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Westerwelle: "Selbsttragende Sicherheitsstrukturen sind die Voraussetzung für eine Abzugsperspektive" / van Aken: "Lassen Sie das Militär außen vor!"

Die Afghanistan-Debatte vom 10. Februar im Bundestag: Bundesregierung will Truppe erhöhen

Die Bundesregierung ist weiter auf Namenssuche für den Krieg am Hindukusch. Offiziell soll er nun "bewaffneter Konflikt" heißen. "Ob es uns gefällt oder nicht - so ist die Lage", sagte Außenminister Guido Westerwelle (FDP) am 10. Februar 2010 in einer Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag. "Die Intensität der gewaltsamen Auseinandersetzung mit Aufständischen" führe uns laut Minister zu der "Bewertung, die Einsatzsituation auch im Norden Afghanistans als bewaffneten Konflikt im Sinne des Humanitären Völkerrechts zu qualifizieren". Hinter dieser "Klärung" verbirgt sich vor allem der Wunsch nach einer rechtlichen Neubewertung der Lage. Diese habe "Konsequenzen für die Handlungsbefugnisse der Soldaten, für die Befehlsgebung und für die Beurteilung des Verhaltens von Soldaten in strafrechtlicher Hinsicht".

Westerwelle warb weiterhin für die Verlängerung und Veränderung des Afghanistan-Mandats der Bundeswehr. Die Obergrenze des Mandats soll von 4500 Soldaten auf 5350 erhöht werden. "Ein einfaches 'Weiter so' ist keine Alternative, ein einfaches Weggehen und Wegsehen ist es auch nicht", begründete der Außenminister.

Linke und Grüne kündigten an, bei der Abstimmung (sie wird am 26. Februar stattfinden) nicht für den Antrag der Bundesregierung zu stimmen. Die SPD will den Antrag erst eingehend "prüfen", bevor sie sich festlegt. Eine Stellungnahme aus der Friedensbewegung zu Westerwelles Regierungserklärung finden Sie hier: "Der Krieg in Afghanistan wird eskalieren".

Im Folgenden dokumentieren wir im Wortlaut die Regierungserklärung sowie die sich daran anschließende Debatte in der Reihenfolge der Reden.



Vorläufiges Protokoll der 22. Sitzung vom 10. Februar 2010

V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich rufe nun unseren Tagesordnungspunkt 3 sowie den Zusatzpunkt 2 auf:

3. Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister des Auswärtigen

Auf dem Weg zur Übergabe in Verantwortung: Das deutsche Afghanistan-Engagement nach der Londoner Konferenz

ZP 2 Beratung des Antrags der Bundesregierung

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 1890 (2009) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen

- Drucksache 17/654 -

Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Auswärtigen:

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Die verheerenden Anschläge des 11. September im Jahre 2001 waren nicht allein ein Angriff auf die Vereinigten Staaten von Amerika; sie waren ein Angriff auf die Grundlagen und die freiheitlichen Werte der Völkergemeinschaft. Die internationale Gemeinschaft hat mit beispielloser Geschlossenheit auf diese Herausforderung reagiert. Auch Deutschland folgte dem Aufruf des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, der die Situation in Afghanistan als Bedrohung für den Weltfrieden einstufte. Heute beteiligen sich mehr als 40 Nationen unter dem Mandat der Vereinten Nationen am Einsatz in Afghanistan.

Wie die internationale Gemeinschaft hat auch Deutschland in der Frage, ob wir dort, in Afghanistan, Verantwortung übernehmen, Geschlossenheit bewiesen. Es war die Regierung von Gerhard Schröder und Joseph Fischer, die die Bundeswehr erstmals nach Afghanistan entsandte. Die Regierung von Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier hat diesen Einsatz fortgeführt. Heute bitte ich Sie für die amtierende Bundesregierung um Ihre Zustimmung zur Fortsetzung der Beteiligung der Bundeswehr an dem NATO-geführten Einsatz in Afghanistan. Dieser Einsatz im Rahmen von ISAF dient vor allem dem Ziel, unsere eigene Sicherheit zu schützen. Afghanistan darf nie wieder Rückzugsort des Terrors werden. Wir sind aber auch dort, um unserer mitmenschlichen Verpflichtung nachzukommen. Millionen Frauen und Männer setzen ihre Hoffnungen in uns.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

In den acht Jahren unseres Engagements in Afghanistan haben wir einiges erreicht. Wir haben dazu beigetragen, dass die Menschen in Afghanistan Zugang zu Ärzten und Krankenhäusern haben wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Wir haben dazu beigetragen, dass neue Schulen gebaut worden sind. Heute können in Afghanistan 7 Millionen Kinder regelmäßig unterrichtet werden, fünfmal mehr als zu Zeiten der Schreckensherrschaft der Taliban.

Mit Wassertanks, Saatgut und Bewässerungsprojekten haben wir dazu beigetragen, dass über 250 000 Haushalte in Nordafghanistan die Chance haben, in der Landwirtschaft eine Lebensperspektive zu finden. Nicht zuletzt haben die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung des Landes geleistet. Das sieht auch die übergroße Mehrheit der afghanischen Bevölkerung so.

Meine Damen und Herren, eine ehrliche Bestandsaufnahme ergibt aber eine gemischte Bilanz unserer bisherigen Anstrengungen. Im letzten Jahr hat sich die Sicherheitslage erneut verschlechtert. Afghanistan versorgt noch immer rund 90 Prozent des Weltmarktes mit Opium. Längst nicht alles in Afghanistan ist heute so, wie wir es uns vor acht Jahren erhofft hatten. Deshalb hat Frank-Walter Steinmeier recht, wenn er sagt, ein einfaches Weiter-so werde nicht reichen, um Afghanistan dauerhaft zu stabilisieren. Diese Bundesregierung hat deshalb von Beginn an für einen Neuanfang in Afghanistan gearbeitet. Das ist keine Kritik an denen, die vor uns Verantwortung für das deutsche Engagement getragen haben. Es ist die notwendige Konsequenz aus den Lehren der letzten Jahre.

Die Londoner Konferenz ist ein Neuanfang. Fast 70 Staaten haben in London gemeinsam mit der Regierung von Präsident Karzai einen Strategiewechsel beschlossen.

(Zuruf von der LINKEN)

Der besondere Erfolg von London liegt in der gegenseitigen Verpflichtung Afghanistans auf der einen und der internationalen Gemeinschaft auf der anderen Seite. Für London hat die afghanische Regierung erstmals ganz konkret und überprüfbar dargelegt, wie sie ihre Ziele - bessere Regierungsführung, Rechtstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung und Reduzierung des Drogenanbaus - erreichen will. Im Gegenzug hat sich die internationale Gemeinschaft verpflichtet, ihre Anstrengungen zu erhöhen, damit die Afghanen ihre selbstgesteckten Ziele auch in einem überschaubaren Zeitraum erreichen können. Dazu werden wir den Wiederaufbau Afghanistans verstärken, die Wirtschaft beleben und die innere Aussöhnung voranbringen. Wir waren uns in London außerdem einig, dass wir den Aufbau selbsttragender Sicherheitsstrukturen rascher vorantreiben müssen, um uns eine realistische Abzugsperspektive zu erarbeiten.

Damit gilt auch international, was wir uns für unser deutsches Engagement vorgenommen haben: Wir wollen die Übergabe der Verantwortung in Verantwortung. Ein einfaches Weiter-so ist keine Alternative. Ein einfaches Weggehen und Wegsehen ist es auch nicht.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, jetzt kommt es darauf an, die Beschlüsse von London in die Tat umzusetzen. Den deutschen Beitrag hierfür hat die Bundeskanzlerin vor zwei Wochen vor diesem Hohen Haus vorgestellt. Afghanistan braucht die innere Aussöhnung. Das ist zunächst Aufgabe der Afghanen selbst. Die internationale Gemeinschaft unterstützt sie mit einem Reintegrationsfonds. Deutschland hat während der Konferenz in Aussicht gestellt, in diesen Fonds jährlich bis zu 10 Millionen Euro einzuzahlen.

Es geht darum, diejenigen anzusprechen, deren Gefolgschaft die Macht der Taliban und der Terroristen erst ausmacht. Wir wollen die Mitläufer von dem harten terroristischen und fundamentalistischen Kern trennen. Diese Mitläufer sind junge Männer ohne Perspektive, die meist weder lesen noch schreiben können, die für ein paar Dollar bereit sind, zur Waffe zu greifen. Diesen Menschen wollen wir friedliche Alternativen des Broterwerbs in ihren Dörfern eröffnen. Das Programm ist also im Kern ein Ausbildungs- und Beschäftigungspaket.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Bei der Umsetzung dieses Programms und der Verwendung der entsprechenden Gelder werden die afghanische Regierung und die internationale Staatengemeinschaft eng zusammenwirken. Noch in diesem Frühjahr wird eine Konferenz in Kabul über das weitere Vorgehen beschließen.

Die Bundesregierung wird ihre Anstrengungen für den wirtschaftlichen und sozialen Aufbau im Norden verstärken und hat sich dafür konkrete, nachprüfbare Ziele gesetzt:

Wir werden die Programme zur ländlichen Entwicklung ausweiten, damit bis 2013 3 Millionen Afghaninnen und Afghanen Arbeit und Einkommen haben.

Wir werden unsere Anstrengungen für die Gesundheitsversorgung erheblich ausweiten. In allen vier Provinzen, die im deutschen Verantwortungsbereich liegen, werden wir Krankenhäuser aufbauen und besser ausstatten.

Wir werden die Verkehrsinfrastruktur verbessern und so die Basis für wirtschaftliches Wachstum und mehr Sicherheit legen. Zusätzliche 700 Kilometer ganzjährig nutzbare Straßen sollen ländliche Gebiete erschließen und sie mit den Städten und Märkten ihrer Distrikte verbinden.

Wir werden mehr Lehrerinnen und Lehrer ausbilden und Schulen bauen, damit weitere 500 000 Kinder unterrichtet werden. Mittlerweile sind ein Drittel der Schulkinder Mädchen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Insgesamt will die Bundesregierung die zivilen Mittel für Afghanistan verdoppeln. Ausdrücklich danke ich Bundesminister Niebel, der sich für den zivilen Aufbau besonders engagiert.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Lachen bei Abgeordneten der LINKEN))

Selbsttragende Sicherheitsstrukturen sind die Voraussetzung für eine Abzugsperspektive für unsere Soldatinnen und Soldaten. Darum tun wir in Zukunft deutlich mehr für die Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte.

Zwischen Afghanen und internationaler Gemeinschaft ist eine Zielgröße von 300 000 afghanischen Sicherheitskräften vereinbart. Dies ist nötig, damit Präsident Karzai sein Ziel erreichen kann, bis zum Jahr 2014 die Verantwortung für die Sicherheit in Afghanistan vollständig zu übernehmen.

