Milzbrand: Bilanz einer Hysterie
Die Spur führt zum CIA - Das ARD-Magazin Monitor fasst zusammen
Schon die erste Monitor-Sendung nach Klaus Bednarz hat eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass Befürchtungen fehl am Platz waren, die Sendung könnte an politischem Profil und kritischer Meinung verlieren. Die neue Moderatorin Sonia Mikich hat ihre Aufgabe hervorragend gelöst und gleich eine Reihe hochbristanter Beiträge präsentiert. So auch den folgenden Beitrag über den Milzbrand-Skandal in den USA, der Wochen lang die Welt in Atem hielt und irgendwann ganz still und heimlich im Sand versiegte.
Milzbrand: Bilanz einer Hysterie
Bericht: Jo Angerer, Mathias Werth
Sonia Mikich:
"Was Sie, liebe Zuschauer oft an uns Medienmachern kritisieren, ist die
Kurzatmigkeit. Zu Recht. Wochenlang beherrscht ein Thema die Schlagzeilen und
Sondersendungen, zum Beispiel Milzbrand. Und dann ist es vorbei und man möchte doch wissen -
wie ist die Sache weitergegangen. Wer steckte hinter den Milzbrand-Briefen in den USA?
Nicht Osama bin Laden und sein Netzwerk, wie Zeitungen und Fernsehen damals
hinausposaunten? Die Spuren führen direkt in Geheimlabors der CIA. Das jedenfalls vermutet das
FBI. Dazu Jo Angerer und Mathias Werth."
Deutschland im vergangenen Oktober. Terror nicht nur in den USA, Terror auch bei uns, so schien
es. Fast täglich wurden verdächtige Briefe gefunden, rückten die Spezialisten der Feuerwehr aus. Und Fernsehbilder wie diese, an fast jedem Abend, und in jedem Programm.
Die Einsatzzentrale der Berufsfeuerwehr Köln heute. In keinem einzigen Fall wurden damals
Milzbrand-Erreger gefunden. Nicht hier in Köln und nirgendwo in Deutschland.
Stephan Neuhoff, Berufsfeuerwehr Köln: "Also das hat uns schon
sehr beeindruckt, wie schnell die Bevölkerung beunruhigt werden
kann. Es gab Situationen, beispielsweise weißes Pulver auf der
Straße, wo wir gerufen wurden, und kurze Zeit später kam die
Nachbarin an und sagte, ja das war mein Mann, der hatte gestern
einen Sack Gips abgestellt. Das heißt, wie Banalitäten auf einmal
nicht mehr mit gesundem Menschenverstand beurteilt wurden,
sondern direkt dazu führten, dass die Feuerwehr alarmiert wurde."
Milzbrand-Hysterie in Deutschland. Manche Sondersendung im Fernsehen schürte die Panik. Die
Boulevard-Presse lieferte die Schlagzeilen dazu, und wusste es ganz genau: "Bin Laden will die
Welt verseuchen". Mit Schlagzeilen wie dieser befasst sich jetzt der Deutsche Presserat.
Manfred Protze, Deutscher Presserat: "Allein der Begriff 'Alarm' löst
bei den Menschen normalerweise eine erhöhte Aufmerksamkeit und
auch Angst aus. Wenn das unberechtigt eingesetzt wird, dieses
Alarmmittel, dann ist es im Sinne des Pressekodex eine
unangemessen, sensationelle Berichterstattung - das ist verwerflich."
Medienhysterie in Sachen Milzbrand - mit Folgen: Angst und Panik. Hochkonjunktur auch für die
Hersteller von Gasmasken. Dabei hätten es die Journalisten schon damals besser wissen können und müssen. Denn die
Ermittler in Amerika gingen von Anfang an davon aus, dass der Täter nicht bei Bin Ladens Al
Quaida-Terroristen zu finden ist, sondern in Amerika. Schon bald war klar: Die wahre Geschichte der
Milzbrand-Briefe hatte hier in Fort Detrick begonnen.
