied der Vereinten Nationen stellen und bei Vorliegen der völkerrechtlichen Voraussetzungen politisch entscheiden, ob und in welchem Umfang nach entsprechender Anforderung die Bundeswehr sich an derartigen friedenssichernden Maßnahmen der Vereinten Nationen beteiligt. Die einfache wie populistische Forderung „Keine Auslandseins ätze der Bundeswehr“ ist insofern verantwortungslos, die Bundeswehr ist fester Bestandteil internationaler Bündnissysteme.

Sie übernimmt seit Jahren wichtige internationale Verantwortung und leistet mit ihren Auslandseinsätzen einen wichtigen Beitrag zur Friedenssicherung in Krisenregionen. Sie unterstützt die Vereinten Nationen bei der Wahrung der Menschenrechte, bei der Herstellung und Wahrung der Sicherheit in Krisengebieten und schafft damit Räume für zivile Organisationen bei der Auslieferung humanitärer Hilfsgüter und zum zivilen Wiederaufbau. Dabei finden militärische Einsätze nicht in rechtsfreien Räumen statt. Im Zentrum jedes Einsatzes muss die Wahrung der Menschenrechte stehen, wie sie sich aus den Grundsätzen des humanitären Völkerrechts, aber auch aus den Wertentscheidungen unseres Grundgesetzes ergeben. Sicherheitspolitik kann nur dann glaubwürdig sein, wenn sie bereit und fähig ist, Freiheit und Menschenrechte auch durchzusetzen – und vor allem auch selbst danach zu handeln.

Deshalb geht die grundsätzliche Stoßrichtung des Antrages auch unter dem Aspekt einer notwendigen sachlich und öffentlich geführten Debatte zu diesem Thema in Ordnung. Wir müssen uns in Zukunft verstärkt die Fragen stellen: Wie weit reichen die Menschenrechtsverpflichtungen der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen? Wie werden die Soldaten informiert und geschult? Wie kann die Einhaltung der Verpflichtungen kontrolliert werden? Das sind Fragen, mit denen sich die zuständigen Ressorts und der Deutsche Bundestag weiter zu beschäftigen haben.

Vor einigen Monaten berichtete das Magazin „Der Spiegel“ von einem Einsatz der Krisenreaktionkräfte in Afghanistan. Die Einheit sollte einen Taliban-Kommandeur dingfest machen, auf dessen Konto eine Reihe von Sprengfallen ging. Er wurde ausfindig gemacht, die Operation wochenlang geplant. Kurz vor dem Zugriff wurden die Pläne entdeckt. Der Verdächtige entkam, obwohl er hätte getötet werden können. Deutsche Soldaten beteiligen sich nicht am Targeting – dem gezielten Ausschalten von Feinden. Andere Nationen sehen das anders, was durchaus zu Reibungspunkten und Zielkonflikten führt.

Die deutschen Soldaten brauchen Klarheit und Rechtssicherheit für ihr Handeln. Das gilt auch für die Gewahrsamund Festnahme von Personen. Wie lange dürfen diese festgehalten werden, wem dürfen sie übergeben werden, welche Regeln gelten? Nach einem von Amnesty International vorgelegten Afghanistan-Report sei zum Beispiel nicht auszuschließen, dass überstellte Personen von afghanischer Seite misshandelt würden. Aus diesem Grunde wird derzeit auch ein Abkommen zwischen Deutschland und Afghanistan vorbereitet, um sicherzustellen, dass an staatliche afghanische Behörden zu übergebende Personen nach den internationalen und vertraglichen menschenrechtlichen Verpflichtungen behandelt werden und die Todesstrafe nicht an ihnen vollstreckt wird. Dies ist zur Herstellung von Rechtssicherheit dringend erforderlich, sogenannte Diplomatische Zusicherungen reichen hierfür nach meinem Verständnis nicht aus.

Die Verpflichtung auf das Grundgesetz war und ist eines der Gründungsprinzipien der Bundeswehr. Bundeswehrsoldaten sind wie jeder andere Bürger auch den Werten des Grundgesetzes verpflichtet – auch bei Auslandseins ätzen. Es gibt keinen begründeten Zweifel daran, dass die Bundeswehr nicht alles unternimmt, die Einhaltung des Völkerrechts und der Menschenrechte zu gewährleisten. Die Ausrichtung ihres Handelns an die Einhaltung der elementaren Menschenrechte gehört zum Selbstverständnis der Soldatinnen und Soldaten. Gleichzeitig stellt der „Staatsbürger in Uniform“ den demokratischen Gegenentwurf zum unkritischen Befehlsempfänger dar.

