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Gabriel (SPD): "Die Bundeswehr ist eine Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland" / Gysi: "79 Prozent der Bevölkerung sind für den Abzug der Bundeswehr. Nur im Bundestag sind die Verhältnisse exakt umgekehrt"

Bundestagsdebatte und Abstimmung über die Verlängerung des Kriegseinsatzes in Afghanistan (im Wortlaut)

Die Bundeswehr wird ein weiteres Jahr im Rahmen des Isaf-Einsatzes in Afghanistan bleiben. In namentlicher Abstimmung verabschiedete der Bundestag am 28. Januar 2011 einen von der Bundesregierung vorgelegten Antrag (17/4402), der eine Mandatsverlängerung bis zum 31. Januar 2012 vorsieht. 420 von 579 Abgeordneten stimmten dafür, 116 dagegen, 43 enthielten sich. (Weitere Ergebnisse der Abstimmung hier!) Neben den Koalitionsfraktionen stimmte auch eine überwiegende Mehrheit der SPD-Fraktion dem Regierungsantrag zu. Während sich die Grünen mehrheitlich enthielten, lehnte die Linksfraktion den Antrag geschlossen ab.
Entschließungsanträge der SPD-Fraktion (17/4563), der Linksfraktion (17/4564) und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (17/4585) wurden jeweils mehrheitlich abgelehnt.

Der Debatte und Abstimmung am 28. Januar waren bereits zwei Debatten in der Woche zuvor vorangegangen, die wir hier dokumentiert haben: Es folgt nun die Bundestagsdebatte vom 28. Januar 2011. Es sprachen in dieser Reihenfolge:
Vorläufiges Protokoll der 88. Sitzung vom 28. Januar 2011 *

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich rufe unseren Tagesordnungspunkt 18 auf:

- Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 1943 (2010) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen

- Drucksachen 17/4402, 17/4561 -

Zu dieser Beschlussempfehlung liegt je eine Entschließungsantrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung werden wir später namentlich abstimmen.

(...)

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Kollegin Birgit Homburger für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Birgit Homburger (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die Lage in Afghanistan von außen betrachtet - oft genug wird sie gerade auch hier nur oberflächlich betrachtet -, dann sieht man häufig nur die Probleme und den Anstieg von Sicherheitsvorfällen in den letzten Jahren. Man sieht eben nur wenig die Fortschritte und auch nicht, dass das damit zu tun hat, dass wir in Afghanistan zwischenzeitlich eben nicht nur punktuell arbeiten, sondern in der Fläche vertreten sind.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wer sich allerdings genauer damit beschäftigt, der kann erkennen, dass der Strategiewechsel erfolgt ist. Das ist das Zentrale.

Ich war im letzten Oktober zum wiederholten Mal in Afghanistan und habe vor Ort die Erfahrung gemacht, dass es in der Tat deutlich erkennbare Fortschritte gibt, unter anderem bei der Verantwortungsübernahme durch die afghanische Polizei und die afghanische Armee, die sehr viele Fortschritte gemacht haben. Daneben gab es aber eben auch Fortschritte beim Wiederaufbau, die hier nur wenig zur Kenntnis genommen, vor Ort aber bestätigt werden, und zwar nicht nur im Verantwortungsbereich der Bundeswehr im Norden, sondern in ganz Afghanistan. Das hat auch General Petraeus kürzlich noch einmal bestätigt, als er hier in Deutschland war.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir haben im letzten Dezember erstmals einen Fortschrittsbericht von der Bundesregierung bekommen. Ich glaube, das ist ein wichtiges Dokument, weil darin eine ungeschminkte Bestandsaufnahme erfolgt und der Stand des Engagements realistisch beurteilt wird. Es werden Fortschritte aufgezeigt, aber es wird auch aufgezeigt, wo es noch Defizite gibt und wo Aufgaben noch erkennbar sind.

Diese Fortschritte sind auch im Mandat erkennbar. Der Schwerpunkt dieses Mandats ist die Unterstützung bei der Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die Afghanen. Hier ist im Jahre 2010 Erhebliches erreicht worden. Auf den Konferenzen in London, in Kabul und in Lissabon hat die internationale Gemeinschaft einen Fahrplan für die Übergabe der Verantwortung erarbeitet. Wir werden dieses Jahr in Provinzen und Distrikten, also zunächst in kleinen Bereichen, mit der Übergabe der Verantwortung beginnen.

Ziel ist es, dass die nationalen Sicherheitskräfte in Afghanistan bis Ende 2014 die Verantwortung für alle Provinzen übernehmen und die Sicherheitsoperationen dort durchführen. Dieser Fahrplan ist international abgestimmt. Er entspricht dem Fahrplan der afghanischen Regierung und den Vorstellungen von Präsident Karzai. Dass es gelungen ist, diesen Fahrplan festzulegen, ist ein großer Erfolg.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Voraussetzung für die Übergabe der Sicherheitsverantwortung ist vor allem, dass wir die afghanischen Sicherheitskräfte selbst in die Lage versetzen, für Sicherheit und Ordnung zu sorgen. Deshalb ist es wichtig, dass wir einen Strategiewechsel geschafft haben.

Wir haben Anfang 2010 klare Ziele definiert. Das ist die Grundvoraussetzung, um kontrollieren zu können, ob sie tatsächlich erreicht werden. Wir haben das Mandat klar auf die Erreichung dieser Ziele ausgerichtet.

Die deutsche Anstrengung ist deutlich erkennbar. Wir haben zwischenzeitlich bei der afghanischen Armee und Polizei erreicht, dass der Aufwuchs der Sicherheitskräfte weiter vorangeschritten ist, als es für das Jahr 2010 festgelegt war. Das heißt, die Ziele sind übererfüllt worden. Dass das erreichbar ist, hätte Anfang des Jahres 2010 niemand gedacht. Das ist ein zentraler Fortschritt. Denn diese Schwerpunktsetzung schafft erst die Voraussetzung für eine Abzugsperspektive.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn wir heute über dieses Mandat entscheiden, dann steht wieder der Beitrag der Bundeswehr im Mittelpunkt. Deshalb ist es gut, dass in der letzten Woche in einer Regierungserklärung von Bundesminister Niebel erstmals der zivile Wiederaufbau im Mittelpunkt gestanden hat. Das Konzept der vernetzten Sicherheit wird mit Leben erfüllt. Wir haben die Hilfe beim zivilen Wiederaufbau verdoppelt.

Wir haben erhebliche Fortschritte erreicht. Mit unserer Unterstützung werden beispielsweise Haushalte mit besserem Trinkwasser versorgt. Wir haben 12 000 Afghanen in unserem Verantwortungsbereich weitergebildet. 42 000 Personen konnten von Mikrokrediten der deutsch-afghanischen Entwicklungszusammenarbeit profitieren. All diese Maßnahmen versetzen Menschen in die Lage, für sich und ihre Familie Verantwortung zu übernehmen. Wir geben ihnen eine großartige Unterstützung, und wir dürfen sie auch in Zukunft nicht alleine lassen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dass das erreicht werden konnte, ist vor allen Dingen für diejenigen ein Erfolg, die bereit sind, an dieser Stelle Verantwortung zu übernehmen und vor Ort ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um Erfolge zu erzielen. Deshalb möchte ich an dieser Stelle allen Soldatinnen und Soldaten im Einsatz, aber auch allen Polizisten, die vor Ort in der Ausbildung tätig sind, und allen zivilen Helferinnen und Helfern, die vor Ort Großartiges leisten, ein herzliches Dankeschön sagen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

2011 wird ein entscheidendes Jahr für dieses Engagement. Wer Afghanistan stabilisieren will, der schafft das nicht allein mit militärischen Mitteln. Deshalb ist es so wichtig, dass wir den Ansatz der vernetzten Sicherheit, den zivilen Wiederaufbau und die Übergabe der Verantwortung an die Afghanen in den Mittelpunkt gestellt haben.

Vor allen Dingen ist es auch wichtig, dass wir an einer politischen Lösung weiterarbeiten. Deshalb ist es wichtig, dass die politischen Initiativen, die die Bundesregierung ergriffen hat, weiter vorangetrieben werden. Sie müssen im Jahr 2011 im Mittelpunkt der Bemühungen stehen, um eine Stabilisierung der Region zu erreichen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

In der heutigen Abstimmung werden sich die Grünen erneut der Verantwortung entziehen. Was die Linken machen, indem sie auch in der Kommunikation nach außen den Einsatz mit Terrorismus gleichstellen, wie insbesondere Frau Lötzsch, ist unverantwortlich.

Deshalb sind wir froh, dass wir in intensiven Diskussionen hier in den Fraktionen des Deutschen Bundestages eine verantwortliche Entscheidung treffen. Ich danke vor allen Dingen der SPD, dass sie sich mehrheitlich dafür entschieden hat, diesem Mandat zuzustimmen. Es ist wichtig, dass die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz wissen, dass sie die breite Rückendeckung des Deutschen Bundestages haben. Deshalb ist es gut, dass es eine breite Mehrheit auch am heutigen Tage für dieses Mandat geben wird.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wenn wir den eingeschlagenen Weg fortsetzen, dann - davon bin ich überzeugt - ist es ein weiter Weg, und es wird noch ein schwieriger Weg sein. Aber es ist ein Weg für eine gute Zukunft für die Menschen in Afghanistan, und es ist ein Weg zur Stabilisierung dieses Landes, das auch für die Sicherheit unseres Landes entscheidend ist. Wir werden auch nach 2014 noch langfristig die Aufgabe haben, dieses Land zu unterstützen. Aber ich glaube, es ist ein großer Erfolg, dass Fortschritte erzielt worden sind und dass es erstmals überhaupt eine Abzugsperspektive gibt. Das ist ein Erfolg auch für diese Koalition und für diese Bundesregierung. Ich denke, dass wir gemeinsam auf diesem Weg weitergehen sollten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nächster Redner ist der Kollege Sigmar Gabriel für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Sigmar Gabriel (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche Bundestag entscheidet heute erneut über die Entsendung unserer Soldatinnen und Soldaten nach Afghanistan. Im zehnten Jahr des Einsatzes ist das wohl die schwierigste Aufgabe, die Abgeordnete hier wahrnehmen müssen. Viel zu viele haben inzwischen ihr Leben verloren oder kehren traumatisiert oder verletzt zurück. Die Tragödien in den betroffenen Familien können wir wohl höchstens erahnen. Es ist richtig, sich heute für den Mut und die Tapferkeit all derjenigen zu bedanken, die sich in Afghanistan für ein Ende des Terrors, ein Ende der Gewalt und eine bessere Zukunft einsetzen. Wir Sozialdemokraten tun dies ausdrücklich.

(Beifall bei der SPD)

Aber wir, die den Einsatz in der Vergangenheit mitverantwortet haben und auch heute mitverantworten wollen, empfinden auch eine Mitverantwortung für die Tragödien in den vom Tod betroffenen Familien, egal ob sie in Deutschland leben oder in Afghanistan. Ob uns die betroffenen Familien immer vergeben können, weiß ich nicht. Aber darum bitten und unsere Mitverantwortung und Trauer eingestehen, das dürfen und das müssen wir, selbst dann, wenn wir von der Notwendigkeit des internationalen Einsatzes in Afghanistan überzeugt sind.

