Untersuchungsausschuss zum Luftangriff bei Kundus - Chance für eine neue Informationspolitik der Bundeswehr?
Von Otfried Nassauer. Beitrag aus der NDR-Sendung "Streitkräfte und Strategien" *
Andreas Flocken (Moderator):
Der Luftangriff bei Kundus, bei dem Dutzende von Menschen getötet worden
sind, war ein Fehler. Zu dieser Erkenntnis ist mittlerweile die
Bundesregierung gekommen. Dabei hatte Verteidigungsminister zu
Guttenberg den Luftschlag auf die von den Taliban gekaperten Tanklaster
unmittelbar nach seinem Amtsantritt noch gerechtfertigt. Ja, er ging
sogar noch weiter als sein damaliger Generalinspekteur: Es hätte auch
ohne Verfahrensfehler zu dem Angriff kommen müssen, behauptete der
Verteidigungsminister forsch. Nun also eine 180-Grad-Wende. Wie konnte
es dazu kommen? Sollte etwas vertuscht werden? Wurde zu Guttenberg
unzureichend oder falsch informiert? Nur einige von vielen Fragen, die
sich jetzt stellen. Ein Untersuchungsausschuss soll Licht ins Dunkel
bringen. Über die Grenzen und Möglichkeiten dieses Gremiums - Otfried
Nassauer:
Manuskript: Otfried Nassauer
"Kehrt Marsch!" So lautet wohl der Befehl, den Verteidigungsminister zu
Guttenberg sich selbst und seinem Ministerium erteilt hat. Mit großer
Eile und erheblichem Risiko ändert er den Kurs in Sachen Luftangriff,
bei dem am 4. September nach NATO-Angaben bis zu 142 Menschen nahe
Kundus getötet worden sind. War dieser Angriff auf zwei entführte
Tanklaster für den CSU-Politiker zunächst noch militärisch angemessen,
so gilt heute das Gegenteil. Minister zu Guttenberg Anfang des Monats im
Bundestag:
O-Ton zu Guttenberg
"Obgleich Oberst Klein - ich rufe das auch den Offizieren zu die heute
hier sind - zweifellos nach bestem Wissen und Gewissen sowie zum Schutz
seiner Soldaten gehandelt hat, war es aus heutiger, objektiver Sicht im
Lichte aller auch mir damals vorenthaltener Dokumente militärisch nicht
angemessen."
Da staunt die Öffentlichkeit und die Offiziere wundern sich. Denn die
vom Verteidigungsminister angeforderten Berichte seines Hauses, auf die
sich zu Guttenberg bei seiner Neubewertung stützen wollte, sollten erst
am 10. De-zember vorgelegt werden - also eine Woche nach seiner
Erklärung im Bundestag. Eile nun auch an anderer Stelle. Das
Verteidigungsministerium will die zivilen Opfer des Luftangriffs rasch
entschädigen. Eine außergerichtliche Einigung mit dem Bremer Anwalt, der
die Familien der Opfer vertritt, wird angestrebt.
Am kommenden Mittwoch (16. Dez.) nun will der Verteidigungsausschuss das
Mandat beschließen, auf dessen Basis er als Untersuchungsausschuss den
Vorfall gründlich aufarbeiten will. SPD, Grüne und Linke haben den
Ausschuss beantragt. CDU/CSU und FDP haben signalisiert, dass sie
einverstanden sind. Und der Minister selbst gibt sich als radikaler
Aufklärer:
O-Ton zu Guttenberg
"Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe im Zusammenhang mit dem
Vorfall von Kundus aber im Zusammenhang mit dem Afghanistanmandat dem
Parlament größtmögliche Offenheit und Transparenz zugesagt. Und so will
ich das auch weiterhin handhaben, auch mit Blick auf den
Untersuchungsausschuss. Auch ich habe ein Interesse an der Aufdeckung
all dessen, was sich im Zuge dessen entsprechend ereignet hat."
Doch wie weit die Gemeinsamkeiten zwischen Opposition und Regierung
wirklich gehen, wird sich erstmals zeigen, wenn der Ausschuss festlegt,
was genau untersucht werden soll. Im Kern sind zwei unterschiedliche
Wege denkbar:
Zum einen kann sich der Ausschuss ein enges Mandat geben. Dann wird der
Vorfall in Kundus im Detail aufgearbeitet und bewertet. Es wird
untersucht, wer welche Fehler bei dieser Militäroperation gemacht hat.
Zudem wird geprüft, welche Informationen nach der Kaperung der
Tanklastzüge wann und wem in der Bundeswehr sowie in der politischen
Führung bekannt waren. Gefragt wird, ob die militärische Seite die
politische Spitze rechtzeitig und umfassend informiert hat. Man wird
außerdem untersuchen, ob Par-lament und Öffentlichkeit ausreichend und
korrekt unterrichtet worden sind. Falls nicht, wird der Ausschuss
fragen, warum und aufgrund welcher Motive, nicht die Wahrheit gesagt
worden ist. Hatte zum Beispiel der laufende Bundestagswahlkampf Einfluss
auf das Vorgehen der Regierung? Gegebenenfalls müssen weitere
Verantwortliche ihren Hut nehmen. Bei einem engen Mandat wäre die
Vergangenheitsbewältigung die vorrangige Aufgabe.