Dabei sind zwei Ebenen zu unterscheiden – zum einen die Ebene der dienstrechtlichen Vorgaben, zum anderen die Ebene des höherrangigen Rechts. Die Soldatinnen und Soldaten werden im Rahmen ihrer Ausbildung, einsatzlandspezifisch vor jedem Auslandseinsatz und auch während des Einsatzes über die Grundlagen des Humanit ären Völkerrechts und des Internationalen Rechts ausgebildet.

Auf die allgemeinen und besonderen Bestimmungen beim Festhalten oder Festnehmen von Personen wird in den sogenannten Taschenkarten, die den Soldatinnen und Soldaten zur Verfügung gestellt werden, eingegangen. Die Rechtsgarantien für Personen, die bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr in Gewahrsam genommen werden, wurden unter anderem in einem Befehl vom 26. April 2007 im Einzelnen aufgeführt. Doch letztlich stellen die zentralen Dienstvorschriften der Bundeswehr eine untergesetzliche Normbasis ohne Außenwirkung dar.

Deshalb bleibt weiter zu fragen, inwieweit auf der Ebene des höherrangigen Rechts Grundrechte aus dem Grundgesetz oder völkerrechtliche Verpflichtungen wie die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte oder der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte mittelbar oder besser unmittelbar Anwendung finden.

Die Bundesregierung erklärt dazu, bei Einsätzen der Bundeswehr im Ausland, insbesondere auch im Rahmen von Friedensmissionen, sichere Deutschland allen Personen, soweit sie der Herrschaftsgewalt der Bundeswehr unterstehen, die Gewährung der im Zivilpakt anerkannten Rechte zu. Diese Erklärung stößt bei großen Teilen der Nichtregierungsorganisationen zu Recht auf Kritik. Juristisch spitzfindig verberge sich hinter der Erklärung nur eine Zusicherung der Paktrechte. Im Umkehrschluss könne man daraus schließen, dass die völkerrechtlichen Regelungen eigentlich keine unmittelbare Anwendung fänden, man sich aber freiwillig bereit erkläre, sie anzuwenden. Außerdem würden die Rechte nur Personen zugesichert, die der deutschen Herrschaftsgewalt unterstehen. Die Bundesregierung vertrete die Auffassung, die Bundeswehr übe ausschließlich Hoheitsgewalt der Vereinten Nationen aus, wenn sie im Rahmen eines Mandats des Sicherheitsrates handele, sodass die Grundrechte, die EMRK und der Zivilpakt keine Anwendung fänden. Denn auf Handlungen der Vereinten Nationen finden insbesondere internationale Menschenrechtsabkommen keine Anwendung, weil nur Staaten Vertragspartner dieser Übereinkommen sind. In diesem Fall würde nur das zwingende Völkerrecht gelten, dessen Schutzstandard unter dem der Menschenrechtsabkommen liegt. Eine solche Positionierung halte ich für unzureichend, relativiert sie doch den Charakter und die Verbindlichkeit der von uns ratifizierten Übereinkommen.

Gerade in den Rechtswissenschaften finden auch andere Auslegungen Gehör. Für Einsätze der Bundeswehr nach Art. 24 Abs. 2 GG, der für internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen gilt, dürfen keine Hoheitsrechte vollständig übertragen werden. Beim Einsatz multinationaler Kontingente übertragen die Entsendestaaten nicht die vollständige Kommandogewalt. Auch Bundesregierung und Bundestag gehen schließlich davon aus, dass sie das Recht haben, für Auslandseinsätze der Bundeswehr nationale Bedingungen und Beschränkungen vorzusehen. Neben dem Mandat der Vereinten Nationen existiert also auch ein nationales Mandat. Es gelte eine Mehrebenenverantwortlichkeit. Aus diesem Grund bestehe kein Anlass, die Grundrechte des Grundgesetzes auf extraterritoriale Handlungen der Bundeswehr nicht anzuwenden. Die Solange-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und die Bosphorus-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte lassen es sogar geboten erscheinen, jeweils zu überprüfen, ob in materieller Hinsicht ein vergleichbarer Grundrechtsschutz besteht. Es bleibt zu überprüfen, ob und inwieweit kontextbezogen Modifikationen des Schutzumfanges zulässig sind. Modifikationen können sich im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung oder mit Blick auf die praktische Konkordanz im Widerstreit mit anderen Grundrechten und Verfassungsgütern ergeben. Doch im Ergebnis gilt die Verpflichtung der Gewährleistung des höchstmöglichen Schutzniveaus, und zwar verbindlich und ausnahmslos.

