Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Aus der Geschichte lernen – den Frieden vorbereiten

Ein Beitrag zum 60. Jahrestag der Befreiung von Krieg und Faschismus. Von Peter Strutynski*

In 60 Jahren kann viel geschehen. Und wenn wir die letzten 60 Jahre einen Augenblick Revue passieren lassen, werden wir unschwer erkennen, dass in Deutschland und um Deutschland herum außergewöhnlich viel passiert ist – im Guten wie im Schlechten.

Das beste, was Deutschland passieren konnte, war natürlich vor genau 60 Jahren der endgültige militärische Sieg der Anti-Hitler-Koalition. Nur für ewig Gestrige ist der 8. Mai 1945 – das Datum der bedingungslosen Kapitulation – eine "Niederlage". Ein Sieg war es indessen für die Völker Europas und der Welt, die sechs Jahre lang von deutschen (in Ostasien von japanischen) Truppen besetzt, ausgebeutet und vernichtet worden waren, für die Überlebenden in den Konzentrationslagern, für die wenigen Juden, welche den Gaskammern der Vernichtungslager der SS entkommen sind (sechs Millionen Juden und Zehntausende Sinti und Roma sind dem deutschen Herrenmenschen-Rassismus zum Opfer gefallen). Befreit fühlen durften sich aber auch die Deutschen selbst. Der Zweite Weltkrieg, der von Nazi-Deutschland entfacht wurde, hatte sich spätestens mit der Schlacht um Stalingrad (1943) und der Landung der Westalliierten in der Normandie (1944) gewendet. Waren zuvor deutsche Soldaten in fremde Länder einmarschiert, hatten deutsche Flugzeuge europäische Großstädte bombardiert, so waren es seit 1943 vornehmlich britische Bomber, die ihre tödliche Fracht auch über deutschen Städten abwarfen. Kassel – im Oktober 1943 - befand sich unter den ersten deutschen Großstädten, die den alliierten Bombenhagel zu spüren bekamen, Dresen – im Februar 1945 – war, von Berlin abgesehen, die letzte Stadt, die daran glauben musste.

So unmenschlich diese Zerstörungen waren, die sich ja nicht nur gegen militärische Ziele richteten (z.B. war Kassel eine bedeutende Garnisonsstadt und ein wichtiger Standort der faschistischen Rüstungsindustrie), sondern ganz gezielt auch der Bevölkerung galten, damit ihr die "Moral" und der Glaube an den "Endsieg" genommen würden, so verständlich war es doch auch, dass der Krieg schließlich in das Land zurückkehrt, von dem er ausgegangen war. Wer heute in provokativer Weise nur der deutschen Opfer der letzten Kriegstage gedenkt, will im Grunde genommen das Rad der Geschichte zurückdrehen. Dass solche neonazistischen "Revisionisten" heute sich nicht nur auf den Straßen, sondern auch in Landtagen wieder breit machen, ist eine politische Schande, die man gar nicht genug skandalisieren kann! Zu Recht sorgt sich daher die UN-Menschenrechtskommission in ihrem neuesten Bericht über Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (März 2005) ausdrücklich auch über den Vormarsch rechtsextremer Parteien in Deutschland.

Doch auch wer heute öffentlich unterschiedslos aller Opfer des Zweiten Weltkriegs gedenkt, des toten sowjetischen Soldaten in der russischen Steppe oder des toten amerikanischen Soldaten in den Niederlanden genauso wie des toten Wehrmachtsangehörigen, der beim Kampf um Berlin sein Leben ließ, auch der hat nicht genügend aus der Geschichte gelernt. Man muss darauf bestehen, dass es zwischen Tätern und Opfern einen fundamentalen Unterschied gibt. Man muss darauf bestehen, dass die Urheberschaft des Zweiten Weltkriegs nicht über die Hintertür des Totengedenkens jenen mit-angelastet wird, die diesen Krieg nicht gewollt und sich gegen den deutschen Überfall zur Wehr gesetzt haben. Und man muss schließlich darauf bestehen, dass die Schuldigen an der Weltkriegskatastrophe mit ihren 60 Millionen Toten immer und immer wieder beim Namen genannt werden.