Wir Sozialdemokraten und die übergroße Mehrheit der SPD-Bundestagsfraktion werden nach reiflicher Überlegung und Debatte auch in diesem Jahr dem Einsatz der Bundeswehr im Rahmen des Einsatzes der Vereinten Nationen zustimmen. Für uns ist klar: Die Begründung der Vereinten Nationen für den internationalen Einsatz in Afghanistan gilt auch heute noch. Der Einsatz in Afghanistan hat aus Sicht der Vereinten Nationen nach wie vor das Ziel, eine von dort ausgehende Gefahr für den Weltfrieden dauerhaft zu beseitigen. Das Land soll nie wieder zur Basis für den internationalen Terrorismus werden können und auch nicht Ausgangspunkt für eine zunehmende Unsicherheit und Instabilität der gesamten Region bleiben.

(Beifall bei der SPD)

Wir würden durch einen Abbruch des Einsatzes nicht nur die Chance auf eine friedliche Zukunft Afghanistans gefährden, wir würden nicht nur Hunderttausende Familien und Millionen Menschen ihrer Hoffnung auf eine bessere Zukunft und ein freieres und menschenwürdigeres Leben berauben, wir würden auch uns und die Menschen in Deutschland erneut den größeren Gefahren aussetzen, die von einem instabilen Afghanistan und einer destabilisierten Region in diesem Teil der Welt ausgehen. Ja, wir wollen Menschen in Afghanistan schützen, wir wollen auch Brunnen bohren, Schulen bauen und Frauen- und Menschenrechten zum Durchbruch verhelfen. Aber wir wollen auch uns selbst und die Sicherheit der internationalen Staatengemeinschaft schützen. Das ist nach wie vor der Kern der Begründung für diesen Einsatz. Diese Begründung müssen wir auch heute unserer zweifelnden Bevölkerung gegenüber deutlich machen.

Es ist notwendig, viele Fehleinschätzungen der Vergangenheit zu korrigieren, nicht zuletzt die Realitätsverweigerung im Umgang mit den Bürgerkriegsparteien in Afghanistan. Ich erinnere mich noch gut daran, was für Kommentare laut wurden, als der damalige Vorsitzende der SPD, Kurt Beck, nach einer Reise nach Afghanistan zurückkam und sagte: Wir müssen auch mit den Talibanführern reden, die zu einem Versöhnungsgespräch bereit sind. - Wir sind verhöhnt und verlacht worden. Heute ist klar: Ohne einen solchen Versöhnungsprozess wird Stabilität in Afghanistan nie zu erreichen sein.

(Beifall bei der SPD)

Seit etwa einem Jahr sind aus den Fehlern des Afghanistan-Einsatzes in der Vergangenheit endlich Konsequenzen gezogen worden, und es hat einen Strategiewechsel der internationalen Staatengemeinschaft gegeben. Heute können wir feststellen: Der Strategiewechsel war nicht nur dringend notwendig, sondern er hat sich auch durchgesetzt, weil die afghanische Regierung selbst und viele andere Nationen zu den gleichen Schlussfolgerungen gekommen sind.

Am wichtigsten ist: Ein gutes Jahr danach können wir erkennen, dass der Strategiewechsel beim internationalen Einsatz sowohl auf der militärischen als auch auf der zivilen Seite bei den Vereinten Nationen in Afghanistan offenbar erste Erfolge zeitigt. Erstmals in der nunmehr zehnjährigen Geschichte des Einsatzes besteht eine realistische Chance auf eine Trendwende in Afghanistan.

Wir Sozialdemokraten haben seit längerer Zeit für diesen Strategiewechsel gekämpft. Es war der damalige Außenminister der Großen Koalition, Frank-Walter Steinmeier, der in seinem Zehnpunkteplan diesen Strategiewechsel gefordert hat, lange bevor er Realität wurde. Als die SPD diese neue Strategie in Deutschland und in der internationalen Staatengemeinschaft im Afghanistan-Konflikt forderte, hat es wieder öffentliche Kritik gehagelt. Wie schon bei der Forderung von Kurt Beck nach einer Einbeziehung der verhandlungsbereiten Taliban in eine politische Lösung wurde auch unsere Forderung nach einer Beendigung der internationalen Kampfhandlungen und damit auch der Beteiligung der Bundeswehr an Kampfhandlungen im Jahr 2014 insbesondere von CDU und CSU in Bausch und Bogen verworfen.

(Beifall bei der SPD)

Es war Ihr Verteidigungsminister, der damals erklärt hat - ich zitiere -:

Wir brauchen ... kein Enddatum.

Die Bundeskanzlerin meinte seinerzeit:

Ich fände es falsch, wenn wir jetzt ein konkretes Abzugsdatum nennen.

Das ist das Zitat desjenigen, der heute öffentlich erklärt, dass er dieses Enddatum richtig finde, sonst würde er dem Mandat wohl kaum zustimmen.

Sie werden verstehen, dass wir Sozialdemokraten froh darüber sind, dass unsere Beurteilung der Situation in Afghanistan und des damit verbundenen Strategiewechsels offenbar deutlich realistischer und klarer war als manches, was aus der Regierung damals zu hören war.

(Beifall bei der SPD)

Es ist schade, dass die Bundeskanzlerin bei dieser Debatte und Entscheidung nicht dabei sein kann.

(Zuruf des Bundesministers Dr. Guido Westerwelle)

- Ich höre, sie kommt gleich. - Teile Ihrer Regierung haben aus der Entwicklung des letzten Jahres noch immer nichts gelernt. Alle Vertreter der internationalen Staatengemeinschaft sind sich einig, dass es für die Realisierung dieser neuen Strategie absolut unerlässlich ist, schrittweise mit der Übergabe von Sicherheitsverantwortung an die afghanische Armee und Polizei in einzelnen Distrikten, Provinzen und Städten im Jahr 2011 zu beginnen und damit auch die Reduzierung von internationalen Streitkräften zu verbinden. Der amerikanische Präsident Obama hat das in dieser Woche in seiner Rede an die Nation noch einmal bekräftigt und gesagt: Ab Juli dieses Jahres beginnt der Rückzug amerikanischer Truppen aus Afghanistan. - Der Druck dieses Zeitplans, beginnend 2011, soll dazu beitragen, dass auch die unterschiedlichen Gruppen und Ethnien außerhalb der Aufständischen in Afghanistan besser zusammenarbeiten.

Es darf kein Verlassen auf eine dauerhafte militärische Präsenz der internationalen Streitkräfte in Afghanistan geben. Wer 2011 nicht anfängt, der wird 2014 nicht draußen sein. Alle haben das verstanden, auch der Außenminister der Bundesregierung, nur einer offenbar nicht, nämlich der Verteidigungsminister. Wie anders ist sein Satz sonst zu verstehen, es sei ihm "völlig wurscht, ob man das Jahr 2004 oder 2013, 2010 oder 2011 oder 2012 nennt". Völlig wurscht sei ihm das. Von mir aus kann Ihr Verteidigungsminister Ihren Außenminister und auch Ihre Bundeskanzlerin ignorieren; aber wenn Ihrem Verteidigungsminister die Strategie der internationalen Staatengemeinschaft "völlig wurscht" ist, dann ist er schlicht und ergreifend fehl auf seinem Platz, nichts anderes.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir jedenfalls stimmen heute der Mandatsverlängerung mit großer Mehrheit zu, weil wir den Strategiewechsel in Afghanistan für richtig und erfolgversprechend halten und nicht weil wir etwa die regierungsinternen Kompromissformulierungen im Mandatstext richtig finden. Uns ist es egal, welche kabinettsinternen Verrenkungen Sie da machen mussten, um Ihren Minister auf Linie zu bekommen. Wir stimmen zu, weil wir sicher sind, dass die Truppenreduzierung im Rahmen dieses Strategiewechsels im Jahr 2011 beginnen kann und wird und weil wir 2014 mit unserer Bundeswehr nicht mehr an Kampfhandlungen in Afghanistan beteiligt sein wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Um eines müssen wir die Bundeskanzlerin auch in ihrer Abwesenheit schon bitten: Bitte, bringen Sie Ihrem Verteidigungsminister bei, dass es nur eine Institution gibt, die über den Einsatz, den Verbleib und den Rückzug der Bundeswehr entscheidet, und das ist nicht der Verteidigungsminister. In seinen Kreisen müsste sich nach 90 Jahren herumgesprochen haben, dass in Deutschland nur ein demokratisch legitimiertes Parlament über die Bundeswehr entscheidet und nicht ein Minister einer Regierung.

(Beifall bei der SPD)

Mit seinen Bemerkungen zum Rückzugstermin offenbart der Minister eine seltsame Distanz und auch einen mangelnden Respekt gegenüber zwei Verfassungsinstitutionen: gegenüber der eigenen Bundesregierung und gegenüber diesem Parlament. Die Bundeskanzlerin kann das gerne weiter schleifen lassen - das ist uns notfalls egal -; aber als Abgeordnete des Deutschen Bundestages werden wir uns das nicht gefallen lassen. Das ist jedenfalls ganz sicher.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist gut, dass wir es uns mit den Einsätzen der Bundeswehr in diesem Haus immer schwer machen. Deutschland braucht keine schneidigen Entscheidungen über die Einsätze der Bundeswehr, und wir brauchen übrigens auch keine Bundeswehr, in der nur der ein richtiger Soldat oder ein Held ist, der sozusagen unter Feuer gestanden hat. Ich will jedenfalls nicht, dass am Ende nur noch die Unterscheidung zwischen traumatisierten und glorifizierten Soldatinnen und Soldaten existiert.

(Beifall bei der SPD)

Der Friede bleibt der Ernstfall, und die Bundeswehr bleibt eine demokratische und in ihrer Inneren Führung zivile Parlamentsarmee und keine auf Abruf bereitstehende Interventionstruppe.

(Beifall bei der SPD)

Darauf haben wir gerade jetzt zu achten, wenn es an die größte Reform der Bundeswehr in ihrer eigenen Geschichte geht.

Die Bundeswehr ist eine Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, eine deutsche, weil die Soldatinnen und Soldaten der Bundesrepublik erstmals in der Geschichte unseres Landes nie in Gefahr waren, einen Staat im Staate zu bilden, sondern weil sie Staatsbürger in Uniform sind. Sie ist eine europäische Erfolgsgeschichte, weil niemand, kein Nachbar in Europa oder sonst irgendwer auf der Welt - von England bis Skandinavien, von Griechenland bis Frankreich, von Polen bis nach Russland -, vor dieser Bundeswehr Angst haben muss. Im Gegenteil: Unsere europäischen Nachbarn und unsere internationalen Verbündeten können sich auf die Bundeswehr als verlässlichen Partner bei der Friedens- und Freiheitssicherung verlassen. Das ist eine riesige Erfolgsgeschichte unseres Landes.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

- Roderich Kiesewetter

(CDU/CSU)

: Es geht um Vertrauen!)

Der Grund für diese Erfolgsgeschichte sind gerade die innere Zivilität, die Innere Führung und das Bild des Staatsbürgers in Uniform. Umso sorgfältiger müssen wir heute mit dieser Erfolgsgeschichte umgehen. Wir werden die Bundeswehr mit dem Abschied von der Wehrpflicht völlig verändern. Wir dürfen nicht schon gleich am Anfang die falschen Signale setzen. So war es eben von Anfang an falsch, die Bundeswehrreform als Sparoperation anzulegen. Vieles wird mehr kosten und nicht weniger.

(Florian Hahn

(CDU/CSU)

: Wir reden von Afghanistan!)