Ein weiterer zentraler Punkt ist die unmittelbare Anwendbarkeit der Europäischen Menschenrechtskonvention und des Zivilpaktes. Im Fall Saramati hat der EGMR entschieden, die Menschenrechtskonvention sei nicht anwendbar, weil nationale Kontingente bei Friedensmissionen der Vereinten Nationen ausschließlich deren Hoheitsrechte ausüben wurden. Die Entscheidung wurde zu Recht mit Verwunderung aufgenommen, da das Gericht zum einen nicht die Frage aufwarf, ob nationale Kontingente parallel auch nationale Hoheitsgewalt ausüben, zum anderen weil der Gerichtshof von seiner eigenen Rechtsprechung abwich, wonach es bei der Anwendung der Menschenrechtskonvention bleibt, wenn ansonsten kein gleichwertiger Menschenrechtsschutz gewährleistet wäre. Aus der Intension der Konvention heraus dürfe kein schutzloser menschenrechtsfreier Raum geduldet werden.

Die aktuelle Debatte in der Zivilgesellschaft und Fachöffentlichkeit zeigt, dass noch nicht auf alle Fragen und Herausforderungen die abschließenden Antworten gefunden wurden, weder von juristischer Seite, was auch auf sich widersprechende Urteile der nationalen und internationalen Gerichte zurückzuführen ist, noch von politischer Seite. Richtig ist es, auf konkrete Fragen im Rahmen jeden Einsatzes auch pragmatische Antworten zu suchen, wie die Verhandlungen mit der afghanischen Regierung über ein Abkommen zur Überstellung festgenommener Personen. In der Fachöffentlichkeit ist in der Diskussion den verfahrensrechtlichen Schwierigkeiten bei vorübergehend festgehaltenen Personen und der gegebenenfalls gebotenen Richtervorführung mit einer Zuordnung von Richtern im Einsatzgebiet oder der Möglichkeit der Videokonferenz zu begegnen. Gleichzeitig gilt es aber auch, quasi auf der Metaebene die menschen- und völkerrechtlichen Rahmenbedingungen weiter zu konkretisieren. Dazu gehören sicherlich auch die Überlegungen einer expliziten Verankerung der Menschenrechte in den Mandaten der Vereinten Nationen und des Bundestages, ein Weg, den ich vom Ansatz her nachdrücklich befürworte. Grundsätzlich bin ich auch der Auffassung: je konkreter die Mandatierung erfolgt, je mehr Wert auf den zivilen Wiederaufbau, auf Nation Building und Capacity Building gelegt wird, je konkreter die Menschenrechte Verankerung finden, desto besser.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch abschlie- ßend darauf hinweisen, dass der Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe anlässlich des 60. Jahrestages der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte plant, im Dezember eine Anhörung zum Thema „Menschenrechte und extraterritoriale Staatenpflichten“ durchzuführen. Das Thema bleibt also auf der politischen Agenda, ich freue mich auf eine sachgerechte und angemessene Debatte in den Ausschüssen. Alle Beteiligten, insbesondere auch die Soldatinnen und Soldaten, die in solchen Einsätzen viel riskieren müssen, haben Anspruch auf Klarheit und Rechtssicherheit. Den kann nur die Politik schaffen.

Florian Toncar (FDP):

Der vorliegende Antrag lenkt die Aufmerksamkeit auf die Frage, welche völker- und menschenrechtlichen Grundsätze die Soldaten der Bundeswehr bei Auslandseins ätzen binden. Damit soll sichergestellt werden, dass die Soldaten die Menschenrechte der Bevölkerung im Einsatzland achten. Zudem soll die Truppe klare Handlungsanweisungen erhalten, um zu verhindern, dass die Soldaten möglicherweise an Aktionen beteiligt werden, die ihr Mandat überschreiten und für die sie später zur Rechenschaft gezogen werden. Die Sicherstellung beider Ziele ist unerlässlich, um die Unterstützung der Bevölkerungen für die Präsenz der Bundeswehr in Einsatzgebieten zu bewahren und so zur Sicherheit der Soldaten beizutragen.