Deutschland hat sich zum Ziel gesetzt, in den kommenden Jahren jährlich rund 5 000 afghanische Polizisten aus- und fortzubilden. Dafür wollen wir die Zahl unserer Polizeitrainer auf insgesamt 260 erhöhen. Ich bin zuversichtlich, dass wir in Abstimmung mit den Bundesländern unser Ziel erreichen, diesen Aufwuchs schon bis Mitte des Jahres abzuschließen. Ausdrücklich danke ich Bundesminister de Maizière und den Bundesländern für diesen wichtigen Beitrag.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Deutschland wird den Schwerpunkt seines militärischen Engagements noch stärker auf die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte legen. Dies erreichen wir vor allem durch eine Umschichtung im bestehenden Kontingent. Obwohl wir bereits heute 4 500 Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan haben, sind nur 280 mit der Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte betraut. Jetzt stocken wir das Mandat lediglich um 500 weitere Soldaten auf, vergrößern aber die Ausbildungs- und Schutzkomponente auf 1 400 Männer und Frauen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Ergänzend beantragt die Bundesregierung, eine flexible Reserve von 350 weiteren Soldaten zu schaffen. Damit wollen wir sicherstellen, auch in Sondersituationen angemessen reagieren zu können. Schon jetzt ist absehbar, dass während der Wahlen im September für eine vorübergehende Zeit mehr Kräfte Sicherungsaufgaben übernehmen müssen. Auf diese Fälle wollen wir vorbereitet sein. Das gebietet auch unsere Verantwortung gegenüber den Frauen und Männern in Uniform. Einsätze dieser Reserve werden stets zeitlich befristet sein und erst nach Befassung des Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses erfolgen.

Diese Neumandatierung ist ein Teil des in London beschlossenen breiten politischen Ansatzes für eine Übergabe der Verantwortung. Ich danke ausdrücklich Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg für die vertrauensvolle Zusammenarbeit bei der Neufassung des Mandates.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wer die Übergabe der Verantwortung in den kommenden Jahren schaffen will, der muss heute seine Anstrengungen verstärken. Wir tun heute mehr, um uns eine klare Abzugsperspektive zu erarbeiten: Anfang nächsten Jahres wollen wir in Abstimmung mit der afghanischen Regierung und unseren internationalen Partnern damit beginnen, regional die Sicherheitsverantwortung an die Afghanen zu übergeben. Ende des Jahres 2011 wollen wir so weit sein, unser eigenes Bundeswehrkontingent reduzieren zu können. Im Jahr 2014 wollen wir Präsident Karzais Zielmarke erreichen, dass die Afghanen die Verantwortung für ihre Sicherheit im ganzen Land selbst übernehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Das ist eine realistische Perspektive, auf die wir hinarbeiten wollen und werden. Aber es ist kein konkretes Abzugsdatum. Ein solches zu nennen, wäre eine Ermutigung der Terroristen, also ein Fehler.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme gehört auch, die Realitäten in Afghanistan so zu benennen, wie sie sind.

(Zuruf von der LINKEN: Jetzt wird es spannend!)

Die Bundesregierung hat sehr sorgfältig die Frage geprüft, wie die Lage im Norden Afghanistans zu bewerten ist. Die Intensität der mit Waffengewalt ausgetragenen Auseinandersetzung mit Aufständischen und deren militärischer Organisation führt uns zu der Bewertung, die Einsatzsituation von ISAF auch im Norden Afghanistans als bewaffneten Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts zu qualifizieren. Ob uns das politisch gefällt oder nicht, so ist die Lage. Ob wir es so nennen oder nicht, so ist die Lage. Die Lage beim Namen zu nennen, sind wir all denen schuldig, die sich vor Ort den Gefahren aussetzen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Diese rechtliche Qualifizierung der objektiven Einsatzsituation von ISAF hat Konsequenzen für die Handlungsbefugnisse der Soldaten, für die Befehlsgebung und für die Beurteilung des Verhaltens von Soldaten in strafrechtlicher Hinsicht. Sie hat keine Auswirkungen auf das Mandat, für das wir um Zustimmung bitten. Sie hat auch keine Auswirkungen auf den Einsatz unserer Polizisten. Unsere Polizisten wurden und werden ausschließlich im Norden Afghanistans und ausschließlich zu Ausbildungszwecken eingesetzt. Für ihren Einsatz ist entscheidend, dass wir ihn angesichts der tatsächlichen Sicherheitslage verantworten können. Fürsorge hat höchste Priorität. Unsere Polizisten arbeiten nur dort, wo die Bundeswehr für Sicherheit eintritt. Darauf haben wir uns auch mit den Ländern einvernehmlich verständigt.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung hat vor der Londoner Konferenz ein umfassendes Konzept für Afghanistan vorgelegt. Die Kernelemente unseres Konzepts finden sich in den Ergebnissen von London wieder. Wenn Sie unvoreingenommen prüfen, was wir in London erreicht haben, werden Sie vieles wiedererkennen, was auf Anregungen und kritische Fragen aus diesem Hohen Haus zurückgeht. Die enge Einbindung des Parlamentes ist mir sehr wichtig. Die Ergebnisse der Konferenz sind nicht nur ein Erfolg der Teilnehmerstaaten, sie sind gewiss nicht nur ein Erfolg der Bundesregierung; es handelt sich um einen Erfolg für alle, die in diesem Hause zur Neuausrichtung unseres Engagements beigetragen haben, aus allen Fraktionen. Es ist also auch Ihr Erfolg. Ich bitte Sie daher, dass Sie der Versuchung widerstehen, das Notwendige und Richtige zu unterlassen. Das wäre der Größe unserer Aufgabe und auch der Ernsthaftigkeit unseres Engagements nicht angemessen.

Lassen Sie mich zum Abschluss den mutigen Männern und Frauen danken, die in Afghanistan sich auch von hohen Risiken nicht schrecken lassen und mit großem Einsatz tätig sind. Den zivilen Aufbauhelfern, den Polizisten aus Bund und Ländern, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes und den tapferen Frauen und Männern der Bundeswehr gebührt unser aller Respekt.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ihnen und ihren Familien möchte ich von Herzen danken. Sie verdienen das Vertrauen der Bundesregierung und des ganzen Bundestages. Ich bitte Sie daher um Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Dr. Frank-Walter Steinmeier für die SPD-Fraktion.

Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auslandseinsätze der Bundeswehr waren hier im Parlament nie ein Selbstläufer, erst recht nicht der in Afghanistan und erst recht nicht nach den Einsätzen am Kunduz-Fluss. Wir müssen verstehen, begreifen und ernst nehmen, dass sich die öffentliche Diskussion in Deutschland zugespitzt hat, dass die Fragen kritischer werden - "Wie soll es in Afghanistan weitergehen"? - und dass sich die Politik ihrer Verantwortung nicht entziehen darf und stattdessen diese Fragen beantworten muss.

Wenn wir junge Menschen in einen schwierigen Einsatz wie den in Afghanistan schicken, dann müssen wir uns für solche Entscheidungen auch vor der deutschen Öffentlichkeit rechtfertigen. Deshalb sage ich: Was wir in den letzten acht Jahren in Afghanistan geschafft haben, ist viel, aber es ist nicht genug. Das Hauptziel mag erreicht sein - Herr Westerwelle, da haben Sie recht -: Afghanistan ist heute, jedenfalls nach meiner Bewertung, kein sicherer Hafen mehr für internationalen Terrorismus. Auch beim politischen und erst recht beim wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes sind wir durchaus vorangekommen.

Die Erfolge, die es zu verzeichnen gilt - Sie haben sie zum Teil genannt -, sind aber alles andere als gesichert. Ganz im Gegenteil: Wenn die internationale Staatengemeinschaft sofort und kopflos aus Afghanistan herausgehen würde, dann würde dieses schwierige Land - da bin ich mir wie viele in diesem Hohen Hause sicher - in kurzer Zeit wieder im Bürgerkrieg versinken. Käme es so, dann würden wir hier nicht über das Ansehen von internationalen Organisationen der Staatengemeinschaft, seien es UNO, NATO oder andere, reden. Es geht hier nicht um Gesichtswahrung - mir jedenfalls ging es nie darum -, sondern um die Menschen in Afghanistan. Ein sofortiger und kopfloser Abzug, wie ihn manche fordern, wäre eine Katastrophe für diese Menschen. Auch das muss uns klar sein.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich weiß, dass viele in Deutschland am Sinn dieses Einsatzes zweifeln.

(Zurufe von der LINKEN: Die Mehrheit!)

Ich habe erfahren, dass dieser Einsatz noch schwieriger ist, als wir ihn uns 2001 vorgestellt haben. Aber gerade deshalb bin ich der Meinung, dass wir es uns nicht zu einfach machen dürfen.

Wir haben mit der Entscheidung 2001 und den Folgeentscheidungen Verantwortung für uns selbst und vor allen Dingen für Afghanistan übernommen. Wir haben Erwartungen geschaffen, und wir haben auch Fehler gemacht. Zu den Fehlern gehört nach meiner Meinung, dass wir mit Blick auf den politischen Wiederaufbau in Afghanistan die Ziele am Anfang vielleicht zu hoch gesteckt haben. Sie kennen meinen Satz, dass wir nicht damit rechnen können, dass sich Afghanistan nach dem Muster einer Westminister-Demokratie entwickeln wird.

Zu den Fehlern, die gemacht wurden, gehört aus meiner Sicht auch, dass wir uns am Anfang vielleicht nicht genügend auf Afghanistan konzentriert haben. Das gilt jedenfalls für einige, insbesondere für diejenigen, die alle Kräfte und ihre ganze Konzentration viel zu lange auf den Irak und die Suche nach politischen Lösungen im Irak konzentriert haben und Afghanistan immer nur als ein Sicherheitsproblem behandelt haben, das man möglicherweise mit Waffengewalt bekämpfen kann. Das war eine Unterschätzung der Probleme in Afghanistan und hat andere Verbündete, die mit einer anderen Philosophie an die Lösung dieser Probleme herangegangen sind, überfordert. Ja, es hat falsche Prioritäten gegeben. Es hat viel zu lange gedauert, bis wir andere davon überzeugt haben, dass wir dem zivilen Wiederaufbau und dem Schutz der Zivilbevölkerung in Afghanistan oberste Priorität einräumen müssen.

Aus dieser Bilanz - zu der auch die Erfolge gehören, über die Herr Westerwelle eben berichtet hat - müssen wir die richtigen Konsequenzen ziehen. Die richtigen Konsequenzen ziehen, das heißt aus meiner Sicht, dass dies kein Einsatz für die Ewigkeit sein kann. Wir sind mittlerweile acht Jahre dort. Wir müssen auf der letzten Wegstrecke - ich würde sagen: im letzten Drittel unseres Einsatzes - versuchen, den Erfolg nachhaltig zu sichern. Das heißt, realistische Ziele setzen, mehr Engagement beim zivilen Aufbau und vor allen Dingen mehr Tempo. Außerdem brauchen wir aus meiner Sicht - wir reden heute nicht nur über dieses Mandat - eine klare Perspektive für die Beendigung unseres Einsatzes dort, jedenfalls des militärischen Teils. Das ist die Aufgabe der Stunde. Es ist nicht nur die Aufgabe der Regierung, sondern auch des Parlaments, dafür zu sorgen, dass das funktioniert.

(Beifall bei der SPD)

Wir Sozialdemokraten haben diesen Einsatz in Regierungsverantwortung beschlossen. Wir haben ihn mit unterschiedlichen Koalitionspartnern mitgetragen. Wir haben ihn über Jahre hinweg gestaltet, und wir stehen zu dieser Verantwortung. Weil wir dazu stehen, haben wir uns in die öffentliche Debatte eingemischt, auch aus der Opposition heraus. Wir haben mit der Bevölkerung diskutiert, wir haben öffentliche Debatten geführt, wir haben Konferenzen veranstaltet, und wir haben uns mit Vorschlägen nicht zurückgehalten. Wenn ich das richtig bilanziere, dann hat sich die Bundesregierung lange zurückgehalten. Wenn ich richtig informiert bin, hat sie bis zwei Tage vor der Londoner Konferenz nichts geliefert. Das war fahrlässig.

