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Nüchtern, aber gefährlich

In der Außenpolitik setzt die große Koalition auf Reaktivierung des Militärs und Relativierung des Völkerrechts

Im Koalitionsvertrag ist auffällig oft von "deutschen", "nationalen", "vitalen" oder "strategischen" Interessen die Rede. Das Wort Abrüstung taucht dagegen auch in der Regierungserklärung nicht auf. Das bereitet Sorge.



Von Norman Paech*

Kontinuität ist der Ausweis für Seriosität in der Politik. Zugleich die Verbeugung vor der Arbeit des Vorgängers aber auch die Camouflage der eigenen Absichten. Ob die Substanzlosigkeit der Bekenntnisse in der Koalitionsvereinbarung und der Regierungserklärung der Kanzlerin eher die Abwiegelung offensichtlicher Differenzen oder die seit längerem geheime Koalition in grundsätzlichen Fragen ausdrückt, wird sich allerdings sehr bald erweisen. Das gilt schon für die laufenden Affären: die geheimen CIA-Flüge und die "irrtümlichen" oder ganz offenen Entführungen, die nicht erst mit dem Deutsch-Libanesen al-Masri, sondern bereits seit 2001 mit dem Deutsch-Syrer Haidar Zammar und dem Ägypter Mustafa Hass die ungenügend informierte Öffentlichkeit irritieren. Besteht das Lob der Kontinuität darin, auch in Zukunft den internationalen Operationen der Geheimdienste ihre offensichtlichen Rechtsbrüche mit Nichtwissen nachzusehen?

Dies ist nur der Zipfel eines grundsätzlichen Problems der Außenpolitik. Wie steht es mit den nirgends fehlenden Bekenntnissen zur UN-Charta und zum Völkerrecht? Die alte Regierung hat sie 1999 mit dem Krieg gegen Jugoslawien und vier Jahre später mit der gar nicht so harmlosen Unterstützung der US-Truppen im Irakkrieg Lügen gestraft. Die CDU hat ihre Sympathien für beide Kriege nie verhehlt und scheint in der Zukunft eher der Macht der USA als dem Völkerrecht zu vertrauen.

Anstatt in den kommenden Auseinandersetzungen gegen den Terrorismus, die Massenvernichtungsmittel und zur Sicherung von Märkten und Rohstoffen die Regeln des Völkerrechts gegen die offenen Rechtsverletzungen und unzweideutigen Kriegsdrohungen der USA ins Feld zu führen, schwenkt die neue Koalition ganz offensichtlich auf den imperialen Kurs der neuen Weltordnung ein.

Das ergibt sich schon auf den ersten Blick aus dem Koalitionsvertrag, in dem auffällig oft von "deutschen", "nationalen", "vitalen" oder "strategischen" Interessen die Rede ist, die es auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen gilt. Das ist nicht neu. Bereits 1992 hat der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) die "Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt" als "vitales Sicherheitsinteresse" Deutschlands zur Aufgabe der Bundeswehr erklärt. Ähnlich liest man es in der Nato-Strategie vom April 1999. Und auch Friedberg Pflüger, nunmehr Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium, plädiert für den Einsatz der Bundeswehr zur Sicherung lebenswichtiger afrikanischer Rohstoffe - natürlich nur im äußersten Fall und auf der Grundlage der UN-Charta. Doch eines ist ganz unzweifelhaft: für solche Missionen bietet die UN-Charta keine Legitimation.

Das Erbe der SPD

Die SPD hat sich mit diesem militärischen Konzept schon lange angefreundet. Sie war es, die die Militarisierung der Außenpolitik gemeinsam mit den Grünen 1999 durchgesetzt hat. Wurde der Krieg gegen Jugoslawien noch mit einer "humanitären Intervention" zu begründen versucht, werden die Menschenrechte nun durch das "vitale Interesse" ersetzt. Auch der Leiter der Internationalen Politikanalyse der Friedrich-Ebert-Stiftung Michael Dauderstädt forderte jüngst unter der Losung "Kanonen statt Butter" die EU-Subventionen aus der Landwirtschaft abzuziehen und in die Forschung, Entwicklung und Produktion von Rüstungsgütern zu stecken. Dadurch würde nicht nur das Wachstum in Europa gestärkt, die soziale Gerechtigkeit verbessert und die Beschäftigung erhöht, sondern auch der Frieden und die Sicherheit in der Welt verbessert. So abstrus es klingt, im 21. Jahrhundert wiederum das soziale Heil der Gesellschaft in der Rüstung zu suchen, so gefährlich ist die Wiederaufnahme des Militärs und damit des Krieges in die Außenpolitik.

Die Reaktivierung des Militärs in der Außenpolitik geht mit der Relativierung des Völkerrechts Hand in Hand und hinterlässt auch auf anderen Gebieten ihre Spuren. Das Wort Abrüstung tauchte in der Regierungserklärung nicht ein einziges Mal auf. Eine der wichtigsten und dringendsten Aufgaben einer künftigen Friedenspolitik - konventionelle und atomare Abrüstung - war keiner Erwähnung wert. Hatten nicht die USA wegen angeblicher Massenvernichtungsmittel einen Krieg begonnen, in den sie noch immer verwickelt sind? Und setzt nicht die EU Iran unter Druck, um dessen Einstieg in die atomare Produktion zu verhindern? Die Regierungserklärung eines Landes, welches in den letzten Jahren zum viertgrößten Rüstungsexporteur aufgestiegen ist und kein Wort über die Abrüstung verliert, vermittelt keine überzeugende Friedensbotschaft. Außenpolitik mit den Ländern des afrikanischen Kontinents wird klassisch als Entwicklungspolitik bezeichnet. Sie muss mit wenig Geld aber vielen guten Worten von Partnerschaft, good governance und dem ewigen Versprechen auf Erhöhung der Entwicklungshilfe auskommen. Das wird so bleiben.

Hilfe fließt zu Gebern zurück

Nichts in der Regierungserklärung spiegelt die inzwischen gesicherte Erkenntnis wieder, dass 90 Prozent der Hilfe praktisch an die Geberländer zurückfließen, die "Hilfe" vorwiegend den wirtschaftlichen, politischen und strategischen Interessen der Geberländer dient und der soziale und wirtschaftliche Niedergang Afrikas entscheidend durch die Programme von Weltbank und IWF sowie das internationale Handelsregime verursacht werden. Die hier obwaltende Kontinuität orientiert sich an der in Brüssel beschlossenen "Strategie für Afrika", die auf den Ideen basiert, die Tony Blair für die G8 entwickelt hat, und die Sicherung der enormen wirtschaftlichen Ressourcen Afrikas in den Mittelpunkt stellt. Wie das praktisch vor sich geht, zeigen die USA, die unter dem Vorwand, den Terrorismus zu bekämpfen, bereits begonnen haben, sich die Länder mit reichen Erdölvorkommen zu sichern. Auch der alte Verteidigungsminister Struck hatte schon Afrika zum neuen Aufgabengebiet der Bundeswehr erklärt.

Urteilen wir so nüchtern und pragmatisch wie die Regierungserklärung der Kanzlerin gelobt wird: so nichtssagend die Worte so gefährlich die Botschaft dahinter.

* Prof. Norman Paech, Hamburg, emeritierter Professor für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg; seit der Wahl 2005 außenpolitischer Sprecher der Bundestagesfraktion "Die Linke".

Dieser Beitrag erschien auf der Dokumentationsseite der Frankfurter Rundschau, 10. Dezember 2005



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