Ein brisantes friedenspolitisches Dokument: Der 2+4-Vertrag
Im Wortlaut: Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland
Im Folgenden dokumentieren wir den sog. 2+4-Vertrag aus dem Jahr 1990, der ein wichtiges friedenspolitisches Dokument der Zeitgeschichte darstellt. Mit den Unterschriften der Signatarmächte USA, Frankreich, Großbritannien und der Sowjetunion werden die vertragschließenden Parteien BRD und DDR verpflichtet, nach der Einigung in ihrer Außenpolitik die Prinzipien der UN-Charta einzuhalten, die Endgültigkeit der deutschen Grenzen anzuerkennen und, auf Atom- und andere Massenvernichtungswaffen zu verzichten und keine Handlungen zu unternehmen, "die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten" - eine Formulierung, die dem Art. 26 des Grundgesetzes der Bundesrepublik entnommen ist. Auch werden der NATO im Osten Deutschlands bestimmte Beschränkungen auferlegt.
Der 2+4-Vertrag wurde anlässlich der deutschen Teilnahme am völkerrechtswidrigen NATO-Krieg gegen Jugoslawien sowie bei anderen Auslandseinsätzen von kritischen Juristen und von der Friedensbewegung ins Feld geführt, um deren Rechtswidrigkeit anzuprangern (vgl z.B. die Anklageschrift des Europäischen NATO-Tribunals). Alle diesbezüglichen Klagen sind in der Vergangenheit aber an der Weigerung des Generalbundesanwalts gescheitert, ein Verfahren gegen die Bundesregierung einzuleiten (vgl. z.B. den Brief des Generalbundesanwalts vom 30. November 2001 ).
Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland
Die Bundesrepublik Deutschland, die Deutsche Demokratische Republik, die Französische Republik, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und die
Vereinigten Staaten von Amerika -
in dem Bewusstsein, dass ihre Völker seit 1945 miteinander in Frieden leben,
eingedenk der jüngsten historischen Veränderungen in Europa, die es ermöglichen, die Spaltung des Kontinents zu überwinden,
unter Berücksichtigung der Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte in bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes und der entsprechenden Vereinbarungen und Beschlüsse der Vier Mächte aus der
Kriegs- und Nachkriegszeit,
entschlossen, in Übereinstimmung mit ihren Verpflichtungen aus der Charta der Vereinten Nationen freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der
Völker beruhende Beziehung zwischen den Nationen zu entwickeln und andere geeignete Massnahmen zur Festigung des Weltfriedens zu treffen,
eingedenk der Prinzipien der in Helsinki unterzeichneten Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa,
in Anerkennung, dass diese Prinzipien feste Grundlagen für den Aufbau einer gerechten und dauerhaften Friedensordnung in Europa geschaffen haben,
entschlossen, die Sicherheitsinteressen eines jeden zu berücksichtigen,
überzeugt von der Notwendigkeit, Gegensätze endgültig zu überwinden und die Zusammenarbeit in Europa fortzuentwickeln,
in Bekräftigung ihrer Bereitschaft, die Sicherheit zu stärken, insbesondere durch wirksame
Maßnahmen zur Rüstungskontrolle, Abrüstung und Vertrauensbildung; ihrer Bereitschaft, sich gegenseitg nicht als Gegner zu betrachten, sondern auf ein Verhältnis des Vertrauens und der Zusammenarbeit hinzuarbeiten, sowie dementsprechend ihrer Bereitschaft, die Schaffung geeigneter institutioneller Vorkehrungen im Rahmen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa positiv in Betracht zu ziehen,
in Würdigung, dass das deutsche Volk in freier Ausübung des Selbstbestimmungsrechts seinen Willen bekundet hat, die staatliche Einheit Deutschlands herzustellen, um als gleichberechtigtes und souveränes
Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen,
in der Überzeugung, dass die Vereinigung Deutschlands als Staat mit entgültigen Grenzen ein bedeutsamer Beitrag zu Frieden und Stabilität in Europa ist,
mit dem Ziel, die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland zu vereinbaren,
in Anerkennung dessen, dass dadurch und mit der Vereinigung Deutschlands als einem demokratischen und friedlichen Staat die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte in Bezug auf Berlin und Deutschland
als Ganzes ihre Bedeutung verlieren,
vertreten durch ihre Außenminister, die entsprechend der Erklärung von Ottawa vom 13. Februar 1990 am 5. Mai 1990 in Bonn, am 22. Juni 1990 in Berlin, am 17. Juli 1990 in Paris unter Beteiligung des Außenministers der Republik Polen und am 12. September 1990 in Moskau zusammengetroffen sind -
sind wie folgt
übereingekommen:
Artikel 1
(1) Das vereinigte Deutschland wird die Gebiete der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen
Demokratischen Republik und ganz Berlin umfassen. Seine Außengrenzen werden die Grenzen der Deutschen
Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland sein und werden am Tage des Inkrafttreten
dieses Vertrags endgültig sein. Die Bestätigung des endgültigen Charakters der Grenzen des vereinten
Deutschland ist ein wesentlicher Bestandteil der Friedensordnung in Europa.
