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Deutschlands Streben nach einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat:

Ein "Irrweg", sagt eine Analyse aus dem Institut für Entwicklung und Frieden-INEF. Auszüge

Die Studie, deren Einleitung unsd Schlusskapitel wir im Folgenden dokumentieren, analysiert die deutsche UN-Reformpolitik der letzten Jahre. Im Mittelpunkt steht eine kritische Auseinandersetzung mit der politischen Zielsetzung, einen nationalen ständigen Sitz für Deutschland im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu erlangen. Vor dem Hintergrund prominenter Vorschläge zur Reform des Sicherheitsrats wird zunächst die Genese dieses Anspruchs rekonstruiert. In einem weiteren Schritt werden die Positionen wichtiger Verbündeter und Partner untersucht. Dabei wird deutlich, wie wenig Unterstützung Deutschland selbst von seinen wichtigsten Partnern erfährt und wie sehr diese Unterstützung in den letzten Jahren abgenommen hat. Die anschließende Analyse der wichtigsten Argumente für einen ständigen deutschen Sitz zeigt, dass sie einer kritischen Prüfung nicht Stand halten können. Die Studie schließt mit einem Plädoyer und konkreten Vorschlägen für eine Wiederbelebung einer europäischen Option. Titel der Studie: "Das deutsche Streben nach einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Analyse eines Irrwegs und Skizzen eines Auswegs". Die Autoren: Gunther Hellmann und Ulrich Roos.*
Wir haben bei unserer Dokumentation auf den wissenschaftlichen Apparat verzichtet.



Einleitung und Überblick

(Seite 6-8)

Die Vereinten Nationen sind in gewisser Weise ein Produkt deutscher Politik. Die Betonung liegt dabei natürlich auf dem Zusatz „in gewisser Weise“, denn dass es eine solche internationale Organisation geben würde, war seitens deutscher Politik alles andere als intendiert. Das Gegenteil ist der Fall. Zumindest mittelbar aber hatte die deutsche Politik beträchtlichen Anteil sowohl an der Entstehung der UN wie auch der konkreten institutionellen Form. Bereits zwei Jahre vor Beginn des Zweiten Weltkrieges bewirkte die Aggressionspolitik Hitlers ein wesentliches Umdenken auf Seiten der bis dahin isolationistischen USA, das letzten Endes zur Gründung der Vereinten Nationen führte. Die „Epidemie der weltweiten Gesetzlosigkeit“, die US-Präsident Roosevelt in seiner berühmten „Quarantäne“-Rede vom 5. Oktober 1937 als Metapher zur Beschreibung der Politik Nazi-Deutschlands, Italiens und Japans wählte, legte aus seiner Sicht eine klare Politikempfehlung nahe: die Gesetzlosen mussten isoliert werden, um den Rest der Staatengemeinschaft vor der Ausbreitung des Virus der Gesetzlosigkeit zu bewahren (Roosevelt 1937). Und dafür, das zeichnete sich bereits 1937 ab, bedurfte es neuer Instrumente der Staatengemeinschaft. Dass die Vereinten Nationen einen nicht unwesentlichen Teil ihres Ursprungs in der Politik jener, gegen Nazi-Deutschland, Italien und Japan „vereinten Nationen“ hatte, fand im Gründungsakt der UN u.a. in den Artikeln 53, 77 und 107 der UN-Charta Ausdruck. Darin wurden jene Staaten, die „während des Zweiten Weltkriegs Feind eines Unterzeichners dieser Charta“ waren, von bestimmten Rechten, die anderen Mitgliedern der UN zukamen, explizit ausgenommen.

Diese sogenannten „Feindstaatenklauseln“ sind trotz langjähriger Bemühungen (nicht zuletzt der verschiedener Bundesregierungen), sie abzuschaffen, formal weiter in Kraft, denn für ihre Abschaffung bedarf es genauso einer Änderung der Charta wie, etwa, für die Erweiterung des Sicherheitsrats.