Die Bundesregierung hat - das zeigt das vorliegende Mandat - auf Vorarbeiten auch aus unserer Feder zurückgegriffen, indem sie Elemente unserer Vorschläge aufgegriffen hat. Das ist gut und richtig.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich einige unserer Forderungen nennen:

Erstens. Wir haben die Regierung aufgefordert, die Anstrengung beim zivilen Aufbau erheblich zu verstärken. Wir haben eine Verdoppelung der Mittel für den zivilen Wiederaufbau gefordert. Die Bundesregierung hat sich diesen Vorschlag zu eigen gemacht. Das ist gut.

Zweitens. Wir haben verlangt, die Ausbildung und die Ausstattung der afghanischen Sicherheitskräfte zu intensivieren. Auch hier hat sich die Bundesregierung - wenn ich das richtig gelesen habe - in die richtige Richtung bewegt. Schon in der Großen Koalition haben wir uns darauf verständigt, insbesondere die Zahl der Polizeiausbilder zu erhöhen. Herr de Maizière, Sie haben unsere volle Unterstützung, wenn Sie das in die richtige Richtung entwickeln und zügig umsetzen.

Wir begrüßen auch die Erhöhung der Zahl der Ausbilder für die afghanische Armee. Es ist richtig, dafür das Kontingent der Bundeswehr in der gegebenen Größenordnung entsprechend umzustrukturieren. Mir ist bei der Lektüre des Mandates aufgefallen, dass nicht mehr die Rede davon ist, das Kontingent um 2 500 Soldaten aufzustocken, wie noch vor Weihnachten öffentlich diskutiert worden ist. In der Begründung des Mandats ist auch kein Plädoyer für zusätzliche Kampftruppen enthalten.

Aber Herr Westerwelle, ich warne vor Tricks. Wenn Sie versuchen, die im Mandat angemeldete Reserve für eine dauerhafte Erhöhung des Kontingents zu nutzen, dann gefährden Sie selbst die Zustimmung zum vorliegenden Mandat.

Zu den Fehlern, die gemacht wurden, gehört aus meiner Sicht auch, dass wir uns am Anfang vielleicht nicht genügend auf Afghanistan konzentriert haben. Das gilt jedenfalls für einige, insbesondere für diejenigen, die alle Kräfte und ihre ganze Konzentration viel zu lange auf den Irak und die Suche nach politischen Lösungen im Irak konzentriert haben und Afghanistan immer nur als ein Sicherheitsproblem behandelt haben, das man möglicherweise mit Waffengewalt bekämpfen kann. Das war eine Unterschätzung der Probleme in Afghanistan und hat andere Verbündete, die mit einer anderen Philosophie an die Lösung dieser Probleme herangegangen sind, überfordert. Ja, es hat falsche Prioritäten gegeben. Es hat viel zu lange gedauert, bis wir andere davon überzeugt haben, dass wir dem zivilen Wiederaufbau und dem Schutz der Zivilbevölkerung in Afghanistan oberste Priorität einräumen müssen.

Aus dieser Bilanz - zu der auch die Erfolge gehören, über die Herr Westerwelle eben berichtet hat - müssen wir die richtigen Konsequenzen ziehen. Die richtigen Konsequenzen ziehen, das heißt aus meiner Sicht, dass dies kein Einsatz für die Ewigkeit sein kann. Wir sind mittlerweile acht Jahre dort. Wir müssen auf der letzten Wegstrecke - ich würde sagen: im letzten Drittel unseres Einsatzes - versuchen, den Erfolg nachhaltig zu sichern. Das heißt, realistische Ziele setzen, mehr Engagement beim zivilen Aufbau und vor allen Dingen mehr Tempo. Außerdem brauchen wir aus meiner Sicht - wir reden heute nicht nur über dieses Mandat - eine klare Perspektive für die Beendigung unseres Einsatzes dort, jedenfalls des militärischen Teils. Das ist die Aufgabe der Stunde. Es ist nicht nur die Aufgabe der Regierung, sondern auch des Parlaments, dafür zu sorgen, dass das funktioniert.

(Beifall bei der SPD)

Wir Sozialdemokraten haben diesen Einsatz in Regierungsverantwortung beschlossen. Wir haben ihn mit unterschiedlichen Koalitionspartnern mitgetragen. Wir haben ihn über Jahre hinweg gestaltet, und wir stehen zu dieser Verantwortung. Weil wir dazu stehen, haben wir uns in die öffentliche Debatte eingemischt, auch aus der Opposition heraus. Wir haben mit der Bevölkerung diskutiert, wir haben öffentliche Debatten geführt, wir haben Konferenzen veranstaltet, und wir haben uns mit Vorschlägen nicht zurückgehalten. Wenn ich das richtig bilanziere, dann hat sich die Bundesregierung lange zurückgehalten. Wenn ich richtig informiert bin, hat sie bis zwei Tage vor der Londoner Konferenz nichts geliefert. Das war fahrlässig.

Die Bundesregierung hat - das zeigt das vorliegende Mandat - auf Vorarbeiten auch aus unserer Feder zurückgegriffen, indem sie Elemente unserer Vorschläge aufgegriffen hat. Das ist gut und richtig.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich einige unserer Forderungen nennen:

Erstens. Wir haben die Regierung aufgefordert, die Anstrengung beim zivilen Aufbau erheblich zu verstärken. Wir haben eine Verdoppelung der Mittel für den zivilen Wiederaufbau gefordert. Die Bundesregierung hat sich diesen Vorschlag zu eigen gemacht. Das ist gut.

Zweitens. Wir haben verlangt, die Ausbildung und die Ausstattung der afghanischen Sicherheitskräfte zu intensivieren. Auch hier hat sich die Bundesregierung - wenn ich das richtig gelesen habe - in die richtige Richtung bewegt. Schon in der Großen Koalition haben wir uns darauf verständigt, insbesondere die Zahl der Polizeiausbilder zu erhöhen. Herr de Maizière, Sie haben unsere volle Unterstützung, wenn Sie das in die richtige Richtung entwickeln und zügig umsetzen.

Wir begrüßen auch die Erhöhung der Zahl der Ausbilder für die afghanische Armee. Es ist richtig, dafür das Kontingent der Bundeswehr in der gegebenen Größenordnung entsprechend umzustrukturieren. Mir ist bei der Lektüre des Mandates aufgefallen, dass nicht mehr die Rede davon ist, das Kontingent um 2 500 Soldaten aufzustocken, wie noch vor Weihnachten öffentlich diskutiert worden ist. In der Begründung des Mandats ist auch kein Plädoyer für zusätzliche Kampftruppen enthalten.

Aber Herr Westerwelle, ich warne vor Tricks. Wenn Sie versuchen, die im Mandat angemeldete Reserve für eine dauerhafte Erhöhung des Kontingents zu nutzen, dann gefährden Sie selbst die Zustimmung zum vorliegenden Mandat.

Sie haben in der Unterrichtung gesagt - auch die Bundeskanzlerin hat das ausgeführt -: Die Reserve brauchen wir für vorübergehenden Bedarf, zum Beispiel zum Kontingentwechsel, für zeitlich befristete, zusätzliche Einsätze. Zu diesen Einsätzen soll es - ich betone das - nur nach Befassung des Verteidigungsausschusses und des Auswärtigen Ausschusses kommen. Das Thema Reserve ist noch nicht durch. Unterschätzen Sie das nicht. Sie haben in den Ausschüssen noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben dort zu dokumentieren, dass Sie es mit dem, was ich eben referiert habe, ernst meinen.

An dieser Stelle passt ein Satz zu Ihren Ausführungen in der Regierungserklärung, was die Qualifizierung unseres Einsatzes in Afghanistan angeht. Das steht nicht im Mandat, sondern war nur Teil Ihrer Regierungserklärung. Ich glaube, wir müssen uns gegenseitig nicht darüber belehren, wie die Lage in Afghanistan ist. Die unterschätzt hier im Hause niemand. Wir sind aber auch der Meinung, dass wir nicht durch Eigenbewertungen zur Eskalation der Lage in Afghanistan beitragen sollten. Ob die Lage in Afghanistan ein nichtinternationaler bewaffneter Konflikt ist, das ist in der Tat - das bestreitet hier im Hause überhaupt niemand; ich jedenfalls nicht - eine Frage von großem rechtlichen Gewicht. Aber es liegt eben nicht in der Hand der Bundesregierung, einen solchen Konflikt festzustellen.

(Andrea Nahles (SPD): Jawohl!)

Herr Westerwelle, wenn ich Ausführungen, die aus dem Hause Ihres Kollegen zu Guttenberg stammen, zitieren darf: Er hat auf die Frage des Kollegen Arnold geantwortet:

Ob in Nordafghanistan ein nichtinternationaler bewaffneter Konflikt anzunehmen ist, steht nicht in der Entscheidungskompetenz der Bundesregierung.

Ich nehme an, das ist nach wie vor die Auffassung der Bundesregierung. Ich nehme an, dass Sie sich bei dieser Frage nicht schon wieder korrigieren wollen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zurück zum Mandat. Das dritte unverzichtbare Element ist aus meiner Sicht: Wir müssen jetzt beginnen, nach und nach Teile der Nordregion in afghanische Hände zu übergeben. Teile des Nordens sind nach wie vor ruhig und stabil. Dort können und müssen aus meiner Sicht die Afghanen jetzt selbst für Sicherheit sorgen. Ich selbst habe schon vor einem halben Jahr - das wissen Sie - im Zehn-Punkte-Papier dafür plädiert, solche Regionen in afghanische Hände zu übergeben. Es hat ein bisschen gedauert, aber es ist gut, dass diese Position jetzt auch im Papier der Bundesregierung eingenommen wird.

Wir brauchen viertens - jetzt kommen wir zu den wesentlichen Dingen - eine klare Perspektive für den Beginn des Rückzugs aus Afghanistan.

(Beifall bei der SPD)

Präsident Obama - Sie wissen das - will seine Truppen ab 2011 reduzieren. Die SPD will den Rückzug der Bundeswehr ebenfalls 2011 beginnen lassen. Ich habe festgestellt, dass die Bundesregierung diesen Vorschlag in ihr Konzept, in den Mandatsentwurf übernommen hat. Das ist gut. Wir werden Sie beim Wort nehmen. Der nächste Mandatsentwurf der Bundesregierung wird die Übergabe der Verantwortung in den Teilregionen ebenso wie die ersten Schritte eines beginnenden Rückzugs ab 2011 definieren und beschreiben müssen. Das wird in dem nächsten Mandat konkret enthalten sein müssen.

Wir gehen in der SPD einen Schritt weiter. Wir sind fünftens der Meinung: Wenn die internationale Staatengemeinschaft erstens, wie gerade in London geschehen, einen verbindlichen Zeitplan und Obergrenzen für Armee und Polizei festschreibt und die für die Ausbildung notwendigen Kräfte bereitgestellt werden, wenn zweitens die Übergabe der Sicherheitsverantwortung in afghanische Hände tatsächlich beginnt und wenn drittens Herr Karzai es sich selbst zum Ziel setzt, innerhalb der nächsten fünf Jahre die Sicherheitsverantwortung in die eigene Hand zu nehmen, dann ist es in der Tat Zeit, nicht nur über den Beginn des Rückzugs zu reden, sondern auch das Ende unseres Einsatzes in Afghanistan in den Blick zu nehmen.