(2) Das vereinte Deutschland und die Republik Polen bestätigen die zwischen ihnen bestehende Grenze in einem
völkerrechtlich verbindlichen Vertrag.
(3) Das vereinte Deutschland hat keinerlei Gebietsansprüche gegen anderen Staaten und wird solche auch nicht
in Zukunft erheben.
(4) Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik werden
sicherstellen, dass die Verfassung des vereinten Deutschland keinerlei Bestimmungen enthalten wird, die mit
diesen Prinzipien unvereinbar sind. Dies gilt dementsprechend für die Bestimmung, die in der Präambel und in
den Artikeln 23 Satz 2 und 146 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland niedergelegt sind.
(5) Die Regierungen der Französischen Republik, des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland,
der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und der Vereinigten Staaten von Amerika nehmen die
entsprechenden Verpflichtungen und Erklärungen der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der
Deutschen Demokratischen Republik förmlich entgegen und erklären, dass mit deren Verwirklichung der
endgültige Charakter der Grenzen des vereinten Deutschland bestätigt wird.
Artikel 2
Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik bekräftigen ihre
Erklärungen, dass von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird. Nach der Verfassung des vereinten
Deutschland sind Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche
Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten,
verfassungswidrig und strafbar. Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen
Demokratischen Republik erklären, dass das vereinte Deutschland keine seiner Waffen jemals einsetzen wird,
es sei denn in Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen.
Artikel 3
(1) Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik bekräftigen
ihren Verzicht auf Herstellung und Besitz von und auf Verfügungsgewalt über atomare, biologische und
chemische Waffen. Sie erklären, dass auch das vereinte Deutschland sich an diese Verpflichtungen halten wird.
Insbesondere gelten die Rechte und Verpflichtungen aus dem Vertrag über die Nichtverbreitung von
Kernwaffen vom 1. Juli 1968 für das vereinte Deutschland fort.
(2) Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland hat in vollem Einvernehmen mit der Regierung der
Deutschen Demokratischen Republik am 30. August 1990 in Wien bei den Verhandlungen über Konventionelle
Streitkräfte in Europa folgende Erklärung abgegeben:
"Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet sich, die Streitkräfte des vereinten Deutschland
innerhalb von drei bis vier Jahren auf eine Personalstärke von 370.000 Mann (Land-, Luft- und
Seestreitkräfte) zu reduzieren. Diese Reduzierung soll mit dem Inkrafttreten des ersten KSE-Vertrags beginnen.
Im Rahmen dieser Gesamtobergrenze werden nicht mehr als 345.000 Mann den Land- und Luftstreitkräften angehören, die gemäß vereinbartem Mandat allein Gegenstand der Verhandlungen über konventionelle
Streitkräfte in Europa sind. Die Bundesregierung sieht in ihrer Verpflichtung zur Reduzierung von Land- und
Luftstreitkräften einen bedeutsamen deutschen Beitrag zur Reduzierung der konventionellen Streitkräfte in
Europa. Sie geht davon aus, dass in Folgeverhandlungen auch die anderen Verhandlungsteilnehmer ihren Beitrag
zur Festigung von Sicherheit und Stabilität in Europa, einschließlich Maßnahmen zur Begrenzung der
Personalstärken, leisten werden."
Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik hat sich dieser Erklärung ausdrücklich angeschlossen.
(3) Die Regierungen der Französischen Republik, des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland,
der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und der Vereinigten Staaten von Amerika nehmen diese
Erklärungen der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik
zur Kenntnis.
Artikel 4
(1) Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen Republik und der Union
der Sozialistischen Sowjetrepubliken erklären, dass das vereinte Deutschland und die Union der Sozialistischen
Sowjetrepubliken in vertraglicher Form die Bedingungen und die Dauer des Aufenthalts der sowjetischen
Streitkräfte auf dem Gebiet der heutigen Deutschen Demokratischen Republik und Berlins sowie die
Abwicklung des Abzugs dieser Streitkräfte regeln werden, der bis zum Ende des Jahres 1994 im
Zusammenhang mit der Verwirklichung der Verpflichtungen der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland
und der Deutschen Demokratischen Republik, auf die sich Absatz 2 des Artikel 3 dieses Vertrags bezieht,
vollzogen sein wird.
(2) Die Regierungen der Französischen Republik, des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland
und der Vereinigten Staaten von Amerika nehmen diese Erklärung zur Kenntnis.