Auch wenn der vorliegende Antrag sich mit einer wichtigen Thematik befasst, wählen die Grünen leider einen Zungenschlag, der dem engagierten Verhalten der deutschen Soldaten nicht gerecht wird. Der Antrag impliziert ein breites Fehlverhalten der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen. Die Formulierungen erwecken den Eindruck, als ob die Soldaten ohne menschen- und völkerrechtliche Bindungen bei Auslandseinsätzen vorgehen würden. Ferner unterstellen sie, dass bei Auslandseinsätzen grund- und menschenrechtliche Verpflichtungen nicht eingehalten werden und Soldaten möglicherweise zu Handlungen angeleitet werden, für die sie später strafrechtlich belangt werden können. Diese Prämissen treffen nicht zu. Richtig ist jedoch, dass der Dienstherr in einigen Fällen in seiner Befehlslage Unklarheit für die Soldaten geschaffen hat, die behoben werden müssen.

Zur Rechtslage ist zu sagen, dass die Soldaten der Bundeswehr wie alle anderen deutschen Bürger an das deutsche Grundgesetz gebunden sind, in dem es in Art. 1 Abs. 1 GG heißt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Bedeutsam ist auch, dass die Bundeswehr als Teil der deutschen öffentlichen Gewalt bei Handlungen im Ausland nicht nur den Verpflichtungen der völkerrechtlich normierten Menschenrechte unterliegt, sondern auch in die durch Art. 1 Abs. 3 GG normierte Bindung an die deutschen Grundrechte einbezogen ist.

Die Antragssteller führen am Anfang des Begründungsteils treffend aus: „Auslandseinsätze der Bundeswehr sind zwingend an das Völkerrecht und die Menschenrechte gebunden“. Seit ihrer Gründung gilt für die Soldaten der Bundeswehr, dass Befehlen, die das humanit äre Völkerrecht verletzen, nicht Folge zu leisten ist. Dabei ist weder die Erteilung solcher Befehle noch ihre Ausführung erlaubt.

Ich möchte an dieser Stelle unterstreichen, dass das Verhalten der deutschen Soldaten bei Auslandseinsätzen den grund- und völkerrechtlichen Verpflichtungen gerecht wird. Vereinzelte Fälle von individuellem Fehlverhalten sind konsequent geahndet worden.

In der Befehlslage hat das Bundesministerium der Verteidigung jedoch nicht immer die notwendige Sorgfalt walten lassen. Dazu möchte ich Ihnen ein Beispiel geben: Das Bundesverteidigungsministerium stellt den Soldaten wichtige Informationen oder Merksätze in Form von sogenannten Taschenkarten zur Verfügung. Dies sind kompakte Faltblättchen, welche die Soldaten griffbereit bei sich tragen sollen. In der 2006-er Ausgabe der Taschenkarte mit dem Titel „Humanitäres Völkerrecht in bewaffneten Konflikten“ wurde die Anweisung, dass die Soldaten der Bundeswehr die Regeln des humanitären Völkerrechts zu beachten haben, durch den Zusatz „soweit praktisch möglich“ eingeschränkt. Solche Fehler dürfen nicht vorkommen. Das Verteidigungsministerium ersetzte diese Textfassung im Juni 2008 durch eine Formulierung, die die vorbehaltlose Geltung des humanitären Völkerrechts wieder festschreibt.

Der Antrag der Grünen geht auch auf die Behandlung von festgenommenen Personen durch die Bundeswehr ein. Das Bundesministerium der Verteidigung hat letztmalig durch den Befehl vom 26. April 2007 die Behandlung von Gefangenen durch die Bundeswehr geregelt.

Mit diesem Befehl reagierte die Bundesregierung auf einen Antrag der FDP-Bundestagsfraktion auf Drucksache 16/2096 vom 30. Juni 2006. Es waren die Liberalen, die sich bereits vor über zwei Jahren mit diesem Themenkomplex befasst haben. Insofern hinken die Grünen der Debatte deutlich hinterher. Der Befehl des Ministeriums legt die menschenrechtskonforme Behandlung von Gefangenen fest. Da die Bundeswehr in Afghanistan keine Gefängnisse betreibt, werden Gefangene bisher an die örtlichen Behörden überstellt. Der angesprochene Befehl legt dazu fest: „Die Übergabe der in Gewahrsam genommenen Personen an Sicherheitskräfte aus Drittstaaten ist untersagt, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beachtung menschenrechtlicher Mindeststandards nicht gewährleistet ist.“ Auch wenn der angesprochene Befehl einen Fortschritt bedeutet, besteht ein Defizit fort. So verlässt sich die Bundesregierung bei Überstellungen von Gefangenen weiterhin auf diplomatische Versicherungen des Empfängerstaates, anstatt sich durch regelmäßige, unangekündigte Kontrollbesuche ein eigenes Bild über die Haftbedingungen von überstellten Gefangenen zu machen.