Sie wissen, aus Sicht der SPD sollte das in dem Zeitraum zwischen 2013 und 2015 stattfinden. Entgegen manchen Behauptungen, Herr Westerwelle, ist das natürlich kein willkürlich gewählter Zeitraum. Dieser Zeitraum orientiert sich an den Zielen der internationalen Staatengemeinschaft, und er orientiert sich an den selbstgesetzten Zielen der afghanischen Führung. Sie selbst haben diese Ziele für Afghanistan gerade noch einmal bestätigt.

Deshalb sage ich Ihnen: Das ist keineswegs willkürlich, sondern wir haben dieses Zeitfenster für den Abzug, diesen Korridor gewählt, weil wir das in vielerlei Hinsicht für sinnvoll und richtig halten. Wir setzen uns selbst, aber vor allen Dingen die afghanische Führung unter Druck. Wir verhindern, dass unter den NATO-Partnern, unter den in Afghanistan engagierten Staaten, ein Wettlauf um frühestmögliche Zeitpunkte für den Abzug einsetzt. Wir leisten auch einen Beitrag dazu - unterschätzen Sie das nicht -, dass die Akzeptanz für den Einsatz nicht nur bei uns, sondern auch bei anderen europäischen Nachbarstaaten erhalten bleibt.

Wir alle waren auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Ich habe dort mit vielen meiner ehemaligen, Ihren heutigen Kollegen, Herr Westerwelle, gesprochen. Wenn ich nicht ganz falsch liege, dann gibt es in vielen europäischen Staaten durchaus einen dankbaren Blick darauf, dass wir in Deutschland die Abzugsperspektive 2014/2015 in die öffentliche Diskussion gebracht haben. Denn diese wird jetzt nach und nach auch in den anderen Mitgliedstaaten in Europa übernommen.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben registriert, dass Sie die Abzugsperspektive 2014 in den Blick genommen haben, allerdings nur in der Formulierung: Wir wollen die afghanische Regierung bei der Erreichung dieses Ziels unterstützen. Konkreter wollten Sie nicht werden. Aber wenn ich jetzt einmal die anfängliche - entweder echte oder gespielte - Empörung darüber, dass wir einen Abzugskorridor überhaupt in die Diskussion gebracht haben, mit den jetzigen Erklärungen vergleiche, dann bin ich mir sicher, dass Sie sich auch in diesem Punkte nach und nach unseren Positionen annähern werden.

Präsident Obama hat Afghanistan endlich den richtigen Stellenwert eingeräumt. Die afghanische Regierung hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt. Offenbar spürt man auch in Afghanistan, dass man nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag auf die Anwesenheit ausländischer Streitkräfte angewiesen sein kann. Ich bin mir sicher: Auch in den anderen NATO-Staaten wird die Entschlossenheit wachsen, jetzt den Perspektivenwechsel zu schaffen und die Vorbereitung für eine Beendigung unseres militärischen Einsatzes in Afghanistan zu treffen, natürlich nicht ohne Verantwortung und natürlich nicht mit dem Risiko, dass dort alles wieder zusammenbricht.

Ich bin der Meinung: Wir müssen dieses Momentum für Afghanistan, für die Menschen dort, aber auch mit Blick auf die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan nutzen. Sie haben nicht nur unseren Dank verdient, sondern auch unsere ganze Unterstützung. Das will auch ich gerne für die SPD-Fraktion sagen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Steinmeier.

Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD):

Ich habe nur noch einen Satz, Herr Präsident. Gerade mit Blick auf die eben angesprochenen Soldaten lautet dieser letzte Satz: Vertrauen Sie darauf, wir sehen das sehr richtig: Nicht die Soldaten haben die Glaubwürdigkeit dieses Einsatzes in den letzten Monaten beschädigt, sondern, wenn überhaupt, dann waren es ein Hin und Her bei der Bewertung einzelner Einsatzfragen, insbesondere des Einsatzes am Kunduz-Fluss, und die ungeklärten Hintergründe um die Entlassung von Führungspersonen im Verteidigungsministerium. Das hat Glaubwürdigkeit bei dem Einsatz gekostet, nicht das Tun der Soldaten selbst.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vertrauen Sie darauf: Die SPD-Fraktion wird den Antrag, den Sie vorgelegt haben, gründlich und verantwortungsvoll prüfen und anschließend bewerten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Christian Ruck für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Dr. Christian Ruck (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das deutsche Engagement in Afghanistan bedeutet eine tiefe Zäsur in der deutschen Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik. Der Einsatz bedeutet ein völliges Umdenken unseres außenpolitischen Handelns. Er ist gefährlich und teuer. Er ist unpopulär und daher anfällig für Populisten. Aber er ist ohne verantwortbare Alternative.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir engagieren uns in Afghanistan natürlich auch, um die Menschen dort vor einem Rückfall in Bürgerkrieg, Schreckensherrschaft oder eine beispiellose Diskriminierung der Frauen zu bewahren. Aber wir sind - nach dem 11. September 2001, nach den Anschlägen von London, Madrid und Bali und mit einem ausdrücklichen UN-Mandat - auch in Afghanistan engagiert, um Leib und Leben unserer eigenen Bürger zu schützen. Wie groß die Gefahr des Terrorismus auch bei uns im eigenen Land ist, zeigt der aktuelle Prozess gegen die Sauerland-Gruppe. Es geht konkret darum, auch bei uns, in unseren Hauptbahnhöfen Massaker mit sterbenden Menschen, mit sterbenden Frauen und Kindern zu verhindern. Wir haben uns den Einsatzort Afghanistan nicht ausgesucht; aber wir müssen auch dort, wo die Bedrohung entsteht, agieren, um unsere Bürger hier zu schützen.

Es geht auch um die Verhinderung eines Flächenbrandes von Radikalismus und Terrorismus in einer explosiven Region. Deswegen sind unsere Soldaten, unsere Entwicklungsexperten und unsere Polizisten in Afghanistan. Deswegen benötigen sie den Rückhalt des Parlaments, der Politik und der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, derentwegen sie sich in Gefahr begeben. Sie brauchen auch die Rückendeckung der deutschen Justiz. Das, was Sie, Herr Außenminister, dazu gesagt haben, ist extrem hilfreich.

Deutschland hat seit 2001 an führender Stelle Verantwortung übernommen. In Afghanistan ist tatsächlich vieles besser geworden. Präsident Karzai hatte recht, als er auf der Münchner Sicherheitskonferenz gesagt hat, dass Afghanistan heute ein völlig anderes Gesicht hat als 2001. Damals gab es außer Armut und Chaos nichts mehr. Es gab keinen Staat. Es gab keine Schulen, schon gar nicht für Mädchen. Es gab keine Gesundheitsversorgung, fast keine Infrastruktur und natürlich auch keine freie Meinungsäußerung.

Heute gibt es in Afghanistan demokratisch gewählte Institutionen und eine gute demokratische Verfassung. Heute gehen dort 12 Millionen Kinder zur Schule. Es gibt 15 000 Studenten. 80 Prozent der Bevölkerung haben Zugang zu medizinischer Basisversorgung. Es wurden 14 000 Kilometer Straße gebaut. Das Pro-Kopf-Einkommen hat sich verdreifacht. Es gibt immerhin 80 Radio- und Fernsehstationen, viele davon privat. Wir können sagen, dass Deutschland und der deutsche Steuerzahler daran maßgeblich mitgewirkt haben.

Der Bundeswehr ist es gelungen, auch durch einen behutsamen und freundschaftlichen Umgang mit der Bevölkerung, den Norden zu einer relativ stabilen Region zu machen. Für diese Erfolge haben auch deutsche Soldaten und Entwicklungshelfer ihr Leben verloren. Sie haben es verdient, dass wir diese Erfolge nicht geringschätzen.

Keiner von uns verschließt jedoch die Augen vor den Fehlern dieses internationalen Einsatzes, auch nicht vor den eigenen Fehlern und den daraus resultierenden Gefahren, vor den kriegsähnlichen Zuständen in manchen Landesteilen, vor den zivilen Opfern und der damit einhergehenden Vergiftung der Atmosphäre, vor der gewachsenen Korruption, vor der mangelnden Koordination der Aufbauhilfe und der militärischen Strategien der Verbündeten, vor der eigenen Halbherzigkeit oder der Naivität, mit der wir vielfach die gewaltigen kulturellen Unterschiede und widersprüchlichen Interessen übersehen haben.

Die Afghanistan-Konferenz in London hat die Weichen für eine notwendige Neuorientierung des internationalen Engagements gestellt. Herr Steinmeier, dabei spielen fast immer die Punkte, die die Union und auch der ganze Bundestag international wiederholt angemahnt haben, eine Rolle: die massive Verstärkung des zivilen Aufbauengagements, vor allem mit Blick auf die ländliche Bevölkerung und die Jugend, die bessere Koordination und Schwerpunktsetzung und die Stärkung der Eigenverantwortung der Afghanen durch einen gemeinsamen Koordinierungsrat und auf Grundlage einer nationalen afghanischen Entwicklungsstrategie, das Drängen nach stärkerer Bekämpfung der Korruption mit unabhängigen Antikorruptionsbehörden, mit mehr Transparenz in Finanzfragen und mit einer besseren Kontrolle der Mittelvergabe durch die Geberländer und schließlich die massive Verbesserung und Verstärkung der Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte.

Meine Damen und Herren, der langfristige Erfolg in Afghanistan hängt entscheidend vom Erfolg des Konzepts der vernetzten Sicherheit ab. Im Prinzip ist dieser Gedanke im Rahmen des Einsatzes auf dem Balkan, auch im Kosovo, entstanden, wo wir übrigens mit 25-mal mehr Aufwand pro Kopf der Bevölkerung schon zehn Jahre lang engagiert sind.

In Afghanistan ist die vernetzte Sicherheit überlebenswichtig für alle. Wir haben gesehen: Wo rund um die Uhr ausreichend Sicherheitskräfte vorhanden sind und alternative Produkte angebaut werden, kommen der Drogenanbau und mit ihm all die staatszersetzenden Auswirkungen zum Erliegen.

(Zuruf von der LINKEN: Das glauben Sie doch selber nicht!)

Eine Reintegration der Teilzeit-Taliban kann nur gelingen, wenn es für die im Prinzip Friedenswilligen ein Mindestmaß an ökonomischen Perspektiven gibt.

Umgekehrt ist es eine Illusion, zu glauben, dass die Bereitschaft zur Abgabe von Waffen und zur Reintegration wächst, wenn wir in unseren militärischen und polizeilichen Anstrengungen nachlassen. Herr Steinmeier, ich bin nicht Ihrer Meinung, dass man ein konkretes Abzugsdatum verbindlich hier öffentlich nennen soll. Ich halte es da mit Außenminister Westerwelle: dass wir den Zeitpunkt, zu dem wir abgezogen sein werden, in der Öffentlichkeit niemals sagen dürfen, ja gar nicht sagen können.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vernetzte Sicherheit ist nicht gegeben, wenn 85 Prozent der mühsam ausgebildeten Polizisten Analphabeten sind. Vernetzte Sicherheit haben wir auch nicht, wenn Entwicklungshelfer mancher Organisationen Kontakt mit Bundeswehrsoldaten oder anderen Sicherheitskräften ablehnen. Ein Gegeneinander ist das Gegenteil von vernetzter Sicherheit. Oder wie es Präsident Karzai ausgedrückt hat: Alle Organisationen der Entwicklungshilfe sollen die afghanische Regierung unterstützen und nicht gegen sie arbeiten. - Ich glaube, das kann man verlangen. Es gibt noch viel zu tun bei der vernetzten Sicherheit, auch im eigenen Land. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir in der neuen, christlich-liberalen Regierung auch hier weiter vorankommen. Dies ist das Gebot der Stunde.