Artikel 5
(1) Bis zum Abschluss des Abzugs der sowjetischen Streitkräfte vom Gebiet der heutigen Deutschen
Demokratischen Republik und Berlins in Übereinstimmung mit Artikel 4 dieses Vertrags werden auf diesem
Gebiet als Streitkräfte des vereinten Deutschland ausschließlich deutsche Verbände der Territorialverteidigung
stationiert sein, die nicht in die Bündnisstrukturen intergriert sind, denen deutsche Streitkräfte auf dem
übrigen deutschen Territorium zugeordnet sind. Unbeschadet der Regelung in Absatz 2 dieses Artikels werden
während dieses Zeitraums Streitkräfte anderer Staaten auf diesem Gebiet nicht stationiert oder irgendwelche
andere militärische Tätigkeiten dort ausüben.
(2) Für die Dauer des Aufenhalts sowjetischer Streikräfte auf dem Gebiet der heutigen Deutschen
Demokratischen Republik und Berlins werden auf deutschen Wunsch Streitkräfte der Französischen Republik,
des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland und der Vereinigten Staaten von Amerika auf der
Grundlage entsprechender vertraglicher Vereinbarungen zwischen den Regierungen des vereinten Deutschland
und den Regierungen der betreffenden Staaten in Berlin stationiert bleiben. Die Zahl aller nichtdeutschen in Berlin
stationierten Streitkräfte und deren Ausrüstungsumfang werden nicht stärker sein als zum Zeitpunkt der
Unterzeichnung dieses Vertrags. Neue Waffenkategorien werden von nichtdeutschen Streitkräften dort nicht
eingeführt. Die Regierungen des vereinten Deutschland wird mit den Regierungen der Staaten, die Streitkräfte
in Berlin stationiert haben, Verträge zu gerechten Bedingungen unter Berücksichtigung der zu den betreffenden
Staaten bestehenden Beziehungen abschließen.
(3) Nach dem Abschluss des Abzugs der sowjetischen Streitkräfte vom Gebiet der heutigen Deutschen
Demokratischen Republik und Berlins können in diesem Teil Deutschlands auch deutsche
Streitkräfteverbände stationiert werden, die in gleicher Weise militärischen Bündnisstrukturen zugeordnet
sind wie diejenigen auf dem übrigen deutschen Hoheitsgebiet, allerdings ohne Kernwaffenträger. Darunter
fallen nicht konventionelle Waffensysteme, die neben konventionellen andere Einsatzfähigkeiten haben können,
die jedoch in diesem Teil Deutschlands für eine konventionelle Rolle ausgerüstet und nur dafür vorgesehen
sind. Ausländische Streitkräfte und Atomwaffen oder deren Träger werden in diesem Teil Deutschlands
weder stationiert noch dorthin verlegt.
Artikel 6
Das Recht des vereinten Deutschland, Bündnissen mit allen sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten
anzugehören, wird von diesem Vertrag nicht berührt.
Artikel 7
(1) Die Französische Republik, der Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland, die Union der
Sozialistischen Sowjetrepubliken und die Vereinigten Staaten von Amerika beenden hiermit ihre Rechte und
Verantwortlichkeiten in Bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes. Als Ergebnis werden die entsprechenden,
damit zusammenhängenden vierseitigen Vereinbarungen, Beschlüsse und Praktiken beendet und alle
entsprechenden Einrichtungen der Vier Mächte aufgelöst.
(2) Das vereinte Deutschland hat demgemäß volle Souveränität über seine inneren und äußeren
Angelegenheiten.
Artikel 8
(1) Dieser Vertrag bedarf der Ratifikation oder Annahme, die so bald wie möglich herbeigeführt werden soll.
Die Ratifikation erfolgt auf deutscher Seite durch das vereinte Deutschland. Dieser Vertrag gilt daher für das
vereinte Deutschland.
(2) Die Ratifikations- oder Annahmeurkunden werden bei der Regierung des vereinten Deutschlands hinterlegt.
Diese unterrichtet die Regierungen der anderen Vertragsschliessenden Seiten von der Hinterlegung jeder
Ratifikations- oder Annahmeurkunde.
Artikel 9
Dieser Vertrag tritt für das vereinte Deutschland, die Französische Republik, das Vereinigte Königreich
Großbritannien und Nordirland, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und die Vereinigten Staaten von
Amerika am Tag der Hinterlegung der letzten Ratifikations- oder Annahmeurkunde durch diese Staaten in Kraft.
Artikel 10
Die Urschrift dieses Vertrags, dessen deutscher, englischer, französischer und russischer Wortlaut
gleichermaßen verbindlich ist, wird bei der Regierung der Bundesrepublik Deutschland hinterlegt, die den
Regierungen der anderen Vertragsschließenden Seiten beglaubigte Ausfertigungen übermittelt.
Zu Urkund dessen haben die unterzeichneten, hierzu gehörig Bevollmächtigten diesen Vertrag unterschrieben.
Geschehen zu Moskau am 12. September 1990
Für die Bundesrepublik Deutschland
Hans-Dietrich Genscher
Für die Deutsche Demokratische Republik
Lothar de Maiziere
Für die Französische Republik
Roland Dumas
Für das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland
Douglas Hurd
Für die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken
Eduard Schewardnadse
Für die Vereinigten Staaten von Amerika
James Baker
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