Weichenstellungen zum Frieden – und verpasste Chancen

1945 war das noch selbstverständlich. Die von US-Soldaten oder der Roten Armee befreiten KZ-Häftlinge waren sich damals einig, nicht nur zu sagen: "Nie wieder Krieg!", sondern eben auch "Nie wieder Faschismus!" Einig waren sich auch die Alliierten (Großbritannien, UdSSR, USA, später auch Frankreich), Deutschland die Grundlagen zu entziehen, jemals wieder einen Krieg anzetteln zu können. Die ersten Maßnahmen der Besatzungsmacht waren daher die restlose Zerschlagung der deutschen Wehrmacht und aller ihrer Unterorganisationen, die Demobilisierung der Truppen, die Übernahme der Kontrolle über die deutschen Rüstungsschmieden (in Kassel waren das vor allem Henschel und Wegmann) sowie die Internierung vieler ihrer Besitzer oder Leiter, die Zerschlagung der IG Farben (dem mächtigsten Industriekonzern, der Hitler zur Macht verholfen hatte) und der Aufbau demokratischer Institutionen auf Gemeinde- und Landesebene.

Hinzu kam, dass die faschistische Ideologie mit "Stumpf und Stiel" aus den Köpfen und Herzen der Deutschen ausgerottet werden sollte. In den Westzonen sollte die Entnazifizierung mit Hilfe von Reedukationsmaßnahmen, in der Ostzone mit der besonderen Förderung antinazistischen und antimilitaristischen Gedankenguts aus der Arbeiterbewegung voran getrieben werden. Aufgelöst und verboten wurden die NSDAP und alle anderen nationalsozialistischen Organisationen einschließlich ihrer Nachfolgeorganisationen – dies geschah durch die Militäradministrationen in allen vier Besatzungszonen.

All diese Maßnahmen beruhten im Wesentlichen auf zwei Voraussetzungen: Einmal auf den Vereinbarungen der Alliierten, die bereits während des Krieges in Jalta und Teheran und nach dem Krieg im August 1945 in Potsdam weitreichende Pläne für den Aufbau eines friedlichen, entmilitarisierten und demokratischen Deutschland entworfen hatten. In diesem Deutschland sollten Großindustrielle und Großbankiers – wie Krupp, Flick und Hermann Josef Abs – keine Rolle mehr spielen dürfen, sollten Adel und Großgrundbesitz ihre Privilegien und ihren Besitz verlieren, und sollten die Träger der nationalsozialistischen Ideologie ihres Einflusses in Staat und Gesellschaft beraubt werden. Zum Zweiten hatten diese Maßnahmen ihre Anhänger in allen sich nach dem Krieg neu konstituierenden demokratischen Parteien. Aus der verhängnisvollen Verflechtung von Großkapital und Nazi-Führung haben nicht nur die alten Arbeiterparteien SPD und KPD, sondern auch die damals junge CDU die Lehre gezogen, das übermächtige Industrie- und Finanzkapital zu "sozialisieren". Es dürfe künftig nicht mehr sein, dass ein Staat, ja, dass potenziell die ganze Welt zur Beute und zum Ausbeutungsobjekt und damit zum Bereicherungsprojekt weniger Großindustrieller und Bankiers werden könne. Die hessische Verfassung sah daher ausdrücklich die Enteignung und Entflechtung des Großkapitals vor. Und noch im Grundgesetz der (westlichen) Bundesrepublik 1949 fanden sich als Widerhall jenes Konsenses die Artikel 14 und 15, in denen die Sozialpflichtigkeit des Eigentums festgestellt und die Möglichkeit der Enteignung eröffnet wurde.