Die Konferenz in London hat einen wichtigen Gedanken von uns aufgegriffen, nämlich die Berücksichtigung der regionalen Interdependenz, in der sich die Afghanistan-Mission befindet. Es geht vor allem um die Rolle Pakistans und um die komplizierte Beziehung Afghanistans zu seinen Nachbarn China und Indien. Auch in Pakistan sind politische und rechtsstaatliche Reformen sowie die Eröffnung ökonomischer Perspektiven für die einfache Bevölkerung zu lange versäumt worden.

Dies ist eine Lehre, die wir als Deutsche und Europäer aus unseren Bemühungen um Afghanistan und bei der Bekämpfung des Terrorismus ziehen müssen: Wir müssen uns, auch wenn es schmerzlich ist, rechtzeitiger und entschlossener mit dem Ansatz der vernetzten Sicherheit um die international immer zahlreicher werdenden weißen Flecken von Anarchie, Rechtlosigkeit und Staatszerfall kümmern. Wir müssen das nationale und das internationale Instrumentarium für eine raschere, vor allem zivile Vorsorge gegen Staatszerfall schärfen. Dies ist vital im deutschen Interesse.

Wir Deutsche haben uns nach dem Krieg einen guten Ruf als ehrlicher Makler erworben. Diese Stellung sollten wir stärker nützen. Wir haben auch in Afghanistan trotz aller Schwierigkeiten einen guten Ruf. Diesen guten Ruf wollen wir behalten. Wir sind als Freunde gekommen. Wir müssen so lange engagiert bleiben, bis wir auch als Freunde wieder gehen können. Das ist es, was mit Übergabe in Verantwortung gemeint ist.

Wir stimmen der Verlängerung des Mandates zu.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Jan van Aken ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Jan van Aken (DIE LINKE):



Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich war letzte Woche in Afghanistan. Ich muss sagen, diese Reise hat mich erschüttert. Wir haben mit afghanischen Politikern und Wissenschaftlern geredet, mit deutschen Aufbauhelfern, mit vielen Soldaten.

Wir haben auch Opfer und Hinterbliebene von Opfern des Bombenangriffs von Kunduz getroffen. Eine Frau, die mehrere Angehörige verloren hatte, hat etwas gesagt, was mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf geht: Wären wir nicht arm, hätten wir kein Benzin gebraucht. - Weil sie so arm sind, sind ihre Kinder und Enkelkinder losgezogen, um Benzin zu holen. Das erklärt vielleicht, was sich viele von uns gefragt haben: Warum waren nachts um 2 Uhr auf einer Sandbank mitten im Kunduz-Fluss so viele Zivilisten, die dann getötet worden sind? 26 Schüler mussten sterben, der jüngste von ihnen war gerade einmal zehn Jahre alt.

Ich begrüße ausdrücklich, dass die Bundesregierung den Hinterbliebenen Soforthilfe - Essen, Decken, Heizmaterial - gegeben hat. Ich würde mir aber auch wünschen, dass wir hier im Bundestag - über alle Parteigrenzen hinweg, jenseits der Frage, wer zum Krieg wie steht - der Opfer von Kunduz gedenken könnten.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Wir gedenken auch der Fahrer der Tankwagen!)

Eine Botschaft, die uns die Hinterbliebenen mit auf den Weg gegeben haben, lautet, dass es ihnen sehr viel bedeuten würde, wenn es hier in Deutschland eine Gedenkveranstaltung geben würde.

In Afghanistan habe ich gemerkt, dass die Diskussion dort eine völlig andere ist als hier im Raumschiff Berlin. Ein Beispiel ist die Frage der Versöhnung und der Wiedereingliederung. Sie, Herr Westerwelle, reden ausschließlich über die Frage der Wiedereingliederung der Taliban. Das ist im Prinzip richtig. Aber wo bleibt die Versöhnung? Wo bleiben die Verhandlungen? In Afghanistan ist es genau umgekehrt: Dort redet man ausschließlich über die laufenden Verhandlungen mit den Taliban; das ist auch gut so. Herr Westerwelle, wenn Sie diesen Krieg beenden wollen - ich glaube, Sie wollen ihn beenden -, dann tun Sie alles, was in Ihrer Macht steht, um diese Verhandlungen zu unterstützen, damit es endlich zu einem Frieden in Afghanistan kommt.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein zweites Beispiel, wo Ihr Wunschdenken und die Realität in Afghanistan völlig auseinandergehen, ist der zivile Wiederaufbau. Sie haben im Prinzip zwei Optionen. Die eine Option ist der reine zivile Wiederaufbau, die klassische Entwicklungshilfe. Ich habe in Kabul mit einem deutschen Entwicklungshelfer gesprochen. Er hat eine interessante Geschichte erzählt.

Vor einigen Jahren ist er gebeten worden, in einer schwer umkämpften Provinz im Süden Afghanistans ein Aufbauprojekt durchzuführen. Von allen Seiten ist er gewarnt worden, dort hinzugehen, sie würden sonst "sofort vom Acker geschossen". Der Aufbauhelfer ist den mühsamen Weg gegangen. Er hat sich mit afghanischen Experten auf den Weg gemacht und analysiert: Wer schießt in dieser Provinz auf wen? Wer hat in dieser Provinz, im Distrikt, im Dorf das Sagen? Mit diesem Wissen konnten sie mit den richtigen Leuten reden und mit ihnen das Projekt anfangen. Weil alle Seiten dabei waren und die Bedürfnisse von allen Seiten berücksichtigt worden sind, ist am Ende niemand vom Acker geschossen worden. Eine Bedingung für diesen Erfolg war auch, dass kein Militär mit auf den Acker gegangen ist. Das ist der zivile Aufbau.

(Beifall bei der LINKEN)

Das andere Modell ist Ihre zivil-militärische Zusammenarbeit. Ich konnte in Kunduz mit eigenen Augen sehen, wie sie funktioniert. Da fährt eine Panzerkolonne mit mehreren Dutzend schwer bewaffneten Soldaten los, um einen oder zwei Aufbauhelfer ins nächste Dorf zu bringen. Sie fahren in die Provinz, werden beschossen, und dann gibt es Feuergefechte. Wenn die Taliban geflohen sind, dann kann man vielleicht mit den Dorfältesten sprechen. So befrieden Sie doch keinen einzigen Distrikt. So schaffen Sie keinen Frieden in der Fläche.

(Beifall bei der LINKEN)

Hören Sie endlich auf, den zivilen Aufbau mit den militärischen Einsätzen zu verknüpfen. Gehen Sie endlich den intelligenten und mutigen Weg des rein zivilen Aufbaus. Lassen Sie das Militär außen vor!

(Beifall bei der LINKEN)

Wir kommen damit zur entscheidenden Frage. Sie haben hier eben gesagt: Die zusätzlichen 850 Soldaten seien Teil einer Aufbau- und Schutztruppe. Das hört sich harmlos an, ist aber eine infame Täuschung. Sie wollen Kampftruppen in Form von 850 Soldaten dorthin schicken.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie diese "Schutztruppen" aussehen: Das sind bis an die Zähne bewaffnete Soldaten. Das ist überhaupt kein Vorwurf an die Soldaten; denn sie werden natürlich beschossen und müssen kämpfen, wenn sie nach draußen gehen. Aber das sind keine Schutztruppen.

Herr Westerwelle, hören Sie endlich auf, die Öffentlichkeit in Deutschland über den Krieg in Afghanistan zu täuschen. Solange Sie uns hier täuschen, wird es weder in Afghanistan noch hier in Deutschland Frieden geben.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sage den Abgeordneten der SPD ganz bewusst: Lassen Sie sich von der Rhetorik des Herrn Westerwelle nicht täuschen. Stimmen Sie keinem Mandat zu, mit dem 850 zusätzliche Soldaten in den Krieg geschickt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Dieser Meinung ist im Übrigen auch der stellvertretende Vizepräsident des afghanischen Parlamentes, Amanullah Paiman. Er hat uns die Botschaft mit auf den Weg gegeben: Wir wollen Frieden, und mehr Soldaten helfen dabei nicht. Je mehr Soldaten, desto mehr Probleme. Ich stimme Herrn Paiman zu. Deshalb wird die Linke heute Ihrem Antrag nicht zustimmen.

(Beifall bei der LINKEN - Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Das hätte uns auch sehr gewundert!)

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland keine Waffen mehr exportieren sollte. Wir wollen Frieden überall in der Welt. Mehr Waffen helfen dabei nicht, mehr Soldaten auch nicht.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Der Kollege Hellmut Königshaus ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Hellmut Königshaus (FDP):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst dem Bundesaußenminister sehr herzlich dafür danken,

(Zurufe von der LINKEN: Oh!)

dass er die Situation in Afghanistan ohne Illusion und ohne Beschönigung klar beschrieben und die rechtlichen Konsequenzen, die sich daraus ergeben, klargestellt hat. Nebenbei bemerkt, Herr Steinmeier, Sie brauchen keine Sorge zu haben, dass es eine unterschiedliche Position gibt. Herr Dr. Westerwelle hat für die gesamte Bundesregierung gesprochen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das war früher vielleicht anders; aber heute ist das so, wie man weiß.

Ich bin froh, dass die Soldaten nun eine wesentlich größere Klarheit haben. Natürlich weiß man nie, was Gerichte, Staatsanwaltschaften usw. daraus machen. Aber was die Bundesregierung tun kann, ist, eine eigene Bewertung abzugeben. Das hat sie getan; dafür gebührt ihr Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Ergebnisse der Konferenz in London markieren einen Paradigmenwechsel in der Afghanistan-Politik, einen Paradigmenwechsel, der nicht nur unsere nationale Politik betrifft, sondern auch die unserer Partner. Denn noch deutlicher, als das bisher der Fall war, steht nun der Aufbau im Mittelpunkt des Engagements. Viel klarer, als das bisher der Fall war, orientiert er sich dabei auch an den traditionellen Wertvorstellungen und gewachsenen Strukturen der Afghanen selbst.

Das war bisher nicht so. Deshalb ist die FDP-Fraktion der Bundesregierung wirklich sehr dankbar, dass sie auf diese Neuausrichtung geduldig, aber auch mit der notwendigen Überzeugungskraft hingewirkt hat. Denn es war ja ein doppelter Kraftakt, nicht nur in der deutschen Politik die notwendigen Weichenstellungen vorzunehmen, sondern zugleich die Afghanen selbst und unsere Partner darin einzubinden. Der Bundesaußenminister hat diese Neuausrichtung hier überzeugend dargestellt. Wir können jetzt mit Genugtuung feststellen, dass es endlich eine nicht nur formal abgestimmte, sondern auch inhaltlich von allen beteiligten Ressorts getragene Afghanistan-Politik gibt.

(Beifall bei der FDP)

Das war bisher nicht die Regel, im Gegenteil. Die Ergebnisse waren dann in vielen Teilen entsprechend.