Deshalb zerplatzen jetzt die vollmundigen Sparankündigungen des Verteidigungsministers wie Seifenblasen. Die Bundeswehr muss eben nicht nur effizient, sondern vor allen Dingen effektiv sein. Sie ist etwas anderes als ein zu verschlankendes Unternehmen.

Die Fehlsteuerung der Bundeswehrreform bekommen gerade auch die im Einsatz in Afghanistan befindlichen Soldatinnen und Soldaten zu spüren. So müssen viele von ihnen ausreichende Schutzkleidung und Ausstattung mit über 1 000 Euro privat selbst bezahlen. Als wäre das nicht schon schlimm genug, legt der Verteidigungsminister auch hier im Bundestag partei- und fraktionsübergreifend geforderte Verbesserungen bei den Leistungen an die Hinterbliebenen von getöteten Soldaten ebenso auf Eis wie die geforderten Verbesserungen für die berufliche Weiterverwendung der Soldaten nach dem Einsatz. Das haben wir hier gemeinsam gefordert. Die Bundesregierung und der Verteidigungsminister setzen es nicht um.

Der Bundeskanzlerin und ihrem Finanzminister müssen wir doch einmal klar sagen, dass es dann, wenn ihr Verteidigungsminister offensichtlich mit anderen Aufgaben zu tun hat, ihre Aufgabe und ihre Pflicht ist, diese Forderungen des Parlaments zu erfüllen. Schließlich ist es die Armee des Parlaments, und wir tragen die Verantwortung. Die Bundesregierung hat das umzusetzen, was der Deutsche Bundestag für seine Parlamentsarmee entschieden hat.

(Beifall bei der SPD)

Sie können hier nicht die Verlängerung der Einsätze beantragen, aber bei der Einsatzversorgung auf der Bremse stehen.

Es wäre auch verantwortungslos, wenn wir im Zusammenhang mit der Mandatsverlängerung heute nicht auch auf die Ereignisse der letzten Wochen und Monate zu sprechen kämen. Unsere Debatte steht aufgrund der Feldpostaffäre, aber noch viel mehr durch die beiden getöteten jungen Soldaten in Kunduz und auf der "Gorch Fock" in einem besonderen Licht.

Jeder Verteidigungsminister hat wohl das Risiko, dass es 365 Tage im Jahr gibt, an denen er in Bedrängnis kommen kann und öffentliche Erklärungen abgeben muss. Es ist gewiss nicht sinnvoll, aus jedem der denkbaren Vorfälle gleich einen Skandal zu machen oder eine Rücktrittsforderung anzuschließen. Gewiss ist es ebenso richtig, wenn zuerst die Sachverhalte aufgeklärt und Verantwortlichkeiten geklärt werden, bevor über denkbare Konsequenzen öffentlich verhandelt wird. Ich habe deswegen die Einlassungen des Verteidigungsministers hier im Deutschen Bundestag in der letzten Woche ganz gut nachvollziehen können; das kann ich hier offen zugeben.

Bis heute versteht aber niemand, warum eigentlich zwischen dem Tod einer Seekadettin auf der "Gorch Fock" und der Entsendung eines Ermittlungsteams auf dieses Schiff mehr als zwei Monate vergehen müssen.

Und warum wird eigentlich weder die Öffentlichkeit noch das Parlament über Wochen über den zweiten Todesfall, den Tod des Soldaten in Kunduz, korrekt unterrichtet? Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder der Minister hat es gewusst und selbst die Öffentlichkeit und das Parlament nicht angemessen informiert, oder er wurde durch sein Ministerium nicht vernünftig informiert. Nur diese beiden Möglichkeiten gibt es.

Beide Alternativen müssten Gründe für die Kanzlerin sein, dort einzugreifen. Sie kann weder dulden, dass einer ihrer Minister das Parlament und die Öffentlichkeit bewusst hinters Licht führt, noch dass sie einen Minister beruft, der sein Ministerium offensichtlich nicht im Griff hat und schwerwiegenden Vorfällen nicht von selbst nachgeht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Bei der Aufklärung des Bombardements in Kunduz konnte der Verteidigungsminister noch sagen, ihm seien die Unterlagen und vor allem die Feldjägerberichte nicht vollständig vorgelegt worden. Wenn schon im Verteidigungsministerium bei ungeklärten Todesfällen von Soldaten nicht generell eine Information des Ministers angeordnet ist - spätestens nach diesen damaligen Vorwürfen und der schwierigen Aufklärung muss doch ein wacher Minister bei ungeklärten Todesfällen die entsprechende umfassende Berichterstattung, zum Beispiel einschließlich der Feldjägerberichte, selbst anfordern. Das ist seine originäre Aufgabe.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dort genau hinschauen zu wollen und genau wissen zu wollen, was eigentlich passiert ist, ist nicht nur die Pflicht eines Ministers, sondern auch eine Frage des Interesses am Schicksal der eigenen Soldaten sowie eine Frage der Mitmenschlichkeit.

(Beifall bei der SPD)

Stattdessen erleben wir zum wiederholten Mal, wie schon beim Bombardement in Kunduz, dass der Verteidigungsminister seine Aktivitäten nach den Regeln des deutschen Medienbetriebes ausrichtet. Erst wird abgewiegelt und erklärt, alles sei in Ordnung.

(Zuruf von der FDP: Da ist er aber nicht der Einzige!)

- Nein. Sie werden aber zugeben, dass er darin besonders gut ist.

(Florian Hahn (CDU/CSU): Das ist ja genau Ihr Problem!)

Das kritisieren Sie ja selber gelegentlich. Ich verstehe schon, dass Sie das so lange gut finden, wie er nicht in Probleme kommt. Wenn der Medienwind sich dann dreht, wird aber das genaue Gegenteil gesagt und scheinbar hart durchgegriffen.

Nicht alleine wir kritisieren das. Ich zitiere einmal aus einem der vielen Berichte in der Zeit. Dort heißt es: "Ein Muster wird sichtbar." Das Muster ist die rasche Schuldzuweisung. Ob Kunduz, geöffnete Briefe, ungeklärte Todesfälle oder jetzt bei der Finanzierung der Bundeswehr, die Muster ähneln sich tatsächlich frappierend. Immer heißt es am Anfang: Erstens. Natürlich werden bei uns Fehler gemacht. Zweitens. Aber nicht ich, sondern andere sind schuld. - Danach werden die Betroffenen kurzerhand entlassen. Eine Zeitung hat dies "das Prinzip Guttenberg" genannt. Ich sage Ihnen: Mit Prinzipien hat dies nichts zu tun, aber mit der "Methode Guttenberg" hat das eine ganze Menge zu tun.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Florian Hahn (CDU/CSU): Ihnen kann es doch nicht schnell genug gehen!)

Wie sagt der Herr Verteidigungsminister treffend? Wir brauchen "eine Bundeswehr, die das Verantwortungsprinzip auch bei jedem einzelnen Beteiligten lebt und trägt." Nur für sich selbst möchte er dieses Verantwortungsprinzip möglichst nicht gelten lassen. Es sind immer andere, die ihren Kopf hinhalten müssen: Oberst Klein, General Schneiderhan, Staatssekretär Wichert und jetzt Kapitän Schatz. Nach etwas mehr als einem Jahr Amtszeit gibt es schon verdammt viele politische Opfer dieses Ministers in seinem Betrieb.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Natürlich muss das immer markig klingen. Jetzt wird gleich eine Generalinspektion der Bundeswehr angekündigt. Das liegt ziemlich nahe am Generalverdacht. Für eine solche Unterstellung gegenüber der Bundeswehr gibt es keine Grundlage. Trotzdem ist das die Botschaft, die in die Bundeswehr hineingesandt wird.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Moderne Führung sieht jedenfalls anders aus. Eine moderne Führung aber braucht die Bundeswehr heute mehr denn je. Der Erfolg der Bundeswehr in der Vergangenheit und noch mehr in der Zukunft basiert auf ihrer inneren Zivilität. Darauf wollen sich Menschen verlassen, die zur Bundeswehr gehen. Dazu gehören nicht zuletzt das Recht auf Anhörung und auf rechtliches Gehör sowie der Schutz vor Willkür. Das gilt für Mannschaften, Unteroffiziere, Seekadetten ebenso wie für Offiziere und Kommandeure. Wer dieses Recht verletzt, verstößt eklatant gegen die Prinzipien der Inneren Führung der Bundeswehr und des Staatsbürgers in Uniform, wie sie die Sozialdemokraten Georg Leber und Helmut Schmidt tief in der Bundeswehr verankert haben. Wir werden nicht zulassen, dass diese Erfolgsgeschichte durch Ihre Regierung kaputt gemacht wird.

(Beifall bei der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Gabriel, Sie berücksichtigen bitte die Zeit.

Sigmar Gabriel (SPD):

Das geschieht alles nur, weil sich der Minister inzwischen fernsteuern lässt. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung treffend schreibt, gibt es eine strategische Verbindung, eine strategische Partnerschaft zwischen der Bild-Zeitung und dem Minister. Der Bild-Zeitung ist nichts vorzuwerfen. Sie will eine gute Auflage.

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! Oh!- Volker Kauder (CDU/CSU): Man sieht die Schleimspur!)

Der Minister aber verkauft dafür seine Mitarbeiter und Soldaten. Das ist der Kern des Vorwurfs, den wir Ihnen machen müssen.

(Beifall bei der SPD)

Damit wir uns richtig verstehen: In Afghanistan und auch sonst wo braucht die Bundeswehr einen ruhigen Regisseur, aber nicht einen schillernden Darsteller. Das ist das Letzte, was wir brauchen. Von einem ruhigen Regisseur aber ist Ihr Verteidigungsminister derzeit weit entfernt. Sorgen Sie dafür, dass sich das ändert! Sonst gefährden Sie nicht nur die Einsätze der Bundeswehr, sondern auch die Zukunft dieser Armee; denn sie braucht eine ruhige Hand und nicht jemanden, der sich von öffentlicher Berichterstattung fernsteuern lässt.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Das ist das Ergebnis von etwas mehr als einem Jahr. Das werden wir nicht hinnehmen.

(Anhaltender Beifall bei der SPD - Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Florian Hahn (CDU/CSU): Thema verfehlt!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Andreas Schockenhoff für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sie haben wohl heute Morgen die Presseberichte über die Aktuelle Stunde vorgestern gelesen, Herr Gabriel. Darin ist nachzulesen, dass Ihre Fraktion bei der Debatte über die Vorfälle in der Bundeswehr wirklich ein sehr schwaches Bild abgegeben hat.

(Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) (CDU/CSU): So ist es! - Thomas Oppermann (SPD): Das stand im Bayernkurier!)

Ich kann deshalb nachvollziehen, dass Sie mit Ihrem ganzen Gewicht heute,

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

wo es um einen ganz anderen Tagesordnungspunkt geht, diesen Eindruck korrigieren wollen. Ich kann Ihnen sagen: Zu diesem Thema, Herr Gabriel, ist zwar nicht in der Person, wohl aber nach dem Inhalt Ihrer Rede der Eindruck noch dünner geworden.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dr. Sima Samar, die Vorsitzende der unabhängigen Menschenrechtskommission in Afghanistan, ist insbesondere für ihren unermüdlichen Einsatz für die Rechte der Frauen in ihrem Land bekannt. Ich traf sie vor zwei Wochen in Kabul und war beeindruckt von ihrem Mut, sich bei ihrer Arbeit auch von Morddrohungen nicht einschüchtern zu lassen. Frau Samar äußerte sich äußerst kritisch gegenüber der Regierung Karzai. Auf meine Frage, wie sie die Zukunft unseres zivil-militärischen Engagements in Afghanistan bewertet, machte sie mir unmissverständlich klar, dass wir Afghanistan nicht verlassen dürften, bevor es nachhaltig stabilisiert sei; sonst drohe die Rückkehr der menschenverachtenden Herrschaft der Taliban. Das wirft die Fragen auf: Wo stehen wir in Afghanistan, und wie lange bleiben wir noch in Afghanistan?

