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Unterkomplexe Debatte

Schwarz-Gelb wollte im Bundestag die LINKEN als Diktatorenfreunde vorführen

Von Schwarz-Gelb wollte im Bundestag die LINKEN als Diktatorenfreunde vorführen

Von Wolfgang Hübner *

Weil sechs Bundestagsabgeordnete der LINKEN einen Aufruf gegen militärische Drohungen in Richtung Syrien und Iran unterschrieben haben, setzten Union und FDP gestern (19. Jan.) eine Aktuelle Stunde dazu auf die Tagesordnung des Parlaments. Es wurde eine Lehrstunde in platter Frontalagitation.

Die Tränendrüsen waren im Plenum des Bundestages weit geöffnet: CDU und CSU stünden an der Seite des unterdrückten syrischen Volkes, verkündete beispielsweise Andreas Schockenhoff, außenpolitischer Experte der Unionsfraktion. Die LINKE dagegen mache sich gemein mit Diktatoren, die den Weltfrieden bedrohen. Irrwitzige Verschwörungstheorien diagnostizierte ein SPD-Redner bei der Linkspartei, die sich - so das emotionale Nachbeben der FDP-Politikerin Birgit Homburger - zum Mittäter von Syriens Präsident Assad mache.

Was war geschehen? Sechs Abgeordnete der LINKEN hatten einen Aufruf unterschrieben, in dem vor einem militärischen Eingreifen des Westens in Syrien und Iran gewarnt wird. Kritisiert wird zudem das Embargo gegen beide Staaten, unter dem vor allem die Bevölkerung leide, und schließlich wird verlangt, das »Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten« zu akzeptieren.

Hier geht es zur ganzen Debatte:

"Die Linke steht nicht auf der Seite der Freiheit für das syrische Volk"
Der Bundestag hält in einer Aktuellen Stunde Gericht über die Linksfraktion - wegen eines Antikriegs-Aufrufs. Die Debatte im Wortlaut



Die Unterschriften unter diesen Aufruf hatten schon zu Debatten in der Linkspartei selbst geführt; Fraktionschef Gregor Gysi äußerte sich diplomatisch kritisch, die Parlamentarische Geschäftsführerin Dagmar Enkelmann deutlicher distanziert zu den Unterschriften. Union und FDP sowie mancher Politiker von SPD und Grünen allerdings benutzen den Aufruf nun, um nach Kommunismus- und Antisemitismus-Debatte die Empörungsmaschine wieder auf Hochtouren zu bringen. »Ihre Solidarität mit dem Mörderregime ist menschenverachtend«, rief CDU-Mann Schockenhoff und fügte ein wenig später hinzu, die LINKE habe aus der Geschichte nichts gelernt, wenn sie Assads Schießbefehl gegen die eigene Bevölkerung billige.

Um ein wenig Differenzierung bemühte sich kaum ein Redner aus Union und FDP, der von seiner Fraktionen zu diesem Thema ans Pult gelassen wurden. Birgit Homburger schlussfolgerte aus dem Umstand, dass die Unterzeichner in der Linksfraktion noch nicht aus ihren Funktionen verstoßen wurden, »dass die ganze Partei den Aufruf unterstützt«. Andere Redner verwiesen darauf, dass eine Unterzeichnerin, die LINKE-Außenpolitikerin Sevim Dagdelen, erklärt hatte, der Text des Aufrufs spiegele »zu 100 Prozent unser Parteiprogramm wider, das jede Kriegsvorbereitung ablehnt«.