Faktisch jedoch haben die Feindstaatenklauseln jegliche Bedeutung verloren. Pikant ist dieser historische Bezugspunkt vor dem Hintergrund der aktuellen UN-Politik Deutschlands (wie auch Japans) trotzdem, denn mit der Formulierung ihres Anspruches auf einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat kehren zwei der drei großen, ehemaligen „Feindstaaten“ auch formal in den Kreis jener zurück, die einen besonderen weltpolitischen Gestaltungsanspruch geltend machen.

Die Frage, wie die Welt im 21. Jahrhundert regiert werden soll, stellt sich daher in verschärfter Dringlichkeit nicht nur vor dem Hintergrund der zunehmenden Verdichtung der zwischenstaatlichen wie auch der zwischengesellschaftlichen Beziehungen, sondern auch im Blick auf neue machtpolitische Ansprüche von Staaten wie Deutschland.4 Die Vereinten Nationen und hier vor allem der mit besonderen Kompetenzen ausgestattete Sicherheitsrat sind immer der erste Adressat, wenn nach Antworten auf diese Frage gesucht wird.

Seit mehr als zehn Jahren beschäftigen sich daher die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen mit einer grundlegenden Reform ihrer Institutionen. Dies gilt gerade auch für die deutsche Außenpolitik, die seit Mitte der 1990er Jahre und verstärkt seit Mitte 2004 eine Chance sah, im Zuge einer Erweiterung des Sicherheitsrats einen nationalen ständigen Sitz für Deutschland zu erlangen. Die kritische Analyse dieser Bemühungen steht im Mittelpunkt dieser Studie. In einem größeren Zusammenhang kann sie als eine Fallstudie sowohl der Veränderung der deutschen Außenpolitik wie auch speziell seiner europäischen Ausrichtung begriffen werden (vgl. Hellmann 2004, 2006).

Die Studie ist wie folgt aufgebaut. Im nachfolgenden zweiten Kapitel werden die zentralen Inhalte der wichtigsten Reformansätze der vergangenen Jahre zusammengefasst. Im dritten Kapitel wird die Entwicklung der deutschen Reformvorschläge über Zeit rekonstruiert, beginnend mit der zurückhaltenden Positionierung nach der Vereinigung unter der Regierung Kohl/Genscher, über die Formulierung des „Wunsches“ nach Beteiligung durch Genschers Nachfolger Kinkel, bis zur offenen Kampagne für einen nationalen ständigen Sitz unter der Regierung Schröder/Fischer. Das vierte Kapitel analysiert die Positionen wichtiger Verbündeter und Partner. Im fünften Kapitel werden die wichtigsten Argumente, die für einen ständigen Sitz Deutschlands ins Feld geführt werden, einer kritischen Prüfung unterzogen. Dabei werden drei Argumentationsdimensionen unterschieden, a) eine realpolitische Dimension, die in erster Linie durch die Höhe der von deutscher Seite erbrachten materiellen Leistungen sowie bestimmten machtpolitischen Konzeptionen geprägt wird; b) eine stärker normative Dimension, in deren Mittelpunkt die Forderungen nach einer Verbesserung der Effektivität und Repräsentativität des Rates sowie das für die deutsche Außenpolitik zentrale handlungsleitende Grundkonzept des Multilateralismus stehen; sowie schließlich c) die europäische Dimension der Debatte, bei der es um die Klärung der Frage geht, wie überzeugend die Argumentation ist, dass ein ständiges Sicherheitsratsmitglied Deutschland als europäischer „Treuhänder“ fungieren würde. Das abschließende sechste Kapitel bilanziert die derzeitige Situation aus deutscher Perspektive und unterbreitet Vorschläge für einen Ausweg aus der konstatierten Krise. Wir argumentieren, dass angesichts der festgefahrenen Positionen mittelfristig nur dann eine Aussicht auf Erfolg besteht, wenn gewichtige Akteure wie Deutschland zur Revision ihrer Position bereit sind. Die Ausgangslage dafür, dass Deutschland zu einem solchen Akteur werden könnte, sind dabei insgesamt nicht schlecht, sprechen doch sowohl innenpolitische wie europapolitische Aspekte für die Möglichkeit einer Öffnung. Wie die deutsche Politik diese Situation für eine „Wiederbelebung“ der europäischen Option nutzen könnte, wird abschließend diskutiert.