Man spürt, dass der Strategiewechsel, den wir vergangenes Jahr vollzogen haben, sowohl militärisch als auch beim zivilen Aufbau greift. Deshalb muss der zivil-militärische vernetzte Ansatz unbedingt weiterverfolgt werden. Es ist richtig: Rein militärisch können wir die Lage in Afghanistan nicht erfolgreich verändern. Unsere öffentliche Expertenanhörung im Auswärtigen Ausschuss Ende November hat aber auch ergeben, dass es ohne militärische Absicherung keine nachhaltige Entwicklungshilfe in Afghanistan geben und dass für die Menschen eine Verbesserung ihrer Lage nicht dauerhaft erfahrbar werden kann. Dies haben Vertreter von in Afghanistan tätigen Nichtregierungsorganisationen auch beim Kongress der CDU/CSU-Fraktion zur zivil-militärischen Zusammenarbeit im Dezember bestätigt. Es ist deshalb gut, dass die von den Vereinten Nationen mandatierten ISAF-Truppen und die afghanischen Sicherheitskräfte gegenüber den regierungsfeindlichen Kräften in Afghanistan die Initiative zurückgewonnen haben. Die Aufständischen sind - ich sage das aufgrund der wechselnden Erfahrungen mit aller Vorsicht - spürbar in der Defensive, militärisch und politisch. Die Bevölkerung kehrt wieder in Gebiete zurück, die von den Aufständischen kontrolliert waren, und arbeitet immer enger mit den ISAF-Truppen zusammen. Gleichzeitig setzen die internationale Gemeinschaft und die Bundesregierung ihre vor einem Jahr in London gemachten Zusagen für den zivilen Aufbau zügig um und verzeichnen erste Erfolge.

Die Kolleginnen und Kollegen, die Afghanistan in jüngster Zeit besucht haben, konnten sich selbst davon überzeugen, dass der Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte, Armee und Polizei, jetzt zügig vorankommt, auch aufgrund der Ausweitung der deutschen Trainingskapazitäten. Die gesetzten quantitativen Ziele wurden vorzeitig erreicht. Deutschland arbeitet mit seinen Ausbildungsprogrammen mit Nachdruck daran, dass afghanische Kräfte so schnell wie möglich selbst für Sicherheit sorgen können. Dies soll vollständig 2014 in ganz Afghanistan möglich sein, ist momentan aber noch nicht der Fall. Deshalb müssen die internationalen Kräfte, also auch die Bundeswehr, derzeit noch diese Aufgabe wahrnehmen. Nur auf dieser Grundlage kann Entwicklungshilfe nachhaltige Erfolge erzielen und die lokale Regierungsführung verbessert werden.

Die Strategie der Übergabe in Verantwortung ist der richtige Weg. Meines Erachtens ist heute die Zuversicht berechtigt, dass wir 2011 den Prozess der Übergabe in afghanische Verantwortung beginnen können. Im Zuge dieses Prozesses wollen wir auch die Präsenz der Bundeswehr ab Ende 2011 reduzieren. Niemand möchte länger als unbedingt notwendig Kampftruppen in Afghanistan belassen. Deshalb tun unsere Soldatinnen und Soldaten und unsere zivilen Mitarbeiter alles für eine Lageentwicklung, die eine Reduzierung unserer militärischen Präsenz so schnell wie möglich Realität werden lässt.

Herr Gabriel, ich möchte Ihnen gern unsere Verfassung und das Parlamentsbeteiligungsgesetz erläutern. Sie haben hier gesagt: Nicht der Verteidigungsminister zieht Soldaten zurück, sondern wir im Parlament ziehen Soldaten zurück. - Herr Gabriel, wir stimmen heute über eine Obergrenze ab. Wenn Sie den Verteidigungsminister darauf festlegen wollen, dass er bis zum letzten Tag dieses Mandates diese Obergrenze zu 100 Prozent ausschöpft, dann ist dies Ihre Position. Die Position der Koalition ist, dass die Bundesregierung innerhalb der gesetzten Obergrenze jede Möglichkeit nutzt, sobald es die Sicherheit und die Nachhaltigkeit zulassen, auch vor Ende des Ablaufs dieses Mandats mit der Reduzierung der Truppenstärke zu beginnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Unser Dank gilt den Männern und Frauen, die vor Ort unter schwierigen und gefährlichen Bedingungen hart für die Stabilität und Entwicklung Afghanistans arbeiten. Verantwortbare Übergabe hat - auch das gehört dazu - Vorrang vor angestrebten Zeitplänen. Die Abzugsperspektive für unsere Soldatinnen und Soldaten muss sich an konkreten Fortschritten vor Ort bemessen. Es darf auf keinen Fall ein Sicherheitsvakuum entstehen, das das Erreichte oder die noch in Afghanistan tätigen Soldaten und zivilen Kräfte gefährdet. In dem Maße, in dem Afghanen die Lage sicher und nachhaltig kontrollieren, können und wollen wir Kampftruppen zurückziehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Um unser Ziel einer völligen Übergabe der Verantwortung bis 2014 zu erreichen, sind meines Erachtens insbesondere fünf Dinge notwendig.

Erstens müssen die Fähigkeiten der afghanischen Sicherheitskräfte weiter verbessert werden. Daran wird mit Nachdruck gearbeitet.

Zweitens muss die afghanische Seite mit uns an einem Strang ziehen und ihren bei der Kabuler Konferenz eingegangenen Verpflichtungen - gute Regierungsführung, Korruptionsbekämpfung, Aufbau einer unabhängigen Justiz - konsequent und ambitioniert nachkommen.

Drittens muss der Versöhnungsprozess funktionieren und zu Ergebnissen führen. Eine politische Lösung, also ein Prozess der Verständigung und des politischen Ausgleichs mit verschiedenen Gruppen der Aufständischen, ist zwingend notwendig, wenn wir ein hinreichend stabiles Afghanistan schaffen wollen, von dessen Boden keine Gefahr für die Region und die Staatengemeinschaft mehr ausgeht. Herr Gabriel, auch in diesem Zusammenhang muss ich Ihnen sagen: Wir haben nie etwas anderes behauptet.

(Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was?)

Tatsache ist, dass die Taliban zu einer solchen Versöhnung bisher nicht bereit waren. Im Jahr 2010 sind aber erste Schritte in Richtung einer politischen Konfliktbewältigung eingeleitet worden. Herr Gabriel, das hat auch etwas damit zu tun, dass die ISAF die Initiative zurückgewonnen und die Taliban deutlich in die Defensive gedrängt hat, und zwar sowohl militärisch als auch politisch. Auch das hat dazu geführt, dass jetzt dieser Prozess der Versöhnung und des Ausgleichs möglich geworden ist. Dafür müssen die Spielräume natürlich genutzt werden.

Viertens müssen wir einen regionalen Lösungsansatz weiter mit Nachdruck verfolgen. Die Kabuler Konferenz vom letzten Jahr hat hier wegweisende Fortschritte gebracht. Die Beziehungen zwischen Islamabad und Kabul haben sich in letzter Zeit erfreulicherweise kontinuierlich verbessert. Pakistan fühlt sich jedoch - aus seiner Sicht - von einem wachsenden indischen Einfluss in Afghanistan bedroht. Deshalb brauchen wir auch einen pakistanisch-indischen Dialog über Afghanistan.

Fünftens müssen wir den Afghanen die Gewissheit geben, dass wir sie 2014 nicht im Stich lassen. Wir müssen unsere Unterstützung beim Wiederaufbau und im Bereich der Sicherheit fortsetzen. Dabei wird sich unser Engagement in Afghanistan qualitativ verändern. Es ist und bleibt aber langfristig. Die für Ende des Jahres geplante Afghanistan-Konferenz in Bonn ist für die Strukturierung des weiteren Vorgehens eine wichtige Wegmarke.

Herr Gabriel, Sie haben eine breite Zustimmung der SPD angekündigt. Sie waren gerade in Afghanistan und konnten sich vor Ort davon überzeugen, dass die jetzt eingeschlagene Strategie richtig ist. Herr Gabriel, Sie haben in einem FAZ-Interview gesagt, dass Sie das Stimmverhalten der meisten Grünen nicht nachvollziehen können. Da kann ich Ihnen nur zustimmen. Im Gegensatz zu den meisten Grünen vergisst die Mehrheit der Sozialdemokraten nicht, dass es die rot-grüne Regierung mit Außenminister Fischer war, die den Einsatz mit dieser Intensität begonnen hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Künast und Frau Roth, wie der SPD-Vorsitzende und die übergroße Mehrheit der SPD-Fraktion sollten auch die Grünen anerkennen: Wir sind jetzt auf einem guten Weg, diesen Einsatz zu einem guten Ende zu führen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort erhält nun der Kollege Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):



Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Bombardierung Belgrads, einem völkerrechtswidrigen Krieg, bildete sich in Deutschland eine Kriegskoalition aus Union, SPD, FDP und Grünen.

(Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg)(CDU/CSU): Ungeheuerlich so etwas! - Zuruf von der FDP: Das kann doch wohl nicht wahr sein!)

Sie stand auch beim Krieg in Afghanistan, der inzwischen über neun Jahre dauert. Die Linksfraktion beginnt heute mit einer Afghanistan-Konferenz unter dem Titel "Das andere Afghanistan". Ich begrüße ausdrücklich neun Afghaninnen und Afghanen, die aus dem Land des Krieges kommen und auf der Tribüne Platz genommen haben. Auch um ihr Schicksal geht es.

(Beifall bei der LINKEN)

Ihre Gegner sind die Taliban, die Warlords, aber auch die NATO.

Es gibt eine repräsentative Emnid-Umfrage von Beginn 2010 und von Beginn 2011 zur Ablehnung bzw. Zustimmung der Bevölkerung betreffend den Afghanistan-Krieg. Dabei wurden die Vokabeln der Regierung und nicht etwa unsere verwandt. Es gab drei Antwortmöglichkeiten. Die erste mögliche Antwort war: Ich bin für die militärische Unterstützung der Aufbauhilfe. - Das, was wir Krieg nennen, ist - ganz im Sinne der Regierung - so umschrieben worden. Die zweite mögliche Antwort war: Ich bin für den Abzug der Bundeswehr und für die Leistung von Aufbauhilfe. Die dritte mögliche Antwort war: Ich bin für den Abzug der Bundeswehr, aber ohne künftige Aufbauhilfe. - 28 Prozent unterstützten zu Beginn des Jahres 2010 die Regierungspolitik. Heute sind es nur noch 15 Prozent. Ich bitte Sie, darüber nachzudenken, wen Sie hier repräsentieren.