Ich teile aber - das will ich hier sagen - nicht die Auffassung, nichts sei in Afghanistan gut geworden. Wer sich die Mühe macht, sich dort einmal umzusehen, sieht sehr wohl Fortschritte. Es sind nicht genug; das ist wahr. Sie sind leider nicht so groß, wie sie sein könnten. Gerade in den ruhigen Anfangsjahren, als die Afghanen voller Dank für die wiedergewonnenen Freiheiten waren und den Deutschen größte Sympathien entgegengebracht haben, hat die damalige Bundesregierung den Aufbau vernachlässigt. Bis vor kurzem haben wir einen großen Teil des Aufwandes nur für die militärische Sicherung ausgegeben und nicht für den Aufbau selbst. Die Menschen dort haben deshalb keine wirklich spürbaren Fortschritte und kaum Verbesserungen ihrer eigenen wirtschaftlichen Situation gemerkt. Das hat die ursprünglich freundliche Grundstimmung gegenüber den Deutschen eingetrübt und den rückwärts gewandten Kräften Zulauf verschafft. So konnten die Feinde des Aufbaus auch im deutschen Verantwortungsbereich wieder Fuß fassen und den Aufbau erschweren. Das wird jetzt anders, und das ist auch gut so.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Man muss es leider immer wieder ins Gedächtnis rufen: Wir sind in Afghanistan militärisch engagiert, um den Aufbau zu sichern, und nicht umgekehrt. Das gilt insbesondere für den Schutz der Bevölkerung.

(Jan van Aken (DIE LINKE): Sie haben nicht zugehört!)

- Ich habe sehr gut zugehört. - Dieser Aufbau dient der Stabilisierung der Region. Dies liegt in unserem eigenen Interesse.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der Koalitionsvertrag von FDP und CDU/CSU hat vorgezeichnet, was nun endlich umgesetzt werden kann. Wir werden die Mittel für den Aufbau glatt verdoppeln, Herr van Aken, und die Projekte besser am Bedarf der Menschen dort orientieren, damit die Armut behoben wird. Wir werden mehr in die Infrastruktur investieren; der Außenminister hat die Details genannt. Wir werden ein funktionierendes Bankwesen in der Fläche aufbauen und Mikrokredite ermöglichen - und das auch auf dem Land und nicht nur in den Städten. Wir werden natürlich die Projekte zur Entwicklung von Rechtsstaatlichkeit und zur Sicherung von Frauenrechten fortführen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Wir werden aber eben noch mehr auch in die Grund- und Berufsausbildung investieren und die künftigen Schulprojekte noch mehr in die lokalen und regionalen Strukturen einbinden, wie das übrigens Rupert Neudeck mit seinen Grünhelmen vorbildlich vorgemacht hat.

Der zivile Aufbau ist übrigens auch der Schlüssel für die nachhaltige Beendigung der Drogenwirtschaft, durch die der Terror in Afghanistan mitfinanziert wird, die ländliche Entwicklung blockiert wird und deren grausame Folgen auch wir hier bei uns in Deutschland spüren. Also: Wir sehen in dem Afghanistan-Konzept der Bundesregierung eine klare Perspektive; es ist ein überzeugendes Konzept.

Eines werden wir in diesem Zusammenhang allerdings sicherlich nicht tun können, Herr Steinmeier: Wir können keine festen Termine nennen. Wir können natürlich Ziele beschreiben und eine bestimmte Vorstellung davon entwickeln, wann wir sie erreicht haben wollen. Wenn wir sie dann aber noch nicht erreicht haben, können wir nicht sagen: Jetzt ist aber der Termin des Abzugs erreicht. Vielmehr müssen wir das von den tatsächlichen Ereignissen abhängig machen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir tun alles dafür, dass wir das so schnell wie möglich erreichen.

Es ist klar: Wir knüpfen unser Engagement auch an Bedingungen - gerade auch gegenüber den afghanischen Partnern. Auch sie müssen ihre Schularbeiten machen, und Herr Karzai muss all seine Zusagen hinsichtlich Good Governance, der Menschenrechte, der Bekämpfung der Korruption usw. endlich auch tatsächlich umsetzen. Auch das werden wir überprüfen. Herr Steinmeier, völlig zu Recht fordern Sie ein, dass wir uns vor dem nächsten Mandat auch darüber Rechenschaft ablegen.

Natürlich ist es aber auch erforderlich - das ist der Grund, warum wir hier noch einmal auch über ein Militärmandat entscheiden müssen -, diese Aufbauanstrengungen vor jenen zu schützen, die diesen Fortschritt stören oder sogar zerstören wollen. Hier hilft eben kein Beten und auch kein Lamentieren, Herr van Aken.

(Jan van Aken (DIE LINKE): Da helfen Intelligenz und Mut!)

Deshalb bin ich bei aller grundsätzlichen Sympathie schon froh darüber, dass nicht Frau Käßmann und auch nicht Sie, sondern diese Bundesregierung und unsere Minister Westerwelle und Niebel die Afghanistan-Politik gestalten.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Immer tiefer rein in das militärische Abenteuer!)

Die wissen nämlich, dass Sicherheit zwar keine hinreichende, aber ganz gewiss eine notwendige Bedingung für nachhaltige Entwicklung ist.

Auch hier zeigt die Bundesregierung Augenmaß. Wir können mit Genugtuung feststellen, dass den überzogenen Erwartungen mancher Partner mit großer Überzeugungskraft entgegengewirkt werden konnte. Das, Herr Bundesaußenminister, ist ein großer Erfolg, der vor allem Ihrer stillen Diplomatie zu verdanken ist. Auch dafür gebührt Ihnen unsere Anerkennung.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Durch das neue Mandat und die neue internationale Ausrichtung werden auch hohe Anforderungen gestellt, bei der Herstellung der Sicherheit, beim Polizeiaufbau und beim Aufbau eines funktionierenden Justizsystems. Hier haben wir eine ganz besondere Verantwortung, der wir bisher nicht in dem Umfang nachgekommen sind, wie es erforderlich gewesen wäre. Deshalb kommen wir, wenn wir den Aufbau voranbringen wollen, heute nicht umhin, vorübergehend mehr Soldaten dorthin zu schicken. Dadurch wird es uns ermöglicht, mehr Ausbildung zu gewährleisten und einen größeren Schutz der Bevölkerung sicherzustellen.

Weil das oft gesagt wurde: Das hat nichts mit Besetzung oder Besatzung zu tun, wie manche glauben machen wollen. In dem Mandatsantrag der Bundesregierung werden die Rechtsgrundlagen des Einsatzes genannt. Das zeigt, dass es um die Unterstützung der Afghanen und der Regierung Afghanistans und nicht um ihre Bevormundung oder gar Unterwerfung geht. Solche Vorwürfe sind nichts als bösartiges Gerede. Deshalb geht man hier fehl, wenn man frühere Vorgänge betrachtet und historische Parallelen zieht.

Meine Damen und Herren, wir werden dort also ein überzeugendes Konzept umsetzen. Wir werden das Mandat, das hier dafür erbeten wurde, auch erteilen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir in Zukunft die Fortschritte erreichen werden, die wir uns alle wünschen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Frithjof Schmidt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):



Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Außenminister, Sie haben viel Mühe darauf verwandt, die Strategie der Regierung für Afghanistan vorzustellen. Sie haben mich nicht überzeugt. Lassen Sie mich aber erst herausstellen, wo wir übereinstimmen.

Sie handeln richtig, wenn Sie die zivilen Anstrengungen verstärken. Es ist gut, dass die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit massiv erhöht werden sollen. Diese Erhöhung kommt spät. Lassen Sie uns hoffen, dass sie nicht zu spät kommt.

Jetzt müssen Ihren Ankündigungen auch Taten folgen. Wir erwarten, dass diese Mittel neu in den vorliegenden Haushaltsentwurf eingestellt werden. Das ist der Lackmustest für die Wahrhaftigkeit Ihrer Erklärungen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Außenminister, richtig ist auch die Verständigung auf eine konkrete Abzugsperspektive. Ende 2011 soll mit dem Abzug begonnen werden, und in fünf Jahren soll die afghanische Regierung die Verantwortung für die äußere und innere Sicherheit Afghanistans übernehmen. Dabei vermissen wir allerdings präzise Zwischenziele für die Umsetzung dieses Plans.

Ich teile ausdrücklich Ihre Auffassung, dass es bei einem solch komplizierten Prozess, der sich über mehrere Jahre erstreckt, nichts bringt, sich auf ein ganz bestimmtes Enddatum festzulegen. Damit haben Sie recht. Eine Planung muss aber mehr sein als eine schlichte Ankündigung, und da bleiben Ihre Vorstellungen leider nebulös.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was den militärischen Einsatz betrifft, kann ich nur sagen, dass Sie die Dinge beschönigen. Sie sagen uns einen Teil der Wahrheit. Aber sagen Sie uns auch die ganze Wahrheit? Sie behaupten, es gebe jetzt eine Hinwendung zu einer defensiven Strategie. Sie argumentieren, es gehe sozusagen allein um die verstärkte Ausbildung der afghanischen Truppen. Dieses Argument haben wir übrigens auch bei der letzten Truppenaufstockung gehört, mit dem Ergebnis, dass bisher nur 280 Soldaten für die Ausbildung eingesetzt werden.

Für die überfällige Intensivierung der Ausbildungsaufgaben gibt es also noch große Spielräume im bestehenden Kontingent. Sie haben daher nicht überzeugend begründet, warum Sie das Kontingent erneut erhöhen wollen. Ziehen Sie doch erst einmal die militärisch unnötigen Tornados ab!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Äußerungen von Herrn zu Guttenberg und hoher Bundeswehroffiziere lassen aber auch noch anderes vermuten: Gemeinsam mit der afghanischen Armee und unterstützt von amerikanischen Soldaten soll die Aufstandsbekämpfung in den nächsten Monaten intensiviert werden. Im deutschen Verantwortungsbereich werden nun bis zu 850 deutsche Soldaten zusätzlich eingesetzt. Hinzu kommen noch bis zu 5 000 amerikanische Soldaten. Damit verdoppelt sich die Anzahl der internationalen Truppen im Norden. Der Einsatz der US-Truppen wird die militärische Lage prägen. Dabei geht es vor allem um offensive Einsätze. Das ist Counter-Insurgency-Ausbildung in der Praxis. Dies ist alles andere als defensiv; machen wir uns oder - besser - machen Sie uns doch nichts vor!

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Durch Ihren Umgang mit den Vorfällen in Kunduz haben Sie bei meiner Fraktion in den vergangenen Monaten viel Vertrauen in die Transparenz der militärischen Planungen verspielt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Kunduz steht hier für ein Vertuschen und Verschweigen. Sie haben bis heute keinen ehrlichen Versuch unternommen, die Hintergründe wirklich aufzuklären.

Jetzt kommen Sie wieder nur mit der halben Wahrheit. So können Sie kein Vertrauen zurückgewinnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Schwammig argumentieren Sie auch bei den politischen Zielen. Herr Karzai hat offen erklärt, er will mit allen bewaffneten Gegnern im Land, die Afghanen sind, auf höchster politischer Ebene verhandeln. In London wurde beschlossen, dies mit dem Aussteigerfonds für Taliban zu begleiten. Das Wort "Reintegration" ist dafür ein Euphemismus.

Worum geht es in Afghanistan? Geht es um einen militärischen Sieg über die Taliban? Geht es noch um unverzichtbare Menschen- und Frauenrechte oder nur noch um Stabilität um fast jeden Preis? Geht es also darum, die Taliban, und zwar jeder Couleur, im Rahmen einer politischen Lösung an der Regierung zu beteiligen? Geht es jetzt um den militärischen Versuch, die Taliban an den Verhandlungstisch zu bomben? Schenken Sie der Öffentlichkeit reinen Wein über die Ziele der Bundesregierung ein!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Lassen Sie mich für meine Fraktion sagen: Wir stehen zu einem Engagement der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan, und wir unterstützen ISAF als Stabilisierungseinsatz im Rahmen der Vereinten Nationen. Das gilt auch weiterhin.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das sollen die Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan auch wissen. Aber das bedeutet nicht, dass wir in sich widersprüchlichen Konzepten und Mandatsformulierungen der Bundesregierung automatisch zustimmen.

