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"Außenpolitik aus einem Guß"

Lehrbeispiel Afghanistan: Bundesminister präsentieren Konzept für bessere Koordinierung gegenüber "fragilen Staaten". Militärische Mittel weiter nicht ausgeschlossen

Von Daniel Bratanovic *

Deutschland spielt auf Augenhöhe mit. Zur reibungslosen Durchsetzung und Wahrung seiner Interessen in instabilen Regionen soll das Zusammenspiel von klassischer Diplomatie, Entwicklungshilfe und militärischen Mittel stärker koordiniert werden. Außenminister Guido Westerwelle (FDP), Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) und Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) stellten am Mittwoch in Berlin »ressortübergreifende Leitlinien« für eine »kohärente Politik der Bundesregierung gegenüber fragilen Staaten« vor. Niebel gab eine Ahnung davon, welche Regionen sich zukünftig besonderer deutscher Betreuung erfreuen dürfen. Von West- nach Ostafrika entlang der Sahelzone erstrecke sich ein »Gürtel der Fragilität«. Das Problem mit diesen Staaten werde größer, da dürfe man nicht wegschauen, sorgte sich Westerwelle und machte deutlich, was das die BRD angeht. »Wir sind eine Handelsnation, wir leben von unserem Vorsprung durch Wissen.« Dieser sei gefährdet, wenn »unsere Waren nicht mehr an ihr Ziel gelangen«.

Der Eindruck nackter Interessenpolitik sollte indes nicht entstehen. Das Engagement der Bundesregierung gegenüber »fragilen Staaten« sei ebenso »wertegeleitet«, heißt es in dem Papier. Eine Mischung, die nach Meinung de Maizières nicht immer »widerspruchsfrei« bleibt. Eine reine Interessendurchsetzung stoße an die Grenzen der Wertevorstellungen. Aber »die Verfolgung von Werten kann sich an harten Interessen, die Deutschland hat, stoßen«, so der Verteidigungsminister. Daraus zog der Bendlerblock-Chef immerhin eine Schlußfolgerung: »Demokratieexport« funktioniert nicht. Vielmehr müßten »lokale Legitimationsvorstellungen« berücksichtigt werden. Man fahre immer gut, wenn man auf kulturelle, historische und politische Besonderheiten achte. Es gelte, schreiben die drei Minister in den Leitlinien, an »endogene Traditionen und Institutionen« anzuknüpfen, »auch wenn diese nicht im vollen Umfang denen liberaler Demokratien entsprechen«.

Offenbar das Eingeständnis eines Fehlverhaltens in Afghanistan, aus dem entsprechende Lehren gezogen werden sollen. Niebel bezeichnete das Land als »Schadensfall« und den dortigen Einsatz nicht gerade als »Paradebeispiel der vernetzten Sicherheit«. Deutsche Außenpolitik in fragilen Staaten müsse früher einsetzen, nicht zuletzt aus einem rein betriebswirtschaftlichen Kalkül: »Prävention ist letztlich preiswerter«. Das schließe militärische Mittel keineswegs aus, jedoch nur als ultima ratio, sekundierte de Maizière. Der Bundeswehr komme dabei die Rolle einer »Basissicherung« zu, schließlich gebe es Situationen, in denen nur Soldaten für Sicherheit sorgen könnten.

Für den Umstand, daß für das Engagement der Bundeswehr am Hindukusch wenig Begeisterung aufkommen mag, hatte der CDU-Mann eine ganz besondere Erklärung auf Lager: »Vielleicht ist ein Teil der Ablehnung des Afghanistan-Einsatzes in der Bevölkerung auch deswegen zu erklären, weil es enttäuschte Erwartungen gibt«.

Lichtet man den Nebel um Wertevorstellungen, Menschenrechte und Demokratie, dann haben am Mittwoch die drei Minister ein Konzept vorgelegt, mit dessen Hilfe in Berücksichtigung der Erfahrungen in Afghanistan deutsche Begehrlichkeiten im Ausland nüchtern, pragmatisch und zukünftig besser vernetzt realisiert werden sollen. »Außenpolitik aus einem Guß«, nannte Westerwelle das.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 20. September 2012


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