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Baustelle Heimatfront

Jahresrückblick 2013. Heute: Militarisierung der Gesellschaft. Frieden in Massenmedien kein »Wert an sich«. Gewerkschafter uneins. Perfide Agitation gegen Zivilklauseln an Hochschulen

Von Peer Heinelt *

Seit 1992 firmiert die Bundeswehr offiziell als Instrument zur »Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt« – ein Paradigma, das die »Transformation« oder auch »Neuausrichtung« der Truppe zur global agierenden Interventionsarmee einleitete. Die hierin zum Ausdruck kommende Militarisierung der Außenpolitik bedingt eine Militarisierung der Gesellschaft. Quer durch alle sozialen Bereiche soll willig und fröhlich für den Krieg gearbeitet und der kämpfenden Truppe mit Hochachtung begegnet werden. Auch 2013 unternahmen die hiesigen Eliten wieder etliche Anstrengungen, um diesem Ziel näher zu kommen.

Unverzichtbar für die Herstellung von Kriegsbereitschaft an der Heimatfront sind die bürgerlichen Massenmedien. Wie weit die Identifikation führender Journalisten mit der herrschenden Klasse in dieser Hinsicht geht, stellte der Leipziger Kommunikationswissenschaftler Uwe Krüger in seiner Anfang des Jahres erschienenen Dissertation klar. Seiner Untersuchung zufolge spielt »Frieden als Wert an sich« in sogenannten Leitmedien wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Welt, der Zeit oder der Süddeutschen Zeitung schlicht »keine Rolle«. Vielmehr erachteten die dort beschäftigten Redakteure und Ressortchefs den »Einsatz und Verlust von Menschenleben« als »hinnehmbar«, wenn nicht »sogar geboten«, während sie gleichzeitig die Gegner der westlich-kapitalistischen Welt als »Barbaren« darstellten, denen mit »kalter Entschlossenheit« zu begegnen sei. Entsprechende Überzeugungen sollen laut Krüger durch »Propagandatechniken« wie »gebetsmühlenartige« Wiederholungen und die Anwendung »argumentativer Tricks« in der Bevölkerung verankert werden.

Neuer Drohnencampus

Krügers Analyse kann mit Fug und Recht als Ausnahmeerscheinung angesehen werden, trägt ein Großteil der akademischen Eliten doch den offiziellen Kriegskurs begeistert mit. So begann in diesem Jahr die Einrichtung eines Campus zur Entwicklung von Kampfdrohnen auf dem Gelände der vormaligen NS-Luftfahrtforschungsanstalt München in Ottobrunn. An dem Projekt beteiligt sind neben den Rüstungsunternehmen EADS, IABG und Siemens das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), die Technische Universität und die Fachhochschule München, das »Bauhaus Luftfahrt« sowie die Münchner Bundeswehr-Universität. Als Namensgeber fungiert der Ingenieur und Rüstungsmanager Ludwig Bölkow, der der Wehrmacht das erste düsengetriebene Jagdflugzeug der Welt bescherte.

Die Militarisierung des Forschungsbetriebs beschränkt sich allerdings nicht auf die naturwissenschaftlich-technischen Bereiche; auch die Sozialwissenschaften sind längst Teil der Kriegsmaschinerie. Am Institut für Sicherheitspolitik der Universität Kiel etwa wurde dieses Jahr eine Studie zur Aufstandsbekämpfung in Afghanistan fertiggestellt. Der Autor der Untersuchung, Robin Schroeder, plädiert hier unter anderem für die »Enthauptung« von Widerstandsgruppen durch die »Ausschaltung von bedeutenden Führern«.

Groteske Nazivergleiche

Sein Dienstherr, Institutsdirektor Joachim Krause, agitiert derweil gegen die an mittlerweile 14 deutschen Hochschulen eingeführten »Zivilklauseln«, die wissenschaftliche Einrichtungen auf ausschließlich friedliche Zwecke verpflichten und jede Zusammenarbeit mit Militär und Rüstungsindustrie untersagen. Laut der ursprünglichen Fassung eines von ihm lancierten offenen Briefes, die nach wie vor im Internet abgerufen werden kann, fühlt sich Krause durch »Kooperations- und Kontaktverbote« dieser Art »fatal an Zeiten« erinnert, »in denen Universitäten in Deutschland nicht mit Menschen oder Institutionen kooperieren durften, weil diese jüdisch waren«.

Widerstand beim DGB

Den Versuch, die Gewerkschaften auf die offizielle deutsche Kriegspolitik einzuschwören, unternahm der DGB-Vorsitzende Michael Sommer (SPD). Anfang Februar traf er sich mit Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) und forderte nicht nur, die bei Kriegsoperationen im Ausland eingesetzten deutschen Soldaten »anständig auszurüsten und zu schützen«, sondern auch, ihnen gesellschaftliche »Achtung« entgegenzubringen. Der endgültige Schulterschluß mit dem Militär sollte bei einem »friedens- und sicherheitspolitischen Workshop« Ende Oktober in Berlin vollzogen werden – was allerdings mißlang. Gewerkschaftsaktivisten sorgten durch lautstarke Unmutsbekundungen und zahlreiche eigene Redebeiträge dafür, daß die geladenen Kriegspropagandisten nur mit Mühe zu Wort kamen und der DGB-Chef die Veranstaltung vorzeitig entnervt verließ.

Wenig später wurde dann einmal mehr deutlich, daß sich die hiesige herrschende Klasse und ihr politisch-administratives Personal auf handfeste Bürgerkriegsszenarien vorbereiten, besteht ihrer Ansicht nach doch stets die Gefahr eines Auseinanderbrechens der Heimatfront – sei es durch Angriffe feindlicher Kombattanten im Inland, sei es durch soziale Unruhen. Am 22. November gab die Bundeswehr die Aufstellung ihrer 30. und letzten »regionalen Sicherungs- und Unterstützungskompanie« in Berlin bekannt. Die mit Kriegswaffen ausgerüsteten, flächendeckend über die gesamte BRD verteilten Einheiten bestehen aus insgesamt 3000 Reservisten, die bei »innerem Notstand« von anderen Repressionskräften zur »Amtshilfe« herangezogen werden können. Am 25. November begann die mittlerweile sechste »länderübergreifende Krisenmanagementübung«, deutsch-englisch mit LÜKEX abgekürzt. Angehörige von Privatunternehmen, Hilfsorganisationen, Polizeibehörden, Geheimdiensten und Armee trainierten die Bewältigung einer »außergewöhnlichen biologischen Bedrohungslage«; simuliert wurde die vorsätzliche Freisetzung von Krankheitserregern durch eine »ideologisch motivierte Tätergruppe«.

Widerstand gegen die Formierung der Gesellschaft zum Zweck der Kriegführung nach innen und außen ist folglich auch 2014 dringend erforderlich. Daß er trotz ungleicher Kräfteverteilung durchaus erfolgreich sein kann, hat die Gewerkschaftsbasis dieses Jahr eindrucksvoll demonstriert.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 17. Dezember 2013


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