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Ehrliche Informationen aus "Indianerland"

Eine Petition will Rechenschaft über den Afghanistan-Krieg – doch das scheint eine Illusion zu sein

Von René Heilig *

Bundeswehr-Brigadegeneral Hans-Christophh Ammon hat sich über den »Unverstand« und die »Gleichgültigkeit« beklagt, mit denen »Teile der Bevölkerung« auf das »Aufgabenfeld der Soldaten im Einsatz reagieren«.

Der General, Chef des Kommandos Spezialkräfte, hat eine Idee, wie man dem »Unverstand« und der »Gleichgültigkeit« wehren kann. Durch »ehrliche Information«. Er meinte nicht die, die der nun weichende Bundespräsident verteilte, als er über die Außenwirtschaftsrolle des deutschen Militärs in der Welt sprach. Ammon verdeutlichte im Interview mit der »Rheinischen Post« wie »weit« Information gehen sollte. Frage: »Gehen Sie aktiv gegen Taliban vor ...?« Antwort: »Ja, das ist richtig. Aber mehr möchte ich dazu nicht sagen.«

Um einer echten Informationspolitik auf die Sprünge zu helfen, wandte sich vor rund einem Monat ein Bürger an den Petitionsausschuss des Parlaments. Sein Ziel: »Der Deutsche Bundestag möge beschließen, die Bundesregierung zu verpflichten, Parlament und Öffentlichkeit vierteljährlich sowohl in öffentlicher Sitzung des Bundestages als auch schriftlich in Form eines Afghanistan-Reports über die Ziele, Erfolge und Misserfolge des deutschen Engagements in Afghanistan zu informieren.«

Es folgt eine knappe Begründung, warum die für den Afghanistan-Einsatz federführenden Ministerien – Außenamt, Verteidigung, Innen und Entwicklungshilferessort – zu mehr Transparenz verpflichtet werden sollten. Ein mögliches Vorbild könnten die vierteljährlichen Berichte der kanadischen Regierung sein, die für jedermann verfügbar sind.

Derzeit haben 290 Menschen diese Petition mitgezeichnet. Man kann ihnen Erfolg wünschen – darf allerdings keine Wunder erwarten. Denn bereits jetzt legt das Verteidigungsministerium den Parlamentariern eine vom Einsatzführungsstab verfasste »Unterrichtung« über die Auslandseinsätze des deutschen Militärs vor. Die jüngste ist 18 Seiten dick, wie alle als Verschlusssache deklariert, und im Grunde eine Verhöhnung des Kontrollorgans. Zu lesen ist beispielsweise: »Die Bedrohung in Afghanistan ist insgesamt erheblich.« In Nordafghanistan, dem Verantwortungsbereich der Bundeswehr, »liegt sie zurzeit je nach Provinz zwischen niedrig und erheblich«. Dann wird statistisch aufgelistet, wie viele Sicherheitsvorfälle es wann, wo gegeben hat. Im Grund ist damit die Fleißarbeit, Zeitungen zu lesen und darin gemeldete Überfälle zu addieren, beendet. Diese »Informationspflichterfüllung« haben die Einreicher der Petition sicher nicht im Sinn.

Wenn deutsche Soldaten aus ihren afghanischen Camps ausrücken, fahren sie durch »Indianerland«. Man mag diesen billigen Vor-Ort-Westernvergleich nicht gut heißen, doch er gibt ein wenig der Atmosphäre preis: Siedlertrecks in Feindesland. Man muss nur die sogenannten »Sicherheitsvorfälle« der vergangenen Monate auflisten, dann wird deutlich, was das Ministerium des Herrn zu Guttenberg unter einer Bedrohung zwischen »niedrig« und »erheblich« versteht. Im Dezember 2008 registrierte man im Kommando Nord 24 (811 insgesamt in Afghanistan) derartige Vorfälle. Im Dezember 2009 waren es 55 (1273) und im März dieses Jahres bereits 64 (1714).

