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Ausbildungshilfe bei Rüstungsexporten - Marine als Dienstleister der Schiffbau-Werften?

Ein Beitrag von Christoph Rascht aus der NDR-Sendung "Streitkräfte und Strategien"


Andreas Flocken (Moderator):
Der deutsche Marineschiffbau hat Probleme. Die Branche bekommt zu spüren, dass die Bundeswehr sparen muss. Um die Kapazitäten auszulasten, setzen die Werften daher immer stärker auf den Export ihrer Rüstungsprodukte. Doch die Käufer von Fregatten und U-Booten verlangen inzwischen auch Ausbildungspakete - und zwar durch die Deutsche Marine. Dabei hat die kleinste Teilstreitkraft der Bundeswehr schon jetzt genug damit zu tun, die aktuellen Aufgaben mit dem knappen Personal zu bewältigen. Werden die deutschen Seestreitkräfte also nun auch noch zu Dienstleistern für die heimischen Rüstungsunternehmen? Christoph Rasch weiß mehr:


Manuskript Christoph Rasch

Feuer an Bord. Dichter Rauch quillt aus den Achterdecks zweier Minenjagdboote. Es ist nur eine Übung, im Marine-Ausbildungs-Zentrum Neustadt/Holstein.

160 Marinesoldaten aus Deutschland und Polen trainieren hier an der Ostsee Anfang Februar den Ernstfall. Sie machen sich mit der Schiffs- und Löschtechnik vertraut, lernen die Brandbekämpfung auf See:

O-Ton Grimm
„Hier ist viel Hintergrundarbeit notwendig. Und allein das Szenario, das hier gespielt wird – beide Schiffe werden brennen, wir werden insgesamt 14 Verletzte bzw. Vermisste haben – und das ist schon eine Herausforderung...“

...erklärt der Ausbildungsleiter, Kapitänleutnant Rüdiger Grimm. Mehr als 50 solcher Trainings-Einheiten begleiten Grimm und seine Kollegen pro Jahr. Und: Die Übungen werden immer internationaler:

O-Ton Grimm
„Wir haben verschiedene Ausbildungs-Unterstützungen oder Kooperationen mit verschiedenen Marinen wie beispielsweise mit den baltischen Staaten, wie beispielsweise auch mit Südafrika. Jetzt hier natürlich mit der NATO, wo dann eben Nationen aus Polen, aus Dänemark, aus Norwegen, aus Großbritannien dabei sind, aus Belgien...“

...die sogenannte „Ausbildungshilfe" - also die Schulung fremder Streitkräfte an deutschen Schiffen und Waffensystemen, bei der Navigation oder der Brandbekämpfung - sie bekommt immer mehr Gewicht für die Deutsche Marine. Auch im Libanon hilft man mit regelmäßigen Ausbildungseinheiten beim Aufbau der dortigen Seestreitkräfte. Eigentlich eine sinnvolle Sache, sagt Omid Nouripour, der Verteidigungsexperte der Grünen im Bundestag:

O-Ton Nouripour
„Wenn wir innerhalb der EU oder innerhalb der NATO Dinge austauschen, dann ist das meistens auch ein Beitrag zur Abrüstung, weil ja Systeme nicht doppelt entstehen. Und da ist es auch durchaus denkbar, dass die einen oder anderen mitgehen, um zu helfen, damit die Bündnispartner auch mit einem System dann umzugehen wissen. Aber: Algerien gehört da nicht dazu!“

Denn, kritisiert Nouripour, auch algerische Marinesoldaten profitieren von den deutschen Ausbildungs-Angeboten. Algerien hat 2008 zwei Fregatten vom Typ MEKO bei den deutschen ThyssenKrupp-Werften bestellt - Wert: Mehr als 400 Millionen Euro. Bis 2017 sollen sie ausgeliefert werden. Im Kaufvertrag wurde vereinbart, dass die Deutsche Marine die „taktische Ausbildung" der algerischen Besatzungen übernimmt. So etwas sei im internationalen Rüstungs-Geschäft inzwischen Gang und Gäbe - sagt Reinhard Lüken, Hauptgeschäftsführer beim Verband für Schiffbau- und Meerestechnik, der Lobby-Organisation deutscher Werften:

O-Ton Lüken
„Der Wettbewerb ist insgesamt hart umkämpft, ganz klar. Solche Themen wie zusätzliche Ausbildung, das ist etwas, was die Kunden, was der Käufer, was die ausländischen Marinen absolut fordern – weil sie natürlich diese komplexen Waffensysteme auch taktisch und strategisch nutzen wollen.“

Wird die Marine also immer mehr zum Ausbildungs-Dienstleister der Rüstungsindustrie? Als ihr sogenannter „Referenzkunde" soll die Flotte im Zusammenhang mit Exportgeschäften Trainings-Module auch jenen Staaten anbieten, die wegen Menschenrechts- oder Sicherheitsbedenken in die Kritik geraten: U-Boote für Ägypten und Marokko, Fregatten für Algerien - oder Patrouillenboote für Brunei und Angola. Das südwestafrikanische Land bestellte 2011 gleich mehrere davon bei der Bremer Lürssen-Werft. Auch damals bot Bundeskanzlerin Merkel militärische Ausbildungshilfe durch die Deutsche Marine an. Bei der Flotte selbst hat man mit dieser Zuarbeit im Sinne der Export-Wirtschaft offiziell kein Problem, betont Marine-Sprecher Achim Winkler. Oder doch?