Der Untersuchungsausschuss kann aber auch anders vorgehen. Das Gremium
kann sich ein breites und sehr politisches Mandat geben. Ziel wäre dann,
aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und Bundesregierung,
Bundeswehr und Ministerium Empfehlungen an die Hand zu geben, die bei
der Bewältigung von Zukunftsaufgaben hilfreich sein können und dazu
beitragen, ähnliche Fehler in Zukunft zu vermeiden.
Neben den schon genannten Fragen würde dann untersucht, welche
strukturellen Probleme in der Bundeswehr, im Verteidigungsministerium
und in der Bundesregierung dazu beigetragen haben, dass Oberst Klein
offenbar eine falsche Entscheidung getroffen hat. Ein Fehler, den man
anschließend allem Anschein nach zu vertuschen suchte. Gefragt werden
müsste dann zum Beispiel, ob es Probleme mit der Führungskultur in der
Bundeswehr gibt - insbesondere mit der Inneren Führung bei
Auslandseinsätzen. Zu untersuchen wäre, ob unter Franz Josef Jung im
Verteidigungsministerium ein Kommunikationsklima entstanden ist, in dem
Probleme und Fehler nicht mehr offen angesprochen oder diskutiert werden
können, weil die politische Leitung des Hauses negative Schlagzeilen um
jeden Preis verhindern wollte.
Die unter Verteidigungsminister Jung offenbar praktizierte
Vertuschungsmentalität - unterstützt durch den Korpsgeist konservativer
Militärs - hat seinem Nachfolger sehr wahrscheinlich weitere Tretminen
hinterlassen. Nicht nur mit Blick auf den Einsatz in Afghanistan,
sondern auch auf anderen Arbeitsfeldern wie zum Beispiel bei der
Bundeswehrplanung. Diese Minen müssen gefunden werden, bevor sie
explodieren und Schaden anrichten. Ein Untersuchungsausschuss, der sich
dieser Aufgabe stellt, kann für die Bundeswehr hilfreich sein. Das
Gremium könnte vorhandene strukturelle Fehler identifizieren und
Empfehlungen abgeben, wie ähnliche Fehler künftig vermieden werden
können. Daraus müsste die Bundeswehr dann Konsequenzen für die weitere
Arbeit ziehen. Zu den wichtigen Aufgaben, die man zurzeit angeht,
gehören zum Beispiel die nächsten Schritte bei der Reform der Bundeswehr
und die Zukunft der Auslandseinsätze. Hinzu kommt die Notwendigkeit der
Entwicklung einer realistischen Strategie für Afghanistan und die
Ausarbeitung der deutschen Beiträge zur Weiterentwicklung der
NATO-Strategie und der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Viel Arbeit also unter dem Vorzeichen, aus der Not eine Tugend machen zu
wollen. Möglich werden kann ein solches, konstruktives Vorgehen dann,
wenn Regierung und Opposition die erforderlichen Voraussetzungen
schaffen: Die Regierungsfraktionen müssen der Versuchung widerstehen,
auf ein enges Mandat zu drängen, das sich lediglich auf den Luftschlag
bei Kundus konzentriert. Und die Opposition darf nicht vor allem darauf
hinarbeiten, dass weitere Köpfe rollen. Verteidigungsminister zu
Guttenberg schließlich sollte nicht in erster Linie als
Selbstverteidigungsminister agieren, der mit der Entlassung von
Generalinspekteur Schneiderhan und Staatssekretär Wichert bereits alle
notwendigen Konsequenzen gezogen haben will. Zudem muss der
CSU-Politiker sein Versprechen einhalten, für größtmögliche Offenheit
und Transparenz zu sorgen. Die Beteiligung eines BND-Mitarbeiters und
von KSK-Soldaten an dem Luftangriff darf nicht zum Vorwand für
übertriebene Geheimhaltung werden. Offenheit ist auch mit Blick auf
Guttenbergs schwer zu glaubende Behauptung geboten, er habe den
Luftangriff in Afghanistan zunächst nur deshalb falsch beurteilt, weil
ihm wesentliche Informationen vorenthalten wurden. Alle Beteiligten
müssen schließlich die Chance nutzen, bereits gemachte Fehler
aufzuklären und die Sacharbeit in den Vordergrund zu stellen.
Allerdings: Selbst dann, wenn sie in der kommenden Woche bei der
Konstituierung des Untersuchungsausschusses diese erforderliche
Selbstdisziplin nicht aufbringen sollten und kein konstruktives
zukunftsorientiertes Mandat beschließen, dann gibt es noch Hoffnung.
Denn ein Untersuchungsausschuss lässt sich nicht beliebig steuern. Er
kann schnell eine ernorme Eigendynamik entwickeln. Darauf hat kürzlich
der CDU-Politiker Willy Wimmer hingewiesen. Er war früher Staatssekretär
im Verteidigungsministerium und verweist auf seine eigenen Erfahrungen
mit drei Untersuchungsausschüssen:
O-Ton Wimmer
"Wenn eine Regierung nicht von vornherein sagt, was Sache ist, dann wird
sie sich in der Regel - das war jedenfalls die Lehre in der
Vergangenheit - mit Dimensionen auseinandersetzen müssen, bei denen sie
im Anschluss sagt: Ich hätte besser die Hosen runtergelassen."
* Aus: NDR Forum "Streitkräfte und Strategien"; Sendetermin 12.
Dezember 2009
Zu anderen Bundestags-Sitzungen
Zur Afghanistan-Seite
Zur Bundeswehr-Seite
Zurück zur Homepage