Krieg als Ehrensache
Jahresrückblick 2009. Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch eskaliert. Erstes bekannt gewordenes Massaker. Soldaten werden mit
Tapferkeitsmedaillen und Mahnmal belohnt
Von Frank Brendle *
Unsere Soldatinnen und Soldaten müssen für ihren Einsatz mehr
Anerkennung erhalten«, forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), als
sie Anfang Juli die ersten »Ehrenkreuze für Tapferkeit« an vier Soldaten
verlieh, die im Afghanistan-Einsatz »über das Erwartbare« hinaus tapfer
gewesen sein sollen. Die öffentliche Ordensverleihung - die erste nach
Adolf Hitlers Auftritt im März 1945 nur wenige Schritte entfernt - war
nur ein Baustein in einer Kampagne, mit der Militärs und Politiker im
Jahr 2009 den Ruhm des Soldatischen erhöhen wollten. Denn die materielle
Basis für weltweite Kriegseinsätze steht und wird weiter ausgebaut, aber
die Moral der Bevölkerung läßt aus Sicht der Herrschenden noch zu
wünschen übrig.
Zur Re-Heroisierung gehört auch das zur Tradition werdende
Bundeswehrgelöbnis auf dem Platz der Republik, mit dem das Militär
unmißverständlich die Aufmerksamkeit der ganzen Gesellschaft reklamiert.
Kanzlerin Merkel schärfte in ihrer Ansprache der Bevölkerung ein:
»Jeder, der Freiheit und Entfaltungsmöglichkeiten genießt, sollte
diejenigen wertschätzen, die unsere Freiheit schützen.«
Eine weitere Maßnahme, der Bevölkerung Anerkennung für das
Soldatenhandwerk einzubleuen, ist in Bronze gefaßt: Das »Ehrenmal der
Bundeswehr« am Bendlerblock, dem Berliner Sitz des
Verteidigungsministeriums. Es ist das einzige Kriegerdenkmal in
Deutschland, das allein den »Gefallenen« der Bundeswehr gewidmet ist, um
die offizielle Kriegspolitik als richtig und alternativlos verkaufen zu
können. Der evangelische Militärbischof beschrieb seinen Zweck: »Das
Ansehen der Toten der Bundeswehr soll gemehrt, ihre Reputation erhöht
werden.«
Öffentliche Ordensverleihungen, Truppenaufmärsche und Denkmale leisten
Tendenzen Vorschub, das Soldatenhandwerk wieder als Beruf »sui generis«
zu begreifen. Die Regierungskoalition will Straftaten von Soldaten im
Auslandseinsatz künftig aus der normalen Zuständigkeit der
Staatsanwaltschaften herausnehmen und einer Sonderstaatsanwaltschaft
übertragen. Von dieser verspricht man sich mehr »Verständnis« für
militärische Belange.
Dieses könnte die Bundeswehr dringend nötig haben: Denn fast zeitgleich
zur Eröffnung ihres »Ehrenmals« hatte sie ihr erstes (bekannt
gewordenes) Massaker zu verantworten. In der Nacht zum 4. September 2009
ließ der deutsche Oberst Georg Klein zwei US-Kampfflieger Bomben auf
eine große Menschenansammlung abwerfen, die sich bei zwei von Taliban
gestohlenen Tanklastern in der Nähe von Kundus in Afghanistan
aufhielten. Bundeswehr-Professor Michael Wolfsohn belehrte die
Öffentlichkeit daraufhin, im Partisanenkrieg seien zivile Opfer nun
einmal unvermeidlich.
Das Massaker steht am vorläufigen Ende einer stufenweisen Eskalation des
Einsatzes. Erst im Sommer hatten Soldaten eine neue »Taschenkarte«, in
der ihre Einsatzregeln festgelegt sind, erhalten. Seitdem ist es ihnen
erlaubt, auch präventiv auf Verdächtige zu schießen, wann immer diese
ein »feindseliges Verhalten« zeigen. Dem entspricht, daß der neue
Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) offen von
»kriegsähnlichen Zuständen« in Afghanistan redet.
Guttenberg, militärisch im berüchtigt-traditionsverhafteten Mittenwalder
Gebirgsregiment sozialisiert, will dem Militärischen eine Sonderstellung
verschaffen. Das zeigte sein Auftritt im Bundestag: Den Abgeordneten,
die die Vertuschungsversuche in der Kundus-Affäre kritisierten, beschied
der Gutsherr, es gehe »nicht lediglich um die eine oder andere
Spitzfindigkeit, sondern um existentielle Fragen, die Leben und Tod
unserer Soldaten berühren«. Daß Parlamentarier »an einem Tag, wo
Soldaten im Gefecht sind«, ein »wüstes Geschrei« erhöben, sei
verantwortungslos, so der Minister.
Dafür, daß Auslandseinsätze »zur Gewohnheit und generell akzeptiert
werden« (Guttenberg), wurden der Bundeswehr weitere materielle
Voraussetzungen geschaffen. Der Militärtransporter A400-M hob, mit
jahrelanger Verspätung, zum Erstflug ab, die Anschaffung von Heeres- und
maritimem Gerät läuft planmäßig. Im Herbst wurde der erste von zwei
Satelliten in den Orbit geschossen, mittels derer die Bundeswehr
erstmals über eigene Kommunikationswege direkt von den Einsatzgebieten
in die Heimat funken kann.
Der Koalitionsvertrag von Union und FDP verfolgt den Kurs, die BRD zur
globalen Militärmacht zu entwickeln, entschlossen weiter. Die
Rüstungsindustrie wird auch oder gerade in der Krise gut mit Aufträgen
versorgt. Ins Stocken kommt lediglich der Inlandseinsatz, für den schon
die große Koalition keine Grundgesetzänderung erwirken konnte.
Allerdings gibt es für »robuste« Inlandseinsätze derzeit auch kaum
Bedarf. Sogenannte Amtshilfemaßnahmen werden dagegen auf hohem Niveau
beibehalten, die Strukturen der »Zivil-Militärischen Zusammenarbeit«
sind mittlerweile flächendeckend etabliert und üben beständig die
Einbettung der zivilen Behörden und ihre Nutzbarmachung für militärische
Zwecke.
* Aus: junge Welt, 23. Dezember 2009
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