O-Ton Winkler
„Wenn beispielsweise eine andere Nation Schiffe bestellt bei der deutschen Industrie, dann ist solche Ausbildungsmaßnahme mit Hilfe der Marine in der Regel damit verbunden. Das haben wir bei Schnellbooten gehabt, das haben wir bei Fregatten gehabt, das haben wir bei U-Booten schon gehabt. Das ist wichtig - und wird natürlich im Rahmen internationaler Verständigung auch gerne gemacht. Es ist richtig, das geht nicht einfach so – das ist durchaus eine Belastung, auch in personeller Hinsicht.“

Auch deshalb hat das Thema Ausbildungshilfe mittlerweile innerhalb der Marine und bei Branchenkennern heftige Debatten auslöst: Ein Kommentar im Fachblatt MARINEFORUM sieht die deutschen Seestreitkräfte als verantwortliche „Parent Navy" der hiesigen Werften sogar in der Pflicht, entsprechende Leistungen anzubieten. Eine Haltung, die teilweise wütenden Protest von Insidern und Betroffenen hervorrief. Solche Leistungen, sagen Kritiker, gehörten eben nicht zu den Aufgaben deutscher Marine-Ausbilder.

Denn gerade praktische Ausbildungsteile sind äußerst personalintensiv. Allein beim mehrwöchigen Brandschutz-Training in Neustadt, das in ähnlicher Form auch für die algerische Marine geplant ist, stehen den 160 Marinesoldaten 60 Ausbilder gegenüber. Sollten sich Ausbildungs-Hilfen für Export-Kunden deutscher Schiffs- und Waffentechnik häufen, dann bräuchte die Deutsche Marine dringend mehr Personal - weiß der Vizeadmiral a.D. und frühere Inspekteur der Marine, Lutz Feldt:

O-Ton Feldt
„Wenn wir zum Beispiel bei den U-Booten über die Unterstützung sprechen, dann sprechen wir über eine Summe, allerdings von qualifizierten Dienstposten, in der Größenordnung zwischen 30 und 40. Das sind durchaus keine astronomischen Zahlen – das sind welche, die man aber aus der Substanz der Marine, so wie ich das sehe, und wo sie hingeht, eben nicht mehr leisten kann. Alle Versuche, hier auch zusätzliche Stellen zu schaffen, um dann die Expertise aufzubauen, sind zwar immer auch mal unterstützt worden – aber es ist niemals zu einer Entscheidung gekommen, die auch dazu geführt hätte, dass die Marine dazu auch die entsprechende Manpower bekommt.“

Wenn die Politik die deutschen Kriegsschiffexporteure stärken wolle, sagt Ex-Admiral Feldt, dann müsse sie die Deutsche Marine als Ausbildungs-Partner personell besser ausstatten. Doch das passiert nicht. Im Gegenteil. Trotz neuer Aufgaben wird die Marine verkleinert, ihre Personalstärke verringert sich im Zuge der Bundeswehrreform sogar um zehn Prozent. Die externen Ausbildungs-Aufträge werden da mitunter zur Belastung – so gab es gegen das vereinbarte Trainingspaket für den Verkauf der Fregatten an Algerien auch innerhalb der Marine Bedenken. Dort hieß es, man habe keine freien Kapazitäten, das Sonder-Training für die algerischen Militärs könne sogar zu Engpässen bei der Ausbildung deutscher Marinesoldaten führen.

Die Ausbildung der Algerier ist mit Kosten von rund 12 Millionen Euro angesetzt. Die Summe soll zwar von den Algeriern bezahlt werden, doch allein acht Millionen entfallen auf Personal- und Verwaltungskosten. Also auch auf die Kapazität von Ausbildern, die dann woanders fehlen. Der grüne Verteidigungsexperte Omid Nouripour sieht deshalb auch die Industrie in der Pflicht:

O-Ton Nouripour
„Wenn die Industrie die Genehmigung bekommt, dann sollte sie natürlich selbst dafür sorgen, dass auch das Einlehren der Käufer stattfindet.“

Teilweise passiert das sogar schon: Die maritimen Rüstungs-Schmieden engagieren ehemalige Marine-Offiziere, um die internationalen Käufer deutscher Kriegsschiffe und Patrouillenboote an technische Finessen heranzuführen. Ein taktisches oder strategisches Einsatz-Training aber, sagt Werften-Verbands-chef Reinhard Lüken, könne die Industrie gar nicht anbieten - das sei eine hoheitliche Aufgabe:

O-Ton Lüken
„Es gibt da bestimmte Grenzen, in denen ein kommerziell operierendes Unternehmen das erfüllen kann – weil es eben auch eine Frage der Staatsbeziehungen darstellt. Deshalb wird es nicht möglich sein, das immer zu 100 Prozent zu kompensieren, sondern immer nur zu einem Teilbereich. Und ein Teil des Ganzen wird unter Umständen eben dazu führen, dass die Kaufentscheidung dann eben nicht mehr zu Gunsten Deutschlands fällt.“

Das Argument der Industrie: Die Marine muss deutsche Werften auch weiter unterstützen. Um diese international konkurrenzfähig zu halten - aber auch, um selbst in zehn oder zwanzig Jahren noch Korvetten, Fregatten und U-Boote aus heimischen Docks zu bekommen. Denn, so heißt es aus der Branche: Allein für die schrumpfende Deutsche Marine zu produzieren, lohne sich schon lange nicht mehr.

* Aus: NDR-Forum "Streitkräfte und Strategien", 23. Februar 2013; www.ndr.de/info


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