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Stein des Anstoßes

DDR-Außenpolitik im Rückspiegel

Von Franz-Karl Hitze *

Zum zweiten Mal schauen DDR-Diplomaten in den »Rückspiegel« der Außenpolitik ihres nicht mehr existenten Staates. In einem nunmehr seit zehn Jahren bestehenden Diskussionskreis des Verbandes für Internationale Politik und Völkerrecht e.V tauschen Botschafter und leitende Mitarbeiter des DDR-Außenministeriums und Wissenschaftler regelmäßig ihre Lebenserfahrungen aus und analysieren Außenpolitik gestern und heute. Es ist vor allem Ingrid Muth zu verdanken, dass die Ergebnisse und Erkenntnisse in diesen Foren gebündelt und gedruckt einem breiteren Interessentenkreis vermittelt werden. Eigentlich war ein zweiter Band nicht geplant. Da aber deutsche Nachkriegsgeschichte nach wie vor auf die Geschichte der Bundesrepublik fokussiert bleibt und die DDR allenfalls als »zweite deutsche Diktatur« interessant erscheint, schien es den Herausgebern geboten, »einen bescheidenen Stein des Anstoßes« zu geben, um nicht vergessen zu lassen, »dass auch die Menschen in der DDR Geschichte geschrieben haben, die früher oder später Eingang in die deutsche Nationalgeschichte finden wird«. So Ingrid Muth bei der Vorstellung des zweiten Bandes.

Im ersten Kapitel werden bilaterale Beziehungen zwischen den ehemaligen sozialistischen Bruderstaaten in Europa behandelt. Günter Sieber und Siegfried Bock konstatieren, dass die Beziehungen zeitweise durch das eisige Verhältnis Ulbrichts zu Gomulka (Polen) oder Gheorghe Gheorghiu-Dej (Rumänien) getrübt waren. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen Bukarests mit der Bundesrepublik erfolgte entgegen Absprachen im Warschauer Vertrag und war von Hermann Axen als »diplomatischer Verrat« bezeichnet worden. Auch die ohne Vorwarnung eingeführte Praxis in Rumänien, von Touristen für Kraftstoff harte Währung zu verlangen, wurde in Osterblin als ein Affront gewertet. Die mit eigenem Pkw 1979 nach Rumänien gereisten DDR-Touristen saßen plötzlich im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Trockenen; manch ein ND-Leser mag sich vielleicht noch daran erinnern. Erst als sich die DDR zu weiteren Benzin- und Lebensmittellieferungen bereit erklärte, wurde diese Beschränkung aufgehoben. Die Interessenlagen dieser beiden sozialistischen Staaten kollidierten nicht selten und belasteten die bilateralen Beziehungen nicht unereheblich.

Im zweiten Kapitel analysiert Wolfgang Bayerlacher die außenpolitischen Interessen und die Beziehung der DDR zu Äthiopien. Haile Mengistu Mariam, der die Leitung des Staates nach tödlichen Auseinandersetzungen in der bisherigen Führung, übernommen hatte, sollte geholfen werden, die national-demokratische Revolution im Lande zu stabilisieren. Dafür engagierte sich vor allem Werner Lamberz. Eine tragende Säule in den Beziehungen zu Äthiopien war die Ausbildung von Kadern. Hunderte Ärzte wurden von Dozenten aus der DDR geschult. Jugendbrigaden bildeten rund 3000 Fahrer an landwirtschaftlichen Maschinen aus, die zumeist auch aus der DDR geliefert wurden. Die DDR schenkte Äthiopien ein komplettes Gesundheitszentrum. Auf Bitten der äthiopischen Regierung hat die DDR auch Waffen im Wert von 25 bis 30 Millionen Valuta-Mark geliefert. Entgegen westlich Behauptungen waren jedoch keine NVA-Truppen in Äthiopien im Einsatz, mit Ausnahme der sechsköpfigen Besatzung einer IL-14-Maschine der NVA, die wöchentlich ein-, zweimal das Gesundheitszentrum mit Lebensnotwendigem versorgte.

Im dritten und vierten Kapitel schließlich berichten Siegfried Zachmann, Peter Dietze und Hans-Jürgen Michel über die Mitarbeit der DDR in der UNO und deren Spezialorganisationen. Auch das Ringen um internationale Abrüstung ist nicht ausgespart. Kurzum: Wer ehrlich an der Geschichte der DDR und insbesondere deren Außenpolitik interessiert ist, wird hier ausgiebig informiert. Die Mühe, einen zweiten Band herauszugeben, hat sich also gelohnt.

Siegfried Bock / Ingrid Muth / Hermann Schwiesau: Alternative deutsche Außenpolitik? DDR-Außenpolitik im Rückspiegel. Band 2. LIT-Verlag, Berlin 2006. 257 S., br., 24,90 EUR.

* Aus: Neues Deutschland, 29. Juni 2006


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