Von englischen Windhunden und künstlichen Hasen oder:
Wie Deutschland durch die Wiederbelebung einer europäischen Option zur Überwindung der UN-Reform-Blockade beitragen kann

(Seite 51-56)

Betrachtet man (...) die derzeitige Lage, dann ist großer Optimismus über schnelle Fortschritte hinsichtlich einer Reform des UN-Sicherheitsrats sicherlich fehl am Platz. Ob die Wiederbelebung der Diskussion seit dem Frühjahr 2007 allerdings nur das letzte „Zucken“ eines „Leichnams“ ist (so der pakistanische UN-Botschafter (Ross 2007)), hängt nicht zuletzt davon ab, wie sich die deutsche Außenpolitik zukünftig positioniert. Im Moment hat es den Anschein als ob die Bundesregierung den „intermediary approach“ der sogenannten „Fazilitatoren“ als einziger G4-Staat vor allem deshalb unterstützt, weil nur auf diesem Wege die Chance gewahrt werden kann, den Fuß in die Tür des Sicherheitsrates zu bekommen, um aus einer quasi-permanenten Mitgliedschaft mittelfristig gleichsam per Gewohnheitsrecht eine ständige zu machen. Wenn der nationale ständige Sitz das höchste Gut deutscher UN-Politik bleibt, ist diese Torschlusspanik auch gerechtfertigt, denn mittel- bzw. langfristig kann Deutschland nur verlieren. Japan und Indien können genauso wie Brasilien zumindest auf die deutliche Unterrepräsentation Asiens bzw. Lateinamerikas verweisen und hoffen, im Falle einer Neuverteilung der Sitze zusammen mit ein oder zwei Staaten Afrikas berücksichtigt zu werden.

Deutschland hingegen bleibt (ironischerweise!) nur der Verweis auf die kollektiven Leistungen der EU als Argument für einen nationalen Sitz. Alle Anwärterstaaten übersehen allerdings geflissentlich, wie sehr sie zum Spielball der ständigen Mitglieder geworden sind. Denn sie alle ähneln immer mehr jenen englischen Windhunden, die einem gelenkten künstlichen „Hasen“ hinterher hecheln, den sie freilich, weil es Teil des Spiels ist, nie fangen werden.

Mehr noch: im Unterschied zu den Windhunden, die nach einigen Runden durchs Ziel laufen, wird den Sicherheitsratsaspiranten womöglich nur vorgetäuscht, es gäbe tatsächlich ein „Ziel“ – ein Ziel, das mit dem Banner „Erweiterung des Sicherheitsrats um ständige Mitglieder“ überschrieben ist und das diejenigen vermeintlich als Gewinner erreichen, die sich im Schmieden von Koalitionen am geschicktesten anstellen. Da die eherne internationale Politik jedoch hinreichend viele Staaten mit einem Mindestgeschick in der Disziplin kurzfristiger Bündnispolitik ausgestattet hat, heben sich die Vorteile wechselseitig auf. Die Nutznießer der Uneinigkeit sämtlicher Aspiranten – seien es nun die G4-Staaten, die „Konsens“-Gruppe oder die AU – sind vor allem die derzeitigen ständigen Mitglieder. Mit Veto-Macht ausgestattet können sie jederzeit auf die Bremse treten. Aber derzeit ist dies noch nicht einmal nötig, können sich die P5 doch gewiss sein, dass die aussichtsreicheren Konkurrenten und ihre weniger aussichtsreichen Widersacher einander genügend Steine in den Weg legen. Sie können sich sogar zurücklehnen und ganz allgemein Reform predigen oder sogar dem einen oder anderen Kandidaten explizit Unterstützung zusichern. Sie können sich dabei bislang gewiss sein, dass sich immer genügend spezifischer Widerstand gegen einzelne Kandidaten mobilisieren lässt – und damit jegliche Reform auf den Sankt-Nimmerleinstag vertagt wird. Am Ende bleibt alles beim Alten und die P5 können sich sogar rühmen, einer Reform nicht im Wege gestanden zu haben.