Dass von dieser Möglichkeit im Dienste der Allgemeinheit in der (alten) Bundesrepublik schließlich so wenig Gebrauch gemacht wurde, dass im Gegenteil unser Land in den 50er Jahren eine Phase der Rekonstruktion alter Besitz- und Machtverhältnisse durchmachte, und dass 60 Jahre nach dem Ende des Faschismus die Zeichen längst wieder eher auf die Privatisierung öffentlichen Eigentums als auf die Sozialisierung privaten Besitzes gestellt sind, gehört zu den besonders bitteren Erfahrungen. Sie sind der wenige Monate nach der Potsdamer Konferenz einsetzenden Periode des "Kalten Kriegs" geschuldet, in dessen Folge Ostdeutschland (seit 1949 die DDR) sich weitgehend den Vorgaben der sowjetischen Besatzungsmacht (später Führungsmacht im Warschauer Vertrag), Westdeutschland (ab 1949 die BRD) den Weisungen der US-Besatzungsmacht (später Führungsmacht in der NATO) unterordneten. Die West- bzw. Ostorientierung der beiden Landeshälften verhinderten schließlich die Durchsetzung einer alternativen Entwicklung zwischen den "Blöcken": die Etablierung eines kleiner gewordenen, neutralen und entmilitarisierten, dafür aber vereinigten Deutschland, dessen Ostgrenze endgültig von Oder und Neiße markiert würde. Der Weg in die Einheit und Neutralität, den Österreich gehen konnte, wurde Deutschland – insbesondere aufgrund der sturen Haltung des Westens einschließlich des deutschen Kanzlers Adenauer – verwehrt, die Chancen hierzu 1952/1953 nicht ergriffen.

Nun werden manche sagen, der Traum von der deutschen Einheit ist 1989/90 doch in Erfüllung gegangen und dies war doch auch das Ergebnis der beharrlichen Politik der Westintegration und der Remilitarisierung (einschließlich des Beitritts zur NATO). Man darf ja nicht vergessen, dass der Anspruch Bonns auf eine Wiedervereinigung zu westlichen Bedingungen in der ganzen Zeit nicht aufgegeben worden war – auch nicht nach der rechtlichen Anerkennung der DDR (1972) und der Aufnahme beider deutschen Staaten in die UNO (1973). Aber was hätte der Bevölkerung in Ost und West erspart werden können, wenn Deutschland den "österreichischen" Weg gegangen wäre! Keine Frontstadtsituation Berlin, keine Mauer, keine atomare Bedrohung und kein Aufmarschgebiet von NATO und Warschauer Vertrag! Ein neutrales Land hätte auf Rüstung weitgehend verzichten und in der Weltpolitik eine konstruktivere Rolle spielen können – so wie das das kleine Österreich beispielsweise im Nahost-Konflikt in den 70er Jahre recht erfolgreich praktiziert hat. Es bleibt allerdings das Geheimnis der gegenwärtigen politischen Klasse in Wien, warum sie dieses Ansehen Österreichs aufs Spiel setzen, indem sie sich im Zuge der EU-Militarisierung des vermeintlich alten Hutes "immerwährende Neutralität" entledigen wollen.