Derzeit unterstehen der ISAF rund 103 000 Soldaten, demnächst werden es 122 000 sein. Gegen wen treten die vorwiegend von der NATO abgesandten Soldaten so verlustreich an?

Der »aktive Kern« der »regierungsfeindlichen Kräfte« wird von der ISAF auf 20 000 bis 30 000 Kämpfer geschätzt. Oberflächlich betrachtet, müsste die westliche Koalition also ein leichtes »Spiel« haben bei der Niederhaltung der Opposition. Doch da gibt es noch »einen weiteren Personenkreis, der dem militanten Widerstand nahe steht, tendenziell regierungsfeindlich oder kriminell ist und sich gegen Bezahlung oder Bedrohung ihrer Interessen auch zeitweise an Kampfhandlungen beteiligt oder die aktiven Kämpfer in unterschiedlichster Weise unterstützt«, bestätigt die Bundesregierung auf Anfrage.

Kämpfer, Kampfhandlungen – wir reden über Krieg. Also eigentlich vor allem über Opfer? Nicht so die Bundesregierung. Als die Linksabgeordneten Jan van Aken, Paul Schäfer und andere nach den Opfern des Krieges fragten, erhielten sie folgende – noch druckfrische – Antwort: »Eine empirische Erfassung von verletzten oder getöteten gegnerischen Kräften in Afghanistan ist nicht möglich und wird auch nicht durchgeführt. Dies ist insbesondere darin begründet, dass die gegnerischen Kräfte ihre getöteten oder verletzten Kämpfer nicht zurücklassen... und zum frühestmöglichen Zeitpunkt – meist noch am selben Tage – bestatten. Da zeigt sich wieder einmal deutlich, wer eine »ehrliche Information« über den Afghanistan-Krieg behindert ...

* Aus: Neues Deutschland, 1. Juni 2010

Angriffe auf Stellungen der Taliban **

Vor einer größer angelegten Militäraktion hat die NATO-geführte Afghanistan-Schutztruppe ISAF am Montag eine Serie von »gezielten Luftangriffen« gegen Stellungen der Taliban in der ostafghanischen Provinz Nuristan geflogen. Die entlegene Region Bargi Matal an der Grenze zu Afghanistan war am Samstag nach tagelangen schweren Kämpfen mit örtlichen Sicherheitskräften von den Aufständischen eingenommen worden. In einer ISAF- Erklärung hieß es, die Luftunterstützung sei von den afghanischen Sicherheitskräften angefordert worden. Nuristans Gouverneur Dschamaluddin Badr erklärte, eine geplante gemeinsame Operation, um die Kontrolle über das Gebiet an der Grenze zu Afghanistan wieder zu erringen, stehe unmittelbar bevor. Nach Angaben örtlicher Behörden beteiligten sich mehrere Hundert Taliban an den Gefechten der vergangenen Tage, darunter auch pakistanische und tschetschenische Kämpfer.

In der südafghanischen Unruheprovinz Kandahar töteten die internationalen Truppen nach eigenen Angaben mit einem gezielten Luftangriff einen Taliban-Anführer. Wie die ISAF am Montag weiter mitteilte, kamen dabei am Vortag zusammen mit dem Anführer Hadschi Amir mehrere weitere Taliban-Kämpfer ums Leben. Amir sei einer der führenden Köpfe der Taliban im Bezirk Panjwayee gewesen, heißt es in einer Erklärung der ISAF weiter. Er und seine Kämpfer seien seit Tagen beobachtet worden. Der Militärangriff erfolgte, als er und seine Männer in einer unbewohnten Hütte nahe dem Dorf Sangabadh haltmachten. Amir war zusammen mit Hunderten anderen inhaftierten Taliban im Juni 2008 aus dem Gefängnis von Kandahar ausgebrochen.

** Aus: Neues Deutschland, 1. Juni 2010




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