Dieser Teufelskreis wird sich nur durchbrechen lassen, wenn hinreichend viele und hinreichend gewichtige Staaten aus der Tretmühle nationaler Prestigemaximierung aussteigen, sich untereinander zusammenschließen und den Anachronismus der derzeitigen Machtverteilung und Herrschaftsausübung im globalen Maßstab mit vereinten Kräften desavouieren. Dies würde u.a. bedeuten, nicht nur das Privileg des Vetos, sondern auch den Anspruch auf ständige Mitgliedschaft zumindest prinzipiell zu delegitimieren. Neben den weithin unstrittigen zusätzlichen nicht-erneuerbaren Sitzen könnte die seit längerem in der Diskussion befindliche Kategorie der „semi-permanenten“ Sitze in mehrererlei Hinsicht nützlich sein (vgl. Fassbender 2003: 206-210). Die dahinter stehende Grundidee wurde in den Beratungen der „Open-ended Working Group“ von sehr vielen Staaten unterstützt. In einer präzisierten Variante liegt sie dem Modell B des „High-level Panel“ zugrunde (vgl. oben S. 10ff) und findet sich im Kern auch in den beiden Berichten der zwei bzw. fünf „Fazilitatoren“ von April und Juni 2007. Als explizite Gegner haben sich bislang lediglich die (wenigen) Aspiranten mit den besten Aussichten auf einen ständigen Sitz sowie jene ganz kleinen Staaten zu erkennen gegeben, die bei der Realisierung dieser Option fürchten müssten, seltener in den Sicherheitsrat gewählt zu werden als nach der bisherigen Formel.

Gegenüber einer ständigen Mitgliedschaft hätte eine semi-permanente Mitgliedschaft den Vorteil, dass sich die jeweiligen Kandidaten in jeder Wahlperiode neu „bewähren“ müssten – ein Prinzip, das bereits sehr früh (und völlig zurecht) sowohl von Deutschland wie auch Italien befürwortet wurde. Italien selbst hatte sich wiederholt für durch Wahlen rotierende Sitze ausgesprochen und dabei die Aufhebung des Wiederwahlverbots vorgeschlagen (UN-Dok. A/58/PV.30, A/59/PV.26) Damit würde die Chance auf eine echte Stärkung der Vereinten Nationen beträchtlich steigen, denn die Tatsache, dass Staaten sich stets neu bewähren müssten, würde den Anreiz beträchtlich steigern, sich im Dienste der originären Ziele der Vereinten Nationen (oder zumindest einer hinreichend großen Zahl der UN-Mitgliedsstaaten) zu engagieren. Drittens würde der Anachronismus einer ständigen Mitgliedschaft (insbesondere einer solchen mit Vetorecht) umso stärker ins Auge stechen, je engagierter sich gewichtige semi-permanente Mitglieder für die Vereinten Nationen einsetzten. Indirekt wäre eine solche Reform daher auch eine Chance, langfristig zu einer weiter reichenden Reform der Vereinten Nationen zu gelangen, die auf eine Charta-verbriefte ständige Mitgliedschaft einzelner Staaten im UNSicherheitsrat verzichtet bzw. Öffnungen für neue Formen der staatenübergreifenden Repräsentation schafft.

Für dieses Modell spräche zudem ganz praktisch, dass seine Erfolgsaussichten in dem Maße steigen, in dem gewichtige Akteure, die sich bislang als Spon- soren alternativer Modelle zu erkennen gegeben haben, sich für Änderungen in diesem Sinne offen zeigen. Deutschland käme dabei aus mehreren Gründen eine zentrale Funktion zu. Erstens wird es nach wie vor (und trotz gewisser Reputationseinbußen in der Folge der Politik der Regierung Schröder/Fischer) zu den Schwergewichten multilateraler Außenpolitik gerechnet. Zweitens kann Deutschland durch seine bislang prominente Rolle in der G4 aber auch als führendes Mitglied der EU ein beträchtliches politisches Gewicht in die Waagschale werfen. Drittens verfügt Bundeskanzlerin Merkel nicht nur über ein großes Ansehen, sondern auch über vielfältig unter Beweis gestellte Fähigkeiten, diffizile Konfliktkonstellationen durch beharrliche Kompromisssuche zu überbrücken und damit auch über die Fähigkeit den notwendigen Reformprozess in Gang zu setzen.