Also besteht hier noch Verbesserungsbedarf. Auf dieses Defizit zielt der vorliegende Antrag der Grünen jedoch leider nicht ab.

In der Summe erweckt der Antrag der Grünen den Eindruck, dass die Einsätze der Bundeswehr nicht in einem klaren menschen- und völkerrechtlichen Rahmen stattf änden. Ferner seien die Soldaten der Gefahr ausgesetzt, zu Handlungen herangezogen zu werden, für die sie spä- ter strafrechtlich belangt werden könnten. Diese von den Antragsstellern vermutete rechtswidrige Praxis existiert so nicht. Daher zielt der Kern des Antrags ins Leere.

Dennoch muss das Bundesministerium der Verteidigung weitere Verbesserungen in der konkreten Befehlslage vornehmen. Dies gilt insbesondere für die Sicherstellung der rechtsstaatlichen Behandlung von Gefangenen nach Überstellungen durch deutsche Stellen im Ausland. Die FDP hat auf diese Lücke bereits vor zwei Jahren aufmerksam gemacht.

Der in dem Antrag enthaltene Zungenschlag ist ein sprachlicher Duktus, der dem pflichtbewussten und engagierten Einsatz unserer Soldaten nicht gerecht wird. Daher lehnen wir diesen Antrag der Grünen ab.

Dr. Norman Paech (DIE LINKE):

In ihrem Antrag fordert die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen menschen- und völkerrechtliche Standards für die Einsatzregeln der Bundeswehrsoldaten in Auslandseins ätzen. Diese müssen aber nicht nur mit dem Menschen- und Völkerrecht, sondern auch mit dem Grundgesetz vereinbar sein. Ebenfalls soll die Bundesregierung sich verpflichten, ihre Soldatinnen und Soldaten vor Eins ätzen, die mit den Menschen- und Völkerrechten sowie mit dem Grundgesetz nicht kompatibel sind, zu bewahren.

Das findet in vielen Punkten unsere Zustimmung. Allerdings gibt es einen zentralen Punkt, der unserer Auffassung nach fehlt: die generelle Vereinbarkeit von Auslandseins ätzen mit dem Völkerrecht. So fordert Die Linke seit langem, dass Auslandseinsätze nur dann gestattet werden, wenn sie völkerrechtskonform sind. Leider war und ist dies bis dato nicht immer der Fall. Sie erinnern sich nicht gerne daran: Aber die Bombardierung Jugoslawiens war ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht.

Der damalige Außenminister Fischer hat seinerzeit mit dem untauglichen Argument der sogenannten humanitä- ren Intervention versucht, den Überfall völkerrechtlich zu rechtfertigen. Es lag jedoch weder ein Fall der Selbstverteidigung noch ein Mandat des UN-Sicherheitsrats vor.

Das war eine dreiste Verletzung des Völkerrechts. Die NATO hat Soldatinnen und Soldaten in einen völkerrechtswidrigen Krieg geschickt, in dem zudem zahlreiche Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung begangen wurden.

Aber auch der gegenwärtige Einsatz im Rahmen des Antiterrorkampfes der OEF in Afghanistan ist völkerrechtlich nicht gedeckt. Auch wenn man mit Art. 51 der UN-Charta argumentiert – nach sieben Jahre Besatzung in Afghanistan ist der Verteidigungsfall längst hinfällig geworden.

Und selbst die indirekte Beteiligung der Bundeswehr am Irakkrieg ist völkerrechtlich nicht gedeckt. Das Bundesverwaltungsgericht hat im Fall Pfaff eindeutig bestätigt, dass die Unterstützungsleistung gegen das Völkerrecht verstieß. Das BVerwG sagt in seinen Leitsätzen sehr deutlich, ich zitiere:

6. … Für den Krieg konnten sich die Regierungen der USA und des UK weder auf sie ermächtigende Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates noch auf das in Art. 51 UN-Charta gewährleistete Selbstverteidigungsrecht stützen.

7. Weder der NATO-Vertrag, das NATO-Truppenstatut, das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut noch der Aufenthaltsvertrag sehen eine Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland vor, entgegen der UN-Charta und dem geltenden Völkerrecht völkerrechtswidrige Handlungen von NATO-Partnern zu unterstützen.