(Beifall bei der LINKEN)

2010 waren 50 Prozent für den Abzug der Bundeswehr und für Aufbauhilfe; heute sind 53 Prozent. Aber es gibt eine erschreckende Zahl: Vor einem Jahr wollten 18 Prozent keine Bundeswehr, aber auch keine Aufbauhilfe mehr; heute wollen dies 26 Prozent. Denken Sie einmal darüber nach, weshalb immer mehr Menschen keine Aufbauhilfe wollen! Das liegt an Ihrer Art der Politik. Die Leute glauben nicht mehr daran; sie sehen darin keinen Sinn.

(Beifall bei der LINKEN)

Bei der Umfrage kommt heraus, dass 79 Prozent für den Abzug der Bundeswehr sind. Nur im Bundestag sind die Verhältnisse exakt umgekehrt.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Meine Partei war von Anfang an gegen den Krieg. Terrorismus kann man nicht mit der höchsten Form des Terrorismus, mit Krieg, bekämpfen.

(Birgit Homburger (FDP): Das ist ungeheuerlich!)

Der ehemalige SPD-Fraktionsvorsitzende Struck sagte: Am Hindukusch wird unsere Freiheit verteidigt. - Wenn ich die schwerbewaffneten Polizisten rund um den Bundestag sehe, habe ich den Eindruck, dass am Hindukusch unsere Freiheit immer mehr eingeschränkt wird. Wir sind eine potenzielle Adresse für Terrorakte geworden.

(Beifall bei der LINKEN)

Lassen Sie mich noch etwas zu Krieg und Terror sagen. Die Terrororganisation al-Qaida sitzt nicht mehr in Afghanistan, sondern in Pakistan. Sie wird ausschließlich aus Saudi-Arabien bezahlt. Die USA haben beste Beziehungen zu Saudi-Arabien. Das nenne ich verlogen.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie kommen nicht darum herum. Sie wollten von Anfang an den Krieg gewinnen, wir den Frieden.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN - Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Zuruf von der FDP: Kölle Alaaf!)

Inzwischen sagt auch der Fortschrittsbericht der Bundesregierung von Dezember 2010, dass der Konflikt militärisch nicht zu lösen sei. Die Schlussfolgerung der NATO ist aber: mehr Soldaten, mehr Kriegsgerät. Außerdem heißt es, dass man den Krieg afghanisieren will, so wie die USA den Krieg im Irak irakisieren. Auch die Bundeswehr plant für das nächste Jahr eine weitere Verlegung von schwerem Kriegsgerät, von Panzern, Artillerie und Tigerkampfhubschraubern.

Das Ganze läuft auf eine Eskalation des Krieges hinaus. Eine Eskalation des Krieges bedeutet immer auch eine Eskalation der Opfer des Krieges. Im ersten Halbjahr 2010 stieg laut UN-Report die Zahl der toten und verletzten Zivilisten in Afghanistan um ein Drittel auf 3 268.

(Zuruf der Abg. Kerstin Müller (Köln)(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Durch die Eskalation des Krieges gibt es auch eine höhere Zahl von Todesopfern unter den Soldatinnen und Soldaten. Seit Beginn des Krieges sind über 2 300 Soldatinnen und Soldaten umgekommen, darunter 46 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr. Auffallend ist, dass die Zahl der getöteten Soldatinnen und Soldaten jährlich steigt; im letzten Jahr waren es schon 711. Die Zahl von Bundeswehrsoldaten mit seelischen Verletzungen hat sich gegenüber 2006 verzwölffacht. Waren es damals 55, sind es heute 655. Hinzu kommen noch 333 Soldaten mit anderen psychischen Erkrankungen. 2010 wurden also über 1 000 Soldaten stille Opfer des Krieges, und das sind nur die Soldatinnen und Soldaten, die sich gemeldet haben. Die Dunkelziffer ist viel höher.

Man braucht keinen Tatort, um zu begreifen, dass wir nicht nur Afghanistan schaden, sondern auch unser Land negativ verändern.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn man aus einer Landesverteidigungsarmee eine Interventionsarmee macht und Kriege führt, verändert man zuerst die Armee und dann die Gesellschaft.

Es gibt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, die besagt: Bis Ende 2010 haben wir insgesamt 25 Milliarden Euro für diesen Krieg ausgegeben. Stellen Sie sich doch einmal vor, wie viel besser Afghanistan dastünde, wenn wir nur die Hälfte dieses Geldes in den zivilen Aufbau des Landes gesteckt hätten!

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt werde ich Ihnen etwas zu den Folgen des Krieges sagen, und daran kommen Sie nicht vorbei. Die erste Folge des Krieges: Das Ansehen der Taliban ist nicht gesunken, sondern hat wieder zugenommen.

(Zuruf von der CDU/CSU: In Ihrer Fraktion, oder wo?)

Das ist das Gegenteil von dem, was Sie erreichen wollten.

Zweitens. Die Warlords sind mächtiger als zu Beginn des Krieges.

Drittens. In Armut leben nicht mehr 33 Prozent, sondern 42 Prozent der Bevölkerung.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ein Quatsch!)

- Ich bitte Sie! Das sind UNO-Zahlen. Die können Sie nicht als Quatsch abtun. Nehmen Sie sie einfach mal zur Kenntnis.

(Beifall bei der LINKEN)

Viertens. Unterernährt sind nicht mehr 30 Prozent, sondern 39 Prozent der Bevölkerung.

Fünftens. In Slums leben nicht mehr 2,4 Millionen, sondern 4,5 Millionen Menschen.

Sechstens. Den Zugang zu sanitären Einrichtungen haben nicht mehr 12 Prozent, sondern nur noch 5,2 Prozent der Bevölkerung.

Siebentens. Die Mohnfelder für den Rauschgiftanbau der Warlords umfassen nicht mehr 131 000, sondern 193 000 Hektar.

Wofür führen Sie eigentlich diesen Krieg? Was soll in den nächsten Jahren anderes passieren, außer dass sich dies verschlimmert?

(Beifall bei der LINKEN)

Ihr Ansatz ist völlig falsch, verfangen in der Logik des Krieges und im Denken des Primats des Krieges.

Die Bundesregierung täuscht jetzt aber auch die Öffentlichkeit. Ich muss sagen, dass der Streit zwischen Bundesminister Westerwelle und Bundesminister zu Guttenberg um die Frage, ob man einen Termin für den beginnenden Abzug der Soldaten nennt, peinlich ist.

(Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) (CDU/CSU): Welcher Streit denn? Es gibt keinen Streit!)

Herausgekommen ist Folgendes: Man sagt, dass der Abzug Ende 2011 beginnt, wenn es die Lage erlaubt. - Für die Bevölkerung übersetzt, heißt dies: Es beginnt kein Abzug. Aber ich sage Ihnen eines: Jetzt hat Präsident Obama Sie blamiert. Er hat gestern erklärt: Ab Juli werden amerikanische Soldaten abgezogen. - Sie denken noch nicht einmal daran, dies zu realisieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Nur die Linke war und ist konsequent für die sofortige Beendigung des Krieges und den schnellstmöglichen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Wir wollen keine Verlängerung des Kriegsmandats, sondern endlich die Erteilung eines Abzugsmandats.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir wollen statt der Fortsetzung des Krieges eine zivile Konfliktlösung stärken. Wir schlagen eine Beendigung des Krieges durch Deutschland und eine Aufbauhilfe für Afghanistan in drei Schritten vor.

Erstens wollen wir die Bundeswehr abziehen. Die Kampfverbände könnten bis spätestens Ende Mai 2011 abgezogen sein, und den letzten Bundeswehrsoldaten könnten wir bis spätestens Ende September 2011 abgezogen haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens fordern wir eine massive Unterstützung der zivilen Strukturen. Es geht um die Bekämpfung von Armut, die Förderung von Bildung, die Gleichstellung von Frauen und andere wichtige Menschenrechte.

Drittens schlagen wir Maßnahmen und eine neue und andere Petersberger Konferenz zum Wiederaufbau Afghanistans nach dem Krieg vor.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Forderung lautet ganz einfach - und ich will mich nur an SPD und Grüne wenden -: Liebe Mitglieder der Fraktionen von SPD und Grünen, treten Sie endlich und für immer aus der Kriegskoalition aus!

(Anhaltender Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der CDU/CSU: Ich verwahre mich gegen den Ausdruck "Kriegskoalition"!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Jürgen Trittin ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Gysi, ich habe auch vor der Position, die Sie hier formuliert haben, Respekt. Aber eines kann ich Ihnen nicht durchgehen lassen: Sie können sich nicht im Deutschen Bundestag hinstellen und sagen, die Menschen in Afghanistan seien von den Taliban genauso bedroht wie von der NATO. Wer einen Einsatz der NATO und einer Reihe weiterer Staaten - darunter viele muslimische Staaten - auf der Basis eines Mandates der Vereinten Nationen in eins setzt mit Terroristen und Verbrechern, der hat den Schuss nun wirklich nicht gehört.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Wir entscheiden heute über ein Mandat in einer geänderten strategischen Lage. Es geht schon lange nicht mehr um die Frage: War es richtig oder falsch? Es geht heute in Afghanistan um die Frage der Übergabe in Verantwortung an die Afghaninnen und Afghanen selber. Es geht nicht mehr um die Frage eines militärischen Sieges über die Taliban; es geht um die Bedingungen, unter denen man in diesem Land einen Kompromiss findet. Ihre Aufregung ist gar nicht mehr zeitgemäß; denn es geht nicht mehr um das Ob eines Abzuges von Kampftruppen;

(Zuruf von der LINKEN: Doch, offensichtlich schon!)

Es geht darum, dass wir dort noch lange, auch über 2014 hinaus, im zivilen Einsatz sein werden. Es geht um die Frage, wie - nicht ob - wir einen Abzug der Truppen gestalten,

(Zuruf von der LINKEN: Ja, schnell!)

ohne einen neuen Bürgerkrieg heraufzubeschwören und eine ganze Region erneut zu destabilisieren. Das ist die Frage, der sich der Deutsche Bundestag hier zu stellen hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Deswegen müssen heute auch diejenigen für eine befristete internationale Präsenz sein, die die Entsendung nicht befürwortet haben. Diejenigen, die die Entsendung befürwortet haben, müssen sich heute mit der Frage befassen, wie man einen Abzug verantwortlich organisiert; genau darum geht es.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Zum Mandat der Bundesregierung kann ich nur sagen: Sie haben sich erfolgreich um den Titel "König des Konjunktivs" beworben.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn "König" mal reicht!)

Sie konnten bis heute keinen im Hinblick auf Aufbau, Zeit und materielle Ziele konkretisierten Plan vorlegen. Ihre Formulierung besagt, dass es vielleicht zum Abzug kommt, vielleicht auch nicht. Damit ermöglichen Sie Spekulationen und Wetten - übrigens auch bei den Konfliktparteien in Afghanistan -, dass man vielleicht doch ein bisschen länger bleibe und man sich deswegen im Friedensprozess nicht so sehr anstrengen müsse, schnell zu einer politischen Lösung zu kommen.

Ich verstehe es nicht, Herr Westerwelle, Herr zu Guttenberg - Sie legen sonst Wert auf Schneidigkeit und Eindeutigkeit -: Wieso sind Sie nicht zu einer so klaren Sprache in der Lage wie der amerikanische Präsident? Er hat in seiner Rede zur Lage der Nation gesagt:

And this July, we will begin to bring our troops home.