Aus diesen Gründen könnte und sollte Bundeskanzlerin Merkel ihren ersten Auftritt vor der Generalversammlung Ende September 2007 dazu nutzen, neben dem Werben für ihre Klimapolitik-Initiative einen Brückenschlag zwischen der italienischen und der deutschen Position vorzubereiten. In einem ersten Schritt würde es hierfür ausreichen, einige wenige Prinzipien zu benennen, die nach der Diskussion der vergangenen Jahre Aussicht haben könnten, die innereuropäische Kluft, die vor allem durch die rivalisierenden Positionierungen Deutschlands und Italiens bestimmt wird, zu überwinden und damit in der UN insgesamt breite Zustimmung zu erzielen. Dazu gehören:
  1. das Prinzip der grundsätzlichen Offenheit hinsichtlich des weiteren Reformprozesses des UN-Sicherheitsrats;
  2. die Anerkennung des Prinzips der Pluralität unterschiedlicher Mitgliedschaftsformen (ständige, „semi-permanente“, nicht-ständige) für einen Übergangszeitraum. Damit würde zwar für diesen Übergangszeitraum ein Zwei- oder sogar Dreiklassensystem etabliert, die explizite Koppelung an einen kontinuierlichen Überprüfungsmodus würde aber eine Legitimation dieses Systems ermöglichen;
  3. die Vor-Entscheidung über die Kandidaturen der Ratsmitgliedschaft per Wahl in den jeweiligen Regionalgruppen. Alle Staaten sollten hier dazu angehalten werden, ihre Stimmangabe dadurch zu untermauern, dass sie explizit darlegen, wie ihre Wunschkandidaten zu den Zielen der Vereinten Nationen beitragen. Dieser Wahl würde natürlich im Rahmen der Generalversammlung die Fixierung der Zahl der zusätzlichen Sitze, die jeder Region zugewiesen werden, vorausgehen müssen. Den Regionen könnte es dann aber freigestellt werden, ob sie die verfügbaren Sitze als „semi-permanente“ oder als herkömmliche nicht-ständige deklarieren und füllen wollten. Als maximale Obergrenze für semi-permanente Sitze könnten die im Modell A des „High-Level Panel“ genannten Zahlen übernommen werden (vgl. oben S. 10ff).
Im Anschluss an das Motto ihrer EU-Präsidentschaft („Europa gelingt gemeinsam“, vgl. Merkel 2007) könnte Merkel dem hinzufügen (oder in einer späteren Initiative nachschieben), dass sie gemeinsam mit den EU-Partnern ausloten will, wie die EU als Ganzes sich zur Reform des UN-Sicherheitsrats positionieren sollte. Sie müsste dies keineswegs von vorneherein mit einem Verzicht Deutschlands auf die Option eines der Region „Westeuropa“ zugewiesenen semi-permanenten Sitzes verbinden. Mehr noch, sie könnte sogar explizit den Anspruch formulieren, für Deutschland (zunächst für eine Übergangszeit) einen semi-permanenten Sitz anzustreben. (Dies ist im Kern ja bereits heute die Forderung Deutschlands.) Um eine solche Forderung für eine Mehrheit der EU-Partner - allen voran Italien und Spanien - akzeptabel zu machen, müsste sie allerdings in verallgemeinerungsfähige Prinzipien eingebettet sein. Dazu zählen insbesondere die folgenden zwei:
  1. Weil es innerhalb der EU keine ständigen Vorrechte gibt, können EU-Mitgliedsstaaten auch nicht voneinander fordern, solche Rechte auf Dauer zugesprochen zu bekommen (dass Frankreich und Großbritannien ein solches Vorrecht im Blick auf ihre ständige Mitgliedschaft im UNSicherheitsrat genießen, hat ausschließlich damit zu tun, dass diese ihrem jeweiligen Beitritt zur EU vorausgingen). Mit der Unterwerfung unter die Wahl durch die anderen Mitglieder dieser Gruppe würden jene Mitgliedsstaaten, die Deutschlands Anspruch, die EU oft oder sogar „semipermanent“ zu vertreten, streitig machen wollten, ihrerseits herausgefordert, sich der offenen Konkurrenz zu stellen. Damit würde nicht nur der Wettbewerb unter „UNO-philen“ EU-Mitgliedern befördert, der letztlich den genuinen Zielen der Vereinten Nationen zugute kommen sollte, sondern auch der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU ein Dienst erwiesen.