Wenn ein Auslandseinsatz der Bundeswehr völkerrechtskonform ist, so müssen es auch die Regeln für die Soldatinnen und Soldaten sein. So wird in dem Antrag richtig festgestellt, dass es der Bundesregierung bisher nicht gelungen ist, „die menschen- und völkerrechtlichen Grenzen und Bindungen bei Auslandseinsätzen klar zu definieren und erlaubtes von unerlaubtem Handeln deutlich abzugrenzen.“ Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sind zwar mit einer sogenannten Taschenkarte ausgestattet, aber diese lässt genug Spielräume, das humanitäre Völkerrecht zu brechen. Deutsche Soldatinnen und Soldaten laufen deshalb permanent Gefahr, das humanitäre Völkerrecht zu brechen: bei Gefangennahmen und bei der Behandlung von Gefangenen, mit der Auslieferung von Gefangenen an Dritte und mit den Aufklärungsflügen. Die Kriegsführung der USA in Afghanistan hat schon seit langem und in unerträglichem Maße die Regeln des humanitären Völkerrechts verletzt. Und je tiefer sich die Bundeswehr in diesen Krieg hineinziehen lässt, umso stärker läuft sie Gefahr, sich in die gleiche völkerrechtswidrige Kampfführung zu verstricken.

Nach dem humanitären Völkerrecht sollte bei jedem Einsatz der Schutz der Zivilbevölkerung oberstes Gebot sein. Dies ist oft nicht der Fall, wie wir in Afghanistan fast täglich sehen. Bundesregierung und NATO sprechen von Kollateralschäden, wenn sie Tote in der Zivilbevölkerung, die Zerstörung von Krankenhäusern und wichtiger Infrastruktur meinen. Dies ist nicht nur eine zynische Verharmlosung, sondern auch eine Verschleierung der Tatsache, dass diese Kampfeinsätze sich außerhalb des Völkerrechts bewegen.

Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verfehlt zwar unserer Meinung nach das Kernproblem von Auslandseinsätzen und sogenannten Friedensmissionen. Dennoch ist es schon ein Fortschritt, dass er sich mit den Einsatzregeln für Soldatinnen und Soldaten auseinandersetzt und die Bundesregierung auffordert, hier Klarheit zu schaffen. Dies verlangt der vorliegende Antrag, und er findet deshalb unsere Zustimmung.

Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Es ist schon bemerkenswert, dass wir die Bundesregierung auffordern müssen, endlich Klarheit über die menschen- und völkerrechtlichen Bindungen bei Auslandseins ätzen der Bundeswehr zu schaffen. Auslandseinsätze der Bundeswehr – auch schwierige und gefahrvolle – finden ja schon seit einigen Jahren statt. Erst in den vergangenen Woche haben wir die Verlängerung der deutschen Beteiligung an den UN-Einsätzen im Sudan und vor der libanesischen Küste beschlossen. Die Beratung über die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan steht im kommenden Monat an.

Umso beachtlicher ist es, dass es weiterhin keine Klarheit über den rechtlichen Rahmen dieser Einsätze gibt. Dies stellt nicht nur der Bundesregierung ein Armutszeugnis aus, sondern auch die beteiligten Soldaten vor große Probleme.

Nach Art. 1 des Grundgesetzes binden die Grundrechte die vollziehende Gewalt, also auch die Streitkräfte, und zwar auch, soweit die Wirkungen ihrer Betätigung im Ausland eintreten. Einen territorialen Vorbehalt kennt das Grundgesetz nicht. Diese Feststellung ist auch in einem anderen aktuellen Kontext von Bedeutung: Bei Einsätzen außerhalb des deutschen Staatsgebiets, beispielsweise auf Hoher See im Rahmen von FRONTEX zur Abwehr unerwünschter Zuwanderung.

Im Hinblick auf den Einsatz der Bundeswehr im Ausland geht es um ganz konkrete Sachverhalte von großer praktischer Relevanz: Dürfen Personen festgenommen und festgehalten werden? Wenn ja, auf welcher Rechtsgrundlage und für welche Dauer? Wie steht es mit dem Gesetzesvorbehalt und dem Richtervorbehalt? Dürfen Festgenommene an andere Institutionen überstellt werden?