Punkt! Kein Konjunktiv, kein "if", gar nichts! Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie hier ein Mandat mit dieser Klarheit und Eindeutigkeit vorlegt, nicht ein Mandat mit Tausend Hintertüren, wie Sie es heute vorgelegt haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sie wissen sehr wohl, dass es NATO-Partner gibt, die sehr konkrete Abzugsdaten vorgelegt haben; das gilt für verschiedene unserer Nachbarn. Ich frage Sie: Was können die, was Sie nicht können?

Es gibt einen zweiten Punkt. Die Bemühungen um eine Stabilisierung und das Finden einer politischen Lösung, eines Kompromisses dürfen sich nicht gegenseitig konterkarieren. Aber die Strategie, auf der einen Seite darauf zu setzen, mit den Taliban und anderen Aufständischen einen Kompromiss zu finden, und auf der anderen Seite ein "capture or kill" zu praktizieren, ist in sich widersprüchlich. Sie konterkariert sich und muss beendet werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch dazu finde ich in dem Mandat nichts.

Ja, wir müssen den zivilen Aufbau voranbringen. Wir müssen einen politischen Kompromiss finden. Aber, meine Damen und Herren, eine Verhandlungslösung kann nicht losgelöst von Kriterien gefunden werden. Es muss auch bei einem so schwierigen politischen Kompromiss rote Linien geben, was Rechtsstaatlichkeit, Menschen- und Frauenrechte angeht.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Es kann nicht sein, dass man einen Friedensprozess um jeden Preis durchführt, und am Ende zahlen den Preis die afghanischen Frauen. Das kann nicht sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Auch dazu findet sich in diesem Mandat nur Allgemeines.

Ich sage Ihnen: Wir streiten nicht darüber, dass ein Sofortabzug nicht geht. Wir streiten nicht darüber, dass es richtig ist, dass Soldatinnen und Soldaten unter großen Gefahren weiterhin im Auftrag der Vereinten Nationen dort präsent sind; das ist nicht der Streit, den wir haben. Wir streiten darüber, dass Sie in Ihrem Mandat nicht definieren, was Sie in welchem Zeitraum in Afghanistan erreichen wollen und wie lange diejenigen, die dort in äußerster Gefahr ihren Kopf hinhalten müssen, dieses noch tun müssen.

Herr Bundesverteidigungsminister, das kann Ihnen als oberstem Dienstherrn doch nicht wirklich, wie Sie gesagt haben, wurst sein.

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wurscht!)

Es ist nicht wurscht, wenn man dort täglich seinen Dienst verrichten muss. Es ist nicht wurscht, wenn man unter diesen Gefahren dort tätig sein muss. Aber wenn man das tut, weil man das für einen ernsten Auftrag hält und seinen Job ernst nimmt, dann hat die politischen Führung in diesem Land die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, denjenigen, die dort im Dienst sind, eine klare zeitliche Perspektive zu geben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das ist verantwortliche Führung und nicht Wurschtigkeit im adeligen Sinne.

Meine Damen und Herren, Sie haben hier keinen Aufbau- und keinen Abzugsplan vorgelegt. Sie haben im Kern keinen Plan. Sie laufen der Entwicklung einfach irgendwie hinterher. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie denjenigen, die dort als zivile Aufbauhelfer, als Polizeiausbilder, als Soldatinnen und Soldaten tätig sind, Klarheit über die Perspektive geben. Wir erwarten auch, dass Sie den Menschen klar sagen, dass dies keine Perspektive ist, die mit dem Abzug und der Beendigung der militärischen Kampfhandlungen 2014 endet, sondern dass es eine internationale zivile Präsenz in Afghanistan auch über 2014 hinaus geben wird und wir nicht den Fehler wiederholen werden, an dieser Stelle zu sagen: Dieses Land ist uns jetzt egal geworden.

(Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wurscht!)

Das erwarten wir von Ihnen. Aber diese Klarheit finden wir in Ihrem Mandat nicht

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD))

Deswegen sagt die Mehrheit meiner Fraktion zwar nicht Nein zur Präsenz der Soldatinnen und Soldaten dort. Aber wir können Ihrem schwammigen Mandat der Konjunktive nicht zustimmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort erhält der Kollege Henning Otte für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Henning Otte (CDU/CSU):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung des ISAF-Mandats in Afghanistan ist ein richtiger, ein notwendiger und für unsere Soldaten ein gefährlicher Einsatz. Die heutige Entscheidung zur Verlängerung des Mandates macht sich niemand von uns leicht. Es ist notwendig, den von Rot-Grün im Jahre 2001 begonnenen Weg, das Land Afghanistan vom Terrorismus zu befreien und zivile friedliche Strukturen zu etablieren, fortzusetzen, um ihn zu einem Erfolg zu führen. Das Ziel dieses Einsatzes ist, das Land Afghanistan zu stabilisieren und damit auch die Sicherheit Deutschlands zu stärken.

Die afghanische Regierung hat sich verpflichtet, ab 2014 eine selbsttragende Sicherheit zu erreichen. Dazu wollen wir mit der Verlängerung dieses Mandates einen Beitrag leisten. Es ist ehrlich, zu sagen, dass sich der Einsatz weitaus schwieriger gestaltet, als dies zu Beginn im Jahr 2001 von Rot-Grün vermutet wurde. Die Intensität der Einsätze ist vielleicht sogar unterschätzt worden, die politischen Ziele sind bestimmt überschätzt worden.

Jetzt, über neun Jahre später, sind ein klarer Blick, eine ehrliche Beurteilung der Lage vor Ort und eine realistische Betrachtung der Perspektiven gefragt. Die Lage in Afghanistan ist nicht zufriedenstellend. Aber vieles hat sich in Afghanistan bisher verbessert: Infrastruktur, Bildung, Gesundheitsversorgung, das zivile Leben, insbesondere für Frauen und für Kinder. Wer das verneint, war noch nicht in diesem Land oder ignoriert diesen Fortschritt. Herr Gysi, wenn Sie von Herrn Trittin zurechtgewiesen werden, dann müssen Sie sich schon einmal selbst fragen, wie verwirrt Sie in Ihrer Vorstellung sind.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Lachen bei der LINKEN)

Wer jetzt einen sofortigen oder voreiligen Abzug fordert, der gefährdet die erreichten, ja erkämpften Erfolge und gefährdet Menschenleben und eine friedliche Perspektive. Daher muss dieser Einsatz fortgesetzt werden, nicht auf Dauer, sondern mit einer realistischen Abzugsperspektive,

(Beifall des Abg. Roderich Kiesewetter (CDU/CSU))

weiterhin engagiert und weiterhin mit einem klaren Konzept. Die christlich-liberale Bundesregierung hat dieses klare Konzept, und sie hat bei der Londoner Konferenz Einfluss gewonnen. Der Schutz der afghanischen Bevölkerung steht ebenso im Vordergrund wie die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte unter dem Leitmotiv "Übergabe in Verantwortung". Diese Übergabe in Verantwortung muss von der afghanischen Regierung aber meines Erachtens noch viel stärker als Übernahme der Eigenverantwortung verinnerlicht werden. Dazu ist es notwendig, den Druck auf die Karzai-Regierung zu erhöhen, Korruptionsbekämpfung oder den Aufbau einer unabhängigen Justiz voranzubringen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich bin unserer Bundesregierung sehr dankbar dafür, dass sie im vorliegenden Antrag deutlich den Willen zum Ausdruck bringt, jeden sicherheitspolitisch verantwortbaren Spielraum nutzen zu wollen, um möglichst ab 2011 mit dem Abzug zu beginnen. Aber, Herr Trittin, es ist genauso richtig, dass deutlich wird, dass eine solche Reduzierung nicht zu einer Gefährdung der bisherigen Erfolge, nicht zu einer Gefährdung der hilfsbedürftigen Menschen vor Ort und nicht zu einer Gefährdung der Sicherheit unserer Soldaten führen darf.

Hier gibt es einen offenen Dissens in diesem Haus. CDU/CSU, FDP und SPD stehen zu dieser Verantwortung. Die Grünen, Herr Trittin, wollen mit ihrem Entschließungsantrag einen für die Taliban nachvollziehbaren Plan des Abzugs haben. Wer - wie die Grünen - ein bisschen zustimmt, sich ein bisschen enthält, aber meistens dagegen stimmt, der erweckt den Eindruck, er laufe Umfragewerten nach, schadet dem Ansehen Deutschlands in der Welt und gefährdet die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt kommt es aber echt dicke!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Otte, einen Augenblick. - Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?

(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Nein!)

Henning Otte (CDU/CSU):

Nein. Herr Ströbele sollte erst einmal versuchen, in der eigenen Fraktion zu Wort zu kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, es sind unsere Soldatinnen und Soldaten, die einen gefährlichen Auftrag für unser Land erfüllen müssen. Sie verdienen für ihren tapferen Einsatz im Kampf in diesem Krieg in Afghanistan unsere volle Rückendeckung. Sie brauchen das notwendige Gerät, die richtige Ausbildung sowie eine angemessene und richtige Versorgung im Einsatz und nach dem Einsatz. Die CDU/CSU-Arbeitsgruppe hat hierzu einen Antrag zur Verbesserung der Einsatzversorgung auf den Weg gebracht.

Auch Soldatinnen und Soldaten aus meinem Bundesland, nämlich Angehörige der 1. Panzerdivision, sind in Afghanistan. Ich bin unserem Verteidigungsminister, Herrn zu Guttenberg, auch dafür sehr dankbar, dass er auf Einladung unseres Ministerpräsidenten David McAllister diese Kameradinnen und Kameraden in einer Feierstunde in den Einsatz entsandt hat und damit wieder einmal ein deutliches Zeichen der Verbundenheit zum Ausdruck gebracht hat.

Lieber Herr Gabriel, wer meint, in einer solchen Debatte um eine Mandatsverlängerung hier im Plenum aktuelle Vorwürfe in die Diskussion einbringen zu sollen, sollte bedenken, dass man solche Äußerungen nicht mit Kalkül, sondern mit Bedacht tätigen sollte. Ich hielt es nicht für angemessen, dass Sie uns heute diese Diskussion um aktuelle Vorwürfe aufzwingen wollten. Es ist, wie ich finde, vielmehr wichtiger, dass wir unseren Soldaten mit dem zur Entscheidung stehenden Parlamentsauftrag eine klare Rückendeckung geben und ihnen das volle Vertrauen für ihren schweren Auftrag aussprechen. Sie stehen ein für unser Land. Sie verdienen unsere Unterstützung. Deswegen stimmt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dieser Mandatsverlängerung zu.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nächster Redner ist der Kollege Djir-Sarai für die FDP-Fraktion. Bevor ich Ihnen, Herr Djir-Sarai, allerdings das Wort gebe, darf ich Sie einen Augenblick um Geduld bitten. Der Kollege Ströbele hatte unmittelbar im Anschluss an die Rede des Kollegen Otte um die Möglichkeit einer Kurzintervention gebeten. Das sollten wir dann auch sofort abwickeln.

Bitte schön.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Kollege, Sie haben leider meine Zwischenfrage nicht zugelassen, nachdem Sie davon gesprochen haben, dass das, was wir wollen, die Soldaten in Afghanistan in Gefahr bringt.