Ihre heutige Regierungserklärung hat für mich und viele andere in meiner Fraktion nicht dazu beigetragen, die Zweifel an Ihrem neuen Konzept nach London zu beseitigen. Auf dieser Grundlage kann und will ich meiner Fraktion nicht empfehlen, die Verantwortung für Ihr neues Konzept mit zu übernehmen.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Philipp Mißfelder ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Philipp Mißfelder (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich stimme Ihnen, Herr Schmidt, ausdrücklich zu, wenn es um die Beschreibung der Abläufe geht. Sie haben es richtig beschrieben: Es gibt keinen Automatismus, dass das Parlament, wenn die Regierung etwas vorschlägt, zustimmt. Gerade bei diesem Mandat wird sehr deutlich, dass das Parlament sehr stark beteiligt worden ist. Herr Steinmeier hat vorhin ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sehr viele Vorschläge, über die in den letzten Wochen - auch in Gesprächen mit der Opposition - diskutiert worden ist, Eingang in die Überlegungen und die Strategie für das Mandat und das weitere Vorgehen in Afghanistan gefunden haben. Ich komme für meine Fraktion allerdings - das wird Sie wenig überraschen - zu einer anderen Empfehlung als Sie. Ich empfehle meiner Fraktion ausdrücklich, dem Mandat aufgrund der Einbindung des Parlaments und der Darstellung des Bundesaußenministers am heutigen Tag zuzustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Herr Bundesaußenminister, ich bin Ihnen außerordentlich dankbar, nicht nur für die Beratungen in den vergangenen Wochen. Das ist auch durch die Redebeiträge der anderen Fraktionen größtenteils deutlich geworden. Bei Herrn van Aken war das nicht so sehr der Fall. Aber wir beraten gemeinsam über solch wichtige Fragen. Daran ist auch die Linkspartei beteiligt. Sie stimmt zwar anders ab als wir. Aber bei den Gesprächen ist sie immer dabei, und das ist auch gut so. Wir bieten weiterhin an, an solchen Gesprächen teilzunehmen; denn es handelt sich um eine gemeinsame Verantwortung aller Fraktionen im Deutschen Bundestag. Zumindest was das Zustandekommen des Mandates angeht, ist es wichtig, dass wir weiterhin im Gespräch bleiben.

Die Einordnung als bewaffneter Konflikt gibt Hoffnung, dass wir bei der Rechtssicherheit große Fortschritte machen. Das ist noch nicht abgeschlossen. Es stehen noch gerichtliche Entscheidungen aus. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass hier Klarheit geschaffen worden ist und mit großer Verlässlichkeit Aussagen getroffen worden sind.

Schon vor der Afghanistan-Konferenz in London sind - darüber haben wir hier im Deutschen Bundestag intensiv beraten - wichtige Signale ausgegangen. Die Ergebnisse von London können sich tatsächlich sehen lassen; denn gerade das, worüber wir hier im Deutschen Bundestag beraten haben, hat Eingang in das gefunden, was die Zukunft Afghanistans in den nächsten Jahren mitbestimmen wird. Die Übernahme der Verantwortung durch die Afghanen selber ist das richtige Konzept. Gerade das, was Präsident Karzai bei seinen Besuchen in München und im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages deutlich gemacht hat, ist der richtige Weg. Wir müssen uns in der Polizeiausbildung mehr engagieren. Es ist nicht vordringliche Aufgabe der Deutschen, in Afghanistan offensiv tätig zu sein. Das hat der Bundesaußenminister hier sehr deutlich gesagt. Unser Hauptengagement richtet sich auf die Ausbildung. Das ist der richtige Weg; denn nur so kann die Übernahme der Verantwortung in den nächsten Jahren stattfinden. Deshalb werden wir unser Engagement in diesem Bereich massiv ausweiten. Ich danke vor allem denjenigen, die sich dort besonders engagieren, den Soldatinnen und Soldaten, aber vor allem auch den Polizisten, die in den nächsten Jahren einen sehr großen Beitrag leisten werden. Ihnen gilt der Dank des ganzen Hauses. Herzlichen Dank!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Innerhalb des Mandats finden Umschichtungen statt. Das ist der größte Beitrag dazu, in Zukunft eine höhere Ausbildungsleistung zu erbringen. Weil sich einiges im Norden Afghanistans verändert hat, sind wir zu dem Ergebnis gekommen, der Lage angemessen, weitere Truppen dorthin zu entsenden. Alles andere hielte ich für unverantwortlich; denn die Soldatinnen und Soldaten in eine Situation zu bringen, in der ihr eigener Schutz nicht gewährleistet werden könnte, wäre falsch.

Wenn man dort verantwortungsbewusst Politik machen und die Zukunft Afghanistans mitgestalten will, ist es notwendig, dass man das militärische Engagement in diesem Bereich adäquat erhöht. Deshalb hat die Bundesregierung den Vorschlag gemacht, die Mandatsobergrenze zu erhöhen. Gerade weil die Situation in Afghanistan sich in diesem Jahr verändern wird, und zwar durch die Wahlen, die im Herbst stattfinden werden, muss man sicherheitspolitisch und militärisch adäquat reagieren. Das ist verantwortungsbewusste Außenpolitik, und deshalb wollen wir der Verschiebung der Mandatsobergrenze zustimmen.

Von großer Bedeutung ist - das ist ein Kern des Konzepts von London - das Reintegrationsmodell. Das Ziel ist nicht, wahllos mit jedem Taliban oder Fundamentalisten zu verhandeln oder sie in die Regierung zu bomben, wie hier vorhin gesagt worden ist. Vielmehr geht es darum, zu prüfen, wer von den Taliban theoretisch für eine Stabilisierung Afghanistans in der Zukunft gewinnbar ist. In der Debatte in der vergangenen Sitzungswoche und auch heute ist deutlich geworden, dass es sehr wohl Unterschiede gibt zwischen denjenigen, die aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus dort mitlaufen, das Geld der Taliban annehmen und sich auf diese Weise über Wasser halten, und denjenigen, die sich aus religiösen, fundamentalistischen Gründen möglicherweise auf einem unumkehrbaren Weg befinden. Mit Letzteren werden wir in den nächsten Jahren natürlich keine Erfolge erzielen.

Richtig ist, dass wir den Dialog, der in Afghanistan stattfindet, von der Regierung einfordern und ihr überlassen. Wir haben klare Wegmarken gesetzt, was wir von der afghanischen Regierung in dem Zusammenhang erwarten. Daran haben die Grünen in den vergangenen Wochen entscheidend mitgewirkt. Wir wollen das, was wir bisher an Erfolgen erreicht haben, nicht leichtfertig aufgeben, beispielsweise in Verhandlungen mit Mullah Omar. Die Rechte der Frauen dürfen nicht hinter den Status zurückfallen, den wir gemeinsam erreicht haben und den die Bundeswehr in Afghanistan verteidigt. Das ist nicht unser Ziel. Deshalb muss man genau hinschauen, wer mit wem verhandelt und welche Gespräche mit welchem Ziel geführt werden. Das heißt nicht, dass wir eine Dialogbereitschaft grundsätzlich ablehnen. Das wäre falsch. Aber es heißt, dass es rote Linien gibt, hinter die wir nicht zurückgehen dürfen.

Auf diesem Weg sollten wir die afghanische Regierung massiv ermutigen. Das haben wir im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz und bei den Gesprächen in Berlin getan. Das ist auch die Linie der nächsten Jahre in Afghanistan; denn die erreichten Erfolge dürfen nicht dadurch zerstört werden, dass um jeden Preis eine Stabilisierung erreicht werden soll.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich vertraue Herrn Karzai an dieser Stelle sehr wohl, und zwar aufgrund seiner persönlichen Familiengeschichte. Sein Vater hat frühzeitig versucht, mit Mullah Omar und seinen Leuten Gespräche zu führen. Er hat konkrete Angebote gemacht. Die Antwort dieser Fundamentalisten war ein Mordanschlag auf seinen Vater, der leider erfolgreich war.

Aus diesem Grund glaube ich, dass bei Herrn Karzai - das konnten wir auch in den persönlichen Gesprächen mit ihm feststellen - eine sehr große Ernsthaftigkeit bezüglich der zukünftigen Dialoge vorhanden ist. Deshalb bin ich da ganz optimistisch.

(Abg. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) meldet sich zu einer Zwischenfrage)

- Herr Präsident, ich glaube, es besteht der Wunsch nach einer Zwischenfrage.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das ist in der Tat so. Da Sie offenkundig ein Interesse an der Zulassung dieser Frage haben, erteile ich hiermit dem Kollegen Ströbele das Wort zu einer Zwischenfrage.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Kollege, Sie sprechen hier über die Verhandlungen und die damit verbundenen Probleme und benennen zu Recht richtige Punkte. Aber wir befinden uns heute nicht in einer entwicklungspolitischen Debatte, sondern wir sprechen darüber, ob der Deutsche Bundestag zusätzliche Soldaten nach Afghanistan schickt, 850 bzw. 500 und 350, je nachdem, wie man das rechnet. Darüber hinaus soll zusätzliches Kriegsgerät nach Afghanistan geschickt werden. Wie erklären Sie und wie erklärt die Bundesregierung - dazu hat Herr Westerwelle kein Wort gesagt -, wie auf der einen Seite Aufbau, Ausbildung und Verhandlungen stehen sollen, wenn auf der anderen Seite eine erhebliche Intensivierung der Kriegführung stattfindet? Darüber sprechen Sie nicht.

Halten Sie es nicht ebenso wie ich für kontraproduktiv, wenn auf der einen Seite Verhandlungen angeboten werden, auf der anderen Seite dieselben Leute, mit denen verhandelt werden soll, möglicherweise von Zielfahndungskommandos der Bundeswehr, vor allen Dingen aber der US-Amerikaner, die jetzt 5 000 zusätzliche Soldaten in den Norden schicken, gejagt werden? Wie sollen Verhandlungen mit denen stattfinden, die gleichzeitig auf der Abschussliste mindestens der Amerikaner, möglicherweise auch der Bundeswehr stehen? Ist das nicht ein Widerspruch, und macht das eine das andere nicht unmöglich? Das heißt, die Art der Kriegführung muss auf den Tisch. Die Bundesregierung muss hier sagen, in welcher Weise die Bundeswehr dort eingesetzt wird. Gehört zu dem Einsatz der Bundeswehr auch, gerade nach den Ereignissen in Kunduz am 4. September, weiterhin Menschen zu vernichten, und zwar gezielt zu vernichten, wie Oberst Klein es damals verlangt hat? Wie lösen Sie diesen Widerspruch?