Niederlagen und Erfolge der Friedensbewegung

Aus friedenspolitischer Sicht waren die 60 Jahre Nachkriegsentwicklung also keine reine Erfolgsgeschichte. Die Friedensbewegung hatte sogar eine Reihe bitterer Niederlagen einstecken müssen.
  • Sie unterlag im Kampfe gegen die Remilitarisierung, in dessen Verlauf die sehr starke "Ohne-Mich"-Bewegung erheblicher staatlicher Repression ausgesetzt war. Die Gründung der Bundeswehr und der NATO-Beitritt 1955/56 besiegelten diese Phase.
  • Im Kampf gegen die Raketenstationierung entfaltete die deutsche Friedensbewegung in der ersten Hälfte der 80er Jahre eine legendäre demonstrative Kraft (300.000 im Oktober 1981, 400.000 im Juni 1982, 500.000 im Oktober 1993) und konnte trotzdem die Stationierung der Pershing-II und Cruise Missiles nicht verhindern.
  • Ende der 80er Jahre bis Mitte/Ende der 90er Jahre führte erheblicher Widerstand gegen die Beschaffung des Kampfflugzeugs Eurofighter (früher: "Jäger 90") nicht zum Erfolg. Das teuerste Beschaffungsprojekt der Bundeswehr wurde als Erbstück der Kohl-Ära von der rot-grünen Koalition widerspruchslos übernommen und fortgesetzt.
  • Unter Rot-Grün beteiligte sich die Bundeswehr im Rahmen der NATO 1999 erstmals an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien. Der Widerstand der Friedensbewegung konnte sich zwar auf die Kriegsablehnung von fast der Hälfte der Bevölkerung stützen, diese aber kaum zum offenen Protest mobilisieren und zerschellte schließlich an einer übergroßen Koalition im Bundestag (SPD, Grüne, CDU/CSU, FDP)
  • Ähnlich verhielt es sich beim Afghanistan-Krieg, der am 7. Oktober 2001 mit britisch-amerikanischen Bombenangriffen begann und an dem sich die Bundesrepublik mit einer Einheit des Kommandos Spezialkräfte (KSK) beteiligte (und zum Teil immer noch beteiligt). Meinungsumfragen zufolge lehnte eine Mehrheit der Bevölkerung diesen Einsatz ab.
Die Erfolge der Friedensbewegung hinken zahlenmäßig und was das Gewicht der jeweiligen Entscheidungen betrifft hinter den Niederlagen her. Auf der Positivliste stehen solche Erfolge wie
  • die Verhinderung der atomaren Bewaffnung der Bundeswehr Ende der 50er Jahre,
  • die Durchsetzung der Ostverträge 1972,
  • die Liberalisierung des Kriegsdienstverweigerungsrechts einschließlich der kontinuierlich steigenden Verweigerungszahlen,
  • die Bewegung gegen den US-Krieg in Vietnam – insbesondere in den USA selbst, die in der BRD indessen auf einen linken und studentischen Protestkern reduziert blieb (was damals dennoch massenhafte Züge annahm).
  • Die Mobilisierung breiter Teile der Bevölkerung gegen den drohenden Irakkrieg führte zwar nicht zu dessen Verhinderung (hier war in erster Linie ja die US-Regierung verantwortlich), aber dazu, dass die Bundesregierung sich nicht aktiv mit eigenen Truppen an diesem Krieg beteiligen konnte.
Trotz dieser – gemessen an reinen Effizienzkriterien - Negativbilanz hat sich die Friedensbewegung und haben sich die Einstellungen der Bevölkerung zu Krieg und Frieden insgesamt positiv entwickelt. So konnte sich die Friedensbewegung mit den Ostermärschen (seit 1960), der Wiederbelebung des öffentlichen Gedenkens an den Beginn des 2. Weltkriegs ("Antikriegstag" am 1. September) und vielen themenbezogenen Kampagnen und friedenspolitischen Projekten und Großereignissen sowie durch den Aufbau eigener Strukturen eine nachhaltige Basis in der Gesellschaft, insbesondere auf lokaler Ebene schaffen. Meine These ist, dass sich die Einstellung der Bevölkerung der Bundesrepublik zu Fragen von Krieg und Frieden heute grundlegend unterscheidet von den Einstellungen früherer Generationen, insbesondere "der Deutschen" vor 1945. Das Bild der deutschen Gesellschaft im Kaiserreich, in der Zwischenkriegsperiode der Weimarer Republik und im Faschismus war stark beeinflusst gewesen von der historischen Erblast einer gescheiterten bürgerlich-demokratischen Revolution 1848, der deutschen Reichsgründung von oben und mittels eines Krieges, der Dominanz obrigkeitsstaatlichen, antidemokratischen Denkens, und der Militarisierung des gesamten gesellschaftlichen Lebens. In diesem Milieu der spezifisch preußischen Pickelhauben-"Demokratie" konnten all jene "Sekundärtugenden" wie Tapferkeit, unbedingter Gehorsam u.ä. gedeihen, die zur Führung industrieller Massenkriege (1. und 2. Weltkrieg) gebraucht wurden.

Bevölkerung zum Frieden bereit – und die EU?