Ich stelle fest, dass Sie hier und heute einem Mandat zustimmen wollen, was für Afghanistan bedeutet, dass der Krieg ein Jahr fortgesetzt wird - mit einer sicheren Option für weitere drei Jahre. Im letzten Jahr, im Jahr 2010, hat dieser Krieg weit über 10 000 Opfer in Afghanistan gekostet; weit über 10 000 Menschen wurden in diesem Krieg getötet. Wenn Sie diesen Krieg jetzt zunächst um ein Jahr und danach noch einmal um drei Jahre verlängern, nehmen Sie billigend in Kauf, dass weitere Zehntausende von Menschen in Afghanistan im Krieg umkommen. Da frage ich Sie und auch alle anderen, die jetzt zustimmen wollen: Wollen Sie das wirklich in Kauf nehmen, und wollen Sie weiter behaupten, dass eine Beendigung des Krieges in der Form, dass in allen Teilen des Landes, in denen das heute schon möglich ist, ein Waffenstillstand verkündet und eingehalten wird,

(Florian Hahn (CDU/CSU): Warum ist das möglich?)

die Soldaten der Bundeswehr mehr in Gefahr bringt als die Fortführung des Krieges?

Ich habe vorgestern im Auswärtigen Ausschuss den Außenminister gefragt, wie er zu der Zuversicht kommt, dass die Sicherheitssituation in Afghanistan in einem Jahr besser sein wird und dass in vier Jahren die Situation in Afghanistan gut sein wird. Er hat mir darauf keine Antwort gegeben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist falsch!)

Die Erfahrungen der letzten Jahre, in denen die Sicherheitssituation in Afghanistan Jahr für Jahr schlechter geworden ist, zeigen doch, dass diese Zuversicht überhaupt nicht gerechtfertigt ist und es dafür keine entsprechenden Fakten gibt. Deshalb konnte der Außenminister auch keine nennen.

Ich appelliere heute an Sie, den Krieg nicht fortzusetzen. Deutschland ist zu einer kriegführenden Nation geworden,

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN - Hartwig Fischer (Göttingen)(CDU/CSU): Unglaublich!)

und diese Bundesregierung führt Krieg in Afghanistan. Das heißt, wir haben eine kriegführende Kanzlerin und einen kriegführenden Verteidigungsminister, also einen Kriegsminister.

(Beifall bei der LINKEN - Hartwig Fischer (Göttingen)(CDU/CSU): Sie kriegen von Ihrer eigenen Fraktion keine Redezeit mehr!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort hat nun der Kollege Djir-Sarai für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Dr. Bijan Djir-Sarai (FDP):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seitdem dieses Haus vor fast zehn Jahren das erste Mal das ISAF-Mandat beschlossen hat, hat sich vieles in Afghanistan verändert: Mehr als 13 000 Kilometer Straßen wurden gebaut, es wurde in die Infrastruktur investiert, es wurden Schulen gebaut, die medizinische Versorgung und die Energieversorgung wurden verbessert. Dies alles sind Erfolge für die Menschen in Afghanistan. Durch den tagtäglichen Einsatz der Bundeswehr und der Entwicklungsexperten am Hindukusch ist vieles besser geworden.

Ein wesentlicher Pfeiler unserer Strategie ist und bleibt daher der zivile Aufbau. Minister Niebel hat in seiner Regierungserklärung die Erfolge speziell auf diesem Gebiet deutlich herausgestellt. Es ist ein großer Erfolg, dass sich die Situation für die Bevölkerung in Afghanistan, speziell für Frauen und Kinder, deutlich verbessert hat. Das alles ist erst durch den internationalen Einsatz möglich geworden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Während dieses Einsatzes waren und sind wir uns zu jeder Zeit unserer Verantwortung bewusst: der Verantwortung gegenüber unseren fleißigen und tapferen Soldaten, der Verantwortung gegenüber den Menschen in Afghanistan und gegenüber der deutschen Bevölkerung.

Wir als Parlamentarier haben mehrheitlich immer verantwortungsvoll auf die Entwicklungen in Afghanistan reagiert. Wir haben uns ausführlich mit unseren internationalen Verbündeten und mit den Afghanen beraten, sei es in London, in Kabul oder in Lissabon. Dabei haben wir wichtige Strategien zur Stabilisierung Afghanistans und zur globalen Sicherheit entwickelt.

Uns ist eines besonders wichtig: In Afghanistan werden wir keinen Erfolg haben, wenn wir nur einen militärischen Ansatz verfolgen. Neben dem zivilen Aufbau ist es deshalb ganz besonders wichtig, den Einsatz politisch zu begleiten, also politische Lösungen zu entwickeln. Politische Lösungen bedeuten vor allem Gespräche und Verhandlungen, und zwar auch unter der konsequenten Einbindung der Nachbarländer Afghanistans. Eine Stabilisierung Afghanistans ist ohne den Dialog mit der gesamten Region nicht möglich. Je besser die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Perspektive der Region ist, desto besser sind die Aussichten auf nachhaltige Stabilität in Afghanistan.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Weil wir das wollen, arbeiten wir daran, die notwendigen politischen Voraussetzungen dafür zu schaffen.

Bei der heutigen Entscheidung geht es nicht um eine Einsatzverlängerung, wie wir sie in den letzten Jahren beschlossen haben. Das muss ganz deutlich herausgestellt werden. Dieses Mal entscheidet dieses Haus über ein Mandat mit einer klaren Abzugsperspektive und vor allem mit einer klaren Perspektive für die Zeit nach 2014. Ich begrüße die Einschätzung der Bundesregierung, dass schon Ende 2011 mit der Reduzierung der Kampftruppen begonnen werden kann, wenn die Sicherheitslage dies zulässt. Diese Perspektive hat die Bundesregierung entwickelt.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

Klar ist aber auch, dass zunächst weiteres militärisches Engagement benötigt wird, um den zivilen Aufbau weiter abzusichern und um in Afghanistan kein Vakuum zu hinterlassen. Das ist wichtig für die afghanische Bevölkerung und für unsere Soldaten im Einsatz.

Wir haben ein klares Ziel, wir haben die Sicherheitslage fest im Blick, und wir haben eine gute Perspektive. Für mich ist daher klar: Die Voraussetzungen für eine breite Zustimmung zu diesem Mandat sind gegeben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Roderich Kiesewetter ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Roderich Kiesewetter (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit Blick auf die Linke: Es ist schon erstaunlich, dass hier nicht der kommunistische Wolf gesprochen hat, sondern der Schafspelz.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich möchte einige außenpolitische Aspekte beleuchten und klarstellen, warum wir von der Union das Mandat auch aus außenpolitischer Sicht in vollem Umfang unterstützen.

Die Kollegen Schockenhoff und Ruck und ich waren vor zwei Wochen in Afghanistan und Pakistan. Wir haben in beiden Ländern mit Parlamentariern und Parlamentspräsidenten gesprochen. Sie haben uns gegenüber große Erwartungen, aber auch Befürchtungen geäußert. In beiden Ländern wurde die Sorge zum Ausdruck gebracht, dass wir bis 2014 komplett abziehen könnten. Wir haben deutlich gemacht: Wir werden vielleicht - hoffentlich! - mit den Kampftruppen bis 2014 aus Afghanistan abgezogen sein; aber keiner weiß, wie sich das entwickelt. Vor einem Jahr wussten wir auch noch nicht, wie gut unsere neue Strategie innerhalb eines Jahres greifen würde. Deshalb gilt es, nicht einen Abzugsplan zu erarbeiten, sondern, auch nach Afghanistan und Pakistan, verbindliche Zeichen zu geben: Wir arbeiten daran; wir lassen euch und die Region nicht im Stich.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Ein wichtiger Aspekt ist, dass - auch das ist ein hoffnungsfrohes Zeichen - die zivil-militärische Zusammenarbeit im Norden, in Masar-i-Scharif und in Kunduz, in beeindruckender Weise funktioniert. Das wurde uns von den Beteiligten, auch von den Nichtregierungsorganisationen, in umfassender Weise bestätigt. Das ist gut, und es zeigt, wie konstruktiv sich die Zusammenarbeit entwickelt hat und wie eng wir mit der afghanischen Seite zusammenarbeiten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht mir um zwei wichtige Punkte: zum einen um die innerafghanische Perspektive, zum anderen um einen regionalen Aspekt. Zur innerafghanischen Perspektive. Die Übergabe in Verantwortung ist ein von Afghanistan selbstbestimmter Prozess. Wir können Afghanistan nur ermutigen und die Rahmenbedingungen schaffen. Es ist ein hoffnungsfrohes Zeichen, dass die Afghanen die Agenda für die Bonner Konferenz selbst erarbeiten.

Wie die Afghanen den innerafghanischen Dialog gestalten, ist ihre Sache. Sicherlich gelten dabei aus unserer Sicht rote Linien, zum Beispiel Anerkennung der afghanischen Verfassung, Gewaltverzicht, Abschwören der al-Qaida, aber auch Schutz der Frauen und Minderheiten. Den Verlauf des innerafghanischen Prozesses aber müssen die Afghanen selbst gestalten; wir können sie nur unterstützen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Wir müssen auch darauf achten, dass sich die Taliban nicht weiter radikalisieren. Dass wir an dieser Stelle mithelfen, ist ganz entscheidend. Wichtig ist, dass unser Mandat das Zeichen gibt: Die Übergabe in Verantwortung muss unumkehrbar und durchhaltefähig sein.

Der zweite wichtige Punkt, den ich hier ansprechen möchte, ist die regionale Perspektive. Die Abgeordneten in Pakistan haben parteiübergreifend berichtet, dass sie bilaterale Gespräche mit den indischen und den afghanischen Parlamentariern führen. Wir, insbesondere Dr. Schockenhoff, hat sie ermutigt, einen trilateralen Dialog zu beginnen. Die Pakistanis wollen das aufgreifen. Was könnte ein schöneres Zeichen sein, als dass aus der Region heraus ein trilateraler Dialog entsteht und vielleicht so etwas wie eine regionale Kooperation über die Parlamente geschaffen wird? Jedenfalls sollten wir hier die deutsch-pakistanische Freundschaftsgruppe des pakistanischen Parlaments, die das will, intensiv unterstützen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Allein schon deshalb, weil wir diesen regionalen Dialog fördern wollen, dürfen wir nicht abziehen. Wir müssen vielleicht unseren Ansatz ändern und den zivilen Aufbau stärken. Wir müssen auch Bedingungen dafür schaffen, dass mehr zivile Aufbauhelfer tätig werden können; dazu werden wir heute in der Debatte über zivile Krisenprävention noch etwas hören. Aber an all die Skeptiker in Bezug auf den Einsatz und die Verlängerung appelliere ich: Denken Sie darüber nach, dass wir mit unserem Einsatz die Voraussetzungen dafür schaffen, dass der innerstaatliche Dialog in Afghanistan und der regionale Dialog gestärkt werden!

Ich möchte an dieser Stelle eine Lanze für die Kontaktgruppe brechen. Dank unserem Botschafter Steiner ist jetzt auch Iran Mitglied der Kontaktgruppe. Damit sind es nun insgesamt bereits 14 islamische Staaten. Das nächste Treffen wird in der islamischen Welt, nämlich in Dschidda, stattfinden. Das ist ermutigend, weil es ein Zeichen dafür ist, dass sich die islamische Welt an dem Dialog beteiligt.

Lassen Sie mich abschließend noch einmal die Kernbotschaften unserer Fraktion darstellen:

Erstens. Wir wollen kein Machtvakuum und kein Sicherheitsvakuum, das bei einem vorschnellen Ende des Engagements entstehen würde.

Zweitens. Wir wollen die Übergabe in Verantwortung, wie sie international abgestimmt ist, zu einem erfolgreichen Ende führen.