So weit, so gut. Eine nicht unwichtige Differenzierung nahm dann allerdings Ulrich Maurer vor, Vizevorsitzender der Linksfraktion. Es sei nicht gut, dass in dem Aufruf »die Brutalität des Regimes« in Syrien nicht benannt wird. Daraus allerdings Solidarität mit Assad zu konstruieren, das sei »ein Abgrund an Verleumdung und Heuchelei«. Die LINKE, so Maurer, stehe seit Jahren an der Seite des syrischen Widerstands; der Linksabgeordnete Wolfgang Gehrcke habe »maßgeblich an der Erklärung des syrischen Widerstands mitgearbeitet«. Dagegen habe die Bundesregierung »eine lange Tradition der Kollaboration mit dem Regime«. Maurer erinnerte daran, dass Schwarz-Gelb im Sommer 2011 einen LINKE-Antrag ablehnte, in dem das Ende der Rüstungsexporte nach Syrien verlangt wurde. SPD und Grüne hatten sich enthalten. Außerdem sollen syrische Flüchtlinge, darunter Deserteure der syrischen Armee, über Ungarn nach Syrien abgeschoben werden.

Unangemessen nannte der Grünen-Abgeordnete Volker Beck die ganze Aufregung »angesichts der Probleme und der Situation der Menschen in Syrien«. Er warf der Bundesregierung eine Kumpanei mit dem Assad-Regime vor, sprach aber auch von einem »albernen Aufruf«, aus dem Antiamerikanismus und Antiisraelismus sprächen und der die politischen Probleme »reichlich unterkomplex« beschreibe. Das trifft freilich auch auf etliche Empörungsredner zu, die sich vor fast leerem Saal produzierten - zu ansehnlicher Anwesenheit reichte die Empörung eben doch nicht.

Diether Dehm, einer der Unterzeichner des Aufrufs, versicherte, die Unterzeichner hätten »keinen Hauch von Sympathie mit den Staatsterroristen Assad und Ahmadinedschad«, weil in Syrien und Iran Linke verfolgt und hingerichtet werden. Er, so Dehm, würde aber lieber eine unvollkommene Warnung vor der Kriegsgefahr unterscheiben als zu schweigen, »denn die Warnung vor Krieg ist für Linke oberstes Gebot«.

* Aus: neues deutschland, 20. Januar 2012


Scherbengericht

Shalom-Denunzianten als Stichwortgeber

Von Werner Pirker **


Der Mechanismus hat sich bestens eingespielt. Die Dreigroschenjungen des Bundesarbeitskreises (BAK) Shalom starten quasi aus den Parteireihen heraus eine Skandalisierungskampagne gegen Die Linke, die von den bürgerlichen Medien und Parteien umgehend aufgegriffen wird und ihren Höhepunkt in einer aktuellen Stunde des Bundestags findet. Das war im vergangenen Jahr so, als von Shalom-Leuten Teilen der Linkspartei Antisemitismus unterstellt und ein ganz im Stil eines Verfassungsschutzberichtes verfaßtes Papier gepusht wurde. Und das hat sich nun wieder so abgespielt. Shalomisten deuteten einen auch von sechs Mitgliedern der Linksfraktion im Bundestag unterzeichneten Aufruf, in dem die westlichen Kriegsvorbereitungen verurteilt werden und zur Solidarität mit den Völkern Syriens und Irans aufgerufen wird, zu einer Bekundung der »Solidarität mit den Schlächtern« um. Grund genug für die vereinigte Kriegspartei aus CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen, ein Verdammungsurteil über die Linkspartei zu fällen. Ein Verschwörungstheoretiker, der da an eine abgestimmte Kampagne denkt.

Ein Verschwörungstheoretiker auch, der in der massiven Einmischung der Wertegemeinschaft in die inneren Angelegenheiten Syriens und Irans eine Vorstufe zu neuen Kriegen sieht. Als hätte nicht genau darin die westliche Eskalationsstrategie gegenüber Libyen bestanden. Zuerst die moralische Parteinahme für eine Bürgerkriegsseite, dann Sanktionen und schließlich der offene Militäreinsatz des Westens, der die als Kriegsgrund vorgeschobene »humanitäre Katastrophe« erst wirklich ausgelöst hat.