Insbesondere letztere Frage stellt sich aktuell in Afghanistan, wenn Personen an den afghanischen Geheimdienst überstellt werden. Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass sie nicht gefoltert werden, ein faires Gerichtsverfahren erhalten und nicht zum Tode verurteilt und hingerichtet werden? Denn eines muss unmissverst ändlich klar sein: Jegliche deutsche Unterstützungsleistungen– auch unterhalb der direkten Übergabe selbst ergriffener Verdächtiger – begründen im Falle von Verstößen gegen die Menschenrechte eine Mitverantwortung.

Deutsche staatliche Gewalt darf keine Beihilfe zur Folter oder unrechtmäßiger Inhaftierung leisten! Der Untersuchungsausschuss zu Murat Kurnaz und dem Einsatz der KSK in Afghanistan im Jahre 2002 hat in der vergangenen Woche seine abschließende Sitzung abgehalten. Sein Bericht wird uns hier im Hause noch beschäftigen. Schon jetzt lässt sich aber sagen: Der Ausschuss hat die Erkenntnis zu Tage gefördert, dass die Sondereinsatzkräfte damals nach Afghanistan beordert wurden, ohne dass diese Fragen auch nur ansatzweise geklärt waren. Das hat zu den bekannten Problemen gef ührt, unter anderem dem fragwürdigen Einsatz deutscher Soldaten bei der Bewachung von Personen, die im US-Gefangenenlager in Kandahar interniert wurden, bevor sie widerrechtlich nach Guantanamo verschleppt wurden.

Erst im Jahre 2007 wurden durch einen Befehl des Verteidigungsministeriums grundlegende Handlungsanweisungen an die Soldaten gegeben: Festgenommene sind menschlich zu behandeln, müssen versorgt und dürfen nicht gefoltert werden.

So begrüßenswert wie selbstverständlich diese Anweisungen sind, fällt doch auf, dass sie jegliche Bezugnahme auf die Grundrechte des Grundgesetzes, die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) oder Normen des humanitären Völkerrechts vermeiden. Dadurch wird die Unsicherheft darüber, welchem Rechtsregime das Handeln unterliegt, eher noch vergrößert. Gelten die Grundrechte des Grundgesetzes? Gelten die internationalen Abkommen zum Schutz der Menschenrechte? Unterliegt der Einsatz den Regeln des humanitären Völkerrechts?

Der sogenannte bewaffnete Kampf gegen Straftäter, wie der Einsatz von der Bundesregierung bezeichnet wird, findet mangels Festlegung in einer rechtlichen Grauzone statt. Das Konstrukt der „Strafverfolgung mit militärischen Mitteln“ führt dazu, die rechtlichen Grundlagen des Einsatzes zu vernebeln und sich von rechtlichen Bindungen zu lösen.

Der ehemalige Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtsfragen im Bundesministerium der Justiz. Stoltenberg, hat jüngst in einer juristischen Fachzeitschrift erneut den Finger in die Wunde gelegt und gefordert, die Bundesregierung solle unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass sie bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr die grundsätzliche Geltung der Grundrechte des Grundgesetzes sowie die Anwendbarkeit der Europ äischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und des UN-Zivilpakts anerkennt.

Denn die Grundrechte des Grundgesetzes finden auch dann Anwendung, wenn Handlungen der deutschen öffentlichen Gewalt außerhalb des deutschen Staatsgebietes stattfinden. Allein aus der Eingliederung in eine internationale Organisation oder aus der Zusammenarbeit mit Sicherheitskräften anderer Staaten folgt keine Veränderung des grundrechtlichen Prüfungsmaßstabs. Auch für die Ausübung von deutscher Hoheitsgewalt im Ausland gibt es keine grundrechtsfreien Räume.

Nicht nur der Deutsche Bundestag braucht Klarheit über den Umfang und die rechtlichen Grenzen eines von ihm zu verantwortenden Auslandseinsatzes. Insbesondere die beteiligten Soldatinnen und Soldaten benötigen Rechtssicherheit. Sie dürfen nicht in rechtlichen Grauzonen operieren, und sie dürfen nicht im Unklaren gelassen werden, ob ihr Vorgehen rechtlich zulässig ist oder einen Rechtsverstoß darstellt.

Gert Winkelmeier (fraktionslos):

Als ich den vorliegenden Antrag von Bündnis 90/Die Grünen durchgelesen hatte, war ich versucht, wie die Götter in der Odyssee in homerisches Gelächter auszubrechen. Ich möchte kreativ zitieren:

Jetzo standen die Götter, die Geber des Guten, im Vorsaal; und ein langes Gelächter erscholl bei den seligen Göttern, als sie die Künste sahn des klugen Erfinders Volker Beck.