Drittens. Wir wollen uns nicht an Zeitplänen orientieren, sondern an den verantwortbaren Schritten der Übergabe. Hier müssen wir die Afghanen ermutigen und bestärken, aber auch darauf achten, dass Punkte wie Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung noch mehr im Fokus der afghanischen Politik stehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Viertens. Das zivil-militärische Engagement muss gestärkt werden. Die Bundeswehr sichert das ab.

Die afghanische Regierung muss ihre Verpflichtungen erfüllen. Darauf müssen wir auch immer wieder drängen. Wir sind nicht zum Selbstzweck da, sondern wir sind da, weil die afghanische Regierung das wünscht, und wir sind so lange da, bis die afghanische Regierung es alleine kann. Deshalb müssen wir auch die innerstaatliche Aussöhnung beflügeln und den trilateralen Dialog mit Pakistan und Indien fördern. Ich appelliere an dieser Stelle auch an Indien, dass es gegenüber Pakistan seine Beziehungen zu Afghanistan wesentlich transparenter darstellt, um auch dort mehr Vertrauen zu schaffen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, unser Ziel ist die selbstverantwortete Sicherheit möglichst ab 2014. Wenn uns das gelingt, ist das ein Riesenerfolg. Wir können heute aber noch nicht absehen, wie sich die Lage bis 2014 entwickeln wird. Was wir im letzten Jahr erlebt haben, ist ermutigend. Wir müssen so weitermachen und unserer Bevölkerung das Zeichen geben, dass wir gemeinsam daran arbeiten. Das wissen dann auch unsere Soldaten, Polizisten und zivilen Aufbauhelfer im Einsatz zu schätzen.

Ganz herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Letzter Redner ist der Kollege Florian Hahn für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Florian Hahn (CDU/CSU):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist mir absolut unverständlich, dass in Talkshows, in Diskussionsrunden und auch von einem kleinen Teil hier in diesem Hohen Hause immer wieder behauptet wird, dass die afghanische Bevölkerung den sofortigen Abzug der internationalen Truppen möchte. Diese Behauptung ist entweder naiv oder vorsätzlich falsch.

(Zuruf von der LINKEN): Oder richtig!)

Ich weiß nicht, mit wem diese Leute gesprochen haben, aber ich weiß aus vielen Gesprächen, die ich geführt habe und führe, beispielsweise mit einem jungen Afghanen, der in Kunduz bei den Parlamentswahlen kandidiert hat und mit dem ich in einem regen Austausch stehe, dass die Afghanen vor allem Angst vor einem haben, nämlich davor, dass sie den Schutz der internationalen Gemeinschaft von heute auf morgen verlieren und am Ende wieder völligem Chaos, Terror und Unterdrückung ausgesetzt sind.

Ich glaube nicht, dass jemand ernsthaft der Meinung sein kann, dass sich die Frauen, die unter den Taliban komplett entrechtet waren, diese wieder zurückwünschen. Ich glaube auch nicht, dass die Afghanen wollen, dass ihre Schulen wieder geschlossen werden. Sie wollen Bildung, sie wollen natürlich eine Gesundheitsversorgung, Wasser- und Stromversorgung, und sie wollen am Ende des Tages Frieden und Freiheit und in ihrer Kultur dieses leben.

Es gibt viele Beispiele dafür, wie sich die Situation der Bevölkerung in Afghanistan durch diesen Einsatz in den letzten Jahren verbessert hat. Wir haben hier ausführlich darüber gesprochen. Diese Erfolge wollen wir in keinem Fall preisgeben, sondern stabilisieren und ausbauen. Gelingen kann uns dies derzeit aber nur durch unsere militärische Absicherung. Ohne diese würde das Erreichte schnell wieder in sich zusammenfallen, und die Aufständischen würden wieder die Oberhand gewinnen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Dennoch muss unser Ziel die schrittweise Übergabe in Verantwortung sein. Dies machen wir im Mandat deutlich.

Für den zivilen Aufbau verwenden wir viel Geld - bis zu 430 Millionen Euro jedes Jahr. Diese Mittel müssen zielgerichtet und nachhaltig eingesetzt werden. Nachhaltigkeit bedeutet hier für mich Hilfe zur Selbsthilfe in Afghanistan. Bei den geförderten Projekten muss es primär darum gehen, die afghanische Bevölkerung in die Lage zu versetzen, ihr Land selbst aufzubauen und das jeweilige Projekt mittelfristig selbstständig zu führen. Die Menschen müssen ein Interesse daran haben, das, was sie selbst aufgebaut haben, auch dauerhaft zu erhalten. Hier müssen wir noch mehr Anreize schaffen.

Nehmen wir hier einmal das Beispiel Sicherheitskräfte und stellen wir uns die Frage: Wie können wir personelle Fluktuation und Korruption in diesem Bereich eindämmen? Meines Erachtens sollten wir weg von der rein monetären Entlohnung der Sicherheitskräfte und mehr hin zu einem nachhaltigen Leistungspaket kommen. Damit meine ich, dass neben pünktlicher Lohnzahlung weitere Anreize geschaffen werden, beispielsweise durch die Bereitstellung von Wohnraum mit Wasser- und Stromversorgung und durch den Zugang zu Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen für die ganze Familie in einem sicheren Umfeld.

Ist ein Polizist in einem solchen System korrupt, dann verliert er diesen Status und diese Privilegien. Dies ist wesentlich schmerzhafter als nur der Verlust eines Monatsgehalts, das er sich im Zweifel dann woanders besorgt. Dieser Ansatz ist in zweierlei Hinsicht nachhaltig und sinnvoll. Auf der einen Seite entstehen Loyalitäten zum Staat. Auf der anderen Seite wird wichtige Infrastruktur aufgebaut.

Der Weg zu einem friedlichen Afghanistan ist steinig. Wir können nicht hundertprozentig voraussagen, ob wir das Ziel erreichen werden. Aber eines ist für mich völlig klar: Der jetzige Weg des vernetzten Ansatzes ist der einzig gangbare. Ein zu schneller und unüberlegter Abzug würde das bisher Erreichte wieder zunichtemachen. Das ist weder im Interesse der afghanischen Bürger noch in unserem Interesse. Denn von Afghanistan darf keine Gefahr mehr für uns und die internationale Gemeinschaft ausgehen. Das wollen wir mit dem Einsatz am Hindukusch für uns erreichen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Das Engagement, das alle militärischen und zivilen Kräfte tagtäglich zeigen, hat unsere vollste Wertschätzung und breite Unterstützung verdient. Mir ist dabei im Zweifel die entrüstete Zustimmung der SPD, wie es der Kollege Stinner letzte Woche trefflich formuliert hat, lieber als die zustimmende Ablehnung oder Enthaltung der meisten Grünen.

Sie haben vorhin mehr Klarheit gefordert, Herr Trittin. Ihre Haltung bzw. die Haltung Ihrer Partei zur Mandatsverlängerung ist nicht klar. Viele enthalten sich, die einen sagen Nein, die anderen Ja. Was ist denn mit der klaren Haltung der Grünen? Nicht zuletzt die Soldaten wollen auch wissen, wie Ihre klare Haltung aussieht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Sie fordern einen genauen Plan für die zukünftige Entwicklung in Afghanistan. Wo war denn der genaue, klare Plan für den Abzug, als Sie in den Einsatz gegangen sind? Sie sind doch in diesen Einsatz gegangen.

Wir haben jetzt einen klaren Plan, zum Beispiel für den Aufbau der Sicherheitskräfte in Afghanistan. Wenn wir diese Meilensteine erreichen, dann können wir auch Schritt für Schritt die Verantwortung übergeben und ebenfalls Schritt für Schritt aus Afghanistan abziehen.

Für unsere Soldaten im Einsatz ist es wichtig, dass wir ihnen die notwendige und verdiente Rückendeckung geben. Stimmen Sie für diese Mandatsverlängerung! Unseren Soldatinnen und Soldaten und allen Einsatzkräften wünsche ich bei ihrem Tun Gottes Segen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Zu einer Kurzintervention erhält die Kollegin Heike Hänsel das Wort.

Heike Hänsel (DIE LINKE):

Danke schön, Herr Präsident. - Sehr geehrter Herr Kollege Hahn, Sie haben wie sämtliche Vorredner einschließlich Herrn Trittins gesagt, die NATO würde die Lebenssituation der Menschen in Afghanistan verbessern. Deshalb frage ich Sie: Würden Sie erstens zur Kenntnis nehmen, dass der Einsatz von Streubomben, von weißem Phosphor, dass gezielte Tötungen, Entführungen und die Vorfälle in Abu Ghureib keine Verbesserung der Lebenssituation der Menschen darstellen, sondern dass sie das als Terror wahrnehmen? Würden Sie zweitens zur Kenntnis nehmen, dass Sie in Afghanistan ein Warlord-System mit Kriegsverbrechern in wichtigen Funktionen aufbauen, die jahrzehntelang das Land terrorisiert haben

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer hat denn Milosevic getroffen?)

und die Menschen genauso bedrohen wie zuvor die Taliban,

(Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)(CDU/CSU): Unglaublich!)

und dass sie sich deswegen gegen dieses System wehren, das Sie dort installieren? Mohammed Atta, der Gouverneur von Masar-i-Scharif und der Gouverneur von Kunduz: All das sind Kriegsverbrecher. Die Menschen in Afghanistan wissen, wie sie mit ihnen umgegangen sind und was sie zu verantworten haben. Dass Sie zu denen beste Beziehungen pflegen, können sie doch nicht gutheißen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir haben eine afghanische Delegation von zehn Personen eingeladen. Sie sollten einmal hören, was diese Menschen zu berichten haben. - Ich komme zum Schluss. - Ich habe gestern den Auswärtigen Ausschuss, den Entwicklungsausschuss und den Menschenrechtsausschuss eingeladen, sich anzuhören, was die Afghaninnen und Afghanen zu sagen haben. Es ist bis auf den Kollegen Leibrecht niemand gekommen. Das empfinde ich wirklich als beschämend. Sie haben kein Interesse an der Lebenssituation der afghanischen Bevölkerung.

(Beifall bei der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe damit die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf der Drucksache 17/4561 zum Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO. Zur Beschlussempfehlung des Ausschusses liegen mir zahlreiche Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung vor, die wir dem Protokoll dieser Debatte beifügen.

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 17/4402 anzunehmen. Über diese Beschlussempfehlung stimmen wir jetzt namentlich ab. Ich darf darum bitten, dass Sie darauf achten, ob die Stimmkarten, die Sie verwenden, auch tatsächlich Ihren Namen tragen. Darf ich die Schriftführerinnen und Schriftführer bitten, mir ein Signal zu geben, wenn die Urnen besetzt sind? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.

Gibt es noch eine Kollegin oder einen Kollegen, die bzw. der ihre bzw. seine Stimmkarte nicht abgegeben hat? - Das ist nicht erkennbar. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung geben wir Ihnen später bekannt.

Quelle: Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, 88. Sitzung Berlin, Freitag, den 28. Januar 2011 (Vorläufiges Protokoll)

Abstimmungsergebnis

Abgegebene Stimmen insgesamt: 578
Nicht abgegebene Stimmen: 44
Ja-Stimmen: 419
Nein-Stimmen: 116
Enthaltungen: 43
Ungültige: 0

Hier geht es zum Ergebnis der namentlichen Abtimmung nach Fraktionen.




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