Dieses (Selbst-)Bild der Deutschen als einem zu Krieg und Eroberung prädestinierten Herrenvolk wurde spätestens mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zerstört. Bewirkt wurde diese Einstellungsänderung vor allem durch drei Momente:
  1. Nach dem Zweiten Weltkrieg, dem verheerendsten Krieg in der Geschichte der Menschheit, hat sich ins kollektive Gedächtnis der Deutschen (in Ost und West) der Schwur der KZ-Überlebenden eingegraben, dass sich Auschwitz nicht wiederholen und von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen dürfe. Diese Erkenntnis resultiert aus dem unermesslichen Leid, das Deutschland im 2. Weltkrieg anderen Völkern angetan hat und in der militärischen Niederlage schließlich selbst erfahren musste.
  2. Sie ist zweitens Ergebnis der jahrzehntelangen außen- und militärpolitischen Selbstbeschränkung der – alten – Bundesrepublik (der Spielraum der DDR war bestimmt nicht größer), die sich sehr gut mit der ökonomischen und sozialen Prosperität des Landes vereinbaren ließ und von der Bevölkerung nicht als Nachteil empfunden wurde. Die Mitte der 50er Jahre aufgestellten Armeen (Bundeswehr bzw. NVA) waren ausschließlich und ausdrücklich auf reine Verteidigungsaufgaben festgelegt.
  3. Die größere Friedfertigkeit der deutschen Gesellschaft ist schließlich auch Ergebnis des langjährigen Wirkens der Friedensbewegung, deren Weg (in der alten BRD) zwar überwiegend von realpolitischen Niederlagen gepflastert war (z.B. Wiederbewaffnung, Raketenstationierung), deren Gedanken und Überzeugungen sich aber im Bewusstsein vieler Menschen festgesetzt haben.
Alle Aktivitäten der Friedensbewegung hinterlassen ihre Spuren – jedenfalls über einen größeren Zeitraum. Bei den Demonstranten, die sich Anfang der 80er Jahre gegen die Stationierung neuer Atomraketen in Europa zur Wehr setzten, bei den überwiegend jungen Leuten, die 1991 gegen den Golfkrieg massenhaft auf die Straße gingen, bei den Schülern, die zu Zig-Tausenden im Februar und März 2003 gegen den Irakkrieg aufbegehrten: bei all diesen Menschen entwickelten sich Einsichten und Einstellungen, die sich mit dem jeweiligen Ende der Massenproteste ja nicht verflüchtigen. Diese Protestereignisse sind für die Teilnehmer zu wichtigen, in manchen Fällen vielleicht sogar zu entscheidenden politischen Sozialisationserfahrungen geworden. Hier lagern sich über die Jahre und Jahrzehnte Schichten von spezifischen Einstellungen und Haltungen ab, akkumulieren sich friedenspolitische Orientierungen. Historisch haben wir es mit der Entstehung einer nachhaltigen und mehrheitsfähigen zivilgesellschaftlichen und friedensorientierten Einstellung der deutschen Bevölkerung zu tun. Ein wachsender Teil der Bevölkerung lässt sich seither offenbar nicht mehr für eine kriegerische Politik mobilisieren.

Dies ist indessen keine Garantie für alle Zeiten. Es wird sich zeigen, ob die kriegsabstinente Grundeinstellung der Bevölkerung auch noch Bestand hat, wenn sich die Europäische Union anschickt, mit ihren neu geschaffenen Battle Groups (Schlachttruppen) und der 60.000 Soldaten umfassenden Einsatztruppe in Asien oder Afrika den "freien Zugang zu Rohstoffen" zu sichern oder unbotmäßige Regime zu beseitigen – natürlich unter dem Deckmantel der "Verteidigung von Menschenrechten" oder des "Kampfes gegen den internationalen Terrorismus". Mit der von der politischen Klasse der Bundesrepublik maßgeblich voran getriebenen Umwandlung der EU aus einem ursprünglich wirtschaftlichen und sozialen Projekt in einen Militärpakt, der in Ergänzung zur NATO, aber auch ganz ohne NATO Kriege führen kann (das sieht die EU-Verfassung vor), wird die Nachkriegsgeschichte neu geschrieben. Und wieder heißt es: Rüstet Europa zu neuen Kriegen oder bereitet sich Europa auf den Frieden vor?

* Dr. Peter Strutynski, Politikwissenschaftler an der Uni Kassel, Mitglied in der AG Friedensforschung; seit vielen Jahren aktiv in der Friedensbewegung, u.a. im Kasseler Friedensforum sowie im Bundesausschuss Friedensratschlag.

Der vorliegende Beitrag erschien in der Broschüre:
Helge von Horn, Ulrich Schneider (Hrsg.): Tage der Befreiung 1945. Kassel: "Tiger-Stadt - Trümmerstadt - Träume einer neuen Zeit. Kassel 2005
(48 Seiten, Bezug zum Selbstkostenpreis in Höhe von 2 EUR über das Kasseler Friedensforum, c/o DGB Nordhessen, Spohrstr. 6, 34117 Kassel)


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