In diesen geheimen Militärlabors experimentierten jahrzehntelang Wissenschaftler mit tödlichen
biologischen Waffen, darunter auch, wie man inzwischen weiß, mit genau jenem Milzbrand-Erreger,
der in den USA für die Anschläge verwendet wurde. An 20 Forschungseinrichtungen wurde der Erreger weitergegeben, auch an das Naval Research
Medical Center in Bethesda, Maryland. Noch heute wird hier mit Milzbrand experimentiert, erforschen
die Militärs Impfstoffe gegen die tödliche Krankheit.
Schon frühzeitig hatten die Ermittler des FBI einen Verdacht: Stammt der Milzbrand-Erreger, der die
Welt wochenlang in Panik versetzte, womöglich aus einem amerikanischen Militär- oder einem
Geheimdienst-Labor?
Die Mikrobiologin Barbara Hatch Rosenberg kennt die Ermittlungsergebnisse der US-Behörden.
Deren Analysen bestätigen inzwischen den ersten Verdacht eindeutig: Der Milzbrand-Erreger kommt
nicht aus Bin Ladens Giftküche, sondern aus einem amerikanischen Regierungslabor.
Barbara Hatch Rosenberg, Mikrobiologin, Universität New York: "Es
wurde eine sorgfältige chemische Analyse winziger Materialspuren
gemacht. Dabei wurde festgestellt, dass die Spuren eine besondere
Beschichtung hatten, die typisch ist, für die Herstellung in den USA,
und dass sie besondere Selikate enthalten. Auch diese typisch für die
Herstellung in den USA. Außerdem fanden sich noch weitere
Chemikalien, die auch bei der Herstellung beigefügt wurden. Dies
alles ist ein eindeutiger Beweis, dass es aus einem militärischen
Labor in den USA stammte. Also entweder das Material selbst oder
das Know-how um es herzustellen."
Doch wer ist der Täter? Das FBI ermittelte zunächst gegen 200 Amerikaner, die Zugang zu
militärischen Forschungseinrichtungen haben. Dann grenzte man den Täterkreis auf vier bis sechs
Personen ein. Jetzt hat das FBI eine neue, heiße Spur. Und die führt nach MONITOR-Informationen direkt zum
amerikanischen Geheimdienst CIA. Der Täter, davon geht das FBI jetzt aus, soll ein Angestellter
einer Firma sein, die für die CIA mit biologischen Waffen experimentiert hat.
Derartige CIA-Experimente mit Milzbrand gab es tatsächlich. Dieses geheime CIA-Dokument
beweist: Bereits 1970 bekam die CIA aus den Militärslabors in Fort Detrick 100 Gramm Anthrax, der
wissenschaftliche Name für den Milzbrand-Erreger. Eine Menge, die ausreicht ganze Landstriche zu
verseuchen. Der Verbleib: bis heute unbekannt.
James Adams ist Berater der Bush-Regierung in Sachen Terrorbekämpfung. Auch er wusste:
Während man öffentlich noch Bin Laden unter Verdacht hatte, konzentrierten sich die
FBI-Ermittlungen längst auf Mitarbeiter von US-Regierungslabors.
James Adams, Regierungsberater: "Wir Amerikaner werden nun
damit konfrontiert, dass es ein Amerikaner sein kann, der diese
Anschläge ausgeführt hat. Ein Amerikaner, der in Amerika lebt und der
Zugang zur Milzbrand-Forschung Amerikas hatte. Für die nächsten
Monate und Jahre wird das ein enormes Problem sein. Nicht nur,
diese Person zu finden, sondern sicher zu stellen, dass so was nie
wieder passieren kann."
Milzbrand - nicht internationaler Terror, nicht Bin Laden und Al Quaida, sondern offenbar schlicht ein
Labormitarbeiter, aus welchen Gründen auch immer. Doch die Wahrheit ist offenbar zu wenig
spektakulär - und bei uns sicher keine Schlagzeile oder Sondersendung wert.
Sonia Mikich: "Die Milzbrand-Angst war ja auch unter anderem unserer Regierung dienlich, um
Schilys Sicherheitsgesetze und Steuererhöhungen für den Kampf gegen den Terror durchzusetzen."
Quelle: Monitor, 17. Januar 2002 (www.monitor.de)
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