Der Aufruf zur Solidarität mit den Völkern Syriens und Irans insistiert auf deren Recht, in freier Entscheidung, das heißt ohne Einmischung von außen, über die Zukunft ihrer Länder bestimmen zu können. Er enthält nicht eine einzige Passage, die auf eine Solidaritätsbekundung mit den gegenwärtigen politischen Führungen in diesen Ländern schließen ließe. Was die Bundestagsmehrheit als skandalös empfindet, ist die in dem Friedensappell enthaltene Ablehnung eines von außen erzwungenen Regimewechsels. Der wirkliche Skandal aber ergibt sich aus der Kumpanei mit dem syrischen Regime, die Deutschland – Demokratie hin, Menschenrechte her – eingegangen ist, als dieses noch stabil und gegenüber radikaleren Alternativen als das kleinere Übel erschien. Nun aber, da ein Sturz des Assad-Regimes im Zusammenwirken von innerer Opposition und westlichen »Regime change«-Experten als durchaus möglich erscheint, sind die syrischen Folterkeller, die die westlichen »War on terror«-Strategen einst durchaus zu nutzen wußten, zu einem unerträglichen Ärgernis geworden.

Es waren Sprecher der Grünen und der SPD, die – Shalom sei mit ihnen – am vehementesten auf das Recht, ja die Pflicht zur Einmischung bestanden, das Nichteinmischungsprinzip als unsolidarisch verwarfen und den imperialistischen Krieg als internationalistische Verpflichtung zu würdigen wußten.

** Aus: junge Welt, 20. Januar 2012 (Kommentar)


Verbrüdert

Bundesrepublik und Syrien

Von Ulla Jelpke ***


In den bürgerlichen Medien vergeht kein Tag, ohne daß die Kriegstrommeln gegen ­Syrien und den Iran gerührt werden. Mahnenden Stimmen gegen diese Kriegshetze wird von der bürgerlichen Presse und Politikern der Regierungsfraktion kurzerhand eine »Verbrüderung mit dem Massenmörder Assad« unterstellt. So ergeht es gerade den Unterzeichnern einer Solidaritätserklärung mit den Völkern Syriens und Irans, darunter sechs Abgeordnete der Linksfraktion. Solche Unterstellungen sind nicht nur diffamierend, sondern auch geschichtsvergessen.

Denn die Wahrheit ist: Nicht Die Linke, sondern die Bundesregierung hatte sich in den letzten Jahren mit Assad verbrüdert. 2008 schloß die Bundesregierung ein »Rückführungsabkommen« mit dem syrischen Regime über die Abschiebung von Tausenden in Deutschland lebenden Flüchtlingen. Betroffen sind vor allem staatenlose Kurden. Mehrere Flüchtlinge wurden nach ihrer Abschiebung aus Deutschland vom syrischen Geheimdienst verschleppt und mißhandelt. Die Linke im Bundestag hat sich mehrfach vergeblich für die Aufkündigung dieses Abkommens, einen Abschiebestopp nach Syrien und Bleiberecht für syrische Flüchtlinge eingesetzt.

Die Bundesregierung hatte auch keine Skrupel, im sogenannten Antiterrorkampf eng mit dem syrischen Regime zu kooperieren. Ich erinnere hier an den Fall des Ende 2001 nach Syrien verschleppten Deutsch-Syrers Mohammed Haydar Zammar. Laut Spiegel hatte das Bundeskriminalamt US-Behörden den Aufenthaltsort von Zammar in Marokko übermittelt und so die Gefangennahme des eigenen Staatsbürgers erst ermöglicht. Vor dem BND-Untersuchungsausschuß des Bundestages wurde deutlich, daß die Bundesregierung ihre konsularischen Bemühungen um den deutschen Staatsbürger Zammar ruhen ließ, um diesen im syrischen Foltergefängnis Far Filastin von deutschen Beamten verhören zu lassen. Der syrische Fallführer hatte ihnen gegenüber betont, Zammar »im Interesse einer konstruktiven Haltung« drei Tage lang persönlich auf seine Befragung vorbereitet zu haben. Obwohl der 150-Kilogramm-Mann auf 50 Kilo Körpergewicht abgemagert war, wollten die BKA-Beamten keinerlei Spuren von Mißhandlung erkennen. Während das Auswärtige Amt Folter in Syrien an der Tagesordnung sah, griffen deutsche Geheimdienste mehrfach syrische Verhörergebnisse ab.