  2. Im Einklang mit Buchstaben und Geist des unter ihrer Präsidentschaft im Sommer 2007 beschlossenen „Reformvertrages“ der Europäischen Union könnte Frau Merkel ankündigen, dass Deutschland sich an die Spitze jener Mitgliedstaaten stellt, die die GASP auch im Rahmen der Vereinten Nationen stärken wollen. Sie könnte ähnlich gesinnte Staaten einladen, zusammen mit Deutschland eine feierliche Selbstverpflichtung zu unterschreiben, die insbesondere zwei Punkte enthalten sollte. Erstens sollten sich die Unterzeichner verpflichten, die Umsetzung des neuen 3. Satzes von Art. 19 EUV, demzufolge die Union den Hohen Vertreter stärker in ihre Sicherheitsratspräsenz einbindet, konsequent voranzutreiben.
    Zweitens sollten sie sich verpflichten, dem Ministerrat und dem Europäischen Parlament über ihr Abstimmungsverhalten im Sicherheitsrat regelmäßig Bericht zu erstatten und dabei explizit darzulegen, wie ihre Politik die Ziele der Union befördert hat. Damit wäre nicht nur ein Mechanismus der Rechenschaftslegung gegenüber jenen geschaffen, die über eine mögliche Wieder- oder eben auch Abwahl von EUSicherheitsratsmitgliedern zu entscheiden hätten, sondern auch eine Rückkoppelung an den europäischen Souverän erreicht.
Mit einer solchen Wiederbelebung einer europäischen Option würde Merkel mehrere Ziele erreichen können. Erstens könnte sie das wachsende Misstrauen jener entkräften, die unter Verweis auf die Gruppe der „P5+1“ und der „EU-3“ eine deutsche Prestigepolitik zulasten der GASP sehen. Zweitens würde sie die Glaubwürdigkeit der deutschen EU-Politik erhöhen und gleichzeitig Italien zu jener gemeinsamen Stärkung der EU einladen, die sich gerade die Regierung Prodi auf die Fahnen geschrieben hat. Gerade Italien würde mit einer solchen Initiative auch aus der Reserve gelockt, denn viele dieser Vorschläge entsprechen Forderungen, die Rom seit langem erhebt. Wenn es daher gelänge, zwischen Deutschland und Italien eine Kompromisslinie zu entwickeln, wäre dies ein enormer Fortschritt nicht nur für die EU, sondern auch für die UN, selbst, denn damit würden sich zwei Kernmitglieder der beiden wichtigsten konkurrierenden Koalitionen (G4 und „Konsens“) an die Spitze der Reform setzen. Deutschland, Italien und die EU würden der Welt damit auch signalisieren, dass nicht anachronistische nationalstaatliche Vorrechte, sondern eine Anpassung des UN-Systems an die veränderte weltpolitische Lage ihr Kernanliegen wäre. Drittens würde ein beträchtlicher Gewinn an Gestaltungsmöglichkeiten für die deutsche Außenpolitik einher gehen, weil sie sich nicht nur aus der babylonischen Gefangenschaft der G4 befreien würde, sondern auch in glaubwürdiger Weise weitere Reformen zu einem späteren Zeitpunkt einfordern könnte. Schließlich wäre auch die Keimzelle für einen späteren Sitz der EU geschaffen, sollte ein solcher Sitz mittel- oder langfristig möglich werden.

* Hellmann, Gunther/Roos, Ulrich: Das deutsche Streben nach einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat: Analyse eines Irrwegs und Skizzen eines Auswegs.
Duisburg: Institut für Entwicklung und Frieden, Universität Duisburg-Essen (INEF-Report 92/2007).

Adresse:
Institut für Entwicklung und Frieden (INEF)
Geibelstraße 41, D-47057 Duisburg
Telefon +49 (203) 379 4420 Fax +49 (203) 379 4425 E-Mail: inef-sek@inef.uni-due.de
Homepage: http://inef.uni-due.de


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