Ich habe mir das Lachen allerdings verkniffen, denn dazu ist das Thema viel zu ernst. Schon der erste Satz des Antragsbegehrens hat es in sich. Da ist von der „völkerrechtlich korrekten“ Mandatierung von Auslandseinsätzen die Rede, als ob das bisher alles völlig in Ordnung gewesen wäre: vom gegen die Charta der UNO verabschiedeten Vorratsbeschluss am 16. Oktober 1998 zum Luftkrieg gegen Jugoslawien bis zur Beteiligung der Bundeswehr an der Operation Enduring Freedom. Demnächst, im November, werden wir wieder erleben, dass alle Befürworter und auch die möglichen grünen Gegner einer OEF-Mandatsverl ängerung wahrheitswidrig Stein und Bein behaupten, die Resolutionen 1368 und 1373 ließen die Anwendung militärischer Gewalt zu. Ich sage hier jetzt schon einmal an die Adresse der Bundesregierung: Legen Sie dem Deutschen Bundestag nicht zum x-ten Mal einen Antrag vor, der sich auf eine nicht existierende Rechtsgrundlage beruft!

Zurück zum heutigen Antrag. Es ist einfach unglaublich, mit welcher Chuzpe Sie, die Grünen, hier argumentieren. Jahrelang haben Sie sich ohne Widerstand von Ihrem informellen Anführer „an der Nase der humanitären Intervention“ – so der vorwurfsvolle Bundestags-Originalton Fischer an die Regierung des Bundeskanzlers Kohl im Jahre 1995 – in Kriege führen lassen, um die Regierungsbeteiligung nicht aufs Spiel zu setzen. Und nun entdecken Sie Mängel bei der Einhaltung der Standards des humanitären Kriegsvölkerrechts, die Sie längst hätten abstellen können. Denn Sie trugen doch länger Regierungsverantwortung als die jetzige Koalition. Unter Ihrer aktiven Mitwirkung hat doch der Kriegskurs dieses Landes begonnen. Sie haben doch den Nachkriegskonsens Deutschlands aufgekündigt, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen sollte, weil Herr Fischer sonst nicht hätte Außenminister werden können. Allein aus diesem Grunde haben Sie den Bürgerkrieg im Kosovo zum Genozid umgelogen und die Basis dafür gelegt, dass Art. 26 des Grundgesetzes, das Verbot des Angriffskrieges, droht, zur Worthülse zu verkommen.

Damit jetzt keine Missverständnisse aufkommen: Das Anliegen des Antrags unterstütze ich. Selbstverständlich dürfen unsere Soldaten nicht in rechtlichen Grauzonen allein gelassen werden. Und selbstverständlich haben Regierung und Bundeswehrführung alles zu tun, um ein völkerrechtlich einwandfreies Verhalten sicherzustellen. Da gibt es in der Tat Mängel, die abgestellt werden müssen. Das gebietet schon allein die Pflicht zur Fürsorge.

Aber – das ist doch der entscheidende Punkt–: Diese Fürsorge fängt hier im Deutschen Bundestag an. Hier wird über die Auslandseinsätze der Bundeswehr entschieden. Und dies darf nur auf einer glasklaren Rechtsgrundlage erfolgen. Das ist jenseits der politischen Beurteilung des Einzelfalls über die Parteigrenzen hinweg unser aller Verantwortung und Verfassungspflicht. Beidem ist die Mehrheit hier im Parlament seit 1998 nur in Einzelfällen gerecht geworden. Das kann natürlich auch nicht gelingen, wenn die eigentlichen Gründe für einen militärischen Einsatz nicht benannt und stattdessen Vorwände konstruiert werden. Die erste Lüge gebiert dann automatisch die nächste.

Die Fraktion der Antragsteller hat 1998 mehrheitlich entschieden, dass sich die Piloten der ECR-Tornados an Operationen beteiligen, die nach den für deutsches Handeln geltenden Normen nicht zulässig waren. Nun fordern sie, dass dies künftig nicht mehr der Fall sein dürfe; und begründen Ihren Antrag mit der völlig richtigen Aussage: „Auslandseinsätze der Bundeswehr sind zwingend an das Völkerrecht ... gebunden.“ Das will ich gerne als Ausdruck eines Lernprozesses in der Opposition werten, und ich hoffe, dass ich Sie bei künftigen Entscheidungen nicht mehr daran erinnern muss.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/8402 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Quelle: Stenografischer Bericht der 179. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 25. September 2008 (Plenarprotokoll 16/179), S. 19151-19158


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