Philipp Mißfelder (CDU/CSU):

Die letzte Frage ist die einzige Frage, auf die ich nicht mit Nein antworten werde. Sie haben mir drei, vier Fragen gestellt. Auf alle Fragen kann ich nur mit Nein antworten. Ich teile Ihre Haltung nicht; das wird Sie aber auch nicht überraschen. Ich möchte Ihnen deutlich sagen, warum sich die Bundesregierung zu dem entschlossen hat, was wir hier unterbreiten und was die Fraktion der CDU/CSU unterstützt. Wir unterstreichen mit der Erhöhung der Obergrenze und mit der Entsendung von mehr Soldaten im Rahmen dieses Mandats die Ernsthaftigkeit unseres Engagements. In der Debatte ist sehr deutlich herausgekommen, dass es sich bei der Anhebung der Obergrenze nicht nur um eine militärische Maßnahme handelt - das haben Sie uns gerade vorgeworfen -, sondern dass diese in einen größeren Rahmen von entwicklungspolitischen, zivilen und polizeilichen Maßnahmen eingebettet wird. Das ist unsere Strategie, und deshalb tragen wir das intensiv vor. Wir unterstreichen mit der Entsendung von mehr Soldaten die Ernsthaftigkeit unseres Engagements.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich glaube, dass wir damit gerade die Arbeit der Entwicklungshelfer unterstützen. Über die Arbeit der Entwicklungshelfer ist einiges zu sagen. Es gibt Stimmen in den Organisationen, die davor warnen, mit dem Militär gemeinsam aufzutreten. Aber ich glaube, dass nach wie vor die Voraussetzung für den zivilen Aufbau militärische Präsenz ist. Das ist schade, aber es ist leider so. Das soll nicht auf Dauer so bleiben. Ich übernehme nicht die Verantwortung dafür, dass Entwicklungshelfer mit ihrem Leben für ihre mutige Arbeit bezahlen müssten, wenn wir hier falsche Entscheidungen treffen und, wie es in Ihrem Sinne wäre, aus Afghanistan abziehen würden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Armin Schuster für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die dankbare Aufgabe, in den nächsten gut sechs Minuten Ihre geschätzte Aufmerksamkeit auf den Polizeieinsatz in Afghanistan zu lenken. Das ist mir natürlich eine Herzenssache. Sie können im Kürschner nachlesen, warum.

Wir haben das deutsche Engagement beim Polizeiaufbau in Afghanistan seit dem Jahr 2008 - da hat auch das Parlament eine Rolle gespielt - deutlich intensiviert. In unserem bilateralen Projekt setzen wir aktuell 118 deutsche Polizeibeamte in Kabul, Masar-i-Scharif, Kunduz und Faizabad ein, innerhalb der EUPOL-Mission sind es 41 deutsche Experten. Das sind summa summarum 160 Polizisten und zivile Experten, handverlesen und gut vorbereitet; das möchte ich an der Stelle betonen. Aber die Diskussion über die Anzahl der Stiefelspitzen wäre angesichts des polizeilichen Auftrags in Afghanistan nur von begrenztem Wert. Der eigentliche erfolgskritische Faktor unserer Mission ist das Konzept.

Genau da sind wir mit unserem bilateralen Projekt richtig aufgestellt. Das Konzept besteht aus drei Säulen. Damit gewährleisten wir bis zum Jahr 2012 erstens die Ausbildung von circa 15 000 neuen Polizeikräften der ANP. Das bedeutet, dass Deutschland für die Ausbildung der Hälfte der neu rekrutierten Polizisten und Grenzpolizisten verantwortlich ist.

Zweitens - das ist für mich der Schwerpunkt -: die Evaluierung, das Training und die begleitende Betreuung der ANP-Polizisten aus 40 Distrikten in sechs Provinzen im Norden Afghanistans. In diesem Programm begleiten wir die afghanischen Kursteilnehmer nach ihrem Training mit polizeilichen Mentoring-Teams aktiv in der Praxis vor Ort. Was heißt das? Wir werden nicht hoheitlich tätig, aber wir coachen. Wir sind dabei, wenn diese Polizisten draußen arbeiten. Das Gesamtprogramm erstreckt sich übrigens über elf Monate, und wir werden bis 2012 in Zusammenarbeit mit deutschen Feldjägern 50 solcher Teams eingesetzt haben.

Die dritte Säule unseres Konzepts besteht darin, mit der Ausbildung von 500 afghanischen Trainern eine aktive Hilfe zur Übernahme der Ausbildung in afghanischer Eigenverantwortung zu leisten. Die ausgebildeten afghanischen Trainer setzen wir heute schon sukzessive in deutschen Ausbildungsstätten zum Training der eigenen Kollegen ein.

Ich möchte ganz klar betonen: Das deutsche Konzept hat sich bereits vor London dadurch vom bisherigen amerikanischen Ansatz unterschieden, dass wir die polizeiliche Praxis vor Ort begleiten, und zwar nicht nur auf der Ebene des Distriktpolizeichefs, sondern auf allen nachgelagerten Ebenen bis hin zur untersten Verwaltungsebene der Polizei. Ich halte das - es ist ja vor London passiert - für eine beachtliche Leistung. Der Strategiewechsel ist in diesem Sinne vollzogen worden. Man könnte auch sagen: Wir haben vorgedacht.

Mit diesem dreistufigen Konzept haben wir unsere hohe Akzeptanz und Resonanz bei den Ausbildungsteilnehmern und bei den Polizeikräften vor Ort noch verbessert. Viel wichtiger ist: Von der afghanischen Bevölkerung werden wir äußerst positiv wahrgenommen, weil wir vor Ort, zusammen mit den Afghanen, erlebbar sind.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Die ebenenübergreifende Nachhaltigkeit, von der ich sprach, vermissen wir übrigens in der EUPOL-Mission. Deshalb fordern wir dringend eine Weiterentwicklung des Mandats. Die Projektmittel müssen aufgestockt werden, und die Sicherheitsvorschriften, die die eingesetzten Berater betreffen, müssen so angepasst werden, dass diese mit ihrer Ausbildung auch in der Fläche wirksam werden können. Sollte uns diese Anpassung nicht gelingen, empfehle ich, die Zahl der deutschen Experten in der EUPOL-Mission auf ein Minimum zu reduzieren und stattdessen in das wesentlich gewinnbringendere eigene bilaterale Projekt zu investieren.

Wie sieht die Ausweitung des deutschen Engagements nach den Ergebnissen der Londoner Konferenz aus? Wir werden erstens das Personal bis Mitte 2010 auf 200 Polizisten im bilateralen Projekt und gegebenenfalls bis auf 60 Experten in der EUPOL-Mission aufstocken. Das ist eine Verdreifachung des Potenzials von 2008. Wir werden zweitens die Ausbildungszentren in Kabul und Kunduz, die Grenzpolizeifakultät in Kabul sowie die Außenstelle der Polizeiakademie in Masar-i-Scharif bis 2010 fertigstellen und drittens bis 2011 die Hauptquartiere der Polizei in Faizabad und der Verkehrs- und Bereitschaftspolizei in Kabul sowie eine Grenzpolizeidienststelle am Flughafen Kabul errichtet haben.

Meine Damen und Herren, auch wenn wir durch regelmäßige Lageanalysen dafür sorgen, dass unsere Polizeikräfte nur in gesichertem Umfeld eingesetzt werden: Afghanistan ist nicht Heidi-Land. Deshalb bin ich der Bundesregierung - insbesondere Herrn Außenminister Westerwelle - für die Klarstellung heute Morgen und für die Beschlüsse, die in Meseberg im November 2009 gefasst wurden, dankbar. Das erklärte Ziel, die Kompetenz und Ausstattung der Bundespolizei für internationale zivilpolizeiliche Einsätze auszubauen, trägt den beschriebenen robusten Herausforderungen in vielen Einsatzgebieten wie in Afghanistan oder auch im Kosovo in konsequenter Weise Rechnung. Die Bundespolizei, künftig verstärkt durch internationale Einsatzeinheiten, im Ausland zivilpolizeilich einzusetzen, sie dafür gezielt vorzubereiten und auszustatten, ist ein wichtiges Signal an die Bundespolizei selbst, aber auch an unsere Bündnispartner.

Bei Einsätzen in Afghanistan bildet die innere Sicherheit einen zentralen Baustein der Zukunftsstrategie dieses so betroffenen Landes. Die deutsche Polizei hat in vielen internationalen Einsätzen für Qualität und Umfang ihrer Aufbauhilfe hohe Anerkennung von den Partnern erfahren. Ich begrüße es ausdrücklich, dass wir jetzt beginnen, diese Kompetenz auch organisatorisch deutlicher zu institutionalisieren und zu professionalisieren. Wir stehen damit zu unserer Verantwortung für den Polizeiaufbau in Afghanistan, aber auch zu unserer Bündnispflicht bei kommenden internationalen Einsätzen, für die wir unseren deutschen Beitrag leisten wollen.

Den in Afghanistan eingesetzten deutschen Polizisten möchte ich abschließend an dieser Stelle in aller gebührenden Form Lob und Anerkennung für ihren Dienst aussprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wir haben das gemeinsame Ziel, ein erfolgversprechendes Konzept und die Kraft, im Norden Afghanistans der polizeilichen Sicherheit ein afghanisches Gesicht zu geben. Deshalb stimme ich dem Mandat zu.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Gehrcke für die Fraktion Die Linke.

(Jörg van Essen (FDP): Das habe ich befürchtet!)

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):



Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann Zwischenrufe wie "Schön!" und "Jetzt kommt wieder das Friedenszeug!" durchaus genießen. Ich finde meine Reden auch schön. Dass wir immer über den Frieden reden, halte ich für höchst vernünftig.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Hin und wieder habe ich die Anwandlung, in der Debatte fair zu sein. Das ist also nicht immer der Fall, aber bei dieser Debatte ist es mir wichtig gewesen. Deswegen habe ich auch den letzten Redner der Koalitionsfraktionen abgewartet.

Ich habe die ganze Zeit gedacht, ja gehofft, dass zwei Punkte genannt werden - ich habe sie schon beim Herrn Außenminister erwartet -:

Erstens. Warum bringt keiner hier die Kraft auf, dafür zu sprechen, dass dieses Haus sich bei den Anverwandten der in Kunduz Umgekommenen für den Befehl eines deutschen Obersten, den wir jetzt gar nicht rechtlich beurteilen, entschuldigt und dafür Verantwortung übernimmt?

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD))

Ein solches Signal wäre in dieser Debatte notwendig gewesen. Herr Schuster, ich bin mir sicher: Sie haben es nicht vorgehabt. Aber Sie hätten die Chance gehabt, ein solches Signal abzugeben.

Zweitens. Es ist doch notwendig, dass man sich Folgendes klarmacht - vom Außenminister bis zu jedem Einzelnen, der sich an dieser Debatte beteiligt -: Es langt offensichtlich nicht, zu glauben, dass man einzelne Taliban herauskaufen kann. Ich möchte jetzt nicht zynisch sein und mich nach dem Preis für Taliban erkundigen. In dieser Debatte hätte ein Zeichen der Ermutigung nach Afghanistan gehen sollen, nämlich mit den realen Feinden, also zwischen den Kriegsparteien, über Versöhnung zu verhandeln. Frieden muss man mit seinen Feinden schließen; mit seinen Freunden braucht man es nicht zu tun.

Beides ist ausgeblieben. Lediglich unsere Fraktion hat es immer wieder betont. Ich bitte Sie wirklich: Gehen Sie noch einmal in sich! Wäre es nicht ein Zeichen des Deutschen Bundestages - das war das, was ich noch einmal deutlich machen wollte -, wenn wir uns bei den Anverwandten der Umgekommenen in Afghanistan hier offiziell auch für unser Land entschuldigen würden?

(Beifall bei der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 17/654 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Quelle: Website des Deutschen Bundestags; www.bundestag.de


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