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Neue Räume erschlossen

Bundeswehr 2012: Reformiert, um weltweit marschbereit zu sein. Tür geöffnet für Inlandseinsätze

Von Frank Brendle *

Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) hat im Jahr 2012 den Anspruch Deutschlands bekräftigt, weltweit als Militärmacht aufzutreten. Eine leichte Truppenreduzierung in Afghanistan wird begleitet vom Vordringen in neue Einsatzgebiete.

Im September ging der bislang längste Auslandseinsatz der Bundeswehr zu Ende: Die letzten beiden Soldaten zogen nach 17 Jahren unauffällig aus Bosnien-Herzegowina ab. Ziemlich sicher ist, daß der Afghanistan-Einsatz diesen »Rekord« brechen wird. Das Mandat wurde zwar Ende Dezember von 4900 auf 4500 Soldaten reduziert, und ein weiterer Abbau auf 3300 Mann bis Februar 2014 ist in Aussicht gestellt, »wenn es die Lage zuläßt«. Deutsche Truppen werden aber auf jeden Fall noch auf Jahre hinaus am Hindukusch stationiert bleiben, um durch die Ausbildung der offiziellen afghanischen Sicherheitskräfte das Karsai-Regime am Leben zu erhalten. Entgegen aller Abzugsrhetorik wurden just in den letzten Wochen vier neue Kampfhubschrauber namens »­Tiger« nach Afghanistan verlegt. Neben der Bewaffnung mit einer 400-Schuß-Bordkanone und 70mm-Rakten gehört zu ihren militärtaktischen Vorteilen die Nachtkampffähigkeit.

Frieden steht ohnehin nicht auf dem Plan. Auf einer Bundeswehrtagung im Oktober stimmte Verteidigungsminister Thomas de Maizière Öffentlichkeit und Truppe darauf ein, Deutschland werde »künftig eher häufiger gefragt werden, wenn es darum geht, Verantwortung zu übernehmen«, und zwar überall auf der Welt. Die Armee solle »auf alles Denkbare vorbereitet« und permanent einsatzfähig sein »und zwar schnell und ohne lange Vorbereitung«.

Um ständig auf dem Sprung sein zu können, wurde dieses Jahr mit einer größer angelegten Strukturreform begonnen. Bis zum Jahr 2017 werden die zuletzt 394 Standorte auf 267 reduziert, auch Personal wird abgebaut – wobei jedoch auffällt, daß kampffähige Heeresverbände gestärkt werden.

Bei den Soldaten selbst kommt die Reform gar nicht gut an. Zu schaffen macht den Kameraden vor allem die Ungewißheit über künftige Dienstorte. Nach einer Umfrage des Bundeswehrverbandes würden zwei Drittel der Soldaten ihren Kindern und Freunden nicht empfehlen, zur Bundeswehr zu gehen.

Die Truppe soll künftig aus 170000 Soldaten sowie zwischen fünf- und 15000 freiwilligen Wehrdienstleistenden bestehen, von denen möglichst viele zu einer Weiterverpflichtung als Zeitsoldaten gewonnen werden sollen. Bis zum Ende des dritten Quartals meldeten sich 9500, die Abbrecherquote beträgt allerdings 27 Prozent.

Um personelle Engpässe beim Kriegführen auszuschließen, hat die Bundeswehr ihre Personalabteilung umstrukturiert. Die Kreiswehrersatzämter wurden komplett aufgelöst, an ihre Stelle treten 16 sogenannte Karrierecenter, die ergänzt werden durch 110 Karriereberatungsbüros und 200 mobile Büros. Eine Kooperation mit der Bundesagentur für Arbeit ist bereits vereinbart. Zudem wurde das Budget für Personalwerbung für dieses Jahr um rund 50 Prozent auf 13,7 Millionen Euro erhöht. Speziell auf Jugendliche zugeschnittene Formate wie beispielsweise ein zusammen mit der Jugendzeitschrift Bravo beworbenes »Adventure-Camp«, bei dem die Bundeswehr »Fun und Action« an ihren Standorten pries, sollen für zusätzliches Kanonenfutter sorgen.

Bislang eher ein Rohrkrepierer ist die von de Maizière angestoßene Veteranendebatte, mit der er die Bevölkerung animieren wollte, bewährten Soldaten vermehrt Anerkennung zu zollen. Ein Diskussionspapier hierzu blieb weitgehend unbeachtet, was auf die gegenwärtigen Grenzen einer gesellschaftlichen Akzeptanz der Militarisierung hindeutet. Aufschlußreich ist allerdings, daß de Maizière als Veteranen ausschließlich »Soldaten mit Einsatzbezug« definiert – wer sich im Inland auf Verteidigungsaufgaben konzentriert, gilt damit offiziell als weniger anerkennenswert.

Solche Veteranen wird es auch künftig mehr als genug geben. Im vergangenen Jahr wurden nicht nur die bestehenden Mandate für die Einsatzgebiete im Kosovo, zur Pirateriebekämpfung vor Somalia, in Sudan, Südsudan und im Mittelmeer verlängert, sondern es wurden neue Räume erschlossen: In Ostafrika leiten derzeit Militärbeobachter die Anrainerstaaten des Golf von Aden beim Aufbau eigener Küstenschutzkapazitäten an; ein Bundeswehreinsatz in Mali wird intensiv diskutiert. Mit der bevorstehenden Entsendung von 400 Soldaten mitsamt »Patriot«-Raketen in die Türkei kommen bewaffnete Bundeswehreinheiten in unmittelbare Nähe des immer heftiger werdenden Bürgerkrieges in Syrien, in dem die Parteinahme der deutschen Seite amtlich ist.

Um der »Einsatzorientierung« zu genügen, hat de Maizière im Sommer eine Diskussion über die Anschaffung bewaffneter Drohnen angestoßen. Bis zum Frühjahr will er über Typ, Anzahl und Kosten entscheiden. Kritische Hinweise darauf, die unbemannten Angriffswaffen könnten die Hemmschwelle zum Töten senken, weist de Maizière mit der Bemerkung zurück, zwischen bombentragenden Drohnen und Torpedos oder gelenkten Raketen gebe es keinen ethischen Unterschied.

Je mehr Auslandseinsätze es gibt, desto mehr werden deutsche Soldaten dort auch Straftaten begehen. Der Bundestag hat mit einem Gesetz über einen speziellen Gerichtsstandort dafür gesorgt, daß diese Gesetzesverstöße künftig allesamt im bayerischen Kempten verhandelt werden. Ausnahme bleiben Kriegsverbrechen, die weiterhin von der Bundesanwaltschaft untersucht werden, theoretisch jedenfalls. In Kempten befindet sich ein traditionsreicher Gebirgstruppenstandort, und dort hofft die Bundeswehr auf Richter und Staatsanwälte, die ein gewisses Verständnis für militärische Belange haben.

Eine im August veröffentlichte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes hat ein Einsatzfeld eröffnet, das der Bundeswehr bislang weitgehend verschlossen war: Das Inland. Das Gesamtplenum der Richter hob den bisherigen Konsens auf, daß die Bundeswehr bei schweren Unglücksfällen allenfalls eine leichte Bewaffnung einsetzen darf, wie sie auch die Polizei hat. Auch schwere Bewaffnung in »katastrophischen« Situationen wurde nun für rechtens erklärt. Der breit bemessene Spielraum für die Auslegung dieser Entscheidung dürfte in den kommenden Jahren etliche Diskussionen und Vorstöße auslösen.

* Aus: junge Welt, Freitag, 4. Januar 2013


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