Die Linke hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß die Regimes in Syrien und auch dem Iran sich schwerer Menschenrechtsverletzungen schuldig machen. Unsere Solidarität gilt den Menschen im Iran und Syrern – insbesondere denjenigen, die sich für eine Demokratisierung von innen her einsetzen. Ein Hungerembargo, wie es etwa vor dem Irak-Krieg zum Tod von über einer Million Menschen geführt hat, lehnen wir ebenso ab wie Kriegsdrohungen und Kriege. Darin sind wir uns einig mit großen Teilen der iranischen und syrischen Opposition, die ihre Länder nicht wie den Irak oder Libyen zerbombt sehen wollen.

*** Aus: junge Welt, 17. Januar 2012

Dokumentiert: Der "Stein des Anstoßes"


Kriegsvorbereitungen stoppen! Embargos beenden! Solidarität mit den Völkern Irans und Syriens!

Zehntausende Tote, eine traumatisierte Bevölkerung, eine weitgehend zerstörte Infrastruktur und ein zerfallener Staat: Das ist das Ergebnis des Krieges, den USA und Nato geführt haben, um den Reichtum Libyens plündern und das Land wieder kolonialisieren zu können. Jetzt bereiten sie offen den Krieg gegen die strategisch wichtigen bzw. rohstoffreichen Länder Syrien und Iran vor, die eine eigenständige Politik verfolgen und sich ihrem Diktat nicht unterordnen. Ein Angriff der Nato auf Syrien oder Iran kann zur direkten Konfrontation mit Russland und China führen – mit unvorstellbaren Konsequenzen.

Mit ständigen Kriegsdrohungen, dem Aufmarsch militärischer Kräfte an den Grenzen zu Iran und Syrien sowie mit Sabotage- und Terroraktionen von eingeschleusten „Spezialeinheiten“ halten die USA gemeinsam mit weiteren Nato-Staaten und Israel die beiden Länder in einem Ausnahmezustand, der sie zermürben soll. Zynisch und menschenverachtend versuchen USA und EU, mit Embargos ihren Außenhandel und Zahlungsverkehr planmäßig lahm zu legen. Die Wirtschaft des Iran und Syriens soll bewusst in eine tiefe Krise gestürzt, ihre Arbeitslosenzahlen erhöht und die Versorgungslage ihrer Bevölkerung drastisch verschlechtert werden. Die inneren sozialen Konflikte sollen ethnisiert und zugespitzt, ein Bürgerkrieg entfacht werden, um einen Vorwand für die längst geplante militärische Intervention zu schaffen. An diesem Embargo gegen Iran und Syrien beteiligt sich auch ganz maßgeblich die deutsche Bundesregierung.

Wir rufen alle Bürger, die Kirchen, Parteien, Gewerkschaften, die Friedensbewegung auf, dieser Kriegspolitik konsequent entgegenzutreten.

Wir fordern, dass die Bundesregierung
  • die Embargomaßnahmen gegen den Iran und Syrien bedingungslos und sofort aufhebt;
  • klarstellt, dass sie sich an einem Krieg gegen diese Staaten in keiner Weise beteiligen und die Nutzung deutscher Einrichtungen für eine Aggression durch USA und Nato nicht gestatten wird;
  • sich auf internationaler Ebene für die Beendigung der Politik der Erpressung und Kriegsdrohung gegen den Iran und Syrien einsetzt.
Das iranische und syrische Volk haben das Recht, über die Gestaltung ihrer politischen und gesellschaftlichen Ordnung allein und souverän zu entscheiden. Die Erhaltung des Friedens verlangt es, dass das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten konsequent eingehalten wird.




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